Viele Unternehmen haben bereits in dieses Thema investiert, ohne den erzielbaren Nutzen in Gänze gehoben zu haben. Die Bewertung des Reifegrades einer Enterprise Content Management Lösung (ECM) und die daraus abzuleitende ECM-Strategie bietet monetär messbares Potenzial für die Optimierung der eigentlichen Kernprozesse einer Organisation.
Aus diesem Grund steht das Thema Enterprise Content Management wieder auf den Agenden der Unternehmen, obwohl dieses Thema gerne als unterstützende Technologie verstanden wird und oftmals lediglich als Etablierung einer Standard-Software-Plattform umgesetzt wurde. Die anhaltende Konsolidierung der Anbieter am Markt durch Übernahmen wie etwa von FileNet durch IBM, aber auch die teilweise unbestimmte Investitionssicherheit der Plattformen einiger Hersteller sorgen für das Hinterfragen der etablierten aktuellen Produktstrategie im ECM-Umfeld in Unternehmen und Organisationen. Zusätzlich werden die vorhanden Insellösungen hinsichtlich ihrer Betriebskosten beleuchtet, wo neben den nahe liegenden Hard- und Software-Betriebskosten ein nicht unerheblicher Anteil auf der Personalseite identifiziert wird. Eine geeignete ECM-Strategie tut also Not.
Was sollte Bestandteil einer solchen ECM-Strategie sein und was ist ein geeigneter Weg für die Implementierung? Der Ansatz lediglich eine Produktauswahl zu treffen, einen Architekturabgleich durchzuführen und dabei weder eine Analyse des Informationsbestandes, des aktuellen Einsatzbereiches einer fachlich funktionalen Lösung noch die Harmonisierung mit der Geschäfts- und IT-Strategie des Hauses durchzuführen, wird zwangsläufig dazu führen, dass der Nutzen dieser Lösung nicht ausgeschöpft wird. Das "Einschlafen" der Projekt- und Entwicklungsaktivitäten ist oft die Folge. Aus diesem Grund haben viele ECM-Lösungen ein negatives Image, was allerdings meist auf eine falsche Einführungsstrategie denn auf Unzulänglichkeiten der Technologie selbst zurückzuführen ist. ECM stellt zwar ein mittlerweile hoch entwickeltes und komplexes technologisches Framework bereit, das aber nur im Zusammenhang mit den Prozessen und der zugrunde liegenden Fachlichkeit den erwarteten Mehrwert schaffen kann.
Im Rahmen der Strategiedefinition sind insbesondere die möglichen Einsatzbereiche innerhalb der Organisation zu identifizieren und lokale Einsparungspotenziale zu quantifizieren. Hierbei wird eine ausschließliche Betrachtung des Content - in Relation zu den Investitionskosten - keinen relevanten Nutzen darstellen können. Dies wird erst möglich, wenn eine prozessuale Betrachtung, also ein ganzheitlicher Ansatz, "gefahren" wird.
Der Reifegrad entscheidet
Die Bewertung zahlreicher Projekte zeigt es: Die reine Nutzung als elektronisches Archiv zum Beispiel im SAP-Umfeld oder als Ablage von Office-Dokumenten bietet keinen wirtschaftlichen Anreiz. Deshalb werden oftmals die rechtlichen Anforderungen als Motivator für ECM-Aktivitäten im Archivumfeld herangezogen. Dies ist zwar für den Start eines ECM-Projekts in Ordnung, führt aber häufig dazu, dass weder das Nutzenpotenzial voll ausgeschöpft, noch die Initiative konsequent bis zu einem hohen Reifegrand umgesetzt wird.
Mit einem eigenen ECM-Maturity-Modell können sich Unternehmen helfen. Organisationen, die entlang dieses Modells eine tiefe Integration in die Prozesse und die bestehende IT-Landschaft vornehmen, und so auf Basis der technischen Möglichkeiten die medienbruchfreie Übergabe von Informationen innerhalb der Prozesse etablieren sind in der Lage, die Rahmenbedingungen für die effektive Nutzung von ECM-Technologie zu befördern. Eine hochintegrierte, gut strukturierte, modulare Lösung senkt die Prozesskosten und Durchlaufzeiten. Durch die Nutzung von Shared-Services ggf. mit der Einbindung von Dienstleistern für nicht wertschöpfende Tätigkeiten, wie beispielsweise bei Inputmanagement-Prozessen, können weitere Kostenvorteile realisiert werden.
