Marktanteile und Umsatz lassen sich immer verbessern. Davon ist John Chambers, seit 1995 Chef der Cisco Systems Inc., überzeugt. Dafür gibt es hauptsächlich zwei Wege: Firmenübernahmen und neue Geschäftsfelder. Cisco nutzt seit langem beide und überrascht dabei oftmals nicht nur die Konkurrenz.
Auch wenn Cisco 2001 und 2011 wirtschaftliche Einbrüche mit Entlassungen hinnehmen musste, darf die Company doch als eine der erfolgreichsten der ITK-Szene gelten. Vom Infrastrukturlieferant für Netzwerke hat das Unternehmen den Sprung zum Allround-Anbieter geschafft, oder, wie es Chambers ausdrückte: vom Kabelschacht in die Chefetage.
Bei allem Wachstum vergaß die Führungsspitze nie, soziale und ethische Aspekte zu berücksichtigen. So gibt es einen "Ethischen Entscheidungsbaum" , der den Mitarbeitern in schwierigen Situationen Orientierung geben soll.
Auf den folgenden Seiten präsentieren wir die wichtigsten Stationen und Meilensteine des Netzwerkriesen. In unserer Bilderstrecke können Sie die Cisco-Geschichte im Zeitraffer nachvollziehen.
Die Gründung im Orwell-Jahr 1984
Eine beliebte Geschichte zur Cisco-Gründung liest sich so: Sandra Lerner, die an der Stanford University im kalifornischen Palo Alto die Computer der Graduate School of Business verwaltete, verliebte sich in Leonard Bosack, der an der gleichen Uni für die Rechner der Computerwissenschaften verantwortlich war. Da ihre Rechnersysteme weit voneinander entfernt standen und dabei auch noch inkompatibel waren, erfanden sie 1984 die ersten Multiprotokoll-Router. So konnten sich die beiden quer über den Campus Liebesbriefe auf ihre Rechner senden.
Soweit die romantische Dichtung. In Wahrheit verhält es sich so, dass die beiden Verliebten den ersten Multiprotokoll-Router nicht alleine erfunden haben, sondern ein Team von Stanford-Mitarbeitern und Studenten. Tatsache ist aber, dass die verschiedenen Rechner mit den unterschiedlichsten Protokollen über den Campus hinweg vernetzt werden sollten. Das erste Gerät, mit dem das gelang, nannten die Entwickler nach der Gehäusefarbe "Blue Box".
Blue Box - der erste Multiprotokoll-Router
Das Rechnerboard innerhalb der Box hatte ein anderer Stanford-Student entwickelt: Andreas von Bechtolsheim. Er konstruierte eigentlich Workstations, die er über die von ihm mitbegründete Firma Sun Microsystems vertrieb. Sein Computerboard "68000" war mit damals unglaublichen 256 KB Hauptspeicher ausgestattet und damit auch für die Netzwerker attraktiv. Die Netzwerkplatinen der Blue Box stammten ebenfalls von Studenten und Mitarbeitern der Uni in Palo Alto, Leonard Bosack war einer davon.
Die Software für den Router - das Kernstück der Box - entwickelte aber William Yeager, damals Staff Research Engineer von Stanfords Medizinfakultät. Er nutzte Bechtolsheims Rechnerplatine und schuf mit NOS (Network Operating System) ein Netzwerkbetriebssystem, das auch noch multitasking-fähig war. Mit ihm war es möglich, verschiedene Protokolle, darunter auch das Internet Protokoll, zu routen und so Daten zwischen Workstations, Mainframe-Terminals, Druckern und Servern auszutauschen.
Die Blue Box war ein voller Erfolg und allein auf dem Stanford-Campus arbeiteten mehr als zwei Dutzend davon. Die Nachfrage stieg schnell, auch andere Universitäten wollten sie haben. Ende 1984 starteten Lerner und Bosack ihr eigenes Unternehmen im Wohnzimmer und nannten es "Cisco", nach der berühmten Stadt im Norden von Palo Alto.
Im Clinch mit Stanford und Kollegen
Das neue Unternehmen wollte die Blue Box gerne vermarkten. Aber Stanford hielt die Rechte daran und verweigerte die Zustimmung. Die Universität wollte 1985 den Campus neu vernetzen und dafür nur mehr das Internet Protokoll (IP) nutzen. Bosack und Kirk Lougheed, ein anderer Stanford-Mitarbeiter, der später ebenfalls zu Cisco kam, nahmen Yeagers Originalsoftware und verkürzten sie auf die ausschließliche Abarbeitung von IP-Traffic. Das Projekt war ein Erfolg, der Campus war über IP vernetzt.
