EIN SOLCHES DESASTER wollte Winfried Albrink nie wieder erleben. 18 Monate hatte seine Schulungsabteilung vor vier Jahren gebraucht, um die Mitarbeiter auf "Lotus Notes 4.0" umzuschulen. "Das sollte nicht noch einmal so lange dauern", so der Leiter der technischen Aus- und Fortbildung beim Markenartikler Henkel in Düsseldorf. Also führte er für die im Jahre 2000 anstehenden Versionswechsel von Lotus Notes und "SAP", von denen 8000 der 15000 deutschen Mitarbeiter betroffen waren, E-Learning ein. Albrinks Fazit: "Ohne E-Learning hätten wir den Weiterbildungsbedarf unserer Mitarbeiter niemals in den Griff bekommen."
Doch geht es bei E-Learning nicht nur um Zeitersparnis. Für siebzig Prozent der deutschen Großunternehmen spielt die damit verbundene Kostenreduzierung die Hauptrolle. Das ergab eine Studie des auf E-Learning spezialisierten Göttinger Beratungsunternehmens Unicmind. Unternehmen, die E-Learning einsetzen, berichten von Einsparungen bei den Weiterbildungskosten in Höhe von dreißig bis sechzig Prozent.
Diese Tatsache könnte in Zukunft für viele Seminarleiter zur Existenzfrage werden. Die Marktforscher von IDC sagen voraus, dass der Markt für E-Learning weltweit von zwei Milliarden Dollar im Jahr 1999 auf über 23 Milliarden im Jahre 2005 anwachsen wird. Dann würden nur noch 35 Prozent der betrieblichen Weiterbildung durch traditionelle Präsenzseminare abgedeckt; bisher sind es hierzulande noch rund 95 Prozent.
Auch bei Henkel verringerte sich der Bedarf an Trainern, nachdem Ende 1998 der Startschuss für das E-Learning- Projekt gefallen war. Zu dieser Zeit nahm das interne Help-Desk-Callcenter jährlich rund 120000 Anrufe von Henkel-Mitarbeitern entgegen, die Probleme mit Notes oder Office-Produkten hatten. Es ging deshalb auch um mehr Qualität und Effizienz bei der Mitarbeiterschulung. Zudem sollten die in E-Learning-Kursen erarbeiteten Ergebnisse in das konzernweite Knowledge-Management einfließen. Auch das war kein leichtes Unterfangen: Keine der seinerzeit verfügbaren E-Learning-Plattformen sah eine solche Verknüpfung vor.
Trotzdem zögerten Personal- und Finanzvorstand nicht lange mit ihrer Entscheidung: Die Investitionen für die Programmierung der Trainingsmodule und der zusätzlichen Funktionen sowie für die Implementierung und Anpassung waren überschaubar. Sie schlugen mit rund einer Million Mark zu Buche und versprachen zudem einen schnellen Return on Investment. Allein die Kosteneinsparungen beim Rollout der neuen Version des E-Mailund Planungsprogramms Lotus Notes waren immens, rechnet Klaus Siegmann, Vorstand der Arideon Unternehmensberatung, vor. Sein Unternehmen hat Henkel beim gesamten Projekt unterstützt. Weil 98 Prozent aller Schulungen online stattfinden konnten, sparte das Unternehmen 500 Präsenzschulungen ein, die Arideon mit 1500 Mark pro Tag ansetzt. Nach der Installation der neuen E-Learning-Infrastruktur ergäben sich bei der Einführung eines neuen Software-Release Kosteneinsparungen von einer halben Million Mark. "Die Investition hat sich schon in einem Jahr amortisiert", sagt Siegmann.
Spürbare Kostenreduktion
Die Allianz-Versicherung hat ähnliche Erfahrungen gemacht: Die Einführung von E-Learning für die Vertriebsmitarbeiter, die vor allen Dingen auf schnelle und effektive Produktschulung abzielte, führte hier ebenfalls zu spürbaren Kostenreduktionen. "Für uns war das aber nicht der wichtigste Faktor, da es sich in erster Linie um ein strategisches Projekt handelt", sagt Christoph Weinzierl, Referatsleiter Medien und Technik im Fachbereich Bildung der Allianz Versicherung.
