Datenintegration ist ein heißes Thema in der Logistikbranche. Globale Paketdienstleister wie UPS und Fedex haben schon Anfang der 90er-Jahre erkannt, dass sie ihre Systeme standardisieren müssen. Vielen Wettbewerbern ist dieser Schritt jedoch nicht gelungen. Denn üblicherweise haben sich bei Logistikern auf allen sechs Kontinenten Insellösungen gebildet. Die letzten 30 Jahre der weltweiten Expansion prägten Wachsen durch Käufe und Partnerschaften mehr als einheitliche globale elektronische Informationen.
Bisher reichten auch fachlich gute Anwendungen mit nur loser Datenintegration vollkommen aus. "Doch seit gut fünf Jahren benötigen Kunden immer stärker Komplett-Services, also Transport, Lagerung und Aufbereitung von Waren", erläutert CIO Jürgen Burger von Hellmann Worldwide Logistics. "Vor allem Mittelstandskunden werden immer internationaler." Das heißt für Logistiker wie Hellmann, den gesamten Transport mit Lkw, Schiff und Flugzeug sowie die Lagerung datentechnisch einheitlich abzuwickeln. Zwar war Hellmann immer stark auf IT fokussiert. "Fachlich sind unsere Anwendungen sehr weit ausgereift, aber die Infrastruktur hat dem Fortschritt nicht immer angemessen standgehalten", sagt Burger.
Projekt "Helios" soll integrieren
Hellmann wächst organisch über Partnerschaften und auch Joint Ventures. Als 3PL-Provider (Third Party Logistics Provider) verfügt das Unternehmen mit Hauptsitz in Osnabrück über ein Netzwerk mit weltweit 341 Büros und über eine eigene Lkw-Flotte, nicht jedoch über eigene Flugzeuge und Schiffe.
Im Projekt Hellmann Information and Organisation System, kurz Helios, will Burger nun die Anwendungslandschaft zusammenführen. Bisher sind Systeme wie CRM, Order-Management und Zollanwendungen lose über FTP- oder EAI-Schnittstellen (XML, EDI) gekoppelt. Die Daten sind aus IT-Sicht unvollständig integriert und entsprechen nicht einem einheitlichen Daten- und Informationsmodell. "Ein Informationsmodell für einen Kunden im CRM entspricht nicht einem Informationsmodell in einem Transport-Management", sagt Burger. "So kommt es in der komplexen Wertschöpfungskette zu Inkonsistenzen. Die nimmt der Kunde außen wahr, wenn manchmal nur 98 Prozent der Daten bei ihm realtime ankommen."
An einen Stammdatensatz werden üblicherweise weitere Objekte wie Kontaktoder Ladedaten angehängt. Diese Daten liegen in verschiedenen Datenbanken, aus denen sich CRM-Systeme und andere Anwendungen über Datenbank, FTP-Schnittstellen oder EAI-Methoden bedienen. Burger umreißt das Kernproblem: "Solange in den Datentöpfen unterschiedliche, gewachsene Informationsmodelle stecken, werden wir dem Kunden nur mit manuellem Aufwand eine vollständig einheitliche Sicht bieten können."
Innerhalb der Business Units Straße, Luft und See sowie Warehousing gebe es mehr als genug sehr gute Anwendungen. Für einen Warentransport von Europa nach Amerika kommen bei Lkw und Seefracht daher unterschiedliche IT-Systeme zum Einsatz, die wiederum unterschiedliche Informationsmodelle enthalten. Die Integration dieser Systeme wird zurzeit über gewachsene IT-Schnittstellen betrieben. Auch innerhalb einer Unit wie Straße kam es dazu, dass manche Anwendungen nur mit Adressdaten arbeiten, aber keine tieferen Kundendaten kennen.
Gegen ein Standard-Datenmodell
Deswegen will Hellmann schrittweise die Landschaft auf ein höchst integratives Modell umformen. Zunächst will Burger ein konsistentes Informationsmodell um den Kunden schaffen, wie es beispielsweise SAP mit Master Data Management, Oracle mit Customer Data Hub und IBM mit Master Data Hub ermöglicht. Dieses Datenmodell lässt sich dann über EAI-Technologie wie einen Enterprise Service Bus oder Netweaver spiegeln. Egal für welchen Anbieter eines Master-Datenmodells man sich entscheidet, letztlich wird es ein "Hellmann-Modell" werden. "Wir werden kein Datenmodell zu 100 Prozent übernehmen, weil wir uns von Wettbewerbern mit einem weiterhin deutlich besseren Service differenzieren wollen", begründet Burger dies.
