All Quiet on the Western Front. Oder auf Deutsch: Im Westen nichts Neues. Ja, so heißt Erich Maria Remarques Roman über den Ersten Weltkrieg. Und der eignet sich als Metapher für die Augurenschau auf das kommende Jahr ziemlich perfekt - vom Titel bis hin zum inhaltlichen Kontext. Filtert man die Prognosen der Analysten von Gartner, Forrester Research, Pierre Audoin Consultants (PAC), Experton Group und IDC nach den maßgeblichen Technologien, die hinter ihren Trends stecken, findet man vor allem:Cloud Computing, Big Data, Mobile IT.
DieGroßtrends also, die die sogenannte "dritte Plattform" prägen und mittlerweile fast so lange an der Spitze der Jahresvorausschauen zu finden sind, wie sich das vor fast genau 100 Jahren beginnende Abnutzungsgemetzel hinzog. In der IT also nichts Neues? Pfeffert man die Glaskugel am besten an die Wand und liest besser alte Romane?
Nicht unbedingt. Die Szenen in der Glaskugel sind keineswegs dieselben wie vor einem Jahr. Aber es spielt sich ein Film ab, der düsterer und ernüchternd ist. Die neuen gemeinsamen Leitthemen in den Prognosen sind vor allem Abstraktionen: Transformation und Digitalisierung. Auch Industrie 4.0 ist ein abstraktes Label für die Verschmelzung von Produkten und IT. Experton hat es als Trendthema auf der Liste. "Natürlich sind nicht alle Unternehmen von Industrie 4.0 betroffen und vielleicht in ganz anderen Branchen als der Fertigungsindustrie zu Hause", sagt Experton-AnalystLuis Praxmarer. Aber die Grundprinzipien der Transformation seien oft ähnlich.
Mit 2013 ist ein Jahr fast vorbei, das mau war. 2014 könne für den CIO da sehr viel besser werden, meint Pascal Matzke von Forrester. Aber nur dann, wenn er die enormen Herausforderungen des digitalen Wandels endlich aktiv anpackt. "Der europäische IT-Markt ist 2013 klar hinter den Erwartungen zurückgeblieben", sagt Christophe Chalons von PAC. "Aber immerhin wird im Laufe des kommenden Jahres eine progressive Erholung einsetzen."
Klingt ja echt so, als ob 2014 super wird. Der Tonfall sämtlicher Analystenprognosen mutet wenig enthusiastisch an, die Euphorie für wolkige Services, handliche Devices und unendliche Analysepotenziale ist gewichen. Ein Musterbeispiel dafür liefert Gartner. Analystin Kimberly Harris-Ferrante hat – branchenspezifisch - zwölf strategische Planungsannahmen zusammengestellt, die CIOs beim Entwerfen eines Transformationsplans bedenken sollten. Die Crux: Durchweg zeigt Gartner auf, dass mit den technologischen Heilsbringern in der Praxis viel schief läuft.
3-D-Printing zum Beispiel wird 2014 laut Gartner ein heißes Eisen sein. "Bis 2017 werden 70 Prozent der führenden Multi-Channel-Händler 3-D-Printing-Technologien nutzen, um Kundenbestellungen zu generieren", prognostiziert Harris-Ferrante. Diese Technologie werde eine "transformatorische Wirkung" auf die Retail-Branche haben. "CIOs der Branche empfehlen wir, dem Business bei der Entdeckung dieser Technologie zu helfen", so die Analystin. Das könne durch die experimentelle Herstellung kleiner Stückzahlen an Musterprodukten mit hoher Marge geschehen. "Geeignet sind beispielsweise Modeschmuck oder Rahmen für Brillengläser."
Die Kehrseite der Medaille: "3-D-Printing wird bis 2018 dazu führen, dass weltweit jährlich mindestens 100 Milliarden US-Dollar an geistigem Eigentum verloren gehen", so Gartner. Die Technologie mache den Klau von Produktideen signifikant leichter. "Gefragt ist als Gegenmittel unter anderem die Zusammenarbeit von Produktmanagern und IT-Spezialisten, die effizientere Instrumente zur Authentizitätsprüfung für die Kunden entwickeln müssen", so Gartner.
