Zeit und Geld sind knappe und wohl die wertvollsten Güter überhaupt. Wie es scheint, nimmt im Vergleich der relative Wert der Zeit gegenüber dem Geld zu - zumindest in der immer größeren und wichtigeren Welt der Projekte. Bereits vor über einem Jahrzehnt prägten die französischen Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaftler Ève Chiapello und Luc Boltanski den Begriff der "Projektifizierung".
Der Trend zur Projektarbeit hat sich seither sicherlich verstärkt. Und mit ihm zunächst einmal das Gefühl, dass insbesondere die rar gesäten Wissensarbeiter der jungen Generation Y nicht alleine mit rein monetären Anreizen zu ködern sind, sondern eine flexible Arbeitszeitgestaltung wünschen.
Dieses oft unscharfe, aber trotzdem äußerst präsente Phänomen subsummiert die GPM Gesellschaft für Projektmanagement in einer aktuellen Studie so: "Tendenzen zeigen an, dass zukünftig die Arbeitszeit zu einem Schlüsselfaktor auf dem Weg innovativer und erfolgsorientierter Projektmanagemententwicklungen werden könnte."
Ein Wochentag Mehrarbeit
Eben jene Studie bringt an dieses Hypothesen-Skelett empirisches Fleisch. Die Studie "Arbeitszeit in Projekten" beleuchtet unter Federführung der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg gemeinsam mit der GPM das Verhältnis von Arbeits- und Lebenszeit. Zwei Fünftel der gut 100 Befragten sind übrigens Frauen, größtenteils unter 40 Jahren.
Offenbar wird das Projektmanagement hierzulande immer weiblicher. Diesen Trend beleuchtet eine zweite GPM-Studie mit dem Titel "Frauen im Projektmanagement". Verfasserin ist Yvonne Schoper, Professorin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
Die Autoren der Arbeitszeit-Studie - die Magdeburger Professorin Sibylle Peters und ihr Kollege Jörg von Garrel von der SRH FernHochschule Riedlingen - legen ihren Fokus auf die Unterschiede zwischen drei Arbeitszeit-Aspekten: erstens der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit, zweitens der tatsächlichen Arbeitszeit und drittens der von den Projektmitarbeitern gewünschten Arbeitszeit.
Die Fragestellung spiegelt die Ambivalenz des Themas wider. Denn einerseits gibt es die erwähnte Präferenz der Mitarbeiter für Flexibilität, andererseits aber auch die Schattenseite der Selbstausbeutung durch überlange tatsächliche Arbeit beziehungsweise ein Gefangensein im permanenten Arbeitsmodus. Aus Unternehmenssicht besteht ein anderes Problem, nämlich der Kontrollverlust über das Quantum an geleisteter Arbeit.
9 Überstunden pro Woche
Laut Studie sagt lediglich ein Drittel der Befragten, dass sich vertraglich vereinbarte und tatsächliche Arbeitszeit entsprechen. Eine deutliche Mehrheit berichtet also von einer deutlichen Diskrepanz. Im Durchschnitt beziffern die Befragten die über ihre vertragliche Vereinbarung hinausgehende Mehrarbeit auf 9 Stunden pro Woche.
Ein gespaltenes Bild zeigt sich, wenn man die von den Projektmitarbeitern präferierte Arbeitszeit in den Blick nimmt. Die eine Hälfte sagt, dass die tatsächliche Arbeitszeit ihrer gewünschten Arbeitszeit entspricht. Die andere Hälfte hätte es gerne, dass die Einhaltung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit Wirklichkeit wäre.
Der Befund lässt sich weiter konkretisieren. Im Durchschnitt sind 37,5 Arbeitsstunden pro Woche vertraglich vereinbart (Maximum: 45 Stunden), tatsächlich wird nach Angaben der Befragten 48,28 Stunden pro Wochen gearbeitet (Maximum: 90 Stunden). Die gewünschte Arbeitszeit beträgt im Durchschnitt 36,42 Wochenstunden (Maximum: 50 Stunden) und liegt somit leicht unterhalb des in Verträgen üblichen Wertes.