Denn in der Logistik sei die Integration der Systeme von Kunden und Partnern marktentscheidend - und angesichts des stark lokalisierten und zersplitterten Marktes eine große Herausforderung. Durch global vernetzte und konsistente Daten über alle Teile der Logistikkette entstehe der Business-Vorteil, beim Kunden einheitlich aufzutreten. "Wir wollen eine Reporting- Funktionalität bieten, die die gesamte Wertschöpfungskette vom CRM bis zur Rechnungsstellung konsistent umfasst. Das ist die Vision", erläutert Burger.
Helios verlangt neues Denken
Die Schwierigkeit des Projekts liegt in der Integration der Informationsobjekte. Es gibt unterschiedliche in jedem Land andere Anforderungen an Konsistenz und Art der Kundendaten. "Die Herausforderung bei solch einem globalen Projekt ist nicht die Technik, sondern der Mitarbeiter. Sie müssen ein einheitliches Denken über unsere wichtigen Menschen im Haus bekommen: unsere Kunden", sagt Burger. Dafür werde er mit vielen Mitarbeitern über CRM sprechen. Hier verlässt Helios die IT-Dimension und wird durch Prozessänderungen zum Organisationsprojekt.
So sollen mit dem neuen Informationsmodell die Hoheit über Stammdaten klar geregelt und führende Systeme definiert werden. Ziel ist es, die Daten kundengetrieben über den CRM-Ansatz in die Systeme zu stellen. "Bislang vereinheitlichen zentrale Stammdatenteams mit großem Aufwand die Informationen. Die Hoheit sollte der Vertrieb bekommen, weil er die besten Kontakte zu Kunden hat und bei ihm alle Reklamationen landen", sagt Burger.
Um die daraus resultierenden Prozessänderungen durchzusetzen, arbeitet Burger als Mitglied des European Boards mit dem International Board zusammen. Unterhalb der Board-Ebenen gliedert sich das Projekt in die drei Teile Prozesse, Change-Management und IT. Organisatorisch werden für Helios drei Steering Committees geschaffen, die als Business-Process-Management- Teams für die Einheiten Straßenverkehr, Luftund Seefracht sowie Warehousing zuständig sind.
Demand-Supply-Orga geschaffen
Die parallel dazu bestehende IT-Organisation hatte der frühere CIO-Berater bei Accenture bereits neu strukturiert, nachdem er im März 2005 als CIO zu Hellmann gewechselt war. Sie besteht aus den drei Säulen IS-Customer, IS-Applications und IS-Services. Diese Säulen untergliedern sich jeweils wieder in die Gebiete EMEA, Asien/Pazifik und Amerika. Dabei liegt die zentrale Aufgabe der Customer-Säule im Anforderungs- Management und damit in der Effektivität. Dagegen kümmern sich die Säulen Applications und Services um Betrieb und Infrastruktur; damit verantworten sie die Lieferantenseite, sprich die Effizienz.
Dieser aus der Konzern-IT stammende Demand-Supply-Ansatz ist umstritten. Skeptiker sagen, dass Mittelständler nicht alle notwendigen Rollen personell besetzen könnten. Dann müssten Mitarbeiter mehrere Rollen übernehmen, und das Anforderungs-Management funktioniere nicht mehr übergreifend. Burger ist sich dagegen sicher, dass seine IT-Organisation mit 180 Mitarbeitern die kritische Schwelle übersprungen hat. Nach zwei Jahren Praxis habe sich gezeigt, dass diese Organisation auch für Mittelständler sehr gut funktioniere. "Die Demand-Supply-Struktur ist für uns die Basis einer größeren strategischen Entwicklung, für künftiges stärkeres Wachstum", begründet Burger
Helios will er bis 2012 abschließen, wobei die Projektkosten noch nicht vollständig festliegen. Dass es scheitern könnte, glaubt er nicht. Als Vorteil sieht er, dass Hellmann als Familienunternehmen nicht börsen- und quartalszahlengetrieben ist wie Aktiengesellschaften. Deswegen könne man mit weniger Druck länger dauernde Projekte durchführen.