Gartner - 12 Trends für 2014 |
1. Transaktionen in die Wolke 2. 3-D-Printing 3. CIO und/oder CDO 4. Big Data Analytics 5. Mangelhafte Mobile Apps 6. Medizinische Datenbanken 7. Vorausschauende Patienten 8. Web-basiertes Lernen 9. Branchenübergreifende Innovationen 10. Verluste an geistigem Eigentum 11. Personenbezogene Angebote 12. Schlechter ROI wegen Big Data |
Neue Umsatzbringer
"In den führenden Fertigungsunternehmen wird bis 2018 ein Fünftel der Umsätze durch Innovationen entstehen, die in branchenübergreifenden Erfahrungen wurzeln", lautet ein weiterer Gartner-Trend. So werde das Gros der in entwickelten Märkten abgesetzten Fahrzeuge in naher Zukunft mit Datenkommunikationstechnologie ausgerüstet sein. "Der Aufstieg des mobilen Internets, sein Einfluss auf die vernetzten Verbraucher und das Internet der Dinge werden das, was Unternehmen als Branchengrenzen und Märkte definieren, dauerhaft verschieben."
Dass Gartner statt herkömmlicher Technologietrends "strategische Planungsannahmen" kommuniziert, spiegelt wider, dass ein genuin technologisches neues großes Ding für 2014 nicht absehbar ist. Betont wird stattdessen: "Transformation bleibt branchenweit auch im neuen Jahr ein geschäftskritisches Phänomen. Viele Branchen werden 2014 keine andere Wahl haben, als ihr bisheriges Geschäftsmodell radikal zu ändern." Luis Praxmarer von der Experton Group rät deshalb zu einer Bündelung der Kräfte. "Die IT muss funktionsübergreifende Teams aufbauen, um alle Innovationsbereiche proaktiv angehen zu können - also Innovationen bei Produkten, Prozessen und Geschäftsmodellen", so der Experton-Analyst.
PAC - 10 Trends für 2014 |
1. Progressive Erholung des Marktes 2. Wachsende Reife des IT-Marktes 3. Legacy IT/Innovative IT 4. Cloud Computing als Herzstück der Innovation 5. Senkung der Total Cost of Ownership 6. Agilität und Geschwindigkeit 7. Digitalisierung 8. Analytics & Big Data/Mobilität/M2M 9. IT-Sicherheit 10. IT-Dienstleister der jungen Generation |
Immenser Veränderungsdruck
Matzke von Forrester nimmt ebenfalls hohen Transformationsdruck wahr. Er unterscheidet seine Top-10-Trends in vier strategische Imperative und nur sechs eigentliche Technologiethemen. Die sind, wie er zugibt, an sich nicht neu: Mobilität, Big Data/Business Intelligence, SaaS, Infrastruktur aus der Cloud, hybride Integration und Storage. Kennzeichnend ist laut Matzke etwas anderes: "Der Veränderungsdruck auf die IT wird so groß sein wie nie zuvor."
Das liegt vor allem an - erster strategischer Imperativ - dem unausweichlichen Management der digitalen Revolution. Das absolut Neue daran sei, dass der Fokus von IT künftig auf den Endnutzern liegen muss. Wohlgemerkt dürfe der Begriff "Kunde" nicht zu eng in Richtung B2C ausgelegt werden. "Im Mittelpunkt der Veränderung befinden sich genauso die Mitarbeiter und die Partner", erläutert Matzke. "Die digitale Revolution ist also auch B2B-relevant." Spätestens 2014 sei es an der Zeit zu verstehen, wie eine vernetzte Infrastruktur für die wichtigen Endnutzer aussehen muss. "CIOs sollten sich 2014 so positionieren, dass sie als Innovationsträger im Unternehmen wahrgenommen werden", so Analyst Matzke.
Forresters zweiter strategischer Imperativ hängt eng mit der Digitalisierung zusammen: das Entwickeln und Einweben einer neuen Systemlandschaft. "Anders als in der traditionellen IT steht die Interaktion der Technologie mit den Menschen im Mittelpunkt", so Analyst Matzke. "Sie muss die Menschen berühren." Gemeint seien damit zum Beispiel innovative Lösungen, die beim Einchecken in der Hotellobby eine Restaurantempfehlung mitliefern. Zurzeit fließe lediglich ein Fünftel bis ein Viertel der IT-Investitionen in derartige neue Systeme. Es sei damit zu rechnen, dass der Anteil bis 2016 auf mehr als die Hälfte steigt.
Als dritter Imperativ des Forrester-Analysten schließt sich die Rationalisierung der alten Systemlandschaft an, für die die Deutsche Bank mit der Migration von über 200 Kernbanksystemen auf eine einzige SAP-Plattform derzeit ein Musterbeispiel liefere. Wieder kein neues Thema, aber laut Matzke in vielen Firmen unvermeidlich ganz oben auf die Agenda zu setzen.
