Deutsche Manager verbarrikadieren sich auf ihrer Machtposition, statt ihr Wissen als Teil einer lernenden Organisation regelmäßig auf den neuesten Stand zu bringen. Günther H. Schust, Gastdozent an der Hochschule St. Gallen, fordert daher einen "Führungsschein für Führungskräfte". Im Gespräch mit CIO.de erklärt er, warum.
Herr Schust, warum brauchen wir einen "Führungsschein" für Entscheider?
Schust: Jeder zweite Mitarbeiter in den deutschen Unternehmen hat bereits innerlich gekündigt. Die Dunkelziffer gescheiterter, teuerer Projekte steigt ständig weiter. Am Ende zahlt immer mehr der engagierte Mitarbeiter die Zeche, durch Verlust seines relativ gering dotierten Arbeitsplatzes, weil durch Fehlentscheidungen so und so viel Millionen Euro in den Sand gesetzt werden. Deshalb ist es notwendig, dass Führungskräfte zukünftig ihr Denken, Wissen und Verhalten mit einem "Führungsschein" alle zwei bis drei Jahre auffrischen.
Warum tun sie das nicht sowieso, auch ohne Führungsschein?
Schust: Besonders stark fällt auf, dass Menschen sehr lern- und veränderungsarm sind. Sie verändern und lernen nur, wenn der Druck ungemein groß wird oder ihnen keine andere Wahl mehr bleibt. Insbesondere nutzen vor allem Führungskräfte ihre Stellung, um nichts mehr dazu lernen zu müssen. Damit wird immer weniger neues Wissen, das ein Unternehmen dringend benötigt, "produziert". Dabei ist es dringend nötig, dass Entscheider zwischen Führung und Nichtführung wechseln können. Sie müssen auf Augenhöhe mit ihren Mitarbeitern sprechen.
Was heißt das für die Personalführung?
Schust: Wir brauchen flache Hierarchien, um Team- und Projektarbeit erfolgreich zu gestalten. Zeitgemäßes Führen ist die sogenannte "supportive Leadership". Ziel dabei ist, dass Vorgesetzte ihre Mitarbeiter begeistern können, und sie zum besten Ergebnis unterstützen und damit zum Erfolg führen.
Wer ist geeignet, einen solchen Führungsschein auszustellen?
Schust: An der Hochschule St. Gallen gibt es ein solches Führungs- oder Unternehmerdiplom bereits. Es umfasst sowohl wissenschaftliche als auch praktische Inhalte. In Deutschland halte ich private Ausbildungsstellen innerhalb der einzelnen Branchen für geeigneter als die Universitäten. Allerdings scheitert es auch an der Angst vieler Unternehmen, ihr Wissen mit anderen - vor allem mit Wettbewerbern - teilen zu müssen. Was das angeht, benimmt sich Deutschland wie ein Kolonialland.
Kann sich die deutsche Wirtschaft das denn noch leisten?
Schust: Natürlich nicht. Nehmen sie die Automobilbranche: Angesichts der hohen Entwicklungs- und Herstellungskosten bleibt den Unternehmen gar nichts anderes mehr übrig, als ihr Wissen und Best Practice auszutauschen. Dabei zeigt der VW-Konzern, wie stark man davon profitieren kann: Porsche bringt das Kontinuierliche Verbesserungsprogramm (KVP) ein, Audi zeigt, wie man das Design verbessert, und so weiter. Das Ergebnis ist ein permanenter integrativer Lernprozess.
Change Management sträflich vernachlässigt
Ganz allgemein: Was fehlt deutschen Führungskräften?
Schust: Der antizipative 360-Grad-Blick. Die Frage, was den Kunden nicht morgen, sondern übermorgen interessiert, dominiert den Wettbewerb! So ist das Wichtigste für den Unternehmensfortschritt, dass Führungskräfte und Mitarbeiter die Kunden- und Umweltbedürfnisse antizipieren und schnellstens realisieren können. Ein systematisches internes und externes Wissens- und Innovationsmanagement sichert dabei das Überleben. Ein Manager mag fachkompetent sein, aber die Schulung der "Key-skills", wie Beziehungs-, Change-, Kreativitäts- und Projektkompetenz wird sträflich vernachlässigt. Gerade diese Fähigkeiten sorgen aber für den nachhaltigen Erfolg einer Führungskraft.
Glauben Sie nicht, dass die junge Generation an Führungskräften anders tickt?
Schust: Tatsächlich sehe ich an meinen Studenten, wie sehr sie eine umweltgerechte Vernetzungsgesellschaft wollen. Sie bringen Lern- und Veränderungsbereitschaft mit. Optimistisch bin ich trotzdem nicht. Denn in der Praxis werden die jungen Nachwuchskräfte im Hamsterrad des Unternehmensalltags ausgelutscht. So lange dort Controller und Juristen und Banker dominieren, werden innovative Querdenker und Visionäre ausgebremst.
Welche konkreten Schritte fordern Sie?
Schust: Eine Art konzertierte Innovations-Speerspitze mit voraus denkenden Brain-Unternehmen, Forschern, Banken und Investoren, die die anderen mitzieht. Die Aufgabe der Führungskräfte besteht darin, in ihren Betrieben und Organisationen einen virtuellen Campus für Wissen und Innovation zu schaffen, auf dem Führungs- und Fachkräfte situativ - wie im Sport auch - für das Gefühl der intelligenten und kreativen Team-Arbeit qualifiziert und trainiert werden, damit sie Veränderungs- und Wachstumspotentiale antizipieren und entfalten können.
Es hapert an der Umsetzung
Es geht um das Verbinden von Theorie und Praxis?
Mein Kollege Professor August-Wilhelm Scheer, Bitkom-Präsident, sagt folgendes, ich zitiere: "Mit ihrem formalen Output an Erkenntnissen ist die deutsche Wissenschaft erfreulich erfolgreich. Allerdings hapert es bei der Umsetzung. Entdeckungen und Erfindungen in Produkte zu übersetzen, die am Markt Erfolg haben - das ist nicht gerade unsere Stärke." Es ist daher höchste Zeit, dies zu ändern!
Günther H. Schust arbeitet als internationaler Personalmanager, Projektleiter und Lehrbeauftragter an den Hochschulen St. Gallen, Zürich-Winterthur, Hamburg-München und Kempten. Außerdem ist er Mitglied des Münchener Beratungsunternehmens Scopar (Scientific Consulting Partners).