Alle Jahre wieder erwischt es uns kalt: Kurz vor Jahresschluss herrscht im Büro der Überstress. Projekte, die monatelang vor sich hindümpelten, sollen plötzlich alle bis Silvester fertig sein. Zielvereinbarungen und Budgetplanungen stehen an, Kunden melden sich alle zeitgleich, Chefs stehen kopf und Teams rotieren.
Keine Frage: "Gegen Ende des Jahres bricht in vielen Firmen Torschlusspanik aus", sagt Thomas Kremer, Geschäftsführer der b-k-p Consulting in Kronberg im Taunus:"Der gespürte Druck kommt von allen Seiten." Und er erzeugt Hochspannung im ganzen Haus. "Nach den Herbstferien sehen viele Mitarbeiter ihre letzte Chance, im ablaufenden Jahr noch schnell etwas Produktives abliefern zu können", so Kremer. "So können sie dann mit dem guten Gefühl persönlicher Produktivität ins neue Kalenderjahr starten."
Und tatsächlich: Von Oktober bis Dezember wird in deutschen Firmen richtig reingehauen. In den vergangenen zehn Jahren schaufelten die Arbeitnehmer im letzten Vierteljahr stets mehr weg als in den anderen Quartalen (Ausnahmen: die beiden Krisenjahre 2008 und 2012). Das zeigt die Statistik des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Im Dienstleistungssektor lässt sich das Dezemberfieber sogar an der Arbeitszeit ablesen. Laut Statistischem Bundesamt in Wiesbaden wird dort im Laufe des Jahres zu keiner Zeit mehr gearbeitet als in den letzten drei Monaten des Jahres.
Doch wie übersteht man den Jahres-Endspurt ohne organisatorische und nervliche Abstürze? Unser Sieben-Punkte-Plan zeigt IT-Managern den Weg durch den permanenten Deadline-Dschungel in Q4.
1. Deadlines? Ja, bitte!
Termin- und Leistungsdruck haben keinen guten Ruf. Insgesamt 52 Prozent aller Angestellten hierzulande klagen laut "Stressreport Deutschland" der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin darüber. Doch Fristen können auch Energien freisetzen. "Für Perfektionisten kann Druck sogar ein Segen sein", sagt Brigitte Scheidt, psychologische Psychotherapeutin und Coach in Berlin. "Deadlines helfen, in Fahrt zu kommen und bei der Arbeit endlich ein Ende zu finden."
Das findet auch Christian Peter, Projektleiter beim IT-Beratungsunternehmen itelligence in Bielefeld. "Von der Jahresendfrist sind alle gleichermaßen betroffen, und jeder kann sich rechtzeitig auf sie einstellen", so der 44-Jährige. "Dass man nichts von der Deadline 31. Dezember gewusst hat, zieht als Argument nirgendwo."
So kann der schöpferische Turbo rechtzeitig angeworfen werden. "Wer auf Arbeitsspitzen vorbereitet ist", so Produktivitätsberater Kremer, "kann den Druck besser in Produktivität umsetzen - anstatt wertvolle Energie durch Kopflosigkeit zu verlieren."
2. Bitte Abstand halten
Der Arbeitsdruck in der Wirtschaft steigt. "Firmen stehen in zunehmendem Wettbewerbs- und Profitabilitätsdruck", so Natalie Lotzmann, Vice President im Global Health Management beim Walldorfer IT-Riesen SAP. "Immer mehr Arbeit muss mit immer weniger Ressourcen in immer kürzerer Zeit geschafft werden." Von diesem Trend kann sich kein Mitarbeiter abkoppeln. Trotzdem muss die wachsende Arbeitslast niemanden erdrücken. Wer inneren Abstand wahrt und sich nicht in den Strudel aus Hektik hineinziehen lässt, gewinnt Souveränität und Ruhe.