Drei Viertel der für die Studie Befragten sind in ihren Projekten mit wissensbasierten Tätigkeiten beschäftigt. Fast 80 Prozent arbeiten seit mehr als zwei Jahren in ihrer derzeitigen Organisation. Für 57 Prozent liegen vertragliche Zielvereinbarungen vor. 78 Prozent der Befragten streben eine souveräne Gestaltung ihrer Arbeitszeit an - unabhängig von ihrer privaten Situation und von ihrem Alter.
Dieser Wunsch geht laut Studie leichter in Erfüllung, wenn eine längere Organisationszugehörigkeit gegeben ist. "Arbeitszeit kann dann ungleichmäßig auf Arbeitstage verteilt werden", heißt es in der Studie. "Arbeitszeitkonten im Kontext von Zielvereinbarungen regeln dieses."
Mehr Freiräume in externen Projekten
Extern in Auftrag gegebene Projekte sind tendenziell souveräner gestaltet als interne Projekte. "Es müssen weniger Termine mit Kollegen berücksichtigt werden, es gibt seltener Arbeitszeiterfassungssysteme und es gibt weniger Erfordernisse, die Arbeit an einem bestimmten Arbeitsort zu verrichten", erläutern Peters und von Garrel.
Die vergleichsweise geringe Zahl der Studienteilnehmer macht die Wissenschaftler vorsichtig, was weitere Schlussfolgerungen angeht. Es "scheine" so, dass Ziele und Projektaufgaben klarer kommuniziert werden, wenn Arbeitszeitsouveränität vorhanden ist. Außerdem scheine diese mit mehr zwischenmenschlicher Interaktion und gegenseitiger Unterstützung bei beruflichen Problemen einherzugehen.
"Zielvereinbarungen scheinen einherzugehen mit mehr Ressourcenzuteilung und Arbeitszeitkontrolle, aber auch mit mehr Freiheiten im eigenen Aufgabenbereich der Personen, regelmäßigeren Projekttreffen, mehr Raum für Kooperationen und festeren Zeiten für Austausch", stellen die Autoren fest. Aus Unternehmenssicht unterstützen Zielvereinbarungen mutmaßlich Zufriedenheit und Unterstützung der Mitarbeiter, aber auch Standardisierung und die Erschließung neuer Märkte und Produkte.
3 Arten von Projekten
Die Studie ordnet die untersuchten Projekte in drei Kategorien ein: Investitionsprojekte, Organisationsprojekte und Forschungs- & Entwicklungsprojekte. Es gibt dabei durchaus Unterschiede, die indes alles in allem nicht wirklich dramatisch erscheinen. In Organisationsprojekten etwa ist der Austausch zwischen den Kollegen offenbar weniger wichtig als in den beiden anderen Projektarten. "Weiterhin stehen in Investitionsprojekten am wenigsten feste Zeiten für Austausch zur Verfügung", heißt es in der Studie.
Der allgemein unter Individualisierung gefasste Freiheitsgedanke finde sich in Diskursen zu Zeitsouveränität und Balanceinteressen von Arbeit und Privatphasen wieder, schlussfolgern die Autoren: "Insbesondere junge Hochschulabsolventen suchen 'Kooperationsgewinne' durch Nutzung von längerfristigen und zeitautonomen Handlungsspielräumen."
Frauenanteil überraschend hoch
Als besonders überraschend werten Peters und von Garrel den hohen Frauenanteil unter den Studienteilnehmern. "Die große Überraschung in der Untersuchung ist, dass Frauen mit einem Drittel in allen Projektformen gleich präsent vertreten sind ohne Signifikanzen hinsichtlich verschiedener Merkmale", präzisieren die Autoren.
