Auf Wiedersehen Büro

Das Ende der festen Arbeitsplätze

02.07.2012 von Alexander Freimark
Das traditionelle Büro wird seine Bedeutung als zentraler Anlaufpunkt im Arbeitsleben einbüßen. Dieser Umbruch vollzieht sich langsam, aber gewaltig. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Möbel, sondern auch um Macht.
Schätzung: Selbst die schönen Arbeitsplätze werden nur zu 60 Prozent genutzt.
Foto: Steelcase

Das "abgefahrenste Büro Deutschlands" hat es unlängst in die "Bild"-Zeitung geschafft - die renovierte Google-Niederlassung in Hamburg. Hier gibt es alles, was sich das junge Angestelltenherz erträumt: Smarte, erfolgreiche Menschen in einer ausgefallenen Umgebung, die ihr hohes Engagement und ihre ausgewiesene Kompetenz angemessen reflektiert. Kein flackerndes Neon-Licht, kein nackter Gipskarton, keine kalten Meeting-Räume. Das Büro sieht nicht wie eine Aussegnungshalle aus.

Auch Johannes Pruchnow zog noch als Managing Director Business beim Carrier Telefónica gegen die traditionelle Raumgestaltung zu Felde. Er ließ seine Büros umbauen und wettete im vergangenen Jahr mit dem CIO-Magazin, "dass 2021 mehr als die Hälfte aller Arbeitenden keinen festen Büroarbeitsplatz mehr hat." Schließlich stehe die Arbeitswelt durch Mobiltechnologien vor einem radikalen Wandel. "Das Büro, so wie wir es heute kennen, wird seine Bedeutung als zentraler Anlaufpunkt in unserem Arbeitsleben massiv einbüßen", schrieb Pruchnow.

Starke Worte: "Und wir werden die neue Flexibilität und Freiheit lieben und uns kaum vorstellen können, wie man früher nur an einem Ort arbeiten konnte." Nur das alte, stickige Großraumbüro werde niemand vermissen, prognostizierte der Manager, der unlängst als CEO zum TK-Anbieter Versatel wechselte.

Zukunftswette - Jeder zweite Arbeitsplatz verschwindet

Johannes Pruchnow, ehemals Managing Director Business bei Telefónica, jetzt CEO von Versatel.
Foto: Telefónica Germany GmbH & Co. OHG

"Ich wette, dass im Jahr 2021 mehr als die Hälfte aller Arbeitenden keinen festen Büroarbeitsplatz mehr hat", schreibt der ehemalige Telefónica-Manager im CIO-Jahrbuch 2012.

Pruchnow, der inzwischen zum TK-Anbieter Versatel gewechselt ist, sieht die Arbeitswelt vor einem radikalen Wandel. "Das Büro, so wie wir es heute kennen, wird seine Bedeutung als zentraler Anlaufpunkt in unserem Arbeitsleben massiv einbüßen", prognostiziert der Manager. Einige Gründe: die ungebremste Nachfrage nach Smartphones, die zunehmende Mobilisierung der Mitarbeiter und der Wunsch vieler Menschen nach Flexibilität in der Arbeitsorganisation, um Beruf und Privatleben unter einen Hut zu bringen.

"Gerade Wissensarbeiter - und ihr Anteil an der Wertschöpfung steigt in den Industriestaaten zunehmend - brauchen ein stimulierendes Umfeld, das Freiheiten bietet", schrieb Pruchnow. Dazu zähle auch die Freiheit, den Arbeitstag selbst zu organisieren und weitgehend über Arbeitszeit und -ort zu entscheiden.

Eine fortschrittliche Einstellung kann Pruchnow nicht abgesprochen werden: "Im Zentrum unserer Arbeit stehen wir als Personen - genau da, wo wir gerade sind, ist unser Arbeitsplatz. Die Konsequenz daraus ist, unsere Arbeit nun dementsprechend mobil zu organisieren." Damit ist er weiter als viele andere Führungskräfte, die noch von der traditionellen Hierarchie an der Spitze gehalten werden. Zum Abschluss bietet er noch eine Wette an: "Nur das alte, stickige Großraumbüro, das wird niemand vermissen." Allerdings wird sich wohl kaum jemand finden, der diese Wette eingeht.

5,6 Prozent mehr Mobile jedes Jahr

Büro - So viel kostet ein Arbeitsplatz.
Foto: cio.de

Die Chancen, dass Pruchnow die Wette gewinnt, stehen gut. Schließlich sparen sich schon heute einige Unternehmen die festen Büroarbeitsplätze und halten die Mitarbeiter zum Teilen an - so bauen beispielsweise Siemens und Microsoft in den kommenden Jahren ihre Standorte um. Die Technologie bereitet hierfür den Boden: Laut IDC waren 2010 rund 75 Prozent der amerikanischen Arbeitnehmer mobil, und in der Region EMEA soll die mobile "Workforce" bis 2015 jährlich um 5,6 Prozent auf 245 Millionen Arbeitnehmer zunehmen.