Das Gute: "Den Umgang mit Drucksituationen kann man lernen", sagt Dagmar Ruhwandl, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Lehrbeauftragte an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der TU München. Dazu helfe es, sich an erfolgreiche Muster aus früheren Stresssituationen zu erinnern - und diese zu kopieren.
Peter macht es genauso. Jeden Freitag hält er sich grundsätzlich als Puffer von Terminen frei. So bleibt auch in Stressphasen genug Zeit für Unvorhergesehenes. Zudem macht er die Reiseplanung schon drei bis vier Wochen im voraus. Und seine Mitarbeitergespräche hat er auf das erste Quartal des nächsten Jahres verlegt. "Da haben wir alle mehr Ruhe und können ohne äußere Ablenkungen einen kühlen Kopf bewahren", so Peter. Und wenn die Jahresendhektik einem Geschäftspartner oder Kollegen mal zu Kopf steigt, hat der Projektleiter einen wertvollen Tipp parat: "Es gibt kein Problem, dass nicht bei einem Glas Glühwein gelöst werden kann!"
3. Denkinseln finden
Ein weit verbreiteter Irrtum: Schreibtischarbeiter sind am produktivsten in abgeschirmten Einzelbüros. Von wegen. "Zwei Drittel des Büroarbeitstages besteht heute aus Kommunikation - und stellt damit einen erheblichen Wertschöpfungsbeitrag dar", sagt Josephine Hofmann, Leiterin Competence Center Business Performance Management am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO Stuttgart. "Die eine optimale Arbeitsumgebung für Produktivarbeit gibt es daher nicht."
Je nach Aufgabe, Typ und Stimmung kann etwas anderes das Richtige sein. Einzelbüro, Großraum, Home-office. Oder auch die Arbeit in Café, Airport-Lounge oder ICE. Gut ist auf jeden Fall, die Auswahl zu haben. Lotzmann appelliert hier gleichermaßen an Arbeitgeber und Arbeitnehmer: "Firmen sollten Inseln der Entschleunigung anbieten. Aber suchen muss sich die dann im Bedarfsfall jeder Mitarbeiter selbst."
Thorsten Hübschen, verantwortlich bei Microsoft für das Office-Geschäft in Deutschland, hat seinem Team dafür extra einen halben Tag in der Woche reserviert. Am #Mythinkday soll Raum für neue Ideen und das große Ganze geschaffen werden - egal, ob im Wald, im Lieblingscafé oder im eigenen Wohnzimmer. Hübschen selbst nutzt den Herbst - inspiriert von der Natur - gern zur Rückschau. Zum Beispiel bei einem Spaziergang mit seinem Tablet durch den Englischen Garten in München. "Da frage ich mich dann, was noch zu ernten ist im Job", so der 40-Jährige. "Beim Rascheln durch das Laub kommen mir neue Ideen, die im Büro sicher länger gebraucht hätten."
4. Zum Teamflüsterer werden
Die gesetzten Deadlines sind Harakiri? Dann nichts wie hin zum Vorgesetzten und Auswege suchen. "Wer rechtzeitig Alarm schlägt, beugt bösen Überraschungen in der Abschlussphase des Projekts vor", so Beraterin Scheidt. Im Team können neue, realistischere Lösungen entstehen. Lässt sich möglicherweise eines der Projekte ins erste Quartal 2016 verschieben? Kann die Arbeit gestückelt auf mehrere Schultern verteilt werden? Können freie Mitarbeiter unterstützen?
Führungskräfte stehen hier in besonderer Verantwortung. "Vertrauendes und ermutigendes Führungsverhalten ist dabei der entscheidende Faktor." Diese Verantwortung spürt auch Hübschen. Nachdem sich der Jahreszyklus bei Microsoft durch eine rollierende Planung entzerrt hat, ist zwar ein wenig Druck aus Q4 herausgenommen. Doch daraus ergeben sich neue Anforderungen an die Führung - zumal die jährlichen Reviews für Januar vorbereitet werden müssen.