Die klassischen Startpunkte für ECM-Initiativen sind die SAP-Archivierung, die Automatisierung von Rechnungseingangs-Prozessen und das Vertrags-Management. Der wirkliche Mehrwert entsteht jedoch erst bei der Nutzung von Prozessunterstützung mittels Business Process Management-Tools die heute in allen ECM-Standardprodukten enthalten sind. Erst durch einen Postkorb bzw. eine automatisierte Vorgangsbearbeitung werden Prozessdurchlaufzeiten reduziert, nicht durch eine elektronische Bereitstellung von Informationen.
Die Integration weiterer Informationskanäle, wie Mail, Fax oder branchentypische Kommunikationssysteme, erlauben eine vollständige Sicht auf einen Kunden, Vertrag oder ein Produkt. Sobald alle diese Informationen zentral und elektronisch vorliegen, ist die Basis für die Umsetzung eines effizienten Records Managements und damit die Einhaltung von Compliance gelegt. Damit erreicht eine Organisation die höchste Reifegrad-Stufe im Rahmen des ECM-Maturity-Modells.
Die Strategie muss stimmen
Glücklicherweise muss kein Unternehmen und keine Organisation bei Null anfangen, sondern kann auf Basis seiner bestehenden Infrastruktur beginnen und entsprechend seines Geschäftsmodells und seiner akuten Bedürfnisse agieren. Wichtig ist aber die Definition der geeigneten Strategie und der Ableitung und konsequente Umsetzung der Implementierung des Vorhabens.
Mit Hilfe eines ECM-Maturity-Modells können branchenspezifische Einschätzungen und Benchmarks genutzt werden, um organisationsspezifische Startpunkte und Zielvisionen für das jeweilige Unternehmen zu identifizieren. Banken beispielsweise betrachten die Repositories autark und sehen die BPM-Ansätze eher als Add-On. Versicherungen hingegen, haben die Contents mit dem eigentlichen Prozess schon sehr tiefgehend integriert und vernetzt. Hier steht derzeit die Integration mit den Bestandsführungssystemen und die Anbindung der vor- und nachgelagerten Prozesse - Scannen, Texterkennung und spätere Postversand - im Vordergrund, um eine weitere Stufe innerhalb des Reifegrad-Modells zu erreichen.
Im Public-Umfeld war durch das DOMEA-Konzept die stufenweise Einführung von ECM-Technologie zwar früh geplant, aber viele Vorhaben sind mittlerweile ins Stocken geraten. Organisationen aus dem Sozialversicherungsbereich hingegen haben von Beginn an die Kombination von Prozessen und Content - also einer höheren Stufe im Reifegradmodel - adressiert und ihre Ziele durch die Einführung von ECM-Technologie erreichen können.
Fazit
Der Reifegrad einer ECM-Lösung ist ein wesentlicher Messpunkt für die wirtschaftlich erfolgreiche Nutzung von ECM-Technologie - die Strategiedefinition deshalb ein Muss.
Die Auswahl der Anwendungsbereiche und die Identifikation der für ECM-Technologie relevanten Prozesse sind von viel größerer Bedeutung für die Definition der Strategie als beispielsweise die rechtlichen Rahmenbedingungen, da diese interpretierbar sind. Des Weiteren ist die Identifikation möglichst vieler Anwendungsbereiche für die ECM-Technologie sinnvoll, um so die Kosten entsprechend zu verteilen und den Nutzen nicht auf Basis einer Lösungsinsel rechnen zu müssen.
Der Einsatz eines Enterprise Content Management-Systems ist visionär und perspektivisch zu planen und muss gleichzeitig mit der aktuellen IST-Situation abgestimmt werden, um so schnelle Ergebnisse und damit die Akzeptanz im Unternehmen zu erzielen. Mit der Harmonisierung von ECM-Aktivitäten innerhalb der Organisation wird zudem sichergestellt, dass keine Hindernisse für die Umsetzung der vollständigen ECM-Vision entstehen.
Ein ECM-Maturity-Modell stellt Ansatzpunkte und Visionen klar und einfach dar und erlaubt so die stringente und effiziente Umsetzung der einzelnen Vorhaben bei gleichzeitiger Messbarkeit des Nutzens, ohne nur auf Transport und Liegezeiten verweisen zu müssen.
André Vogt ist Senior Manager bei der Steria Mummert Consulting AG.