"Die neue Normalität ist noch nicht absehbar, aber wir müssen anfangen, uns auf sie zuzubewegen." Dieses Zitat eines CIO zeigt: Die Auswirkungen der COVID-19-Krise sind schwer zu prognostizieren. Trotzdem müssen IT-Chefs jetzt darüber nachdenken, wie sie die erste Welle des Krisenmanagements überwinden können. Der CIO muss an strategischem Profil gewinnen und entscheidend mit zur treibenden Kraft werden, um das Unternehmen zukunftssicher aufzustellen. Doch CEO, Vorstandskollegen und der CIO selbst unterschätzen oft, welche Herausforderungen ein Aufstieg in die Unternehmensspitze mit sich bringt. Denn wer IT kann, kann noch lange kein Topmanagement.
Drahtseilakt im C-Level
60 Prozent der neuen Mitglieder im Vorstandsteam bestätigen im Rückblick, dass sie sich nicht intensiv genug auf ihre neue Rolle vorbereitet haben. Dabei ist das Managen ihres eigenen Geschäfts noch der einfachere Teil der Aufgabe. Der Aufstieg in das Team an der Spitze stellt sie vor ganz neue Herausforderungen: Sie müssen ihre Einheit kurzfristig zu Resultaten führen - und gleichzeitig den langfristigen Erfolg des Gesamtunternehmens sichern. Sie müssen das Commitment der IT-Mannschaft stärken - und trotzdem zu Trade-off-Entscheidungen zu Lasten der eigenen Einheit bereit sein. Und sie müssen Vertrauen zu ihren Peers im Team aufbauen - und aktiv den produktiven Konflikt suchen. Der Aufstieg in die Unternehmensleitung ist ein Drahtseilakt, der selbst erfahrenen C-Executives zu schaffen macht.
Zwei Drittel aller neuen Mitglieder in der C-Suite bleiben in ihrer Wirkung in den ersten sechs bis zwölf Monaten hinter den eigenen und den Erwartungen anderer zurück. Nicht aufgrund mangelnder Kompetenz, sondern durch unbewusstes (Fehl-)Verhalten schwächen viele Aufsteiger ihre Führungskraft. Friktion, Frustration und psychischer Stress verleiten sie, sich ausschließlich auf die harten WAS-Themen zu fokussieren: "Welches strategische Potenzial hat die IT für unser Unternehmen?" Fragen nach dem ebenso entscheidenden WIE werden leicht ignoriert: "Wie arbeite ich mit meinen Kollegen im Vorstand zusammen, um die WAS-Themen zu stemmen? Wie baue ich Vertrauen auf?" Diese Fragen sind umso relevanter als ein CIO gerne als "Trojanisches Pferd" vom CEO in das Team geholt wird: "Digitalisierung" lautet die offizielle Aufgabe, gewollt ist aber eine "tiefgreifende strategische Transformation". Um hier wirksam zu werden, müssen CIOs verstehen, dass das Team an der Spitze ganz eigenen Regeln folgt.
Teams an der Spitze ticken anders
C-Level-Führungskräfte sind entschlossene, hochkompetente Spitzenleister, zutiefst überzeugt von ihrer eigenen Rationalität, mit oft bewährten Denkroutinen und Erfolgsmustern. Diese Alphas sind ein starker Aktivposten für jedes Unternehmen - und zugleich ein enormes Risiko. Denn ihre hohe Kompetenz erzeugt paradoxerweise eine kollektive Schwäche: Unter Druck entwickeln sie Verhaltensmuster, die zerstörerisch auf Zusammenarbeit wirken, zum Beispiel Dominanz, Aktionismus, Rivalität. Stärken kippen ins Extreme, Entscheidungsfreudigkeit wird zu Aktionismus, Kampfgeist zu Dominanz.
