Spätestens als der Himmel über Hamburg ein strahlendes Blau aufbot, war klar, dass der Tag auch sonst Außergewöhnliches bringen würde. Mehr als 2.000 jubelnde Airbus-Mitarbeiter, ein Flieger mit Duschen und goldgeränderten Fernsehern sowie ein Scheich mit einem Auftrag über 13 Milliarden Dollar im Gepäck - die Auslieferung der ersten A 380 an Emirates Ende Juli im Hamburger Airbus-Werk wurde für den Flugzeugbauer zur erhofften Riesenfete.
Mareike Heinrich (25) war an dem Tag nicht dabei; als Projektkoordinatorin im Chief Engineering kümmert sie sich um kleinere Vögel wie die A 320. Doch das erhebende Gefühl, "aus dem Fenster zu schauen und einen Flugzeugrumpf vorbeirollen zu sehen, an dem man mitgearbeitet hat und der kurz darauf am Himmel zu sehen ist", dieses Gefühl ist der Wirtschaftsingenieurin vertraut.
Es ist ein Grund, warum sie sich für Airbus entschieden hat. "Ich wollte in ein international aufgestelltes Unternehmen mit technisch spannenden Produkten", sagt die zierliche Blondine mit Sonnenbrille im schulterlangen Haar. Bereut hat sie die Entscheidung nicht; schon nach einem Jahr übernahm sie die fachliche Leitung für zwei Entwicklungsbereiche.
Hohe Bekanntheit, ein emotionales Produkt, frühe Verantwortung - im Ranking der besten Arbeitgeber gehört der Airbus-Mutterkonzern EADS damit zu den Topaufsteigern 2008. Besonders die raren Ingenieure "wissen zu schätzen, dass wir nicht zum hundertsten Mal Flugzeug X bauen, sondern immer technisches Neuland betreten", meint Dietrich Büscher, der das Personalmarketing bei Airbus verantwortet. Das allein, räumt Büscher ein, reiche natürlich nicht: "Das Image als Arbeitgeber ist von so vielen Faktoren abhängig, das lässt sich nicht wirklich planen."
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Und doch versucht eine rasant wachsende Zahl von Firmen genau das. Kampagnen wie "Be Lufthansa" oder "Passion Wanted" von McKinsey sind nur die bekanntesten Beispiele für den systematischen Aufbau eines Arbeitgebers zur attraktiven Marke. "Employer Branding" erlebt in Zeiten zunehmender Knappheit an Fach- und Führungskräften einen regelrechten Boom.
Denn im Kampf um die Talente reicht es nicht mehr, bei Recruiting-Veranstaltungen die "Fantastischen Vier" auftreten zu lassen (Bertelsmann) oder ein Büro in Berlin zu unterhalten, wo es zwar kaum Geschäft gibt, man aber nah dran ist an der begehrten jung-kreativen Intelligenzija (Boston Consulting Group). "Die Unternehmen sind von Umworbenen zu Werbenden geworden", sagt Professor Franz-Rudolf Esch, der an der Universität Gießen das Institut für Marken- und Kommunikationsforschung leitet, "die Strahlkraft der Arbeitgebermarke wird kriegsentscheidend sein für die Mitarbeitergewinnung."
Konzerne entwickeln Employer-Werbung
Doch wie entsteht eine Arbeitgebermarke? Und was unterscheidet sie eigentlich von der Produktmarke?
Sebastian Turner, Partner der Werbeagentur Scholz & Friends, sitzt in Sarah Wieners "Speisezimmer" in einem sonnigen Berliner Hinterhof und hat eine schlechte Nachricht für alle Employer-Brand-Jünger: "Eine Arbeitgebermarke ist in erster Linie vom Erfolg der Produktmarke abhängig": siehe Porsche ( im Ranking 2008 Platz eins bei den Wirtschaftswissenschaftlern oder Audi ( Platz eins bei den Ingenieuren). Entsprechend ist fast allen Unternehmen unter den Top Ten der beliebtesten Arbeitgeber gemeinsam, dass sie zu den Marktführern in ihrer Branche zählen. "Absolventen wollen immer in einem 'winning team' arbeiten", sagt Claus E. Heinrich, Personalvorstand bei SAP.
Doch Turner wäre nicht einer der bekanntesten Werber Deutschlands, hätte er nicht auch noch eine gute Nachricht parat: "Eine Arbeitgebermarke ist leichter zu steuern als eine Produktmarke, weil man die Adressaten viel gezielter und direkter ansprechen kann."
Das funktioniert oft über das Produkt - viele der oberen Ränge im Ranking gehen an Firmen, deren Erzeugnisse uns im Alltag ständig begegnen. Nicht immer jedoch ist diese Verbindung zwangsläufig: Konsumartikler wie Procter & Gamble oder Beiersdorf kommunizieren vor allem einzelne Marken; der Konzern als Arbeitgeber tritt dahinter zurück - schließlich kann man sich nicht bei Ariel oder Nivea bewerben.
