Kanalbetriebsstelle Berlin-Marzahn, frühmorgens: Mit Kaffeetassen in der Hand besprechen die Mitarbeiter der Berliner Wasserwerke, welche Kanäle im Abwassersystem heute an der Reihe sind. Die Abflusswege werden ständig überwacht, entweder bei begehbaren Kanälen ab einer Höhe von 1,20 Metern durch Kanalbetriebsmitarbeiter oder bei kleineren und bei Hausanschlusskanälen per mobiler Kanalfernsehanlage. Ein wenig irritiert wedelt einer der Männer mit einem Stapel Papiere, einer tabellarischen Darstellung der Überwachungsauswertungen der vergangenen Tage samt Analyse der Abwasser-Peakzeiten und Druckmessung. "In der Coswiger Straße läuft es wieder etwas zäh", knurrt er, und die Kollegen beraten, ob eine Hochdruckspülung ausreicht oder ob besser mit einem Räumgerät und Seilwinde vorzugehen sei.
Bei den Berliner Wasserwerken sammeln sich in den einzelnen Abteilungen die unterschiedlichsten Daten aus diversen Anwendungen, etwa Laborwerte, Zu- und Ablaufmengen des Wassers, Daten der Klär- und Pumpwerke sowie Analysen des Wassernutzungsverhalten der Berliner. Dabei interessieren sich die Mitarbeiter der bereits erwähnten Kanalbetriebsstelle zwar für die tägliche, monatliche oder jährliche Abwassermenge, doch nicht für deren Schadstoffgehalt. Das fällt in den Bereich der Klärwerksmitarbeiter, die die Reinigungsstufen in den Klärwerken anpassen. Noch akribischere Analysen fordern Mitarbeiter, die das Trinkwasser für Berlin aufbereiten.
Individuelle Informationen
Dafür alle Daten zu erfassen war bislang für die Berliner Wasserwerke schwierig, denn unterschiedliche Systeme, Datenbanken und Nutzerstandorte erschwerten den Austausch. Das neue BI-System deckt jetzt individualisiert den Informationsbedarf von Kanalarbeitern und Laboranten. "Dabei geht es darum, den Informationssuchenden nicht mit einer komplizierten Software zu belasten, sondern ihm die Daten in einfacher Form zu präsentieren. Außerdem müssen die Daten verlässlich sein", so Johannes Broll, Gruppenleiter Innovation bei den Wasserwerken. Das bedeutet: Die darunter liegende Datenbank darf nicht aus Rohdaten bestehen. "Konkret haben wir nach einem System gesucht, das konsolidierte Daten per integriertem Webportal ins Intranet stellt, die dann den einzelnen Mitarbeitern mit personalisiertem Zugriff zur Verfügung stehen", so Broll weiter. Das war im Jahr 1999. Ein Jahr später hatte sich die BI-Idee bei den Wasserwerken derart manifestiert, dass das 1853 gegründete Traditionsunternehmen eine Ausschreibung lancierte. Gewonnen hat die Ausschreibung der BI-Spezialist Business Objects in Kombination mit dem Dortmunder Systemhaus Materna, weil, so Broll, "die das wirtschaftlichste Angebot abgegeben haben."
"Als ersten Schritt haben wir mit Materna die Spreu vom Weizen getrennt, also die Versprechungen der Hochglanzprospekte von der Wirklichkeit", erzählt Broll weiter. "Wichtig war hier, eine gemeinsame Sprache zu finden. Materna musste erst einmal unsere Prozesse verstehen." Grit Foge, Account Managerin der Business Unit Information bei Materna: "Neben der gemeinsamen Sprache war das ein wenig knapp bemessene Budget zu bedenken. Da die Lösungen von Business Objects alle marktgängigen Standards und Systeme wie relationale Datenbanken, ERP-Systeme, OLAP-Server, Excel-Tabellen, XML oder Web-Daten unterstützen, haben wir aber keine größeren Schwierigkeiten bei der Implementierung befürchtet." Diese sehr offene Struktur erreicht Business Objects bei seinen BI-Systemen durch die Kombination der Funktionalitäten von ETL-Applikationen mit denen von EAI-Lösungen. ETL (Extraction, Transformation and Load) vereinfacht nämlich die Extraktion aus verschiedenen Datenquellen - ein wichtiger Gesichtspunkt bei den Wasserwerken, die auf kein Fertig-Data-Warehouse setzen, sondern auf eine db2-basierende und auf die verschiedenen Datenquellen zugeschnittene Lösung. Dieser ETL-Prozess, in Berlin mit Sagent von Group One umgesetzt, ermöglicht im Anschluss daran wiederum eine einfachere Umwandlung in andere Datenformate - wegen der aus den unterschiedlichsten Quellen kommenden Informationen ebenfalls für die Wasserwerke zwingend erforderlich. EAI (Enterprise Application Integration) wiederum ist der Sammelbegriff für die Vereinheitlichung von ausgewählten Anwendungssystemen eines oder mehrerer Unternehmen, etwa CRM, ERP, PPS, SCM oder eben ETL. Auch ein EAI-Produkt kann ETL-Schritte durchführen, ist jedoch in der Regel nicht so sehr auf Datenbanken spezialisiert.
