Die Weltmarke SAP werde es nicht mehr lange geben, witzelt man in der IT-Welt. Der Riese aus Walldorf preise seine In-Memory-Datenbanktechnologie HANA derart massiv bis penetrant an, dass eine Umbenennung in den irgendwie nach einer unwiderstehlichen Lady klingenden Produktnamen nur eine Frage der Zeit sein könne. Es ist nur ein kleiner Scherz, gewiss. Und dass es keine schlimmeren Gründe für eine SAP-Auflösung gibt, belegen die erneut zweistelligen Wachstumszahlen, die der Konzern am Mittwoch für das dritte Quartal veröffentlichte.
„Unsere Innovationsstrategie schafft auch weiterhin deutlichen Mehrwert und Spitzenergebnisse“, sagen die Vorstandssprecher Bill McDermott und Jim Hagemann Snabe dazu. SAP versetze Unternehmen in die Lage, Innovationen voranzutreiben, betriebliche Prozesse zu optimieren und zu wachsen. „Wir sind stolz auf unsere klare Kundenorientierung und sind zuversichtlich, dass wir weiterhin bessere Ergebnisse als unsere Wettbewerber erzielen werden“, so McDermott und Hageman Snabe.
„Irgendetwas macht SAP offensichtlich richtig“, kommentiert PAC-Analyst Frank Niemann die guten Zahlen. „Es gibt derzeit dort keinen Bereich, der wirkliche Probleme macht.“ Anders als der Dauerrivale Oracle habe SAP beispielsweise keine eigene Hardware-Sparte und profitiere deshalb in vollem Umfang von den positiven Entwicklungen im Software- und Service-Bereich. In den ersten neun Monaten des Jahres verbuchte SAP bisher Software-Erlöse von 2,72 Milliarden Euro und Support-Erlöse in Höhe von 6,07 Milliarden Euro. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das Zuwächse von 17 beziehungsweise 15 Prozent.
Die Zeit von Leo Apotheker ist überwunden
„Die Verwerfungen aus der Ägide Leo Apotheker hat SAP mittlerweile gut überstanden“, urteilt ebenso positiv Gartner-Analyst Christian Hestermann. Dies gelte für den zwischenzeitlichen Ärger mit Großkunden und langjährigen Partnern. Aber auch das Geschäft mit kleinen und mittleren Firma gestalte sich im angestammten Segment Enterprise Resource Planning (ERP) erstaunlich gut. Hier bringe eine Vielzahl kleinerer Deals Stabilität, die sich aufgrund des vergleichsweise niedrigen Lizenzvolumens pro Deal nicht unbedingt in den globalen Umsatzzahlen niederschlagen.
Zu einem gewissen Grad bürsten aber beide Analysten die rosarote SAP-Welt etwas gegen den Strich. So sind laut SAP-Mitteilung die Erlöse aus Cloud-Subskriptionen und -Support im dritten Quartal um das Zwanzigfache auf 80 Millionen Euro gestiegen. „Auch das Kerngeschäft der SAP wuchs solide“, heißt es weiter von Konzernseite. Schlüsselbranchen wie Handel, Gesundheitswesen, Fertigungsindustrie und Energieunternehmen hätten ebenso wie die Ausweitung des Vertriebes über SAP-Partner zum Wachstum im dritten Quartal beigetragen.
Anwenderwünsche müssen auf der Strecke bleiben
„Obwohl SAP momentan auf HANA, Cloud Computing und Mobile IT besonders stolz ist und dies wichtige Themen sind, bleibt doch vor allem das vom Volumen her viel größere Applikations- und Analytics-Geschäft die Basis des Erfolgs“, bemerkt dazu Niemann. Die Analysten bringen hier zumindest partiell Verständnis für die jüngst vorgetragene Kritik der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) auf, der Konzern möge sich wieder mehr um sein ERP-Rückgrat kümmern. Die DSAG-Verantwortlichen appellierten an SAP, sich wieder auf die alten Stärken integrierter Systeme zu besinnen, die in der Lage waren, Prozesse ganzheitlich abzudecken.