Deshalb haben die meisten Konzerne längst eigene Employer-Werbung entwickelt. Sie stecken Millionenetats in Internetseiten, Anzeigen oder Auftritte an Unis und Bewerbermessen. Das Ziel: Bekanntheit schaffen. Doch die "awareness", ja selbst Grundlegendes wie Gehalt oder Jobsicherheit sind nur das Grundrauschen, mit dessen Hilfe man hoffentlich ins "relevant set" der Zielgruppe kommt.
"Der eigentliche Markenaufbau passiert aber im Alltag, in der Firmenkultur und durch die Mitarbeiter als Multiplikatoren", sagt Professor Esch. So rangieren die großen Wirtschaftsprüfer trotz spröder Produkte seit Jahren in den Top Ten des Rankings - weil sie durch Mundpropaganda ein Image als Karrieresprungbrett aufgebaut haben. "Einige Firmen haben den Multiplikatoreffekt lange aber auch sträflich unterschätzt", sagt Holger Koch, Geschäftsführer des Beratungsinstituts Trendence, das die Rankings erstellt. Accenture etwa, im Jahr 2000 noch als Andersen Consulting unter den Top Ten, entließ kurz darauf Hunderte Mitarbeiter. Heute steht das Unternehmen auf Platz 58 - und kämpft mit aufwendigen Bewerber-Events mühsam um die verlorene Reputation.
Ein klassischer Fehler: "Nur dann ins Image zu investieren, wenn gerade akuter Bewerbermangel herrscht, ist zu kurzsichtig", sagt Koch. Als Arbeitgeber eine Marke aufzubauen braucht Geduld: Selbst Senkrechtstarter Google , in den USA oder Großbritannien längst Liebling der Rankings, ist dieses Jahr erstmals auch in Deutschland auf der Liste, dank coolen Images und legendärer Nebenleistungen wie üppigen Buffets, Getränken und Eis - alles gratis natürlich.
Unternehmen mit dem besten Image
Auch Audi benötigte fast 20 Jahre, um den Opa-mit-Hut-Stempel abzustreifen. Koch spricht von einer "orchestrierten Aufholjagd": Das Hauptthema - Innovation - zog sich von Erfindungen wie dem Audi quattro über eine komplett neue Modellpalette bis hin zur Kommunikation nach außen. So wird etwa im Geschäftsbericht auf das Abschneiden im Ranking verwiesen - vor zehn Jahren noch undenkbar, heute notwendig.
Es ist zusätzliche Munition im War for Talent. "Die Bewerber sind sich ihres Marktwerts inzwischen viel stärker bewusst und verhandeln zunehmend auf Augenhöhe", so Koch. Dabei ist etwa ein gutes Gehalt "nicht mehr als eine selbstverständliche Bedingung", wie SAPler Heinrich sagt, "für die Differenzierung vom Wettbewerb ist die Firmenkultur viel wichtiger". Auch erfahrene Mittelmanager "achten heute mehr auf das Arbeitsumfeld, auf Internationalität, Talentförderung und fairen Führungsstil", beobachtet Christine Stimpel. Die Deutschland-Chefin der Personalberatung Heidrick & Struggles ist sogar überzeugt: "Je höher die Hierarchie, desto wichtiger die Arbeitgebermarke, denn eine Topkraft schaut weniger auf das Produktimage als ein Absolvent."
Wie eine klassische Marke zieht auch eine Arbeitgebermarke ihre Attraktivität aus ihrer Einzigartigkeit. Beliebtes Beispiel unter Experten sind die Unternehmensberatungen. Weil sie wie kaum eine andere Branche von der Qualität ihrer Mitarbeiter abhängig sind, waren sie die Pioniere des Employer Brandings. Ihr Trick: Eine Schwäche - extrem harte Arbeitsbedingungen - haben sie in eine Stärke umgewidmet: Wir sind ein elitärer Klub, der nur die besten der Besten nimmt. "Diese Strategie zahlt sich doppelt aus", sagt Stimpel, "die Kunden sehen, dass sie von klugen Köpfen beraten werden - Absolventenwerbung ist gleichzeitig Produktwerbung. Und: Durch den Exklusivitätsanspruch werden die Bewerber vorselektiert."
Image und Realität zur Deckung bringen
Trotz der schon kleinen Zielgruppe bleibt Platz zur Differenzierung: Marktführer McKinsey gibt den harten Macher mit spitzen Ellbogen - nicht umsonst ist das Unternehmen nach einer Einzelperson benannt. Boston Consulting dagegen tritt als "Group" auf, betont eher das Emotionale und Kreative.
Nur: Um hervorzuheben, wofür man steht, muss man zuerst wissen, was man ist. "Am Anfang jedes Employer Brandings steht das Commitment des Managements und das Erforschen der eigenen Identität", sagt Trendence-Geschäftsführer Koch. Ist das Klima jugendlich-kumpelig wie bei Ikea oder hierarchisch wie bei Siemens? Auf die Antwort bauen dann auf: Ermittlung des Status quo, Definition von Zielgruppe und Markenkern, schließlich die Kommunikation.