Allerdings gab es ja die Firma Cisco schon und deren erstes Produkt, das Netzwerk-Interface "MEIS" (Massbus Ethernet Interface Subsystem), das die 20 DEC-Minicomputer von Stanford mit dem Universitätsnetz verband. Ab 1986 vermarktete Cisco seinen ersten Multiprotokoll-Router, den "Advanced Gateway Server" (AGS). Die Verantwortlichen der Universität bemerkten schließlich, dass die Cisco-Gruppe um Bosack ihre privaten Entwicklungen während der Arbeitszeit in Stanford erledigten und sich noch dazu des Knowhows der Universität bedienten. Der AGS beruhte auf der Entwicklung von Yeager und der Blue Box. Im Juli 1986 verließen Bosack und Lougheed die Universität im Unfrieden, Sandy Lerner war schon früher gegangen.
Damit begnügte sich die Universität aber nicht, sie wollte von Cisco Geld sehen und drohte sogar mit einem Gerichtsverfahren. Im April 1987 einigte man sich darauf, dass Cisco 19 300 Dollar an die Universität zahlte und dazu noch Lizenzeinnahmen in Höhe von 150 000 Dollar. Zugleich sicherte sich Stanford einen Preisnachlass bei der Anschaffung von zukünftigen Cisco-Produkten.
Bis heute äußern sich die damals Beteiligten nur ungern über die genauen Umstände. Softwareentwickler Yeager, der einen Teil der Lizenzeinnahmen erhielt, lieferte einen Großteil davon in seiner Abteilung an der Uni ab und beklagt bis heute, dass er von Cisco kaum öffentliche Wertschätzung für seine Pionierarbeit erfahre. Leonard Bosack will sich angeblich nie mehr zu den Anfängen von Cisco äußern und Sandy Lerner glaubt, dass es damals ein guter Deal für alle war: "Stanford erhielt Geld und Cisco pflegte das Campus-Internet drei Jahre lang."
Universitätsgranden wie Tom Rindfleisch, damals Chef von Softwareentwickler Yeager, beklagten allerdings vor allem den immateriellen Schaden der Cisco-Erfahrung. Er fürchtete, dass in Zukunft Ideen, Informationen und Entwicklungen, die sich vermarkten lassen, nicht mehr geteilt würden und man so auf dem Campus nicht mehr von der Arbeit der anderen profitieren könne.
1987: Ein Startup sucht Kapital und Erfahrung
1987 lief die Produktion des AGS und des Nachfolgemodells AGS+ richtig gut an. Cisco nahm rund eine Viertelmillion Dollar pro Monat ein, und zwar ohne professionelle Vertriebsmannschaft und ohne Marketing. Das Geschäft lief gut und es war Zeit, es auf solide Beine zu stellen. Bosack und Lerner suchten nach Venture Capital und gerieten an Don Valentine von Sequoia Capital.
Valentine war ein erfahrener Mann, der zuvor schon Apple und 3Com Geld besorgt hatte. Er pumpte nicht nur Kapital in die Company, sondern installierte auch ein Management-Team.1988 heuerte er John P. Morgridge an, der als President und CEO den 30 Jahre jüngeren Firmengründern Lerner und Bosack vor die Nase gesetzt wurde.
Von Anfang an gab es Probleme zwischen jung und alt. Aber die Firma wuchs und wuchs. Und sie entwickelte erfolgreiche Produkte wie die MCI-Karte, die sowohl bridgen als auch routen konnte. Das war wichtig geworden, weil die weit verbreiteten "bridged networks" zwar alle Protokolle verarbeiten konnten, aber anfällig waren gegen die sogenannten "broadcast storms". Dabei wurden die Netze mit einer Vielzahl irrgeleiteter Datenpakete überflutet und kamen zum Erliegen.
Router umgingen diese Probleme, indem sie Subnetze anlegten. Die MCI-Card erlaubte beides - bridging und routing - und war dabei auch noch sehr schnell und somit ein voller Erfolg.
1990: Mit dem Börsengang gehen die Cisco-Gründer von Board
Im Februar 1990 passierte das, was sich alle Geber von Venture Capital erhoffen: der Börsengang. Cisco mit dem NASDAQ-Kürzel "CSCO" hatte damals gut 250 Mitarbeiter, die knapp 70 Millionen Dollar Umsatz erwirtschafteten. Schon ein Jahr später wurden die Aktien gesplittet.
