Durch die deutsche Brille betrachtet ist das Ergebnis der großangelegten weltweiten CIO-Studie von Gartner niederschmetternd. Zumindest in einem wesentlichen Punkt: Nirgendwo sonst gibt es Budget-Einschnitte in einem vergleichbar drastischen Ausmaß. Mit einem Minus von durchschnittlich 5,6 Prozent müssen die CIOs der 61 deutschen Unternehmen im Vergleich zu 2011 auskommen.
Im Durchschnitt aller 2300 Studienteilnehmer ist demgegenüber ein Wachstum um 0,5 Prozent zu verzeichnen. In der Fülle der zum Teil höchst turbulenten Verschiebungen im Ranking der Top-Prioritäten – sowohl in der Bundesrepublik als auch weltweit – erscheint der nahezu auf die deutschen CIOs beschränkte Rückgang in jedem Fall bemerkenswert. Das leichte Minus von 0,6 Prozent in den USA ordnet Gartner-Analyst Dave Aron als erwartbar ein, ebenso den Zuwachs von 3,4 Prozent im aufstrebenden Großraum Asien-Pazifik. Plus 1,3 Prozent in Frankreich seien überraschend positiv, minus 1,8 Prozent in Großbritannien überraschend negativ.
Deutsche Sparwut nicht erklärbar
Das deutsche Resultat sei indes besonders erstaunlich und nicht wirklich erklärbar, so Aron. Gesamtwirtschaftlich gesehen könne eine Ursache sein, dass die deutschen Unternehmen zwar besser als viele andere durch die Krise kamen, aber nun unter gesunkenen Exportchancen zu leiden hätten.
Möglicherweise verschlafen die deutschen Firmen aber auch einen Trend, den Gartner als zentrales und besonders auffälliges Ergebnis der Studie einordnet. Die IT verschiebe sich insgesamt stark in Richtung Front-End. Sie wird also darauf getrimmt, einen Beitrag zu einem besseren Kundenerlebnis zu leisten. Die reine Orientierung auf wirksame und effiziente interne Prozesse reiche nicht mehr aus. „Die deutschen CIOs sind womöglich konservativer als andere und noch stärker ausschließlich in Richtung Back-End fokussiert“, argwöhnt Aron.
Aufsteiger und Absteiger gibt es in diesem Jahr viele. Im globalen Technologie-Ranking fällt auf, dass Social Media – vor zwei Jahren noch die Nummer Drei – auf Position elf überhaupt nicht mehr in den Top-Ten vertreten ist. „Social Media hat aus IT-Sicht überhaupt keine Priorität mehr“, erklärt Aron. Bedeutung habe das Thema durchaus, das vor allem aber in den involvierten Fachabteilungen. Bei den Business-Prioritäten fiel die Verbesserung von Geschäftsprozessen von Platz fünf auf 13 zurück – vor einigen Jahren stand das Thema serienweise ganz oben. Die in diesem Bereich investierten Bemühungen hätten weithin offensichtlich nicht das gebracht, was die Unternehmen sich erhofft hatten, so Gartner.
Big Data sorgt für Schub
Ein Comeback ist allerdings niemals ausgeschlossen, dass zeigt der globale Technologie-Spitzenreiter: Analytics und Business Intelligence (BI) schien zwei Jahre lang arg ausgelutscht und liegt plötzlich wieder an der Spitze. Das war schon 2008 und 2009 der Fall, es folgten zwei Jahre auf Rang fünf.
„Man hatte sich früher eine Menge von BI versprochen, aber die Anstrengungen haben sich nicht wirklich ausgezahlt“, sagt Aron. Nach einer Phase der Enttäuschung erfolge nun die Wiederkehr, auch angeschoben durch das Label „Big Data“. Vor allen Dingen zeigt der Spitzenreiter laut Gartner, dass sich die Unternehmen durch die Analyse auch unstrukturierter Daten in Echtzeit und aus verschiedensten Quellen einen echten Wachstumsschub versprechen.
Beim grundlegenden Widerspruch zwischen Kostensenkung und Wachstumsorientierung scheinen sich trotz der europäischen Schuldenkrise die Gewichte in Richtung Offensive zu verschieben. „Die gegenwärtigen wirtschaftlichen Bedingungen mögen CIOs dazu verleiten, die IT zurück in den Sparmodus zu zwängen", sagt Analyst Mark McDonald. "Aber die Vorstände erwarten von der Technologie – und das beinhaltet die IT – den harten Herausforderungen gerecht zu werden, indem die Strategien und Operationen des Unternehmens erweitert werden." Aron ergänzt, dass derzeit ein Wettlauf um die Marktmacht im Gange sei. Am Ende werden nicht alle Firmen zu den Gewinnern zählen können, aber momentan preschen vielen Unternehmen energisch voran. Gartner geht davon aus, dass diese Entwicklung auch noch in den kommenden Jahren anhalten wird.
Collaboration fällt von Platz Zwei auf Fünf
Im Ranking folgen hinter BI mit Mobile IT (im Vorjahr Platz drei) und Cloud Computing inklusive SaaS, PaaS und IaaS (2011 Spitzenreiter) zwei Technologien, die schon im Vorjahr weit vorne waren. Collaboration-Technologien verbesserten sich von acht auf vier, Virtualisierung fiel von zwei auf fünf. Dahinter folgt die Modernisierung alter Systeme.
