Change-Prozesse

Chefs lassen Mitarbeiter stehen

08.01.2015 von Christiane Pütter
Führungskräfte beziehen die Belegschaft zu wenig in Veränderungsprozesse ein. Das beobachtet jedenfalls der Berater Mutaree.

Wie gelingt deutschen Führungskräften der Change - mit dieser Frage beschäftigt sich die Firma Mutaree aus Wiesbaden. Bereits zum dritten Mal haben die Berater ihre "Change-Fitness-Studie" durchgeführt. Fazit: insgesamt kommen die Unternehmen voran. Doch noch immer beziehen Chefs ihre Mitarbeiter zu wenig ein.

Die aktuelle Studie basiert auf Angaben von 345 Entscheidern. An der vorigen Studie aus dem Jahr 2012 hatten sich 298 Manager beteiligt. In der ersten Analyse, die Mutaree 2010 gestartet hatte, waren es 184. Die Wiesbadener deuten dies als Zeichen für das steigende Interesse am Thema Veränderungsprozesse. Mittlerweile hätten die befragten Unternehmen das Thema Change-Management in ihren Häusern institutionalisiert.

Mutaree Change-Fitness 2014/2015
Change und die Rolle der Chefs
Wie die Studie Change-Fitness 2014/2015 des Beraters Mutaree aus Wiesbaden zeigt, schätzen fast vier von zehn Managern die Erfolgsqoute ihrer Change-Projekte auf weniger als 50 Prozent. An der Studie haben 345 Manager aus Deutschland teilgenommen.
Drei Schritte
Mutaree unterteilt Veränderungsprozesse in drei Schritte. Am Anfang ist es wichtig, Veränderungen zu verstehen und zu akzeptieren. Danach geht es um Lernen und Handeln. Auch das Verankern und Optimieren von Veränderungen ist Teil des Prozesses.
Erfolgsquoten
Aktuell erklären ledigtlich 19 Prozent der Befragten, ihre Change-Projekte seien zu 75 Prozent oder mehr erfolgreich.
Kommunikation
Mutaree betont die Wichtigkeit der Kommunikation. Der Aussage "Wenn in unseren Unternehmen eine Veränderung stattfindet, dann planen wir mit den Betroffenen im Veränderungsprozess eine regelmäßige Kommunkation" stimmen erfolgreiche Veränderer stärker zu.
Mitarbeiter werden nicht mitgenommen
Zugleich üben sich die Befragten in Selbstkritik. Sie räumen ein, dass sich die Mitarbeiter bei Change-Prozessen nicht ausreichend einbezogen fühlen.
Immer mehr Befähigung
Ein Vergleich mit den vorigen Studien zeigt aber, dass die Unternehmen ihre Belegschaft heute stärker befähigen als zuvor.
Claudia Schmidt, Mutaree
"Es ist unwahrscheinlich wichtig, dass die Führungsmannschaft bereits zu Beginn eines Changes den Nutzen der Veränderung nachvollziehbar vermittelt", sagt Mutaree-Geschäftsführerin Claudia Schmidt. "Durch eine regelmäßige Kommunikation entsteht eine Brücke zwischen dem Change-Prozess und der Mannschaft."

Dabei zeigen sich die Befragten durchaus selbstkritisch. Fast vier von zehn Managern (37 Prozent) schätzen die Erfolgsquote selbst durchgeführter Veränderungen auf 50 Prozent oder weniger. Nur knapp jeder Fünfte (19 Prozent) bescheinigt sich eine Erfolgsquote von mehr als 75 Prozent.

Die Studienautoren ihrerseits sehen die größte Schwäche in der Einbindung der Mitarbeiter, und das gilt auch für die besonders erfolgreichen Veränderer. Auf einer Skala von Eins ("stimme überhaupt nicht zu") bis sechs ("stimme voll und ganz zu") konnten sich die befragten Entscheider selbst einschätzen.

Die Aussage "Wenn in unserem Unternehmen eine Veränderung stattfindet, dann fühlen sich unsere Mitarbeiter ausreichend einbezogen" bewerten die erfolgreichen Veränderer für sich mit 4,06. Die weniger Erfolgreichen geben sich nur eine 2,85.