Das bedeutet, dass es kaum nennenswerte Geschlechtsunterschiede bei den Studienergebnissen gibt. So äußern Frauen keine besonderen Wünsche hinsichtlich Arbeitszeitsouveränität. Die Hälfte der Studienteilnehmer hat Kinder, aber auch das gilt unabhängig vom Geschlecht. Einen Unterschied stellen die Autoren aber fest: "Frauen sind etwas häufiger in Investitionsprojekten anzutreffen, in denen eher als in den beiden anderen Projektformen fest vereinbarte Arbeitszeiten gegeben sind und diese auch weitgehend eingehalten werden."
Frauenanteil sinkt ab dem 40. Lebensjahr radikal
Allerdings sollte man diese Befunde nicht zu rosarot malen - auch im Lichte der Ergebnisse der zweiten GPM-Studie. Demnach fällt der zunächst hohe Frauenanteil in Projekten nach Erreichen des 40. Lebensjahres radikal ab. Offensichtlich scheiden dann jene Mitarbeiterinnen schlichtweg aus, die Familien- und Karriereziele nicht mehr als vereinbar betrachten.
"Nicht nur der Einkommensunterschied zwischen Projektmanagerinnen und Projektmanagern ist mit 16 Prozent noch immer signifikant groß in Deutschland", so die GPM zusammenfassend zu dieser Studie, die auf einer Sonderauswertung der GPM-Gehaltsstudie mit über 900 Teilnehmern beruht. "Die aktuelle Studie der GPM zeigt, dass die Situation der Projektmanagerinnen im Vergleich zu den männlichen Kollegen hinsichtlich Ausbildung, Karrierepfade, Zufriedenheit, Motivation und Gehalt in der heutigen globalisierten Projektwirtschaft noch immer die traditionellen geschlechtsspezifischen Strukturen aufweist."
Diese Unterschiede offenbaren sich beispielsweise im Projektumfang nach Budget und Mitarbeiteranzahl. Männliche Projektleiter haben - zumindest auf der Direktoren- und Senior-Ebene - ein höheres Budget zur Verfügung als ihre Kolleginnen. Auf der höchsten Ebene beträgt der Unterschied durchschnittlich 4 Millionen Euro. Männer leiten auch die Projekte mit größerer Mitarbeiterzahl - jedenfalls auf höheren Leitungsebenen.
Derweil gibt es auch von zwei erfreulichen Trends zu berichten. "Gerade die gut qualifizierten jungen Frauen unter 30 Jahren entdecken zunehmend das Berufsfeld Projektmanagement für sich", berichtet die GPM. Es sei in den kommenden Jahren davon auszugehen, dass der Anteil der Frauen im Projektmanagement deutlich zunehmen wird.
Teamplayerinnen besonders erfolgreich
Außerdem entdecken Frauen mit geistes-, sozial- oder wirtschaftswissenschaftlichem Hintergrund das Projektmanagement als Brückenqualifikation. Sie erschließen sich dadurch neue Karriereoptionen in den MINT-Unternehmen in der IT-Branche, in der Automobilindustrie, in Unternehmen der Elektrotechnik und im Maschinenbau.
Studienautorin Schoper geht davon aus, dass es insbesondere Teamplayerinnen nach oben schaffen. "Durchsetzungsstarke Frauen wirken sowohl auf Frauen als auch auf Männer eher unsympathisch und werden entsprechend eher negativ beurteilt als freundliche, kollegiale Teamplayerinnen", heißt es in der Studie. Dies könne auch die Gehaltsunterschiede auf höheren Stufen der Karriereleiter erklären: Die potenziell harten Verhandlerinnen schaffen es gar nicht so weit hoch.
In Zukunft könnten sich aber tradierte Rollen verändern. "In dieser Studien können wir erstmals nachweisen, dass Frauen mit 3-5 Jahren Berufserfahrung im Projektmanagement mehr verdienen als ihre männlichen Kollegen", so Schoper. "Sie sind höher qualifiziert, sprechen mehrere Sprachen, verfügen über Auslandserfahrungen und treten selbstbewusst auf - sie sind Vertreterinnen der 'Generation Y'." Abzuwarten bleibe, ob auch die Generation ab dem 35. Lebensjahr auf dem Karriereweg tendenziell ausgebremst werde, so wie es bislang die Regel war.