Eine belastbare Aussage, ob hierzulande 50 Prozent der geschätzten 20 Millionen Büroarbeitsplätze eingespart werden, ist jedoch nicht möglich - wenn auch wahrscheinlich: "Definieren wir ‚fest’ als einen Arbeitsplatz mit Schreibtisch und Stuhl, wird der Punkt schon vorher erreicht sein", prognostiziert Dieter Boch, Geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung (IAFOB) in Anzing bei München.

Damit es so weit kommt, muss man sich erst mal mit neuen Begriffen beschäftigen, um die ganze Dimension der Veränderungen zu umreißen. Bei Multilokalität, Desk-Sharing, nonterritorialen Büros, Work-Life-Integration, Clean-Desk-Policy, Follow-Me-Druckern, Meet- and-Talk-Bereichen, einem Dekorationsindex und dem Prinzip des Free-Sitting entwickelt ein altes Einzelzimmer wieder einen gewissen Charme: Man weiß, was man hat. Im Gegensatz dazu organisieren sich Münchner Berater bei der Boston Consulting Group (BCG) in "Dörfern" unter einem "Häuptling" und treffen sich auf dem "Marktplatz". Derweil hat Accenture in München einen "Business Club" als Büro eröffnet, das zugrunde liegende Prinzip ist das "Hotelling": Man bucht sich ein, wenn man einen Raum benötigt.

Doch auch abseits dieser Showcases und Leuchtturmprojekte ist die deutsche Bürolandschaft in Bewegung, stellt Stefan Kiss fest, Director Applied Research & Consulting beim Büromöbelkonzern Steelcase. "Leerstand und Desk-Sharing zwingen Unternehmen, sich auf einer strategischen Ebene Gedanken zu machen, mit Gebäuden und Flächen intelligenter umzugehen." Rund 40 Prozent der normalen, festen Arbeitsplätze sind tagsüber nicht besetzt, zitiert der Strategieberater aus einer Studie. Urlaub, Krankheit, Schulungen, Meetings, Reisen, Kundentermine und Home-Office-Tage lassen Zweifel am Sinn eines zugewiesenen Schreibtischs aufkommen: "Die Verortung des Mitarbeiters an einen Arbeitsplatz - mein kleines Reich - nimmt ab", bilanziert Kiss.

Schließlich hat sich das Arbeitsumfeld an sich verändert. Interdisziplinäre und projektbasierte Zusammenarbeit sowie die globale Vernetzung sind in vielen Unternehmen längst Realität. „Campus-mobiles Arbeiten“ heißt diese Flexibilität etwa bei Steelcase. Nicht mehr Schreibtisch und Stuhl seien daher die Kriterien für den Arbeitsplatz, sagt IAFOB-Arbeitsexperte Boch. "Es geht darum, die Raumbedürfnisse des Menschen zu erfüllen - zum Kommunizieren, Recherchieren, Lernen, Ausruhen und für konzentriertes Arbeiten." Die geistigen Anforderungen der Arbeitsprozesse müssten in Einklang gebracht werden mit den Erholungsprozessen und den privaten Lebensbedürfnissen des Menschen, fordert Boch. "Diese Aufgabe können nur wechselnde Arbeitsplätze leisten."

Wer diese Veränderungen auf das Arbeitsumfeld heute noch leugnet, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Allerdings besteht immer Gefahr, in ein starres Schwarz-Weiß-Schema zu verfallen - Einzelzimmer oder Großraum, Hierarchie oder Netzwerk, alt oder modern, Konzern oder Mittelstand, "Wir" oder "Ich". "Man muss differenzieren, um welche Person, welche Funktion und welche Unternehmenskultur es sich handelt", fordert der Arbeitsexperte Franz Josef Gellert, Wissenschaftler an der Hanze University of Applied Sciences im niederländischen Groningen.

In der ITK-Branche und den Universitäten sei es heute schon selbstverständlich, dass Wissensarbeiter an verschiedenen Arbeitsplätzen ihr Notebook aufklappen - da sei die Wette so gut wie gewonnen. In einigen Stabsabteilungen traditioneller Konzerne hingegen sei der Nutzen einer modernen Büroumgebung zweifelhaft. "Und beileibe nicht jeder Mitarbeiter ist ein Arbeitsnomade, der sich spontan für Desk-Sharing begeistert", sagt Gellert.

Neue Technik - neuer Führungsstil

Dieter Boch, Geschäftsführer des Instituts für Arbeitsforschung und Organisationsberatung: "Eine einheitliche Lösung ist das Ende des klassischen Vor-Gesetzten."
Foto: iafob

Eines muss allen Beteiligten klar sein: Die moderne Arbeitswelt beschränkt sich nicht auf die Gestaltung der Technik, der Möbel und der Wände. "Mit ihr hält auch ein komplett verändertes Führungsverhalten Einzug", sagt IAFOB-Leiter Boch. Seiner Meinung nach habe die personelle Führung alter Prägung ausgedient - "wir brauchen heute Manager, die ihre Mitarbeiter bestmöglich mit Ressourcen versorgen und die Rahmenbedingungen organisieren".