Vor dieser Aufgabe stand im Spätsommer 2007 Ulrich Weber, Personalvorstand eines zusammengewürfelten Konglomerats aus Degussa , Steag Hamatech und RAG Immobilien - des Neukonzerns Evonik. "Wir hatten die seltene Chance, eine Arbeitgebermarke quasi am Reißbrett entwerfen zu können." Weber, ein halbes Dutzend Evonik-Mitarbeiter sowie die Agenturen KNSK und Xeo druckten Chemiker und Ingenieure auf Anzeigen, die den Kopf merkwürdig schief hielten. Claim: "Gesucht: Querdenker und andere Talente". In dem Mischkonzern wird an Lithium-Ionen-Batterien ebenso gearbeitet wie an Erdwärmeanlagen und Niedrigenergiehäusern. "Die Vielfalt ist unsere Stärke", sagt Weber. "Wir haben viele kleine Einheiten, die Freiräume bieten für kreatives Denken."
Den Markenkern zu finden, war vergleichsweise leicht ("der kreative Industriekonzern") - doch konnte Evonik auch halten, was die Hochglanzwerbung versprach?
Weber und seine Leute unterzogen den Claim dem Praxistest und ließen ihn mehrfache Schleifen durch die Belegschaft drehen, bis er passte.
Um das Unkonventionelle, den "menschlichen Aspekt" auch der umworbenen Zielgruppe gleich beim wichtigen Erstkontakt zu demonstrieren, schlug Evonik im Bewerbermanagement neue Wege ein: Auf der Firmen-Homepage finden sich Ansprechpartner für die Karriereberatung.
Echte Menschen mit direkter Durchwahl, die in 60 bis 70 Gesprächen pro Tag erklären, welche Chancen man etwa mit einem Physikexamen, Schwerpunkt Nanotechnologie hat (gute nämlich). Der ungewöhnlich direkte Draht zahlt sich aus: 5.000 Absolventen jedes Jahr wollen bei Evonik querdenken, Tendenz steigend.
Gute Produktmarke allein reicht nicht
Image und Realität zur Deckung zu bringen, hält Experte Esch für den wichtigsten Aspekt einer Arbeitgebermarke. "Sie sollte klar die Werte und Kultur eines Unternehmens spiegeln. Strahlende Potemkinsche Dörfer aufzubauen, führt nur zu Frust." Beispiel BMW: Viele Jahre an der Spitze des Ingenieur-Rankings, sind die Münchener in diesem Jahr auf Platz drei gerutscht. Die aktuellen Modellprobleme sind ein Grund - vor allem aber die Lücke, die sich aufgetan hat zwischen der hemdsärmelig-unkomplizierten Außendarstellung und der bürokratischen Realität, über die in Ingenieurkreisen gestöhnt wird. So schmolz der Vorsprung der stolzen Bayern über Jahre dahin: Einst wählte jeder Fünfte BMW zum beliebtesten Arbeitgeber; aktuell sind es nur noch 14 Prozent.
Gerade die Autoindustrie zeigt: Nur eine gute Produktmarke reicht nicht gegen starke Konkurrenz. "Einsteiger wollen im Job etwas bewegen, sich beweisen", sagt Heinrich. Für den SAP-Vorstand ist das die Chance, ein grundlegendes Recruiting-Problem zu lösen: Seine Software ist nicht so greifbar wie ein Porsche 911. Deshalb kooperiert die Walldorfer Programme-Schmiede mit vielen Unis; als Honorarprofessor und auf Absolventenmessen bemüht sich Heinrich persönlich, den Studenten die Welt von SAP näherzubringen: Sicher, wir schreiben Programme, sagt er dann, aber diese Programme revolutionieren ganze Branchen. Und vor allem: "Hier könnt ihr selbstständig arbeiten. Wir geben Aufgaben, aber schreiben euch nicht vor, wie sie zu lösen sind."
Ein moderner Führungsstil, den man mögen muss. Wer detaillierte Anweisungen erwartet, wäre bei SAP wohl falsch. "Eine Arbeitgebermarke ist immer auch ein Abgrenzungssignal", sagt Headhunterin Stimpel. "Sie soll weniger alle High Potentials ansprechen, sondern vor allem die, die auch zur Kultur der Firma passen: die Right Potentials."
Employer Branding
Sind die Signale missverständlich, bewerben sich die Falschen. Die Folge: unnötiger Aufwand und Frust bei den Abgelehnten - die leider gleichzeitig auch Kunden sind. Das sind dann die unerwünschten Nebenwirkungen einer schlecht gemanagten Arbeitgebermarke: Wer von Audi eine Absage erhält, kauft sich lieber einen Daimler.