Ausgerichtet an rigoroser Priorisierung als Überlebensstrategie in einer VUKA-Welt folgen Teams aus Alphas typischerweise bestimmten kollektiven Autopiloten, die dem Fortschritt des Unternehmens schnell schaden können. Topmanagement-Teams sind strukturell "Nicht-Teams", nur lose verkoppelt durch eine abstrakte Mission oder Finanzziele. Die Alpha Manager hier verstehen sich daher primär als Repräsentanten ihres jeweiligen Bereichs. Steigen IT-Seniors in solch eine Gruppendynamik ein, stoßen sie unvorbereitet schnell an ihre Grenzen. Im Folgenden werden sechs typische Muster in Führungsteams beschrieben, die den "rationalen Manager" kennzeichnen. Neue C-Level-Executives müssen sie verstehen und sollten sie durchbrechen.
Typische C-Level-Muster verstehen
1. "Fakten, Fakten, Fakten" (Rationale statt emotionale Intelligenz)
Topmanager sind typischerweise rationale Vollprofis mit hoher analytischer Intelligenz. Ihre Währung sind rein objektive Fakten. Und dies obwohl persönliche Sichtweisen und zwischenmenschliche Spannungen den Erfolg des Teams positiv oder negativ beeinflussen.
2. "Volle Kraft voraus" (Aktion statt gemeinsame Reflexion)
Topmanager sind handlungsorientiert. Wenn schnelle Entscheidungen zum Maßstab für effektives Handeln werden, bleibt keine Zeit für selbstkritische Reflexion im Team. Jedes strategische Thema wird vorrangig behandelt. Reflexion birgt das Risiko, die eigene Rolle zu destabilisieren.
3. "Bloß keine Experimente" (Routinen statt adaptives Lernen)
Handeln nach Routinen ist eine der wichtigsten Erfolgsstrategien von Topmanagern. Sie funktionieren normalerweise in schnell abrufbaren Routinen. Adaptives Lernen durch kritisches Hinterfragen und Reflektion muss bewusst trainiert werden.
4. "Wer nicht für uns ist …" (Pseudokonsens statt produktiver Konflikt)
Spitzenteams sind Meister darin, offene Konflikte zu vermeiden. Eine sachliche Fehde könnte die Büchse der Pandora öffnen und Veränderung auslösen. Aus Angst vor der Konkurrenz im Team halten sich viele mit ihrer Meinung über eigene Probleme oder die Leistung der anderen zurück.
5. "Das war so nicht vereinbart" (Ziele festlegen statt Vorbild sein)
Gibt es ein Problem, verwenden Topmanager selten das Wörtchen "Ich". Dass eine Führungskraft Leuchtturm ist und zu jeder Zeit und mit jedem Verhalten - ob positiv oder negativ - als Vorbild dient, unterschätzen viele. Jeden Tag Vorbild zu sein, ist anspruchsvoll und anstrengend.
6. "Auf Biegen und Brechen" (Ergebnisse statt Prozesse)
Sichtbare Ergebnisse (WAS) haben höchste Priorität. Es geht um vorzeigbare Entscheidungen und konkrete Vereinbarungen. Die Qualität des kollaborativen Prozesses oder des Dialogs (WIE) steht nicht im Fokus und ist dennoch Schlüsselfaktor für ein erfolgreiches Spitzenteam.
Nach der Akutphase der Corona-Krise
Hier gegenzusteuern ist in der Corona Marathon-Krise erfolgsentscheidend. In den ersten Wochen war akutes Krisenmanagement gefordert. Auf mittel- und langfriste Sicht liegt der Fokus aber nicht nur auf der rationalen, sondern auf der emotionalen Kompetenz. Das Team muss "physische Distanz bei gleichzeitig enger emotionaler Verbundenheit" in der Führungsarbeit praktizieren.
CIOs als Neueinsteiger in den Vorstand stehen also unter doppeltem Druck: Sie müssen das neue Führungsverständnis des Teams an der Spitze mitgestalten - und die digitale Neuausrichtung des Unternehmens vorantreiben. Technologie muss das Geschäft aktiv voranbringen, oftmals selbst zum Geschäft werden. Umso wichtiger ist, dass CIOs ihre neue strategische Rolle in vier Ausprägungen verinnerlichen. Wenn sie diese Klaviatur beherrschen, werden sie zu legitimen Anwärtern auf die Führung von Unternehmen in einer technologieorientierten Geschäftslandschaft. Waren in der Vergangenheit die Finanzchefs die "üblichen Verdächtigen" für die Nachfolge auf den CEO-Posten, könnte künftig durchaus der CIO in der Pole-Position stehen.
