Führungskräfte suchen ebenso wie ganze Teams ihren Rat: die Berlinerin Barbara Strohschein arbeitet in ihrer philosophischen Praxis als Coach, außerdem schreibt sie Erzählungen und Theaterstücke. Ihr neues Buch "Die gekränkte Gesellschaft" ist eine Auseinandersetzung mit dem Leiden an Entwertung und dem Glück durch Anerkennung. Strohschein will das Buch als philosophische Anleitung verstanden wissen. Mit CIO.de sprach sie über Kränkungen im Arbeitsleben - und darüber, was man dagegen tun kann.
CIO.de: Frau Dr. Strohschein, über den Humor von TV-Serien wie Stromberg, in denen ein Kotzbrocken von Chef die Hauptrolle spielt, oder T-Shirts mit dem Aufdruck "Ich Chef, Du nix" lässt sich streiten. Sie zeigen aber eines: Viele Menschen scheinen zu glauben, dass Kränkung und Entwertung zum Arbeitsleben "nun mal dazugehören". Warum ist das so?
Barbara Strohschein: Grundsätzlich ist Humor eine gute Sache. Wird er aber mit Abwertung verknüpft, bleibt mir das Lachen im Halse stecken. Es hat nichts mit Humorlosigkeit zu tun, abwertende Witze nicht lustig zu finden. Solche Fernsehsendungen oder Shirts zeigen: Entwertungen passieren einfach so und unbemerkt, dass sie widerspruchslos hingenommen werden. Kränkung und Abwertung gelten deshalb als etwas Selbstverständliches.
CIO.de: Manche Experten führen Burnout-bedingte Krankheiten nicht nur auf ein zu großes Arbeitspensum zurück, sondern auch auf Schwierigkeiten zwischen Mitarbeitern und ihren Vorgesetzten. Was können Führungskräfte tun?
Barbara Strohschein: Das Arbeitspensum stellt in der Tat nicht das Problem dar. Das weiß ich aus Beratungsgesprächen mit Führungskräften. Belastend für alle ist vielmehr die fehlende Anerkennung in der Arbeitswelt. Der erste Schritt zur Lösung wäre, dass sich die Vorgesetzten bewusst machen, dass nicht nur ihre Mitarbeiter, sondern natürlich auch sie selbst sich Anerkennung wünschen. Denn das ist zutiefst menschlich.
CIO.de: Wie geht es dann weiter?
Barbara Strohschein: Wenn dies bewusst wird, kann ein weiterer Schritt folgen: Die Mitarbeiter nicht als bloße Funktionsträger zu sehen, sondern als lebendige Menschen mit eigener Biographie. Die Lebensgeschichte wird nicht an der Tür ins Büro abgegeben, sondern in den Arbeitsprozess hineingetragen. Frühere familiär bedingte Kränkungen werden in Konfliktsituationen am Arbeitsplatz reaktualisiert - und schon entstehen Probleme. Ein wunder Punkt ist getroffen. Um die aktuellen Konflikte auf eine sachliche und produktive Weise zu lösen, können Führungskräfte sich Unterstützung durch einen Berater holen.
CIO.de: Woran erkennt man einen guten Berater?
Barbara Strohschein: Ein guter Berater ist empathisch, analysiert die Konflikte, hat eine gute wissenschaftlich fundierte Ausbildung, orientiert sich an ethischen Prämissen und respektiert jeden, mit dem er zusammenarbeitet. Sein oberstes Ziel: Die Ursachen von Konflikten zu erkennen, sie gemeinsam mit den Betroffenen zu lösen, die Mitarbeiter zu ermutigen und fördern und sie nicht lediglich als Leistungsträger zu "trainieren". Das wäre eine Reduktion und Funktionalisierung, die mit verkappten Entwertungen gleichzusetzen sind. Anerkennung, faire Kritik und authentische Kommunikation sind Ziele, die allen zugute kommen und die Motivation und die Freude an der Arbeit erhöht. Mit Gutmenschentum hat dies nichts zu tun, sondern mit "gesundem Menschenverstand" - für den Erfolg eines Unternehmens.
CIO.de: Was beinhaltet für Sie eine gute Unternehmensberatung?
Barbara Strohschein: In meinem Werte-Modell konzentriere ich mich auf fünf Themenfelder, das heißt, Schwerpunkte mit entsprechenden Methoden und Übungen:
Menschenbilder und der Wert des Menschen: Welche Vorstellungen vom Menschen prägen das unternehmerische Handeln?
Wertschätzende Kommunikation: Wie kann kommuniziert werden, um Probleme zu lösen und Aufgaben zu bewältigen?
Werteorientierte Unternehmenskultur: Welche gemeinsam gelebten Commitments tragen zu einer guten und vertrauensvollen Atmosphäre bei?
Sinngebende Philosophie: Hier geht es darum, herauszuarbeiten, welche Sinnorientierung die Mitarbeiter motiviert.
