Nicht immer liegt Larry Ellison bei der Einschätzung neuer Technologietrends richtig. So entdeckte Oracle seine Liebe zum Cloud Computing erst relativ spät. Dafür muss man Ellison zu Gute halten, dass seine Fähigkeit einmal festlegte Strategien exzellent umzusetzen, in der Branche nahezu unerreicht ist. So findet sich kaum ein Konkurrent, der in den letzten 24 Monaten ähnlich konsequent und aggressiv in das Lösungssegment "Digital Marketing" investiert hat. Mit der kürzlich bekanntgegebenen Übernahme der Firma BigMachines ergänzt Oracle sein Portfolio um einen wichtigen Baustein - cloud-basiertes Preis- und Angebotsmanagement zur Erhöhung von Flexibilität und Effizienz von Vertriebsteams.
Wer gibt mehr für IT aus - CIO oder CMO?
Nach Einschätzungen von Crisp Researchsind die derzeit am Markt kursierenden Voraussagen, dass die Marketingentscheider ("Chief Marketing Officer") in den kommenden Jahren mehr für IT ausgeben, als ihre Kollegen aus der IT-Abteilung ("Chief Information Officer") noch etwas zu optimistisch. Speziell in Deutschland sprechen die Zahlen derzeit noch eine andere Sprache. So stehen den derzeit 140,7 Milliarden Euro starkenIT-Budgets (Bitkom 2013) rund 7,2 Milliarden Euro an Online-Werbe-Ausgaben gegenüber. Der CIO wird also nicht sofort um seine Budgethoheit bangen müssen. Richtig ist allerdings, dass eine Vielzahl an Projekten und Services auf Initiative von Marketing und Vertrieb hin umgesetzt beziehungsweise angeschafft werden. So liegen die Entscheidungen und auch die Budgethoheit bei den Themen CRM, eCommerce, Firmen-Homepage, mobile Websites und Social Media klar bei den Marketing- und Vertriebsentscheidern.
In einer Welt, in der die Kundenbeziehungen inklusive Service und Support nahezu vollständig digitalisiert werden, zählen Marketing und Vertrieb zu den wichtigsten Kunden des CIOs. In einer Welt, in der ein Maus- beziehungsweise Smartphone-Klick über den Verkaufserfolg und die Profitabilität von Unternehmen entscheidet, sind neue IT-Konzepte und Service-Architekturen gefragt. Ob die Gelder zukünftig aus zentralen IT- oder Marketingbudgets beigesteuert werden, sollte erst einmal zweitrangig sein. Ein optimales Zusammenspiel von IT einerseits und Marketing sowie Vertrieb andererseits wird in den nächsten Jahren zunehmend zum Erfolgsfaktor. Und hier hat die IT-Organisation meist einigen Aufholbedarf. So gibt es in der Tat nur wenig andere Unternehmensbereiche, die schon ähnlich viele IT-Aufgaben an externe Partner (Digitalagenturen, Webentwickler, Hosting Companies,SaaS Provider etc.) ausgelagert haben. Was also ist zu tun?
Die "Enterprise Digital Marketing Platform" - was macht der CMO, was der CIO?
Kunden zu gewinnen, zu begeistern und nachhaltig zu betreuen ist kein leichtes Geschäft. Vor allem die Kombination verschiedener Kommunikations-, Verkaufs- und Service-Kanäle in sogenannten "Multi-Channel-Konzepten" macht vielen Unternehmen Kopfzerbrechen. Sollen doch kontextabhängig immer die richtigen Kunden-, Produkt- und Preisinformationen verfügbar sein. Dies stellt hohe Anforderung an die Integration all derjenigen Software-Lösungen, CRM-Module und Cloud-Services, die an diesem Zusammenspiel beteiligt sind. Um Kunden bei dieser Herkulesaufgabe zu unterstützen und einen Teil der Integrationsarbeit "built-in" mitliefern zu können, haben die großen IT-Anbieter begonnen, ihre Solution Portfolios im Bereich "Digital Marketing" auszubauen.
Aus Perspektive von Crisp Research werden in den nächsten zwei Jahren die Produktbereiche CRM, eCommerce und Online Marketing noch stärker miteinander verzahnt und schlussendlich zusammenwachsen. Anwender werden ihre Marketing- und Vertriebsaktivitäten zukünftig als Plattformen designen und großen Wert auf standardisiertes Daten- und Schnittstellenmanagement legen. Die wichtigsten Lösungs- und Handlungsbereiche auf der zukünftigen "Enterprise Digital Marketing Platform" sind folgende (siehe Abbildung).