Zu flankieren sei alles das - vierter Imperativ - durch die Entwicklung neuer Skills, Kulturen und Organisationsstrukturen. Matzke empfiehlt der IT hier insbesondere, sich für Quereinsteiger und junge Mitarbeiter zu öffnen und auf Interdisziplinarität zu setzen. Man brauche dringend neue Ideen, um den digitalen Wandel zu bewältigen. Handlungsbedarf beim Personal sieht auch Experton. "In der Mehrheit der Unternehmen liegt bei der IT-Qualifikation der Fokus zu 90 Prozent darauf, die Systeme am Laufen zu halten", so Praxmarer. "IT-Architekten und Geschäftsprozessspezialisten sind dagegen dünn gesät."
PAC-Analyst Chalons teilt Matzkes Unterscheidung zwischen alten und neuen Systemen. "Die aktuell trostlose Marktlage spiegelt die wachsende Reife des IT-Marktes wider", so Chalons. "Er spaltet sich immer deutlicher in zwei Hauptsegmente auf, die eine gegensätzliche Dynamik aufweisen: einerseits die Legacy IT, andererseits die innovative IT." Die Anwender wollten weniger für ihre alte IT ausgeben und die resultierenden Einsparungen gerne in Innovation stecken. "Der Schlüssel, um das zu erreichen, ist Transformation", führt Chalons weiter aus. "Herzstück dieser Transformation wird Cloud Computing sein - sowohl für die Infrastruktur als auch für die Anwendungen."
Experton Group - 10 Trends für 2014 |
1. Mobile Workspace & Apps 2. Cloud Computing 3. Dynamic Infrastructure 4. Social Business 5. Big Data 6. Identity Management & Cyber Security 7. Zukunft von ERP, CRM und SCM 8. Software-as-a-Service 9. Consumerization 10. Digitalization - IT als Produkt |
Experton Group - 10 CIO-Prioritäten für 2014 |
1. Aufbau von Innovationsteams 2. Business-Prozess-Know-how, Self-Service, TCE 3. BI, Big Data, Enterprise Performance Management 4. Industrie 4.0, Branchentrends, IT als Produkt 5. Workspace of the Future – Mobility 6. Social Business, Strategie & Richtlinien 7. Dynamic Infrastructure dem Business anpassen (Cloud!) 8. Security & Datenschutz (Cloud, BYOD, Mobility) 9. Skill-Analyse & HRM-Strategie 10. Sourcing-Strategie überarbeiten (Commodity/Value) |
Cloud-Trends
Auch Forrester unterscheidet SaaS und Infrastrukturen inzwischen als zwei eigenständige Trends aus der Cloud. Bei SaaS rückten nach der Collaboration-Phase jetzt Felder wie Customer Relationship Management (CRM), Human Resources (HR) und Supply Chain Management (SCM) in den Mittelpunkt, so Matzke. EADS baue zum Beispiel mit Unterstützung von Supplyon.com in der Wolke ein zentrales Portal für seine Zulieferer auf. "Eine agile IT ist allerdings in den meisten Fällen noch nicht umgesetzt worden", konstatiert Luis Praxmarer hinsichtlich ungenutzter Cloud-Potenziale. Zudem müsse 2014 besser auf die Sicherheit in der Wolke geachtet werden: "Es muss ein Cloud-Framework aufgebaut werden, das auch die Themen Single-Sign-On, Provisionierung, Verrechnung und Sicherheit adressiert." IDC rechnet in der Wolke mit einer Verlagerung von IaaS hin zu Platform-as-a-Service (PaaS). Amazon werde hochwertige Dienste für Unternehmen auf den Markt bringen. "Auch Google wird seinen Hut in den Ring werfen", prophezeit IDC-Analyst Frank Gens.
PAC erwartet, dass SaaS den Beratungsmarkt anschiebt - wenn auch eher mittelfristig. SaaS generiere substanzielle Gelegenheiten zur Integration, weil die "neuen" Anwendungen miteinander und mit dem Legacy-Gerüst verzahnt werden müssen. Angesichts einer zunehmend hybriden IT wird Integration 2014 ein zentrales Thema sein - da herrscht Einigkeit in der Analystenwelt. "Cloud Computing, Analytics, Mobility, Digitalisierung und Security werden auf Marktebene die wichtigsten Wachstumssegmente sein", fasst Chalons zusammen. "Zugleich kann aber auch in der Legacy IT immer noch substanziell Potenzial gehoben werden - insbesondere mit Services wie Application-Management und Infrastructure-Outsourcing."