Kommunikation baut Brücken

Besser gelingt den Studienteilnehmern offenbar der Punkt Kommunikation. Das Statement "In der Vergangenheit wurde offen kommuniziert über die Chancen und Ziele" bewerten die erfolgreichen Veränderer für sich mit 5,49, die weniger erfolgreichen immerhin noch mit 4,0. Bei der offenen Kommunikation der Risiken zeigen sich die Befragten etwas zurückhaltender (5,15 beziehungsweise 3,80).

"Es ist unwahrscheinlich wichtig, dass die Führungsmannschaft bereits zu Beginn eines Changes den Nutzen der Veränderung nachvollziehbar vermittelt", sagt Mutaree-Geschäftsführerin Claudia Schmidt. "Durch eine regelmäßige Kommunikation entsteht eine Brücke zwischen dem Change-Prozess und der Mannschaft."

Die Entscheider attestieren sich selbst, ihre Mitarbeiter zunehmend besser auf anstehende Veränderungen vorzubereiten. Mittlerweile erklären 41 Prozent, dass sie ihre Belegschaft zum Change befähigen. In der Vorjahresstudie waren es erst 29 Prozent. Dabei muss die Unternehmensleitung berücksichtigen, dass sich Top-Management, Führungskräfte und Mitarbeiter "jeweils in unterschiedlichen Phasen der Veränderung befinden", erklärt Schmidt. Sie fügt an: "Die empfundene Veränderungstiefe und -breite ist je nach Beteiligungs- beziehungsweise Betroffenheitsgrad verschieden."

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Als wichtigste Herausforderungen in den kommenden drei Jahren gelten Kostendruck und verstärkter Wettbewerb. Die zunehmende Digitalisierung beziehungsweise Technologisierung folgt bereits auf Platz drei.

Change-Prozess in drei Schritten

Grundsätzlich unterteilt Mutaree einen Change-Prozess in drei Schritte. Er beginnt mit dem Verstehen und Akzeptieren von Veränderungen. Erst dann können alle Beteiligten Lernen und Handeln. Im dritten Schritt schließlich verankern und optimieren die Unternehmen den Change.

"Wenn Mitarbeiter auf der einen Seite wissen, was von ihnen erwartet wird, sie jedoch dies auf der anderen Seite nicht umsetzen, kann das verschiedene Ursachen haben", erklärt Schmidt. "Eventuell mangelt es schlichtweg an den richtigen Kompetenzen - oder es erfolgt nach einem Change-Projekt ein intuitiver Rückfall in ,alte‘ Verhaltensmuster, der von Führungskräften nicht wahrgenommen wird."

