Mehr als 6.000 Besucher, 60 Aussteller und gut 60 Fachvorträge - solche Zahlen würden so mancher Fachmesse gut zu Gesicht stehen. Die Organisatoren der jährlichen IT-Messe der BMW Group IT in München, die im Oktober 2019 zum siebzehnten Mal ihre Tore öffnete, zeigten sich zufrieden. Die Besucher kämen längst nicht mehr nur aus der gut 5.500 Mann starken IT-Organisation, sondern auch aus diversen Fachbereichen. Experten aus der Fahrzeugentwicklung und -produktion gehörten ebenso dazu wie Mitarbeiter aus Bereichen wie Personal, Marketing und Vertrieb.
IT-Verantwortliche des bayerischen Automobilbauers nutzten die Leistungsschau, um die IT-Strategie 2.0 zu erläutern, die auf der bereits 2016 formulierten IT-Strategie des Konzerns aufsetzt. Kundenorientierung und mehr Agilität ständen dabei im Mittelpunkt, berichteten René Wies, der die IT für Sales und Marketing verantwortet, und Ralf Waltram, Vice President IT Delivery. Der neue CIO Alexander Buresch, der die Nachfolge von Klaus Straub antritt, hatte sich zu Beginn der Veranstaltung nur kurz vorgestellt. Wies sagte, die unter Straub entwickelte IT-Strategie 2.0 werde auch unter dem neuen Chef weiterverfolgt. Sie stützt sich auf vier Säulen:
Tech-driven Products, Processes and Services,
Data and Technology-based Business Innovation,
Stable and Performant Platforms and IT Products
sowie Empowered People and Agile Platforms.
Die BMW-Strategen haben dazu fünf Game Changer identifiziert, auf die sich die IT in den kommenden Jahren konzentrieren soll. Neben der Data Driven Company gehören dazu BizDevOps-Strukturen, Cloud-basierte Plattformen, IT-Security sowie interne Software-Skills. Letztere sind den IT-Chefs besonders wichtig. BMW will damit die "Kerneigenleistung" der IT stärken, also vor allem wieder mehr Know-how in Sachen Softwareentwicklung im Konzern aufbauen. Straub hatte zu diesem Zweck die Initiative Back2Code angestoßen und damit beim Wettbewerb CIO des Jahres 2018 den Innovation Award gewonnen.
Im Jahr 2018 begann die BMW Group damit, BizDevOps-Strukturen aufzubauen. Das Kürzel steht für Business, Development und Operations und damit für eine engere Zusammenarbeit von Fachbereichen und IT. Weitere gravierende Veränderungen in der IT-Organisation brachte 2019 die Trennung von fachlicher und disziplinarischer Führung. Die Konzentration auf Themen wie "DevOp Sourcing" und BizDevOps betreffe auch externe Partner, betonten Wies und Waltram in München. Von ihnen werde künftig verlangt, dass sie nicht nur die Entwicklung, sondern auch den Betrieb neuer IT-Lösungen beherrschten.
Feature-Teams entwickeln Produkte
Eine wichtige Rolle beim Entwickeln neuer IT-Anwendungen und -Funktionen spielen künftig sogenannte Feature Teams. Sie bestehen aus einem Line Manager, der die fachliche Kompetenz einbringt, zwei Product Ownern (ein Tandem aus einem Business- und einem IT-Experten) sowie dem Agile Master, der auf die Methodik achtet. Um das notwendige Know-how aufzubauen, bietet BMW unter anderem dreimonatige Schulungen für Software Engineers an. Auch die Line Manager will der Konzern künftig in Sachen Softwareentwicklung schulen.
Die technische Basis für die IT-Teams bildet eine neue DevOpsPlatform, auf der BMW Technologien von Public-Cloud-Providern mit On-Premises-Komponenten verknüpft. Der Konzern erhofft sich davon eine schnellere Softwareentwicklung, eingebaute Security-Features und eine zentrale Verfügbarkeit wichtiger Softwarekomponenten über die Plattform.
Cloud-native in der BMW-IT
Die DevOpsPlatform basiert auf einem Hybrid-Cloud-Ansatz, erläuterte Marco Görgmaier, Leiter Strategische Planung und Innovation in der Group IT. BMW setze dabei stark auf quelloffene Cloud-native-Technologien wie etwa das Container-Orchestrierungssystem Kubernetes.
Bislang spielten in der BMW-IT Private-Cloud-Plattformen, beispielsweise auf Basis von Red Hat Open-Shift, eine wichtige Rolle. Laut Görgmaier soll sich der Schwerpunkt künftig auf Public-Cloud-Ressourcen verlagern, die vor allem von Amazon Web Services (AWS), Microsoft und zunehmend auch von Google bereitgestellt würden.
