Die wirtschaftlichen Erwartungen sind immens. Web 2.0 hat es vorgemacht: Bis 2009 wollen deutsche Unternehmen rund 20 Milliarden Euro in entsprechende Anwendungen investieren, so eine Einschätzung von Steria Mummert Consulting. Andere IT-Bereiche wollen auf den 2.0 Zug aufspringen. Angefangen bei Service-orientierten Architekturen (SOA) über Data Warehouse (DW) bis zu Customer Relationship Management (CRM). Alle bringen dieser Tage eine 2.0 Version heraus. Nicht immer steckt bei diesen Projekten eine echte Weiterentwicklung sondern eher eine Marketing-Idee dahinter.
Web 1.0 war Information, Web 2.0 sind soziale Netzwerke
Eine ansteigende Versionsnummer steht in der Software-Entwicklung für die signifikante Neuerung einer Anwendung. Das Neue an Web 2.0 gegenüber seinem Vorgänger ist, dass die Internet-Gemeinschaft ihre Inhalte zunehmend selbst gestaltet. Die Kommunikation der Surfer steht im Vordergrund. Dabei hat sich auch die Technologie weiterentwickelt. Zum Programmieren der Webseiten kommt beispielsweise zunehmend AJAX (Asynchronous Java Script and XML) zum Einsatz. Mit AJAX können automatisch bestimmte Inhalte einer Website ausgetauscht und nachgeladen werden, ohne dass es zu einem erneuten Nachladen der Website kommt. Dies führt zu einer verbesserten Bedienbarkeit und damit zu einer deutlich höheren Benutzerakzeptanz.
Die gestiegenen Ansprüche der Benutzer an die Bedienbarkeit des Web bieten den Nährboden für weitere Web 2.0 Technologien. Es ist davon auszugehen, dass in der nächsten Generation nach AJAX sogar offline-fähige Web-Anwendungen möglich werden, die dann auch mobil genutzt werden können. Das Web 2.0 bildet nur einen Zwischenschritt zur nächsten Evolutionsstufe, dem Web 3.0. Diese soll noch übersichtlicher werden. Durch die Einführung von Technologien des Semantic Web werden Anfragen an Suchmaschinen künftig aufgrund ihres Bedeutungsinhalts anstatt ihrer Schreibweise ausgewertet werden. Internetnutzer können damit in Zukunft bereits nach einem ersten Suchvorgang auf brauchbare Inhalte zugreifen.
SOA auf dem 2.0 Prüfstand
Neben dem Web 2.0 gehören serviceorientierte Architekturen (SOA) zu den wichtigsten IT-Themen in den Unternehmen. Das Konzept existiert schon seit Ende der neunziger Jahre. Allerdings haben die meisten IT-Verantwortlichen das Thema SOA bisher verschlafen. Obwohl SOA im vergangenen Jahr von ihnen auf Platz sechs der Top-Themen gesetzt wurde, steckt die tatsächliche Umsetzung bei den Unternehmen noch in den Kinderschuhen.
Mit SOA 2.0 oder der so genannten Advanced SOA, steht das Konzept bereits vor einem weiteren Quantensprung in Richtung Business-Orientierung. Als wesentliche neue Komponente steht dabei das Complex Event Processing (CEP) im Vordergrund. Das CEP ist eine Art Radarsystem, welches aus vielen Geschäftsereignissen die auftretenden Ereignisse in Echtzeit auffängt und nach geschäftsrelevanten Mustern auswertet. Ein Beispiel: Der Kreditvergabeprozess einer Bank wird von Ereignissen, wie der Veränderung von Leitzinsen, der Bewertung eines Unternehmens durch Ratingagenturen oder die Tätigkeit von Hedgefonds, beeinflusst. Das CEP erkennt, ob diese Ereignisse zufällig auftreten oder die Bonität eines Unternehmens schlechter wird. Diese Faktoren wirken sich unmittelbar auf die aktuelle Kreditvergabe aus. In diesem Fall greift das CEP aktiv in den Prozessablauf ein.