Dies zeige sich auch daran, dass in einem modernen Büro keine Unterschiede für Führungskräfte gemacht werden, argumentiert Boch: "Eine einheitliche Lösung ohne Privilegien ist das Ende des klassischen Vor-Gesetzten." Angesichts der zunehmenden Vernetzung der Mitarbeiter sei die "hierarchisch strukturierte Führung des vorletzten Jahrhunderts" ohnehin nicht mehr zeitgemäß.

So sitzen die Bremser des Umbaus nicht nur in den Arbeitnehmervertretungen, wie oftmals kolportiert wird. Kein Manager trennt sich gerne von den alten Statussymbolen wie dem Eckbüro, dem größeren Schreibtisch und dem Lederstuhl. Diese Insignien tragen jedoch nicht zur Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens bei, und sie wirken sich auch nicht positiv auf seine Innovationsfähigkeit aus. "Innovationen gedeihen bevorzugt dort", sagt Arbeitsexperte Boch, "wo es ein entsprechendes Klima gibt, in dem Mitarbeiter ihre Kreativität entfalten und ihre Ideen einbringen können." Hinzu kommt, dass die Generation Y längst andere Statussymbole anstrebt als die Bürovorsteher der alten Schule.

Auch Paul Meier hätte ein klassischer Bürokrat werden können mit Chefsessel und großem Schreibtisch, aber er wählte einen anderen Ansatz. Der Vertriebsdirektor leitet die Niederlassung von Microsoft in Köln, und er ließ die ohnehin schon moderne Bürolandschaft noch einmal umbauen - "da gab es nicht nur Applaus und Schulterklopfen", räumt Meier ein. Ein Steering-Komitee aus Management, Betriebsrat und Facility-Management fragte, plante, diskutierte, stimmte sich ab und organisierte die Veränderungen. "Es kostete viel Umsetzungsenergie, und man kann nicht alle Mitarbeiter vollständig zufrieden stellen, aber in Summe hat sich der Schritt gelohnt", so der Manager.

240 Mitarbeiter, 108 Arbeitsplätze

Paul Maier, Vertriebsdirektor bei Microsoft: "Es kostet viel Umsetzungsenergie, und man kann nicht alle Mitarbeiter vollständig zufriedenstellen."
Foto: Microsoft

Von 360 Mitarbeitern in Köln haben rund 80 einen festen Home-Office-Arbeitsplatz, 40 Mitarbeiter haben feste Arbeitsplätze im Telefonvertrieb. "Für die restlichen 240 Mitarbeiter haben wir genau 108 Arbeitsplätze", berichtet Meier. Daneben gibt es eine Vielzahl von Rückzugsräumen zum Telefonieren, für Meetings und als Lounge-Bereich, sowie immer die Möglichkeit, bei Bedarf im Home Office zu arbeiten.

Wichtig seien eine gesunde Mischung und das Vertrauen: "Die Organisation der individuellen Effektivität überlassen wir sehr stark dem Mitarbeiter." Dadurch steige aber auch die Zufriedenheit mit dem Arbeitsumfeld. Zeiterfassung und Anwesenheitspflicht sind ohnehin bei Microsoft keine Bewertungskriterien für die Leistung der Angestellten: "Durch diese Freiheit können wir als Unternehmen schnell und agil reagieren."

PC-Markt - Laptops auf dem Vormarsch
Foto: cio.de

Die Wette von Pruchnow hält Meier für "sehr realistisch", und das liegt nicht an der Tatsache, dass er selbst keinen eigenen Sessel mehr hat: "Die überwiegende Anzahl der deutschen Großkunden, mit denen ich in Kontakt bin, beschäftigt sich mit dem Arbeitsplatz der Zukunft und den dazugehörigen Technologien, der Architektur und der Inneneinrichtung." Neben einem umfassenden Change-Management sei es für ihn entscheidend, diese drei Facetten gemeinsam zu betrachten. "Man darf nicht glauben, dass sich allein durch die Einführung moderner IT-Technologie die Arbeitsweise signifikant verändert." Wer Mitarbeiterzufriedenheit, Produktivität und Attraktivität als Arbeitgeber steigern will, muss zudem zu Investitionen bereit sein, sagt Meier: "Das Büro der Zukunft ist nicht kostenlos zu haben, aber der Return kommt sehr schnell."

Fazit: Der ehemalige Telefónica-Manager Pruchnow hat gute Chancen, die Wette zu gewinnen. Erstens fordern junge Nachwuchskräfte eine offene Arbeitsumgebung und die Work-Life-Integration. Zweitens kann sich das Büro der Zukunft durchaus rechnen. Drittens ist die Technologie heute in der Lage, einen ausreichend sicheren Zugriff auf Unternehmensdaten auch außerhalb des Büros zu gewährleisten. Und viertens sind ohnehin schon viele Büroarbeiter mobil. "Der Schritt in das Büro der Zukunft hängt stark von der Mentalität und Kultur der Führungsmannschaft ab", sagt Arbeitsplatzberater Kiss vom Bürokonzern Steelcase. Und häufig werde am falschen Ende gespart, ergänzt IAFOB-Leiter Boch: "Man sieht, was ein Schreibtisch kostet. Die fehlende Motivation eines Mitarbeiters können Sie nicht so leicht berechnen."