5. Zwischen Basar und Budgetmeeting
Im Herbst drängen sich auch die privaten Termine: Jahrmärkte und Schulkonzerte, Erntefeste und Adventsbasare. Dazu kommt die zunehmende Verflechtung von Arbeit und Privatleben. Kundentelefonate vom Handy, Mailen vom Smartphone, Meeting-Vorbereitungen nach dem "Tatort". Gemäß dem DGB-Index "Gute Arbeit 2013" erledigen 42 Prozent aller Beschäftigten auch außerhalb ihrer normalen Dienstzeiten unbezahlte Arbeit für ihren Betrieb.
Eine wichtige Sofortmaßnahme für die Abgrenzung von Arbeit und Vergnügen: "Die Ansprüche an sich selbst herunterschrauben", rät Psychotherapeutin Ruhwandl. "Absolut niemand - auch kein Vorgesetzter - verlangt von ihnen, Superman zu sein. Höchstens sie selbst." Unwichtigeren Dinge sollte man streichen, auslagern oder verschieben. IT-Berater Peter setzt im Dezember klare Grenzen: Die Werktage sind vollständig für die Arbeit reserviert, die Wochenenden für die Familie. Wenn er am ersten Advent zu Hause mit seinen Lieben gemütlich um den Adventskranz sitzt oder kurz vor Weihnachten mit ihnen zum Christbaumschlagen fährt, "dann sind das genauso heilige Termine wie die beim Kunden", so Peter.
6. Mit Flexi-Time jonglieren
Nine to five steht einer herbstlichen Arbeitsflut oft im Weg. Flexible Arbeitszeiten helfen hier. Falls der eigene Betrieb diese nicht anbietet, können IT-ler auch selber Ideen zur Arbeitszeitgestaltung einbringen. "Bei vorübergehend erhöhtem Arbeitsanfall gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten", erklärt Christian Schlottfeldt, Arbeitszeitberater und Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Arbeitszeitrecht in Berlin.
Erstens: Man vereinbart mit dem Arbeitgeber, für einen bestimmten Zeitraum Überstunden zu machen und diese dann etwa durch eine Freiwoche nach Ende des Projekts abzubummeln. Die zweite Möglichkeit: Man bucht die Überstunden auf ein Langzeitkonto: Wenn man nicht zeitnah frei machen kann, dann vielleicht in ein paar Jahren. Und dann vielleicht gleich als Sabbatical.
7. Pausen machen produktiv
Workout statt Burnout: Das gilt nicht nur für Bauch, Beine und Bizeps, sondern auch für den Entspannungsmuskel. "Bei hektischer Betriebsamkeit helfen Achtsamkeitsübungen, eine gesunde Distanz zur Arbeitsumgebung aufzubauen und sich nicht in den Stress hineinsaugen zu lassen", so SAP-Gesundheitsexpertin Lotzmann. Bereits eine regelmäßige Dreiminutenentspannung senkt die Ausschüttung von Stresshormonen wie Adrenalin und Cortisol - selbst in aktiven Arbeitszeiten. Also mal kurz weg vom Bildschirm und raus in die Welt. Zum Beispiel auf die Firmenterrasse, um in den Wolkenformationen Fantasiefiguren zu entdecken. Oder in den Stadtpark, um mit selbst gesammelten Kastanien Jonglieren zu üben.
Aber bitte die Messlatte nicht zu hoch legen! "Yoga in der Mittagspause muss nicht sein", warnt Burnout-Expertin Ruhwandl. "Nach acht Stunden Arbeit wird man das Büro realistischerweise eh nicht tiefenentspannt verlassen." Und Lotzmann weist auf einen weiteren wichtigen Entspannungshebel hin: "Der größte Schutzfaktor vor Negativstress", so die Gesundheits-Managerin, "ist immer noch die Freude an der Arbeit."