Forrester - 10 Trends für 2014 |
Strategische Imperative 1. Die digitale Revolution managen 2. Eine neue Systemlandschaft entwickeln und einweben 3. Die alte Systemlandschaft rationalisieren 4. Neue Skills, Kulturen und Organisationsstrukturen entwickeln Top-Technologien 5. Mobilität 6. Big Data/Business Intelligence 7. SaaS 8. Infrastruktur aus der Cloud 9. Hybride Integration 10. Storage |
Mobile Apps einstampfen
Bei der mobilen IT wird es 2014 auch darum gehen, Versäumtes nachzuholen und Fehler auszumerzen. Die Unternehmen müssten anfangen, einen "App-IQ" zu entwickeln, fordert Matzke - also wirklich intelligente Apps bauen, die den Kunden, Mitarbeitern und Geschäftspartnern auch weiterhelfen. Wie bitter nötig das ist, zeigt Gartner an einem Branchenbeispiel auf.
"Versicherungen werden bis 2015 zwei Fünftel ihrer aktuellen an die Kunden gerichteten mobilen Apps einstampfen", sagt Harris-Ferrante. "Sie sprechen die Zielgruppe schlichtweg nicht so an, wie es erforderlich wäre." Die mobilen Angebote werden von den Kunden häufig nicht verstanden; die mobilen Funktionen haben außerdem nur begrenzten Einfluss auf die Kaufentscheidungen. Überdies seien viele der Apps schlecht - und oft überstürzt - gestaltet. Vor Investitionen in diesem Bereich seien tunlichst detaillierte Wertanalysen durchzuführen. Auch das Feedback der Kunden müsse besser angezapft werden. "BYOD wird nicht mehr zu unterbinden sein", ergänzt Praxmarer. "Die IT muss entsprechend handeln und eine Strategie entwickeln, dabei aber einen Schritt weitergehen und sich mit den Arbeitsmodellen und der Arbeitsumgebung der Zukunft auseinandersetzen."
Verhoben an Big Data haben sich laut Gartner viele Life-Science-Unternehmen. Diese Firmen investierten kurzfristig, um Volumen und Geschwindigkeit mittels Big Data zu bändigen. Die Vielgestaltigkeit und die Komplexität der Daten würde aber vernachlässigt. "Es gelingt jedenfalls nicht, die enorme Menge an externen Daten mit den internen Daten in Beziehung zu setzen", so Analystin Harris-Ferrante. Und das gefährde den Return on Investment.
Big Data sei immer noch nicht wie erwartet in Schwung gekommen, berichtet Pascal Matzke von Forrester. Unabhängig aber von der Frage, ob innovative Big-Data- oder konventionelle BI-Technologie im Einsatz sei, habe die Datenanalyse 2014 hohe Priorität. Das Business erwarte schlichtweg Anwendungsszenarien, die einen geschäftlichen Mehrwert erbringen. "Es werden deutlich mehr Anbieter von Mehrwertdiensten und Daten-Broker entstehen", meint Frank Gens von IDC.
Bei den jungen IT-Dienstleistern könnte der eine oder andere Stern schnell sinken, wenn man PAC glaubt. "Zurzeit sind sie die Stars", sagt Chalons. Sobald aber die neuen Apps miteinander und mit den bestehenden Systemlandschaften integriert werden müssen, hätten diese Frischlinge an ihrem Mangel an Größe zu leiden. "Mangel an Größe meint hier zweierlei: Es fehlt an breit gefächerten Kompetenzen und an der Fähigkeit, größere Projekte zu stemmen", so der Analyst. Alles in allem tun sich laut Chalons 2014 spannende Chancen auf, in der alten und in der innovativen IT: "Aber der Markt wird herausfordernder sein als jemals zuvor sein."
IDC - 10 Trends für 2014 |
1. "Dritte Plattform" treibt IT-Ausgaben 2. Emerging Markets wachsen zweistellig 3. Verlagerung von IaaS zu PaaS 4. Mobility boomt weiter 5. Cloud Computing: Differenzierung/Entwicklerschlacht 6. Big Data 7. Social Media: Integration in Firmenanwendungen 8. Cloud treibt Server- und Storage-Markt 9. Branchenspezifische und innovative Plattformen 10. Internet der Dinge |