Die Company wuchs und CEO Morgridge erweiterte auch das Management - die Firmengründer Lerner und Bosack fühlten sich weiter in die Enge gedrängt. Insbesondere Sandy Lerner kam mit den neuen Chefs nicht klar, mit der Folge, dass angeblich sieben Vice Presidents vom Investor Valentine eine Entscheidung einforderten: Entweder Lerner verlasse Cisco oder sie würden gehen. Ende August war es soweit: Lerner verließ das Unternehmen und kurz darauf ihr Ehemann Bosack. Beide verkauften sofort ihre Anteile für ungefähr 170 Millionen Dollar, die sie zum Großteil caritativen Zwecken zuführten.
1993: Cisco kauft mit Crescendo sein erstes Unternehmen
Im September 1993 war es dann soweit: Cisco übernahm für knapp 90 Millionen Dollar seine erste Firma, das Startup-Unternehmen Crescendo Communications. Crescendo hatte Switching-Produkte entwickelt, mit denen sich einfach schnelle LANs aufbauen lassen: Mit den "Catalyst"-Switches sausten die Daten mit 125 Mbit/s über herkömmliche Telefonleitungen.
Die Catalyst-Serie begründete für Cisco ein ertragreiches Business, das zeitweise sogar erfolgreicher war als das eigentliche Router-Kerngeschäft. Zudem blieb Crescendos Gründer und CEO Mario Mazzola lange Jahre als Entwicklungschef bei Cisco.
Im gleichen Jahr brachte die Company mit "Cisco 7000" eine Weiterentwicklung von AGS+ auf den Markt. Der Codename dafür war "clean machine", weil sie klar - ohne internen Kabelsalat - konstruiert war und sich zudem auch noch einfach warten ließ. Neu war der CX-Bus, der zusätzliche Steckplätze bereit stellte. Der Router darf als einer der wichtigsten Netzwerkprodukte der 90er Jahre angesehen werden.
1995: John Chambers übernimmt das Ruder
John Chambers, der 1991 zu Cisco kam, wurde vier Jahre später zum President und CEO ernannt, während gleichzeitig sein Vorgänger Morgridge zum Verwaltungsratsvorsitzenden (Chaiman oft the Board) bestellt wurde.
Chambers, 1949 in Cleveland, Ohio, geboren, begann seine berufliche Laufbahn 1976 bei IBM, wo er Mainframes verkaufte. 1983 kam er zu Wang Laboratories, nachdem er Firmengründer An Wang bei einem Vortrag gehört und schätzen gelernt hatte. Wang übertrug ihm wie gewünscht die Leitung des asiatischen Verkaufsteams.
Als Wang 1990 einem Krebsleiden erlag, übernahm dessen Sohn Fred die Leitung der Firma, allerdings ohne Erfolg. Statt die Entwicklung von PCs zu fördern, setzte Wang weiterhin auf teure Workstations. Nachdem Chambers kurz vor Weihnachten als amtierender Executive Vice President 5000 Mitarbeiter entlassen musste, kündigte er bei Wang und ging zu Cisco.
Als er im Januar 1995 den Führungsstab von Morgridge übernahm, führte er 2260 Mitarbeiter, die für mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz sorgten. Chambers verpasste der Company ein neues Standing mit der Devise "Das Netzwerk ist ein strategischer Aktivposten und nicht einfach eine Betriebsausgabe." Und er begann sofort mit der Umsetzung dessen, was er bei IBM gelernt hatte: Die Kunden lieben das One-Stop-Shoping, also alles bei einem Anbieter zu kaufen.
Dazu musste die Produktpalette erweitert werden: Von Switches und Router hinein in den Telecom-Markt mit ATM-Geräten. Beim Asynchronous Transfer Mode (ATM) werden Daten in genormte Zellen codiert und über asynchrones Zeitmultiplexing transferiert, was für eine bessere Quality of Service bei der Übertragung sorgt.
1996: Chambers kauft ein
Um schnell an das erforderliche ATM-Knowhow zu kommen, kaufte Chambers 1996 für 4,5 Milliarden Dollar Stratacom, das als Begründer von ATM angesehen werden kann. Zuvor hatte Cisco schon die ATM-Spezialisten Kalpana und Lightstream übernommen und die Konzepte für ein "Multi-Layer-Switching" entwickelt.
Dazu passte auch die Innovation, die das Design der Netze von Service-Providern revolutionieren sollte: Tag-switching, der Vorläufer von Multiprotocol Label Switching (MPLS). Später nutzten die meisten großen Carrier IP/MPLS für ihr Netzdesign.