„Es ist nachvollziehbar, dass die ERP-Anwender hierzulande Verbesserungen in puncto durchgängige Prozesse innerhalb der ERP-Suite erwarten“, kann Niemann den Unmut der DSAG nachvollziehen. Allerdings sei die SAP-Strategie aus Sicht eines weltweiten Anbieters vermutlich die richtige. „Die hochgesteckten Wachstumsziele kann SAP nur durch globale Expansion und das Erschließen neuer Einsatzfelder erreichen“, urteilt der PAC-Analyst. Der deutschsprachige ERP-Markt sei im Großkundenbereich so reif wie kaum ein anderes Segment. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen an den Anbieter.
Innovationen meist zugekauft
Gartner-Analyst Hestermann pflichtet dem weitgehend bei. Schließlich sei SAP im ERP-Bereich hierzulande außergewöhnlich stabil aufgestellt. Den beinahe flächendeckenden Unmut der Anwender über die komplizierte bis undurchsichtige Lizenzierungspolitik des Konzerns versteht der Analyst allerdings. Zum Teil sei dies allerdings auch den vielen Zukäufen in jüngster Zeit geschuldet. SAP könne schwerlich überall günstige und einfache Bedingungen gewähren, ohne dabei Kunden mit schlechteren Altverträgen zu vergrätzen. „Vielleicht ist ein bisschen bedenklich, dass Innovationen bei SAP in letzter Zeit hauptsächlich zugekauft werden, während es innovative interne Ansätze wie Business ByDesign eher schwer haben“, so Hestermann weiter.
Am Erfolg der Walldorfer gibt es momentan allerdings nichts zu deuteln. „Das ist das elfte Quartal in Folge mit zweistelligem Wachstum der Software- und softwarebezogenen Serviceerlöse“, sagt ein sehr zufriedener Werner Brandt, Finanzvorstand der SAP. „Wir werden weiterhin unser operatives Geschäft diszipliniert führen und bleiben zuversichtlich für unseren Gesamtjahresausblick.“
Das Geschäft hat sich laut Konzernbericht in der Region Amerika sehr stark entwickelt. In der Region Asien-Pazifik-Japan erzielte SAP ein solides zweistelliges Wachstum. Im Vergleich zu sehr starken Ergebnissen im vergangenen Jahr hat die Region EMEA gute Ergebnisse erzielt. Die Nachfrage nach den neuen Innovationen der SAP habe sich in allen Regionen fortgesetzt.
Zum Teil wurden die guten Ergebnisse durch die Wechselkurs-Fährnisse noch aufgehübscht. Als Erklärung für laut nackten Zahlen erhebliche Einbrüche bei Betriebsergebnis und Gewinn nach Steuern kann SAP fast beiläufig auf Sondersituationen wie die Auflösung von Rückstellungen für den TomorrowNow-Rechtsstreit mit Oracle im vergangenen Jahr und den Zukauf von Sucessfactors und Ariba verweisen. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten weltweit stieg im laufenden Jahr um 12 Prozent auf über 61.000. Rund 2300 der 6800 neuen Stellen kommen laut Konzern wegen der Zukäufe zustande.
SAP gibt bei Business ByDesign kein Gas
Den Schönheitsfehler entdeckt Analyst Hestermann dort, wovon im Vergleich zum vergangenen Jahr heute kaum noch die Rede. Bei aller Cloud-Euphorie hat SAP sein einstiges Vorzeigeprojekt ein bisschen in die Schmuddelecke gestellt. „Die einzige Enttäuschung aus meiner Sicht ist, dass man bei Business ByDesign kein Gas mehr gibt“, sagt der Gartner-Experte. Nachdem SAP 2011seine eigenen Vorgaben erfüllt hatte, gehe man seither sehr verhalten an die vor allem an Mittelstand und Neueinsteiger gerichtete Gesamtlösung aus der Wolke heran.
Wie SAP mitteilt, wird man künftig getrennt über die Bereich On-Premise und Cloud berichten. Nach einhelliger Einschätzung Niemanns und Hestermann fällt die gesunkene Begeisterung für Business ByDesign mit dem Amtsantritt des neuerdings für den Cloud-Geschäftsbereich verantwortlichen Lars Dalgaard zusammen. Dahinter stecke offenkundig die strategische Neuausrichtung, beim Cloud Computing vor allem durch punktuelle Einzellösungen an Profil zu gewinnen.