Zwölf Change-Management-Maximen
Zwölf Change-Management-Maximen
"Change" ist ein Modebegriff geworden. Viele glauben zu wissen, was er bedeutet – und sitzen Missverständnissen auf. Ein paar davon sollen hier bereinigt werden.
1. Nicht jede Veränderung ist ein „Change“.
Ganz gleich, ob Unternehmen ihre Fassade streichen oder mit anderen fusionieren – fast jede Veränderung wird heute als "Change" bezeichnet. Dieser inflationäre Gebrauch des Be- griffs sorgt für Verwirrung – und entwertet die Arbeit der Männer und Frauen, die echte Change-Prozesse managen müssen. Tipp: Bezeichnen Sie als Change-Prozess nur Veränderungsvorhaben, die auch einen kultu- rellen Wandel in Ihrer Organisation erfordern – also bei denen Ihre Mitarbeiter (und Sie) gewohnte Denk- und Verhaltensweisen über Bord werfen und neue entwickeln müssen.
2. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.
Fast allen Menschen fällt es schwer, Denk- und Verhaltensgewohnheiten aufzugeben, denn sie vermitteln ihnen Sicherheit und sind ein Ausdruck von Identität. Entsprechend langwierig sind Prozesse, in deren Verlauf ganze Mitarbeitergruppen ihr Verhalten ändern sollen. Von heute auf morgen geht das nicht. Tipp: Berücksichtigen Sie beim Planen von Change-Projekten den Zeitbedarf. Sonst definieren Sie unrealistische Ziele, was eine Grundlage für Frustration ist.
3. Struktur und Kultur beeinflussen sich.
In Unternehmen finden mehr Change-Prozesse statt, als die "Techniker" häufig vermuten. Sie denken: Wir führen doch nur ein neues IT- und CRM-System ein. Dabei übersehen sie, dass sich hierdurch auch die Arbeitsinhalte und -beziehungen der Mitarbeiter verändern. Entsprechend überrascht sind sie, wenn sie plötzlich auf (verdeckten) Widerstand stoßen. Tipp: Analysieren Sie, wenn große Veränderungen anstehen, deren Auswirkungen für die Mitarbeiter. Sonst ist die Gefahr gegeben, dass unverhofft ein Orkan über Sie hinwegfegt, der das gesamte Projekt lahmlegt.
4. Was beschlossen ist, ist nicht umgesetzt.
Viele Unternehmensführer agieren bei Change-Projekten wie folgt: Sie treffen die erforderlichen Basisentscheidungen, dann rufen sie eine Projektgruppe ins Leben, die ihre Beschlüsse realisieren soll, anschließend wenden sie sich neuen Aufgaben zu. Wenn Sie so vorgehen, ist Ihr Projekt von vornherein gescheitert. Mitarbeiter orientieren ihr Verhalten an dem der oberen Führungskräfte. Von denen muss immerzu das Signal ausgehen: "Die Veränderung ist nötig, und an ihr führt kein Weg vorbei." Nur so lässt sich im Unternehmen die nötige Veränderungsenergie erzeugen. Tipp: Zeigen Sie Präsenz. Werben Sie immer wieder für die Veränderung – selbst wenn Sie die Verantwortung für das Umsetzen einer Projektgruppe übertragen haben.
5. Bei jeder Veränderung gibt es Verlierer.
Unternehmen neigen dazu, alles in rosarotes Licht zu tauchen. Veränderungsvorhaben werden den Mitarbeitern so präsentiert, als gäbe es nur Gewinner. Doch Mitarbeiter wissen: Das ist so gut wie nie der Fall. Zumindest gibt es bei jedem Change-Projekt Mitarbeiter, die sich als Verlierer empfinden – zum Beispiel, weil sie Einfluss oder Privilegien verlieren. Tipp: Sprechen Sie mit den betroffenen Mitar- beitern offen und ehrlich darüber, was sich für sie (voraussichtlich) ändern wird, und geben Sie ihnen Raum, ihre Bedenken zu artikulieren. Sonst verdichten sich diese zu Widerständen.
6. „Lonely heroes” auf verlorenem Posten.
Auch Führungskräfte sind am Ende nur "normale Mitarbeiter". Deshalb sollten Topmanager (und Projektverantwortliche) es nicht als selbstverständlich erachten, dass alle Führungskräfte die Veränderungen mittragen. Wenn es um das Umsetzen der Veränderungen in den Fachbereichen geht, sind sie auf die Unterstützung der Führungskräfte angewiesen. Tipp: Versuchen Sie, bevor Sie ein Change-Projekt verkünden, möglichst viele Führungskräfte als Mitstreiter zu gewinnen – zum Beispiel, indem sie diese (und sei es nur formal) in Ihre Entscheidungen einbinden. In persönlichen Gesprächen sollten Sie sie ausführlich über die Gründe für Ihre Entscheidungen und deren voraussichtliche Konsequenzen informieren.