Vier Rollen im neuen Selbstverständnis des CIO
1. Business Leader - tiefes Verständnis der geschäftlichen Herausforderungen
Damit digitale Technologien auf den Gesamterfolg des Unternehmens einzahlen, muss der CIO die ganzheitliche Geschäftsstrategie nicht nur verstehen, sondern aktiv mitgestalten. CIOs, die diesen Sprung auf die strategische Augenhöhe schaffen, erfüllen ihre Rolle als Business Leader: Sie übernehmen Verantwortung für Umsatz, erarbeiten sich ein tiefes Verständnis für die Geschäftsrealitäten und wissen, wie die Märkte ticken.
2. Changemanager - aktive Verbindung mit dem Unternehmen
Um die strategische Transformation voranzutreiben, muss der CIO sich nicht nur als Business-Leader verstehen, sondern auch als Changemanager. Er muss sich tief in das Unternehmen integrieren: er muss (auch) an die Basis gehen - sich mit Geschäftsleitern aus allen Bereichen vernetzen und auszutauschen, Ziele und Probleme verstehen und Erwartungen an die beste Zusammenarbeit klären. Aufgabe des CIOs ist es, der Mannschaft und dem Topteam zu vermitteln, dass die IT nicht länger als Dienstleister agiert, sondern echter Partner und treibende Veränderungskraft ist. Geschäftsorientierte CIOs sehen die Abhängigkeiten außerhalb der IT quer durch das ganze Unternehmen und betrachten Veränderung als dynamischen Prozess.
3. Kulturrevolutionär - Förderung der Zusammenarbeit
CIOs, die eine aktive Rolle bei der Gestaltung des Unternehmens übernehmen wollen, müssen Vorreiter für neue Formen der Kollaboration sein: Um die Wirkung des CIOs und den Einfluss der IT zu erhöhen, kann es nötig sein, Teams aufzulösen, sie anders auszurichten und enger an die Unternehmensspitze zu binden. Die IT muss neue Aufgabenfelder bespielen, ungewohnte Wege einschlagen, Datenhoheit aufgeben, ihren Teil zum Thema Recruiting oder Weiterbildung beitragen. Wer etwa Maßnahmen zum Aufbau der Gemeinschaft und zum Wissensaustausch einführt, beispielsweise Hackathons, Dev-Days oder Brown-Bag-Meetings, gestaltet nicht nur die Kultur des Unternehmens nach innen, sondern auch das Image der IT nach außen.
4. Technikdolmetscher - Gestaltung neuer Geschäftsperspektiven
Viele Unternehmen sind gebrannte Kinder: Oft haben sich IT-Transformationen als teuer, aufwendig und wirkungslos erwiesen. Um hier neues Vertrauen zu schaffen, müssen CIOs aktive Aufklärungsarbeit betreiben: Sie halten die Mitarbeiter über Technologien und ihre Anwendungen auf dem Laufenden, ohne Expertensprache. Transformative CIOs begnügen sich nicht mit dieser einfachen, aber keineswegs oft gelebten Transfer-Rolle. Sie formulieren konkrete Vorschläge, um ein Geschäftsproblem zu lösen, zeigen alternative Handlungsoptionen auf. Kurzum: Sie machen deutlich, welche Auswirkungen bestimmte strategische Entscheidungen auf die Technik haben - und umgekehrt, wie Technik strategische Entscheidungen mitgestalten kann.
Diese vier Rollen machen nicht nur die Schlüsselfunktion des CIO in Unternehmen deutlich, sie offenbaren auch seine wichtigste innere Aufgabe. Er muss sich seiner unterschiedlichen Rollen bewusst sein und sie verinnerlichen. Das ist der entscheidende Schritt zum wirksamen C-Level-Executive: Die Position des funktionalen Fachprofis verlassen und sich zum strategisch selbst-bewussten Topmanager emanzipieren. Keine leichte Aufgabe. Doch gerade in dynamischen und hochkomplexen Zeiten ist es entscheidend, sich nicht vom Umfeld treiben zu lassen, sondern selbst Treiber und Gestalter zu werden.