144 Millionen Euro mit Cloud umgesetzt
Mit den Zukäufen von Successfactors für den Bereich Human Capital Management (HCM) und Ariba für die Bereich Procurement seien hier die ersten Schritte erfolgt. 144 Millionen Euro hat SAP nach eigenen Angaben im laufenden Jahr bislang mit Cloud-Subskriptionen und -Support umgesetzt. Es ist in dieser Dimension ein nahezu neues Geschäftsfeld. „Selbst wenn Successfactors für 2011 mit einbezogen wird, lag der Anstieg mit 116 Prozent im dreistelligen Bereich“, berichtet SAP.
Frank Niemann geht davon aus, dass hinter der Cloud-Neuaufstellung das richtige Kalkül steckt. Der Markt für Einzellösungen sei schlichtweg um ein Vielfaches größer als jener für ein integriertes Paket wie Business ByDesign. „Ein Selbstläufer wird das für SAP aber nicht“, warnt der PAC-Analyst. Denn SAP begebe sich hier in unbekanntes und auch unbequemes Neuland. Man konkurriere unter anderem mit etablierten Spezialanbietern wie beispielsweise Salesforce.com im Sement Customer Relationship Management (CRM). Bei Verkaufsgesprächen fehlt der bisherige Trumpf im Repertoire: der Verweis auf die Integrationsmöglichkeiten mit bestehenden SAP-Systemen. Anders gesagt: Wenn die Walldorfer in diesen isolierten Cloud-Märkten bestehen wollen, müssen sie besser sein als die Konkurrenz. Marktmacht alleine hilft an dieser Stelle nicht weiter.
„Mit einem Umsatz von 83 Millionen Euro für SAP HANA ist das Unternehmen auf dem besten Weg, das gesteckte Gesamtjahresziel von wenigstens 320 Millionen Euro Umsatz zu erzielen“, heißt es weiter im SAP-Quartalsbericht. „Mobile Lösungen trugen 48 Millionen Euro zum Umsatz bei und versetzen das Unternehmen in die Lage, das gesteckte Gesamtjahresziel von 220 Millionen Euro Umsatz zu erzielen.“
HANA läuft besser als erwartet
Das aktuelle Lieblingskind HANA gedeiht offenkundig prächtig. Weder PAC noch Gartner verhehlen, dass sie von der Entwicklung beeindruckt sind. „Die Anzahl der verkauften Projekte ist wahrscheinlich höher, als von SAP ursprünglich vermutet“, mutmaßt der Gartner-Analyst Christian Hestermann. Der Konzern habe sich mit offensiven Zielparolen wohl auch wegen der Erfahrungen mit Business ByDesign ja sehr zurückgehalten. Auch wenn die absoluten Zahlen auf den ersten Blick noch klein zu sein scheinen, sei die Bedeutung dieses guten Einstiegs für SAP enorm. Außerdem sei das Interesse auf Kundenseite ebenfalls groß.
Die Analysten betonen, dass man HANA nicht auf die superschnelle Datenbanktechnologie reduzieren dürfe. Anders als bisher sei auch die Analyse unstrukturierter Daten etwa aus dem Social Media-Bereich möglich. Darum sei als eines der ersten Weltunternehmen auch Coca-Cola schnell aufgesprungen, weil es für global agierende und endverbrauchernahe Firmen faszinierende Möglichkeiten der Marktanalyse gebe. Zudem sei HANA als Plattform für Applikationen aus allen möglichen Bereichen auch fernab des Analytics-Bereichs zu verstehen. „Auch wenn die Killer-Apps bisher noch nicht dabei sind“, so Hestermann.
Weitere Firmenkäufe sind zu erwarten
Im erweiterten Portfolio der SAP sei HANA die einzige wirklich hausgemachte große Innovation in jüngster Zeit, so PAC-Analyst Niemann. Im Bereich SaaS hat SAP hingegen vor allem auf Übernahmen gesetzt. „SAP muss diese vielen Erwerbungen erst einmal verdauen“, sagt Niemann. „Ich kann mir aber gut vorstellen, dass man bald weiter zukauft.“ Alleine an eine Übernahme eines großen ERP-Anbieters sei nicht zu denken.