Im zukunftsträchtigen Bereich der Gigabit Ethernet Switches legte man sich im September für 220 Millionen Dollar das Startup-Unternehmen Granite Systems zu. Dessen Gründer war Andreas von Bechtolsheim, der somit erneut Ciscos Weg kreuzte. Er entwickelte die Granite-Produkte weiter und war als General Manger für die "Catalyst-4000"-Serie verantwortlich.
Chambers positionierte Cisco für die folgenden Boom-Jahre und reorganisierte die Company in fünf Bereiche: Core, Workgroup, ATM, Access sowie InterWorks für die Anbindung an die IBM-Welt.
1998: Die Internet-Ökonomie beginnt
John Chambers traf in diesem Jahr Regierungsbeamte in Washington, und gemeinsam wurde das definiert, was als Internet-Ökonomie die Wirtschaft revolutionieren sollte. Cisco selbst verdiente dabei nicht schlecht: Die Company war die erste, die es nach nur 14 Jahren seit ihrer Gründung zu einer Marktkapitalisierung von 100 Milliarden Dollar brachte.
Chambers etablierte eine neue Abteilung: die Internet Business Solution Group (IBSG). Damit sollte Cisco der Sprung "vom Kabelschacht in das Vorstandsbüro" gelingen. Das Team sammelte Best Practices, wie ein Internet-Geschäft aussehen und zum Laufen gebracht werden konnte - und lieferte wenn möglich gleich das notwendige Equipment dafür. Die Art der Netzwerkinfrastruktur wurde in den Anwenderfirmen zur Geschäftsentscheidung, die CIO und CEO gemeinsam trafen.
Nur ein Jahr nach der Vorstellung 1997 verkaufte Cisco den 1000sten Gigabit-Switch-Router "Cisco 12000". Er entwickelte sich bei den großen Providern zum Verkaufsschlager beim Aufbau von IP/MPLS-Umgebungen.
1999: Sprache, Video und Daten - Cisco will alles
Mit der Vorstellung der Architektur für Voice, Video und Integrated Data (AVVID) legte Cisco seine Ideen zu einem Multimedia-Internet dar: Sprach-, Video- und sonstige Daten sollten über IP-Netze verschickt werden. Im gleichen Jahr wurden der Company zwei Patente für Voice-over-IP-Techniken erteilt. Damals galt es noch als Utopie, Telefongespräche über Datenleitungen führen zu wollen.
Im Bemühen, ein möglichst umfassendes Portfolio an Netzwerklösungen anzubieten, musste Cisco auch auf die drahtlose Kommunikation achten. Mit der Übernahme von Aironet Wireless Communications begann der Hersteller, drahtlose Lösungen für mobile Geschäftsumgebungen zu vermarkten.
Cisco war zur Jahrtausendwende das wertvollste Unternehmen weltweit. Die Marktkapitalisierung lag im März 2000 bei über 500 Milliarden Dollar. Die Cisco-Aktie wurde an der New Yorker Börse NASDAQ zur "Aktie der Dekade" gewählt. Chambers war Chef von knapp 35 000 Mitarbeitern und einem Umsatz von mehr als 18 Milliarden Dollar.
2001: Die Blase war geplatzt
Der Einbruch der überhitzten Nachfrage nach Aktien von jungen Internet-Firmen traf auch Cisco. Das Unternehmen erreichte zwar 2001 nochmals ein neues Hoch bei Umsatz (mehr als 22 Milliarden Dollar) und Mitarbeiteranzahl (mehr als 38 500), musste dann aber rückläufige Zahlen hinnehmen.
Am 9. Mai 2001 stand Chambers zum zweiten Mal in seinem Leben vor der schweren Aufgabe, Massenentlassungen ankündigen zu müssen: 8500 Mitarbeiter - 18 Prozent der Belegschaft - mussten gehen. Sein eigenes Gehalt reduzierte er auf einen Dollar pro Jahr.
Ebenfalls im Mai 2001 musste die Company 2,2 Milliarden Dollar beim Inventar abschreiben, weil die Lieferkette Informationslücken enthielt, die die sinkende Nachfrage ignorierten. Mit "eHub" wurde ein neues Konzept erstellt, das laut Pressmitteilung "mehr Transparenz auf allen Ebenen der Supply Chain liefert".