Verantwortungsbezogene Visionen: Ein Unternehmen, das sich gesellschaftlich verantwortlich zeigt und zukunftsorientiert handelt, fördert Zusammenhalt und Engagement der Mitarbeiter.
CIO.de: Woran orientieren sich diese Themen?
Barbara Strohschein: Unter anderem an der Tatsache, dass jeder Mensch Sinnerfahrungen braucht, um gern zu leben und zu arbeiten. Das sind nicht nur Ergebnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen, sondern zudem Erfahrungswerte. Ich bringe in meinem Buch Fallbeispiele, wie auch gestresste Führungskräfte sich fragen: Warum tue ich das alles?
Chefs sind keine Therapeuten
CIO.de: Gerade Menschen in Führungspositionen beklagen oft, heute würden zu hohe Anforderungen an sie gestellt: man soll einerseits klare Vorgaben machen, also durchaus Autorität zeigen, dann aber soll man wieder Coach und Mentor sein, außerdem Verständnis aufbringen für die Sorgen der Mitarbeiter…
Barbara Strohschein: Man darf nicht die Ebenen verwechseln: Ein Chef ist kein Therapeut! Er muss sich doch nicht die Aufgabe zuschreiben, seine Mitarbeiter zu coachen. Wenn ein Vorgesetzter über Menschenkenntnis verfügt, empathisch ist, auf authentische Weise Autorität ausübt, wird er gut führen können und von seinen Mitarbeitern geschätzt werden. Das kann man durchaus lernen, wenn man bereit ist, die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
CIO.de: Glauben Sie, dass Frauen anders führen?
Barbara Strohschein: Frauen wird vielleicht mehr Kompromissbereitschaft zugetraut. Aber trifft das wirklich durchweg zu? Sicher nicht. Ich finde, wir können uns langsam von den tradierten Männer- und Frauenbildern verabschieden, weil sie den Blick auf die Qualitäten jedes einzelnen Menschen verstellen. Wir können außerdem nicht davon ausgehen, dass in jeder Frau ein mütterlicher Beschützerinstinkt steckt und die Bereitschaft, immer nachzugeben. Warum auch? Frauen haben im System genauso zu funktionieren wie Männer.
Der Einfluss der Generation Y
CIO.de: Zurzeit ist in Deutschland viel von Wertewandel die Rede. Insbesondere die jungen Menschen der so genannten Generation Y suchen im Arbeitsleben mehr nach Sinn und Wertschätzung, weniger nach konventioneller Karriere und Status, so die These. Das Y steht ja auch für "Why". Was denken Sie darüber?
Barbara Strohschein: Dieser Trend zeigt an, dass künftig andere Werte gefragt sind, und das sehe ich positiv. Ich beobachte bei jungen Leuten, gerade auch bei digitalen Entscheidern, Interesse für neue Formen des Miteinanderumgehens und auch viele offene Sinnfragen. Generation Y kann jedoch die Arbeitsstrukturen nicht nachhaltig verändern. Nach wie vor gelten Leistungserbringung und Profitmaximierung als oberste Ziele. Deshalb wir müssen uns als Gesamtgesellschaft die Sinnfrage stellen. Diese Sinnfragen lassen sich nicht allein durch gleitende Arbeitszeiten, durch scheinbar familiär eingerichtete Büroräume und Wellnessmöglichkeiten am Arbeitsplatz beantworten.
CIO.de: Warum ist eigentlich das Thema Kränkung so stark tabuisiert? Was wünschen Sie unserer Gesellschaft für den künftigen Umgang damit?
Barbara Strohschein: Kränkung ist immer a-kommunikativ. Wer offen zugeben würde, gekränkt zu sein, läuft Gefahr, als "schwach" abgewertet zu werden. Kränkungen schluckt man eben einfach herunter und lässt sich nichts anmerken. Doch dabei bleibt es eben nicht: Wer gekränkt wird, kontert im Gegenzug damit, den anderen zu entwerten, um sich dann etwas "mächtiger"zu fühlen. Das setzt eine negative Spirale in Gang. Eine der schlimmsten Effekte von Entwertung ist Mobbing.
CIO.de: Was ja nicht nur psychische Schäden verursacht …
Barbara Strohschein: Wenn ein Unternehmen Mobbing als eine der schlimmsten Formen der Entwertung nicht ernst nimmt, wird es einen hohen Preis - auch ökonomisch - in Kauf nehmen müssen. Entwertung macht Menschen krank. Entwertung verursacht hohe Kosten, Anerkennung kostet nichts. Anerkennung kann man allerdings nicht abfordern. Aber man kann sich nach und nach bewusst machen, wie furchtbar Entwertungen wirken und wie förderlich Akzeptanz und Respekt sind. Also wünsche ich mir vor allem einen Bewusstwerdungsprozess.