Die Höhe der eingesparten Kosten schwankt stark. Dreißig Prozent Kostensenkung ermittelte die Unternehmensberatung Mummert + Partner bei einem E-Learning- Projekt der Deutschen Börse; bei Siemens geht man von 35 Prozent aus, während Henkel sogar mit fünfzig bis sechzig Prozent Einsparung gegenüber herkömmlichen Seminaren rechnet. In jedem Fall ein enormes Potenzial angesichts der 34 Milliarden Mark, die deutsche Unternehmen nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln, jährlich in die Aus- und Weiterbildung investieren. Im Jahr 1998 nahm durchschnittlich jeder Mitarbeiter einmal pro Jahr an einer Weiterbildungsmaßnahme teil -- Tendenz steigend.
Anwender berichten von einem weiteren Vorteil: Beim E-Learning bleibe mehr hängen. Bereits 14 Tage nach Beendigung eines Präsenztrainings sind in der Regel nur noch 15 Prozent des gelehrten Stoffs präsent. Das ergab eine Studie des Research Institute of America. Deutlich positiver fällt die Bilanz beim E-Learning aus: Die amerikanischen Experten beziffern den Vergleichswert auf 25 bis 60 Prozent.
Auch Siegmann berichtet von etwa vierzig Prozent mehr Lerneffizienz und belegt das mit einer Evaluation in der Pilotphase, in der das Wissen der 200 teilnehmenden Henkel-Mitarbeiter kurz nach dem Training, nach einer Woche und dann erneut nach 14 Tagen abgefragt wurde. Mit den Erfahrungen aus früheren Face-to-Face- Schulungen lag ein guter Vergleichsmaßstab vor. Die Ergebnisse der Evaluation zeigten, dass digital gestützte Wissensvermittlung just in time effektiver ist als das Lernen auf Vorrat in Präsenztrainings. "Die bessere Erinnerung an Gelerntes gibt jeder Mark, die in diese Form der Qualifizierung fließt, einen höheren Wert", resümiert Albrink.
So verlockend die Zahlen auch sein mögen: E-Learning ist kein Wundermittel mit Wirkungsgarantie. Wie bei traditionellen Lernangeboten hängt es von den Rahmenbedingungen, der Zielgruppe und den Lernzielen ab, ob und wann der Einsatz von E-Learning didaktisch und ökonomisch sinnvoll ist. Karlheinz Schwuchow, Weiterbildungsexperte an der Hochschule Bremen, urteilt: "Die Akzeptanz des Lernens am Arbeitsplatz ist vor allem ein mentales Problem." Allzu oft würde am Schreibtisch lernenden Mitarbeitern unterstellt, sie hätten nichts zu tun oder würden sich vor der Arbeit drücken. Bei Kollegen liege daher die Hemmschwelle sehr niedrig, den Lernenden wegen jeder Kleinigkeit zu unterbrechen.
Ausschlaggebend für den Lernerfolg ist nicht zuletzt die Motivation der Lernenden. Die wiederum wird bestimmt durch die allgemeine Lernkultur eines Unternehmens, die Betreuung durch Tele-Tutoren, die Gestaltung der Lernumgebung und vor allem die Themen. Erfahrungen haben gezeigt, dass es nicht genügt, Bildungsinhalte ins Netz zu stellen und darauf zu hoffen, dass sich der Erfolg von allein einstellt.
"Für den optimalen Lernerfolg bietet sich ein Mix aus allen verfügbaren Ressourcen an", sagt Kai-Holger Liebert. Der Leiter des Fachbereichs E-Media & Services bei Siemens Qualification And Training (SQT), einem Profitcenter von Siemens, ist überzeugt vom Konzept des "hybriden Lernens": Um das Ziel der bestmöglichen Wissensvermittlung scharen sich hier in einem Satellitenmodell alle verfügbaren Medien wie WBT, Videos, CBTs, Tele-Tutoring und Präsenzseminare. "Sinn macht das Konzept des hybriden Lernens allerdings erst dann, wenn alle Komponenten miteinander vernetzt werden."
Für Liebert war der Gang seines Unternehmens an die amerikanische Börse Auslöser für die breit angelegte Umstellung auf E-Learning. Rund 16000 Mitarbeiter weltweit mussten im Jahre 2000 kurzfristig in das amerikanischen Bilanzierungssystem "US-Gaap" eingearbeitet werden. "Mit konventionellen Qualifizierungsmaßnahmen hätten wir das nie hingekriegt", weiß der Schulungsexperte.