2002: Höhere Produktivität gesucht
CEO Chambers ging noch einen Schritt weiter und verordnete seinem Management im April 2002 die Aufgabe, bis 2007 die Produktivität zu verdoppeln: dann sollte jeder Mitarbeiter eine Million Dollar erwirtschaften. Der dafür verantwortliche Zuchtmeister, CIO Peter Solvig, forderte, "dass Cisco nicht länger wie eine Gemeinschaft von Startup-Unternehmen" agiere. Er setzte einen strengen Restrukturierungsprozess mit vielen Kontrollmechanismen in Gang.
Im August des Jahres sorgte Cisco dann erneut für einen Paukenschlag: Die Company kündigte an, in den Markt für Speichernetze einzusteigen. Das 1,2 Milliarden Dollar schwere Geschäft machten damals vor allem McData und Brocade unter sich aus. Inrange, Gadzoox und Ancor waren andere Mitbewerber. Ende 2002 präsentierte Cisco die "MDS9000"-Serie der intelligenten Multilayer-Speicherswitches.
Zudem war in der Telekom-Industrie der Kampf um "die letzte Meile" entbrannt. Cisco brachte Kabel-Router und -Modems auf den Markt, die kompatibel waren zum neuen Standard DOCSIS (Data Over Cable Service Interface Specification). Damit ließ sich für die Netzbetreiber ein schneller Internet-Zugang realisieren.
2005: Alle drei Monate eine neue Technik
Cisco ist nach dem wirtschaftlichen und finanziellen Einbruch im Zuge der Dotcom-Blase wieder auf Erfolgskurs - einige Marktbeobachter behaupten sogar, die Company gehe gestärkt aus der Krise hervor.
Firmenchef Chambers drängt weiter auf Expansion. Die Vorgabe lautet: Alle drei Monate muss das Unternehmen eine neue "Advanced Technology" erschließen. Darunter sind neue Techniken zu verstehen, mit denen auch neue Märkte erobert werden können - und zwar ganz konkret innerhalb von fünf Jahren. Bis dann soll damit jeweils ein Umsatz von einer Milliarde Dollar und ein Marktanteil von 40 Prozent erreicht werden.
Im September präsentiert Cisco die Server Fabric Switches (SFS) auf Basis von Infiniband, die als Backbone-Lösungen das damals schicke Utility- oder auch On-Demand-Computing erleichtern sollten. Zusammen mit der Software "VFrame" sollen sich Rechenzentren virtualisieren lassen und Service-Providern eine stabile Basis liefern.
Ebenfalls im Herbst 2005 kündigte das Unternehmen eine Plattform für Radio Frequency Identification (RFID) an. Sie umfasste neben RFID- und Wireless-Location-Services insbesondere eine Anreicherung des "Application Oriented Network" (AON) mit RFID-Middleware-Komponenten. In Deutschland wird mit Michael Ganser ein neuer Geschäftsführer berufen.
2009: Jetzt ergänzen auch noch Server das Portfolio
Im Frühjahr 2009 sorgte Cisco-Chef Chambers erneut für einen Paukenschlag mit der Ankündigung, nun auch eigene Server anbieten zu wollen. Mit dem Konzept "Unified Computing System (UCS) stellte sich die Company gegen die eigenen Kunden wie IBM, HP und Dell, die als strategische Partner immerhin für einen Großteil der Cisco-Umsätze sorgten.
Allein IBM verkaufte damals Cisco-Produkte im Wert von etwa drei Milliarden Dollar an die eigene Kundschaft. Einige Marktbeobachter sprechen sogar von einer Kriegserklärung an die Allround-Anbieter. IBM und Cisco beruhigten die Gemüter mit der Versicherung, die Beziehung zwischen den Schwergewichten sei in Ordnung. In der Folge konnte man aber Annäherungsversuche von IBM an die Cisco-Konkurrenten Juniper und Brocade feststellen.
Aber John Chambers gab sich unverwundbar. Für ihn steht Cisco 2009 da, wo sich IBM 1970 am Beginn der Mainframe-Ära und Microsoft im PC-Zeitalter befanden: Im Brennpunkt einer neuen Zeit, in der digitale Netze die Plattform für Innovationen bilden. Er definiert die Position so: "Cisco ist der dominierende Lieferant der Netzwerkausrüstung, die das Internet betreibt." Er macht 30 bis 50 neue Märkte aus, in die Cisco vordringen könne: Von der Heimelektronik bis zur smarten und vernetzten Kommune - Stichwort "Green City".