7. Projekt-Manager brauchen ein Standing.
Unternehmen übertragen die Verantwortung für Change-Projekte oft jungen Führungskräften – quasi als Chance, sich zu bewähren. In der Folge werden die Projekte von Personen gemanagt, die die Auswirkungen gewisser Entscheidungen und Handlungen auf die Organi- sation nur bedingt einschätzen können. Zudem haben sie ein recht schwaches Standing in der Organisation. Entsprechend schwer fällt es ihnen, von den "Bereichsfürsten" die nötige Un- terstützung zu bekommen – vor allem, wenn diese den Nachwuchs als Konkurrenz erleben. Tipp: Übertragen Sie die Verantwortung für strategische (Change-)Projekte gestandenen Führungskräften und/oder erfahrenen Projekt- Managern. Oder stellen Sie dem "Youngster" zumindest eine solche Person als Mentor oder Coach zur Seite, damit er mit ihr die strategische und taktische Marschroute erörtern kann.
8. Aufbruch – und dann der Wüstenmarsch.
Oft starten Unternehmen ein Projekt voller Eu- phorie. Doch nach einiger Zeit beginnt das Jammern und Klagen. "Das bringt alles nichts", "da ändert sich sowieso nichts" etc. Das ist normal, weil sich kulturelle Veränderungen nun einmal nur in kleinen Schritten vollziehen und neue Verhaltensmuster erst mit der Zeit eingeschliffen werden. Tipp: Rechnen Sie damit, dass es Probleme beim Umsetzen gibt. Werben Sie gerade beim anstrengenden "Marsch durch die Wüste" stark für die Veränderung – sonst erlahmt die Veränderungsenergie, und die Mitarbeiter fallen in ihre alten Verhaltensmuster zurück.
9. Neue Routinen zu entwickeln dauert.
Oft erlahmt die Energie auch, weil die Mitarbeiter beim Ausprobieren der neuen Verfahren registrieren: "So wie wir das früher gemacht haben, ging alles schneller/einfacher." Auch das ist normal! Es sind noch keine neuen (Denk- und) Verhaltensroutinen entwickelt. Hinzu kommt: Bei jedem größeren Veränderungsprojekt ist vorübergehend Sand im Getriebe, weshalb oft auch die Leistung sinkt. Tipp: Machen Sie Ihren Führungskräften bewusst, wie wichtig es gerade in dieser Über- gangsphase ist, dass sie ihre Mitarbeiter wirklich führen. Stellen Sie den Leuten Unterstützer zur Seite, die unter anderem an der Motivation der gesamten Belegschaft arbeiten.
10. Zum Feiern gibt es immer einen Grund.
Der Weg zum großen Ziel eines Change-Projekts ist oft so weit, dass die Beteiligten zuweilen das Gefühl haben, nie anzukommen. Deshalb ist es besonders wichtig, Etappenziele zu formulieren und deren Erreichen zu feiern. Das macht den Beteiligten Mut. Tipp: Ziehen Sie, wenn es etwas zu feiern gibt, auch mal spontan (oder geplant) die Spendierhosen an – und organisieren Sie zum Beispiel einen Umtrunk oder Ausflug. Denn nichts motiviert Mitarbeiter mehr, als zu sehen: Unsere Leistung wird wahrgenommen und honoriert.
11. Aus der Erfahrung für die Zukunft lernen.
Wenn ein Projekt endlich abgeschlossen ist, fällt den Beteiligten beziehungsweise Verant- wortlichen meist ein Stein vom Herzen. Das heißt: Das Projekt wird in der Regel nicht sau- ber evaluiert – auch weil häufig bereits das nächste Vorhaben wartet. Damit werden jedoch Chancen vergeben. Tipp: Evaluieren Sie nach Projekten detailliert: Was lief gut, was weniger gut? Was können wir künftig wie besser machen? Denn nur dann lernt Ihre Organisation.
12. Change ist Normalzustand.
Machen Sie sich nichts vor: Ein abgeschlossenes Projekt zieht das nächste nach sich. Das Umfeld Ihres Unternehmens wird sich künftig immer schneller wandeln. Also müssen Sie in Ihrer Organisation auch immer häufiger die Weichen neu stellen und tradierte Vorgehensweisen überdenken. Zudem werden Ihre Change-Vorhaben aufgrund der vernetzteren Strukturen immer komplexer. Tipp: Bauen Sie in Ihrer Organisation die Change-Management-Kompetenz gezielt aus – zum Beispiel, indem Sie geeignete Mitarbeiter zu Change-Managern, -Beratern und -Unterstützern ausbilden. Dann ist Ihre Organisation fit für die Zukunft, und Sie müssen seltener externe Berater engagieren.