Wesentliche Innovationen kommen derzeit aus den Bereichen Marketing und Sales Automation, Social Media sowie User Experience Management. In diesen Bereichen sind auch die meisten Akquisitionen durch die IT-Majors wie Oracle, SAP und Co. zu verzeichnen. Die derzeitigen Bemühungen der großen Anbieter, ihre "Blind Spots" im Digital Marketing Portfolio zu schließen, treiben die Bewertungen der potenziellen Zielunternehmen deutlich in die Höhe. Venture Capital-Investoren dürfen sich in den kommenden 12-18 Monaten wohl noch über den einen oder anderen Exit freuen.
Oracle im Shopping-Rausch - Digital Marketing als strategischer Fokus
Oracle ist derzeit erfolgreich dabei, seine Transformation vom klassischen Datenbank- und Unternehmenssoftware-Anbieter hin zum globalen Cloud Provider voranzutreiben. Der Fokus auf digitales Marketing und digitales Verkaufen ist dabei wohl nicht nur dem Faible von Larry Ellison für das Thema "Sales" zu verdanken, sondern vielmehr der Einsicht, dass in diesem Bereich dynamisches Marktwachstum (größer 25 Prozent) und hohe Margen aufeinandertreffen. Ein Umstand den sich derzeit viele reine IaaS-Anbieter für ihr Geschäft herbeisehnen.
Von den insgesamt 26 Akquisitionen, die Oracle in den Jahren 2011, 2012 und 2013 getätigt hat, entfallen neun auf den Bereich Digital Marketing. So wurde vor der Übernahme des Sales-Automation-Spezialisten BigMachines zuvor bereits in den Content Marketing-Anbieter Compendium (Oktober 2013) und den Marketing-Automation-Anbieter Eloqua (Dezember 2012) investiert. Zwar bedeutet Unternehmenskauf nicht gleich vollständige Integration. Aber das Digital-Marketing-Portfolio von Oracle muss nach den letzten Übernahmen eindeutig als eines der komplettesten bezeichnet werden.
Inwiefern sich deutsche Anwender vor dem Hintergrund der aktuellen Sicherheitsdebatte auf Cloud-Services "made in the USA" einlassen, bleibt abzuwarten. Vom langfristigen Trend hin zu flexiblen und nutzerfreundlichen Digital Marketing Services wird Oracle auf jeden Fall profitieren.
Die aktuelle Übernahme von BigMachines bringt überdies eine spezielle Funktionalität ins Oracle-Portfolio ein, mit der bislang nur wenige andere Wettbewerber aufwarten können. So bietet BigMachines ein cloud-basiertes Preis- und Angebots-Management, das es Vertriebsmitarbeitern und Sales Managern ermöglicht, flexibel und einheitlich Preis- und Angebotsanpassungen vorzunehmen, um schlussendlich die Vertriebszyklen zu verkürzen.
Oracle - Elefant im Porzellanladen oder neues Digital Powerhouse?
Dass Oracle eine eigene "Social-Relationship-Management"-Lösung im Portfolio hat, hätten bis vor kurzem nur wenige Anwender und Brancheninsider vermutet. Zu stark prägt noch das Bild der "alten Oracle" den Blick der Anwender auf das aktuelle Software- und vor allem Cloud-Services Portfolio. Speziell im deutschsprachigen Markt (DACH-Region) gilt Oracle weiter als hart verhandelnder und brutal lizenzkostengetriebener IT-Infrastrukturlieferant für die klassischen Datenbank-und Unternehmensanwendungen. Weniger als Lösungs- und Transformationspartner für die neue Digitale Welt. Dies muss sich ändern, wenn Oracle seine Digital Business und Marketing-Solutions mit dem gleichen Erfolg verkaufen will, wie seine Datenbank-Lizenzen. Denn die Anwender brauchen zum heutigen Zeitpunkt neben soliden Produkten zudem Unterstützung und Know-How bei der Planung und Umsetzung ihrer Digital Business-Initiativen. Um sich als einer der Marktführer in dieser Disziplin zu etablieren und gegen Salesforce durchzusetzen, braucht es deshalb mehr als gut gemachte Produktunterlagen. Ein Story, nachhaltige Kommunikation und Partner, die die digitale Welt verstehen.
Mit dem aktuellen Portfolio greift Oracle den Marktführer Salesforce frontal an. Ob die Strategie im deutschsprachigen Raum zum Erfolg führt und welche Rolle IBM, SAP und Microsoft spielen, wird in einem weiteren Beitrag erläutert.
Dr. Carlo Velten schreibt auf Computerwoche als Experte zu den Themen Cloud-Platforms und -Developers, Enterprise Cloud Management und Digital Business. Als IT-Analyst berät er seit 15 Jahren Anwender bei der strategischen Planung und Umsetzung ihrer IT-Strategien. Er ist Managing Director von Crisp Research in Kassel.