Von den Vorjahresplätzen 18 und 13 kehrten Customer Relationship Management (CRM) und Enterprise Resource Planning (ERP) in die Top-Ten zurück. Auf Platz zehn liegt die IT-Sicherheit, die schon in den Vorjahren schrittweise zurückfiel. Das bedeute nicht, dass Security nicht mehr wichtig sei, so Aron. Aber das Security-Management sei mittlerweile weitgehend zur Routine geworden – wie beispielsweise auch Dokumenten-Management oder Content-Management.
CIOs drängen in neue Märkte
Unverändert gegenüber dem Vorjahr sind die ersten vier in der internationalen Business-Wertung: Wachstumssteigerung vor Akquise und Sicherung neuer Kunden, Kostensenkung und Innovation. Von hinteren Rängen in die Top-Ten schafften es neu die Steigerung der Gewinnmargen, die Attraktivität als Arbeitgeber und eine höhere Wirksamkeit bei Marketing und Verkäufen.
In der rein deutschen Liste gibt es einige aufschlussreiche Abweichung vom globalen Durchschnitt. Dabei kann ein Abfall im Ranking durchaus bedeuten, dass ein Gebiet erfolgreich abgearbeitet wurde; eine bessere Ranking-Position kann manchmal auch als Nachholbedarf interpretiert werden.
Im Bereich der Business-Strategien dürfte das bei der Expansion in neue Märkte und Regionen der Fall sein. Platz vier hinter Wachstum, Kostensenkung und Kundenakquise liegt signifikant höher als der internationale Mittelwert. Der Vorjahresspitzenreiter „Schaffung von Innovation“ wanderte nach unten auf Rang sieben, während die „Steigerung von Innovation“ von 24 auf sechs schnellte. Unschwer, dies positiv zu deuten: Innovationsdefizite wurden erkannt, die Arbeit daran hat längst begonnen und soll weiter optimiert werden.
Deutsche IT-Chefs: wenig Sorge wegen Fachkräftemangel
Weit nach oben in der Liste ging es im Vergleich zu 2011 für die Verbesserung der Produkt- und Service-Qualität sowie die Konsolidierung des Betriebs. Beides zwar keine Top-Prioritäten, aber in der Bundesrepublik höher gewichtet als anderswo. Das Gegenteil ist der Fall bei der Personalrekrutierung. Es ging zwar hoch von 22 auf elf; im internationalen Vergleich sehen deutsche IT-Chefs dem Fachkräftemangel aber noch relativ gelassen entgegen.
Bei den Technologien liegt hierzulande Mobile IT vor Analytics und BI sowie Cloud Computing – gleiches Führungstrio also wie in der globalen Hitliste. Auf Platz vier hingegen wird es interessant: CRM stieg von Platz 18 empor und wird von deutschen CIOs wesentlich höher eingestuft als von ausländischen Kollegen. ERP hielt Vorjahresplatz acht. Anders als vielerorts war dieses Thema in Deutschland also schon 2011 nicht abgeschrieben. Hier zieht die internationale Konkurrenz jetzt erst nach. Networking auf Rang 10 genießt hierzulande eine leicht höhere Priorität als international, Collaboration und IT-Management schneiden etwas schlechter ab. Security und Social Media liegen in etwa auf den gleichen Plätzen wie international. Allerdings wurde Social Media (jetzt 13) 2011 mit Platz sechs noch mehr Bedeutung zugeschrieben als international; Security ist von Platz 24 auf elf relativ weit nach oben gespült worden.
Vor allem Konzerne kürzen Budgets
In einer dritten Rangliste der CIO-Prioritäten passten sich deutsche CIOs zum Teil verzögert der internationalen Entwicklung an. Auf Platz Eins liegt das Liefern von Business-Lösungen – global schon vergangenes Jahr ganz vorne, in der Bundesrepublik aber lediglich auf Platz Zwölf. Es folgen Konsolidierung und Kostensenkung. Die Flexibilisierung der Infrastruktur und die Optimierung von IT-Organisation und Personal plumpsten von zwei respektive Sechs auf 17 und 22. Das mag darauf hindeuten, dass hier die gesteckten Ziele weithin erreicht wurden. Bei der Implementierung mobiler Lösungen scheinen deutschen Firmen hingegen Nachzügler zu sein.
International stellt Gartner noch fest, dass Budget-Kürzungen vor allen Dingen in großen Unternehmen stattfinden. Kleinere Firmen verzeichnen in aller Regel ein moderates Wachstum ihrer IT-Ausgaben.
„Mobilität, Social Media, Information und Analytics können dazu benutzt werden, Kundenerlebnis, Verkäufe und Service-Kanäle neu zu gestalten“, resümiert Analyst McDonald. „Diese Technologien machen mehr, als Prozesse zu automatisieren oder zu verwalten – sie sind selbst die Prozesse und Quellen der Wertschöpfung.“
Die Studie „Amplifying the Enterprise: The 2012 CIO Agenda” wird im Gartner-Blog weiter kommentiert. Befragt wurden CIOs 45 Ländern aus 37 Branchen. Das durchschnittliche IT-Budget der Studienteilnehmer beträgt 137 Millionen US-Dollar.