Die neue Ausweitung des Konzepts SOA auf die Fachabteilungen ist allerdings nicht wirklich neu. Der Grund: SOA 1.0 hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Während das Konzept Ende der neunziger Jahre schwerpunktmäßig als Technologiethema gesehen wurde, ist mittlerweile in den meisten Unternehmen die Erkenntnis gereift, dass SOA auch in den Fachabteilungen Einzug halten muss, weil die optimale fachliche Definition von Services und Prozessen eine wesentliche Voraussetzung für die Entkopplung von den dahinter liegenden IT-Systemen ist.
Wenn SOA in der Version 2.0 ein Erfolg werden soll, dann durch Nachweis von konkreten Nutzenpotentialen und weniger durch "Feature-Diskussionen". Insofern muss die "2.0"-Diskussion auch klug geführt werden, damit potentielle Anwender nicht verunsichert werden und lieber auf eine 3.0-Version warten.
Data Warehouse - Aus alt mach alt
Ganz anders als bei SOA, wo die Abgrenzung von Release 1.0 zu Release 2.0 Inhalt langer Diskussionen sein kann, liegt der Fall bei dem Data Warehouse (DW). Bill Inmon, einer der Väter der Idee, hat sich den Begriff DW 2.0TM sogar schützen lassen. Ein Indiz dafür, wie hoch die Erwartungen in den 2.0-Trend liegen. Das Data Warehouse der zweiten Generation strukturiert vor allem die unterschiedlichen Daten eines Unternehmens neu. Ein DW ist nun in unterschiedliche Sektoren aufgebaut, anhand des Lebenszyklus der Daten.
Darüber hinaus geht eine Data Warehouse-Anwendung der Version 2.0 weg von einem lokalen hin zu einem unternehmensübergreifenden Metadatenmanagement und integriert auch unstrukturierte Daten. Allerdings sind einige dieser vorgeschlagenen Veränderungen schon heute gängige Praxis. Über die Bedeutung eines übergreifenden Metadaten-Managements besteht seit Jahren Konsens. Auch die Zusammenführung von strukturierten und unstrukturierten Daten ist unter dem Begriff Enterprise Information Management lange bekannt.
DW 2.0 ist mit Sicherheit ein guter Aufhänger für spannende Diskussionen. Wesentlich geeigneter, um die Entwicklung von Business Intelligence und Data Warehouse zu beschreiben, sind allerdings ausgefeilte Reifegradmodelle, die fünf oder sechs Entwicklungsstufen statt zwei eines Data Warehouses betrachten und neben der Sicht auf die Technik auch die fachlichen und organisatorischen Prozesse mit einbeziehen.
IT-Community im 2.0-Rausch
In dem Maße wie der Begriff Web 2.0 populär wurde, suchen Unternehmen immer mehr Anwendungsbereiche für den Zusatz 2.0. CRM 2.0 soll beispielsweise einen Nutzen schaffen, indem es das Konzept der Sozialen Netzwerke in das Kunden-Management integriert. Der Markt für Enterprise Content Management-Systeme soll sich allein durch die Konsolidierung der Anbieter von Werkzeug-Software und der Übernahme von Herstellern durch große Infrastruktur-Anbieter wie IBM in Richtung eines ECM 2.0 entwickeln.
Eine weitere Steigerung ist Enterprise 2.0. Es stellt eine Art Zusammenfassung von Web 2.0, SOA 2.0 oder DW 2.0 dar. Es integriert die dort vorhandenen Konzepte auf Unternehmensebene und setzt interne soziale Netzwerke, analog des Web 2.0, als echten Produktionsfaktor ein. Forscher arbeiten sogar bereits an einer neuen Version des menschlichen Körpers, dem so genannten "human body 2.0". Diese Weiterentwicklung würde allerdings den Namenszusatz 2.0 verdienen - immerhin verspricht es eine "radikale Lebensverlängerung" durch Nanobots, die durch die Blutbahnen wandern.
Fazit
Die 2.0-Welle ist derart hoch und der Begriff wird so inflationär verwendet, dass er seine Aufmerksamkeitswirkung schon wieder deutlich verliert. In einigen Fällen ist der Stempel 2.0 durchaus berechtigt, da er auf wesentliche Neuentwicklungen hinweist. In vielen Fällen gibt es aber weit bessere Möglichkeiten, aktuelle und künftige Entwicklungen zu beschreiben.
Joachim Philippi ist Senior Executive Manager, Bernd Scherf Senior Manager und Carsten Dittmar Senior Consultant bei der Unternehmensberatung Steria Mummert Consulting AG.