Ganz so einfach war es dann doch nicht, denn trotz der offensichtlich geschmeidigen Lösung gab es ein paar Schwierigkeiten. "Schnittstellenprobleme tauchen immer auf, und die gegenseitigen Schuldzuweisungen sind fast unvermeidlich", erzählt Broll. Dass das für die beauftragten Unternehmen eine nicht ganz einfache Situation ist, gibt er gerne zu. Ein Hindernis war dabei eher hausgemacht. "Wir hatten gleichzeitig interne Diskussionen, ob wir uns in Richtung 'open source' oder in Richtung Microsoft bewegen sollen." Entschieden haben sich die Berliner Wasserwerke dann gegen 'open source', da "ein Betreiber von Anlagen der Wasserwirtschaft verlässliche Partner sucht, die jederzeit ansprechbar und verantwortlich zu machen sind", so Gruppenleiter Broll.
Portal für Ad-hoc-Abfragen
Materna installierte die Administrations-Software in einem technisch getrennten internen Sicherheitsbereich die für die Generierung der Metadaten erforderliche Software auf einem zentralen Rechner. Für die lokalen Installationen hat Materna Full-Client-Versionen eingesetzt, bestehend aus dem Business Objects Reporter, Explorer sowie Viewer. Der Reporter ermöglicht es dem Endanwender, selbstständig Ad-hocAbfragen durchzuführen und Berichte zu erstellen. Der Explorer erlaubt in Folge ein noch tieferes Eindringen in die vorhandenen Daten, um so noch mehr Details zu erfahren. Und per Viewer lassen sich diese nach dem persönlichen Gusto unterschiedlich und übersichtlich darstellen.
Das Webportal, das die Daten und Analysen bereitstellt, basiert auf dem Tool Web Intelligence, einem Abfrage- und Analysesystem, das unter Einsatz strenger Sicherheitsmechanismen die Organisation und das Monitoring der Unternehmensdaten über Web-Browser ermöglicht. Für die ereignis- und zeitgesteuerte Aktualisierung und personalisierte Verteilung der Analysen und Auswertungen kommt der Broadcast Agent zum Einsatz, der ein Versenden per E-Mail, Fax oder Pager erlaubt. Wichtig war dieses Feature vor allem für die zeitraumbezogenen Analysen von technischen Messwerten aus verschiedenen Klärwerken. "Die meisten Daten werden nur einmal täglich aktualisiert. Doch wenn beispielsweise in den Klärwerken die Alarmglocken schrillen, weil Messwerte an zulässige Grenzbereiche stoßen, fragen unsere Mitarbeiter die Auswertungen im Minutentakt ab, bis alles wieder im Lot ist", berichtet Broll.
Ergebnisse in Excel-Tabellen
Die vorhandenen Daten werden in einem auf db2 basierenden Data Warehouse gesichert und logisch miteinander verknüpft, sodass aussagekräftige Analysen möglich sind. Dabei mussten die unterschiedlichen Datenmodelle integriert und einheitliche Datenformate entwickelt werden. Anschließend hat Materna das Webportal in das bestehende Intranet der Berliner Wasserwerke integriert. Die Projektlaufzeit dauerte von Dezember 2001 bis April 2002. "Jeden Morgen kann nun jeder Mitarbeiter die für ihn relevanten Daten in einem nach seinem Gusto präsentierten Report einsehen", so Broll. Wenn also die Kollegen aus der Trinkwasserabteilung sehen wollen, ob der Versorgungsdruck im Rohrnetz auch in heißen Sommernächten konstant zwischen 4,5 und 5,5 bar liegt, können sie das zum Beispiel in Excel-Tabellen oder per Kurvendiagramm erkennen. Sind sie darüber hinaus an einem kurzen Blick zu den Wasserverbrauchswerten von Privathaushalten und Gewerbebetrieben in der besagten Nacht interessiert, genügt ein weiterer Knopfdruck, und das entsprechende Diagramm erscheint auf dem Bildschirm.
Zurzeit nutzen etwa 200 Mitarbeiter das BI-System, in deren Reports mittlerweile nicht nur die Daten aus den abteilungsnahen Geschäftsbereichen einfließen, sondern aus dem gesamten Berliner Wasserwerk-Universum. "Auf diese Weise können die Mitarbeiter Verbindungen herstellen, die bis dato gar nicht möglich waren." Berührungsängste mit dem neuen System gab es keine, da jeder Mitarbeiter die Reports in dem Datenformat einsehen kann, das er bevorzugt. Damit sie selbstständig Auswertungen durchführen können, wurden die Mitarbeiter mit den Front-End-Produkten von Business Objects geschult. Sind damit für die Berliner Wasserwerke die Zeiten, in denen Daten in dunklen Kanälen versickern, vorbei? Grundsätzlich ist Broll zufrieden: "Die Datenübersichtlichkeit hat sehr gewonnen, und auch das Erstellen der Reports macht jetzt richtig Spaß." Kleine Probleme sieht er nur beim Einhalten der Service Level Agreements: "Hier gibt es ein paar unterschiedliche Interpretationen beim Kleingedruckten. Aber da finden wir auch noch eine gemeinsame Sprache", grinst er.