Werden die passenden Produkte nicht selbst entwickelt, dann wird zugekauft: Im März kommt per Aktientausch im Wert von 590 Millionen Dollar Pure Digital Technologies aus San Francisco ins Haus. Diese Company hatte sich mit den "Flip" Videokameras einen Namen gemacht, mit denen sich Videoclips einfach aufnehmen und ins Internet stellen lassen.
Flip schien gut ins Consumer-Portfolio zu passen, für das schon 2006 die Firma Scientific Atlanta übernommen wurde, die Set-top-Boxen produzierte. Den Anfang in diesem Bereich hatte Cisco 2003 mit der Übernahme von Linksys begonnen, das Equipment für "Heimnetzwerke" lieferte. Um die 2006 gegründete Sparte "TelePresence" - das Geschäft mit Video-, Audio- und Datenverkehr über IP-Netze - zu stärken, erwarb Cisco im Oktober 2009 den norwegischen Anbieter Tandberg. Kostenpunkt der Akquisition: drei Milliarden Dollar.
Angeblich hatte Cisco 2009 eine "Kriegskasse" für Firmenübernahmen, die mit 33 Milliarden Dollar gefüllt war. Analysten spekulierten damals, Cisco könnte im Notfall seine eigene Consulting-Gruppe aufbauen und dazu etwa Accenture kaufen. Tatsächlich gründeten beide Firmen aber nur eine Business-Gruppe, die Anwenderunternehmen Lösungen für Smart Grids, Energieeffizienz und sichere Netze anbot.
Im August 2010 wird Carlo Wolf neuer Geschäftsführer von Cisco Deutschland. Der Vorgänger Michael Ganser ist neuer Senior Vice President für die Vertriebsregion "Central Theatre", das 17 Länder in Mittel- und Osteuropa umfasst.
2011: Enttäuschte Investoren und verwirrte Angestellte
Drei enttäuschend verlaufende Quartale in Folge veranlassten Firmenchef Chambers Anfang 2011 zu einem ungewöhnlichen Schritt: er veröffentlichte einen langen Brief, in dem er Angestellten, Kunden, Aktionären und Partnern darlegte, dass die Unternehmensleitung die Misere diagnostiziert und Gegenmaßnahmen ergriffen habe.
Zusammengefasst las sich das so: "Wir haben unsere Investoren enttäuscht und unsere Angestellten verwirrt". Er identifizierte fünf Kernbereiche, auf die sich Cisco in Zukunft konzentrieren wolle: Routing, Switching und Services, Collaboration, Data Center Virtualisierung und Cloud, Architekturen und Video. Der Rest steht zur Disposition. Tatsächlich wird im April der Flip-Unternehmensbereich im Zuge der Reorganisation des Consumer Business geschlossen, 550 Jobs gehen verloren.
Im Sommer machen Gerüchte um die Entlassung von 10 000 Mitarbeitern die Runde. Im August legt Gary Moore, kurz davor zum Chief Operating Officer (COO) befördert, die Einsparungen offen: Im ersten Quartal des neuen Fiskaljahres (Start: 31. Juli) werden 4400 Angestellte entlassen und weitere 2100 sollen in den Vorruhestand geschickt werden. Zudem wird die Fabrik in Mexiko, wo Set-top-Boxen gebaut werden, verkauft. Weitere 5000 Mitarbeiter verschwinden von der Gehaltsliste. Auch 1200 Leiharbeiter sollen die Firma verlassen. Um das Ziel zu erreichen, eine Milliarde Dollar einzusparen, kam auch das Management nicht ungeschoren davon: 17 Prozent der Vice Presidents und höher Positionierte mussten gehen.
Der Einschnitt war notwendig geworden, weil sich die Ertragssituation weiter verschlechterte: Lag der Nettogewinn im vierten Quartal 2010 noch bei 1,9 Milliarden Dollar, sank er in der Vergleichsperiode 2011 um 36,3 Prozent auf 1,2 Milliarden. Im Jahresvergleich reduzierte sich der Gewinn von 7,8 Milliarden Dollar im Fiskaljahr 2010 auf 6,5 Milliarden ein Jahr später, ein Minus von 16,4 Prozent. Aber es gab auch Erfreuliches zu berichten: Laut den Marktforschern von IDC erreichte Cisco hinter HP und IBM Rang drei im weltweiten Markt für Blade-Server - und das nur zwei Jahre nach Einführung der Produktlinie. Die Kürzungen jedenfalls seien überfällig gewesen, erklärte Firmenchef Chambers Jetzt werde man in die Belegschaft investieren und die "neue Cisco" bilden. (Computerwoche)