Die Älteren unter unseren Lesern werden sich an ihre Jugend und ihren ersten fahrbaren Untersatz erinnern können: Da wurde geschraubt und getunt, um einen besseren Sound zu bekommen oder die letzten Pferdestärken aus dem Motor herauszuholen. Und heute: Ohne Informatikstudium sollte man dem eigenen Fahrzeug besser nicht mehr unter die Haube gehen, denn Sound-Systeme sind per Glasfaser vernetzt, diverse Bus-Systeme kommunizieren intern, und neue Komponenten wollen erst an den verschiedenen Bordcomputern angemeldet werden.
Car IT trifft Internet
Und die nächste Revolution in Sachen Fahrzeugtechnik zeichnet sich bereits ab: Das Auto ist nicht nur intern vernetzt, sondern auch extern mit dem Internet, Google, Facebook und anderen Netzen. Neue Anwendungen - Car Apps analog zu den Mobile Apps für Smartphone und Co. - gibt es dann über einen App Store zu kaufen, oder der User bezieht sie aus der Cloud als Service. Denkbar sind auch Szenarien wie die Verbindung des Fahrzeugs mit dem Backend der Unternehmens-IT, um es so in den Kommunikations-Workflow einzubinden.
Oder wie wäre es mit einer automatischen Übertragung der gefahrenen Kilometer aus dem Navi in die Buchhaltungssoftware zur direkten Abrechnung der Reisekosten? Gerade die Vernetzung der verschiedenen Systeme eröffnet hier ein weites Feld an neuen Business-Möglichkeiten. Ebenso vorstellbar ist eine zielgruppenspezifische Ansprache mit lokalen Services beziehungsweise Dienstleistungen - denn der Fahrer und seine Position (die des Fahrzeugs) sind ja bekannt.
Joachim Klink, Global Automotive & Aerospace Industry Architect bei Hewlett-Packard, zufolge befindet sich das Thema "Connected Vehicle" momentan in der Phase der Produktdifferenzierung, "doch wir stehen an der Schwelle zur CRM-Phase, in der die Daten des Fahrers/Benutzers die neue Währung sein werden". Die Claims sind also nicht endgültig abgesteckt - Newcomer mit pfiffigen Ideen haben noch Chancen.
Connected Drive von BMW
Zukunftsmusik? Mitnichten, im Sommer 2012 ist das Smart Connected Vehicle, so die neudeutsche Bezeichnung, zumindest bei den Premium-Marken bereits Realität. So liest der BMW mit "Connected Drive" seinem Fahrer bereits eingehende Mails vor oder lässt sich per iPhone via Internet auf- und zusperren. Und die Konkurrenz aus Stuttgart hat ihren "Mercedes-Benz App Shop" gestartet. Die Apps bezieht der Kunde aus der "Daimler-Cloud", für die die Schwaben mit ihrem "Daimler Vehicle Backend" eine eigene VPN-Infrastruktur aufgezogen haben.
Ferner haben die Stuttgarter eine strategische Partnerschaft mit Google geschlossen. Selbst Volumenhersteller wie Fiat mit "EcoDrive" oder Ford mit "SNYC" stehen in den Startlöchern und arbeiten mit IT-Playern wie Microsoft oder TomTom zusammen. Lediglich bei VW scheint man die Zeichen der Zeit verschlafen zu haben, so dass VW-Chef Martin Winterkorn - diese Anekdote erzählt man sich in der Branche - auf der diesjährigen CES (Consumer Electronics Show) in Las Vegas wohl einen Wutanfall bekam, als er sah, wie weit der koreanische Konkurrent Hyundai im Gegensatz zu VW schon in Sachen vernetztes Auto ist.
Dabei sind die Autobauer in Sachen Vernetzung mittlerweile eher Getriebene als Pioniere. Um die Digital Natives noch zum Kauf eines Fahrzeugs zu bewegen, müssen sie sich an die Kommunikations-gewohnheiten dieser Käuferschichten anpassen. Entsprechend groß und positiv war denn auch das Echo auf Youtube, als Johann Jungwirth, President und CEO Mercedes-Benz R&D North America, die neuen Social-Media-Features wie die Facebook-Anbindung des "Comand"-Systems vorstellte: "Endlich hört mein Social Life nicht mehr auf, wenn ich in das Auto einsteige", lautete eine von vielen Reaktionen auf Youtube.
Vom Markt getrieben
Diese Äußerungen untermauern die Einschätzung von HP-Manager Klink, Thomas Collins, Vice President Global Markets Automotive, Aerospace & Transport bei Atos, oder Alexander Hesseler, Chefberater für Telematikthemen bei Capgemini, wonach das vernetzte Fahrzeug heute zur Produktdifferenzierung und der Ansprache einer jüngeren Klientel dient. Und dieser Einzug der IT im Auto ist zwingend erforderlich, wenn man Gartners "Industry Predictions 2012" glaubt. Den Marktbeobachtern zufolge werden die meisten Autokäufer 2016 "den integrierten Web-Zugang im Auto als ein unverzichtbares Feature bei ihrer Kaufentscheidung sehen".
Getriebene in Sachen IT im Auto sind die Hersteller noch aus einem anderen Grund: Gelangten die Daten über Fahrer, Fahrzeug und Fahrzeugnutzung via mobile Endgeräte im Auto an Drittanbieter, sei das bisherige Kundenbeziehungs-Management (CRM) der Autohersteller bedroht, mahnte Willi Diez, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft, anlässlich der Vorstellung der gemeinsam mit der Porsche-Tochter MHP erarbeiteten Studie "Auswirkungen von Car-IT auf den Automobilvertrieb und Automobilservice".
"Wenn die Automobilhersteller am Ende nur noch USB-Schnittstellen für die mobilen Endgeräte ihrer Kunden einbauen, verlieren sie nicht nur an Wertschöpfung und Beschäftigung, sondern müssen auch damit rechnen", so Diez weiter, "dass sich Dritte zwischen sie und den Fahrer schieben und ihn steuern." So wäre es denkbar, dass der Betreiber eines mobilen Endgeräts den Autofahrer von der Vertragswerkstatt weg in eine Systemwerkstatt leite. Diez zufolge sollten die Autobauer deshalb verstärkt Kooperationen mit IT-Unternehmen eingehen, um die Kontrolle über das Gesamtfahrzeug zu behalten.
Eine Empfehlung, die etliche Fahrzeughersteller bereits berücksichtigt haben: Ob Microsoft, Hewlett-Packard, Cisco oder auch Covisint, Capgemini und Atos - diese IT-Player sind mit der Autoindustrie bereits gut im Geschäft. Das Leistungsspektrum reicht von der Lieferung eines Betriebssystems (zum Beispiel arbeitet bei Fiat unter der Haube des Infotainment-Systems "Blue&Me" ein angepasstes Windows Embedded Automotive) über den Bau der Backbone-Netze bis hin zur Lieferung von CRM-, Provisioning- und Security-Systemen oder kompletten Systemlösungen. Manche Hersteller betrieben auch gleich ein komplettes Outsourcing. Gerade die Premium-Hersteller setzen dabei jedoch auf ein White-Labeling und wollen die Services nur unter ihrem eigenen Markenzeichen verkaufen. (Computerwoche)