Schwer durchschaubare Masse
Das schnelle Wachstum und die hohe Komplexität im ELearning- Markt machen es Personal- und IT-Leitern nicht leicht, die geeignete technische Lösung für ihr Unternehmen zu finden. "Konvergierende Produkte, Nischenanbieter, Lernplattformen, ASP-Lösungen oder Authoring Tools mischen sich zu einer schwer durchschaubaren Masse; ein Vergleich ist sehr schwierig", sagt Ralf Pfau. Er hat bei der Nürnberger Unternehmensberatung New Economist als Projektleiter die "WBT-Studie" betreut, die ein wenig Licht in das Dunkel des E-Learning- Lösungsmarktes bringen soll.
Sein Fazit: "Die wesentlichen Grundfunktionalitäten für eine Learning-Plattform werden von allen gängigen Systemen bereitgestellt." Ein Ranking wollten die Autoren jedoch nicht vornehmen. "Es hängt vom Bedarf und der IT-Infrastruktur des Unternehmens ab, welches System das beste ist."
Die Entscheidung ist auch deshalb nicht einfach, weil die Unternehmen noch über relativ wenig Erfahrung mit E-Learning verfügen. Zu viele von ihnen befassen sich deshalb ausschließlich mit der technischen Komponente und der Lösung von Integrationsproblemen, erklärt Nils H. Jörgensen. "Wir haben schon erlebt, dass Unternehmen nach der Implementierung der Technik kein Geld mehr für Inhalte hatten", berichtet der General Manager des amerikanischen Fachverlags Mc-Graw-Hill Lifetime Learning. Das Inhalte-Angebot ist noch dünn. Bildungsexperten fordern Seminare zu Kommunikation, Führung, Präsentationstechniken und Management-Trainings in den E-Learning- Portalen. Doch tatsächlich befassen sich zumindest in Deutschland rund 66 Prozent aller E-Schulungsthemen mit der Nutzung von Office-Software, gefolgt von weiteren Computer-Themen. Kein Wunder -- sie sind besonders leicht in E-Learning-Module umsetzbar.
Noch größer sind die technischen Hürden, wenn Unternehmen mit der Integration von E-Learning und Knowledge- oder Content-Management-Systemen die Lern- und die Wissensbasis zusammenführen wollen. "Die Verknüpfung mit dem Wissens-Management war von Anfang an unser Ziel", betont auch Henkels Ausbildungsleiter Albrink.
Das macht Sinn: Die aus dem E-Learning entstandenen Wissensportionen sollen schließlich nach Abschluss der Schulungen allen Betriebsangehörigen mundgerecht zur Verfügung stehen.
Typologie des E-Learning
Schulungs-Videos werden vor allem in Branchen genutzt, in denen Computer wenig verbreitet oder schlecht zugänglich sind. Allerdings setzen Business-TV wegen der hohen Produktionskosten nur wenige große Unternehmen ein.
Computer Based Trainings (CBT) auf CD-ROM oder DVDs sind vor allen Dingen für die Vermittlung Computerbezogener und multimedialer Inhalte geeignet. Ein wichtiger Vorteil liegt jedoch darin, dass CD-ROMs auch bei fehlender oder schlechter Netzinfrastruktur zum Einsatz kommen können.
Web Based Trainings (WBT) bieten aufgrund der zurzeit verfügbaren Netzkapazitäten meist nur bedingt Multimedia. Häufig beschränken sie sich deshalb noch auf den linearen Transport von Text und Grafik. Sie ermöglichen ein kooperatives Lernen mehrerer Teilnehmer zur selben Zeit überall auf der Welt. Im Gegensatz zu CBTs lassen sich die Inhalte kurzfristig ändern. Sie sind deshalb besonders für Lernsequenzen geeignet, bei denen Aktualität und Flexibilität wichtig sind.
Virtuelle Seminare ersetzen zunehmend das Präsenztraining und sind meist Teil eines umfassenden Bildungsangebotes. Das Selbstlernen unterstützt ein Learn- Management-System (LMS), das dem Schüler hilft, vom Präsenztraining über das CBT bis zum WBT alle Kurse im Web zu buchen. Zudem ermöglicht das LMS dem Tele- Tutor, die Fortschritte der Kursteilnehmer zu verfolgen. Funktionen wie Chat-Module oder virtuelle Klassenzimmer erlauben die synchrone Kommunikation mit anderen Kursteilnehmern; für weniger aktuelle Themen stehen asynchrone Mechanismen wie Newsgroups oder Diskussionsforen zur Verfügung.