BMW wolle sich nicht von einem Anbieter abhängig machen, so der Manager, und fahre deshalb eine Multi-Cloud-Strategie. Ziel sei es, die unterschiedlich ausgeprägten Stärken der Cloud-Hyperscaler zu nutzen. So setze man etwa beim Thema Daten stärker auf AWS, in Sachen IoT nutze man eher das Azure-Portfolio von Microsoft. Technisch laute die Devise "Microservices und APIs first". BMW habe dazu eine eigene API-Management-Plattform entwickelt.
Die Konzentration auf Cloud Computing zahlt sich für BMW aus, resümierte der Manager. IT-Teams könnten schon rund 5.500 "Cloud Rooms", also Cloud-basierte virtuelle Arbeitsräume, nutzen, die nach der Anforderung in weniger als einer Stunde verfügbar seien. Um das interne Know-how zu stärken, habe man rund 700 Cloud-Experten geschult.
Open Manufacturing Platform
Ein wichtiges Element der IT-Strategie 2.0 ist auch die Open Manufacturing Platform. BMW will damit eine branchenunabhängige und standardisierte Produktionsplattform aufbauen. Dazu setzt der Konzern stark auf Partnerunternehmen mit Produktions-Know-how, die auch aus anderen Branchen als dem Automobilbau kommen können. IT-seitig ist Microsoft mit seinem Cloud-Portfolio ein herausgehobener Partner.
Die gemeinsame Arbeit an der Cloud-basierten Plattform soll nicht nur die Entwicklung beschleunigen, sondern auch den Aufwand und die Kosten in Grenzen halten, hoffen die Münchner. Bereits verfügbare IoT-Lösungen einschlägiger Provider böten in Sachen Produktion und Logistik noch zu wenig.
Data Transformation Office
Auf dem Weg zur Data-driven Company soll auch das neue Data Transformation Office seinen Beitrag leisten, so die IT-Verantwortlichen. Dessen Aufgabe ist es, datenbasierte Entscheidungen im Konzern vorzubereiten sowie Daten- und KI-Ansätze verfügbar zu machen. Organisatorisch ist das Data Office in der IT aufgehängt.
Quantencomputer auf dem Radar
Zu den technischen Highlights auf der IT-Messe zählte neben Anwendungsbeispielen für IoT-Systeme und Blockchain auch ein Ausblick auf das Thema Quantencomputing. BMW sieht darin eine potenziell wichtige High-Performance-Computing-Plattform, die man derzeit evaluiere. Geeignet sei sie für sehr komplexe und datenintensive Aufgaben, mit denen konventionelle Rechner heute überfordert sind.
Mögliche Einsatzbereiche sieht der Automobilbauer etwa in der Optimierung und Planung von Produktionsprozessen. Auch für Machine-Learning-Systeme und Simulationen im Engineering eigneten sich Quantencomputer künftig womöglich. Angesichts des Potenzials der Technologie, gängige Verschlüsselungsprotokolle zu knacken, gehe es für BMW aber auch darum, die eigenen Systeme "Quantum-safe" zu machen. Der Weg zu einem praktischen Einsatz ist allerdings noch weit, konzedierten die BMW-Experten. Noch fehle es an Standards für Quantenrechner, ganz zu schweigen von Fachkräften mit einschlägigem Know-how.
Neuromorphic Computing
Um Zukunftstechnologien geht es auch im BMW Technology Office im kalifornischen Mountain View. Die Bayern "scouten" dort unter anderem aussichtsreiche Startups; das Office soll aber auch Innovationsprojekte anstoßen und Wissen in den Konzern tragen. Zu den aufkommenden Technologien, die der Autobauer evaluiert, gehört beispielsweise Neuromorphic Computing. Dabei handelt es sich um Rechnersysteme, die sich an der Struktur des menschlichen Gehirns orientieren und mit denen sich neuronale Netzwerke aufbauen lassen.
Im Vergleich zu herkömmlichen Rechnerarchitekturen sollen Neuromorphic-Systeme erhebliche Leistungssteigerungen bei einem deutlich niedrigeren Energieverbrauch bringen. Analysten sähen darin eine transformative Technologie, berichten die BMW-Experten. Bis zu einem praktischen Einsatz könnten aber noch fünf bis zehn Jahre vergehen.
Einen aktuellen Use Case testet BMW derzeit in der Fahrzeugfertigung im US-amerikanischen Spartanburg. Dort arbeitet ein "Visual-Inspection"-System mit mehreren Kameras und Machine-Learning-Algorithmen, um Auffälligkeiten an Fahrzeugen wie Kratzer oder zu große Spaltmaße zu erkennen. BMW setzt dafür unter anderem Neuromorphic-Chips von Intel ein.