Angesichts des Fachkräftemangels arbeiten derzeit viele Unternehmen an Strategien, wie man bereits in der Schule junge Talente identifizieren und für sich gewinnen kann, wie man einen Vorruhestand attraktiv und sozial verträglich gestaltet (gerade wieder "in") oder wie man eine Auszeichnung ergattert, die einen - zumindest nach außen- als großartiges Unternehmen erscheinen lassen. In der Hoffnung, das zieht junge Talente und High-Potentials an.
Das kostet viele Ressourcen (vor allem Zeit und Geld) und manchmal auch Nerven; denn die jungen Leistungsträger der Generation Y (nach 1979 geboren) haben so Ihre Ansprüche wie eine gute Entlohnung, Life-Balance, nette Kollegen, abwechslungsreiche Herausforderungen, flexible Arbeitsbedingungen, modernste Technologien und Unabhängigkeit.
Ausgleich statt Gehorsam
Und sie folgen anderen Werten, die häufig im Vorstellungsgespräch die Entscheider überraschen: während die Vorgänger-Generationen noch Ehrgeiz, Loyalität, Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein als wichtige Werte im Arbeitsleben sieht und nach Sicherheit strebt, haben sich die Bedürfnisse und die Einstellung der jungen Menschen verändert. Sie verbinden zum Beispiel mit Führungspositionen eher Stress, Druck und Machtkämpfe. Und das Familienleben ist ihnen so wichtig, dass sie dafür auch ein Unternehmen verlassen würden.
Diese Vorstellungen und Einstellungen schrecken viele Ältere im ersten Moment ab und erfordern von allen Beteiligten ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft und Toleranz. Führungskräfte, die sich schwer damit tut, Prozesse, Unternehmens- und Führungskultur kurzfristig an diese neuen Anforderungen anzupassen, sollten sich in der Zwischenzeit ihre eigenen, verdienten Mitarbeiter noch einmal genauer anschauen. Welche Potenziale - welche Schätze- können noch gehoben werden? Das bedeutet natürlich nicht, zugleich den notwendigen Veränderungsprozess anzugehen, denn bald wird die neue Generation die größte Mitarbeitergruppe darstellen.
Wie gut kennen Sie Ihre eigenen Mitarbeiter?
"Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah!" (nach Johann Wolfgang von Goethe). Was brauchen Sie: talentierte Menschen, neue/mehr Mitarbeiter oder mehr Know-how?
Know-how kann man sich aneignen, lernen, trainieren. Und manchmal haben die Mitarbeiter bereits mehr davon, als jemand im Betrieb weiß. Das ist ein kostbarer Schatz, den man zunächst einmal intern heben sollte, bevor man extern nach diesen Ressourcen sucht.
Talente (besondere Fähigkeiten und Fertigkeiten) der Mitarbeiter lassen sich heutzutage mit diversen Diagnostik-Verfahren transparent darstellen. Wichtig ist herauszufinden, wer über besondere Merkmale in den Bereichen Wissen, Verstehen, Anwenden, Analysieren, Bewerten, Kreativ sein, Probleme lösen verfügt.
Wo in Ihrem Betrieb ist was wichtig? In manchen Bereichen und Situationen spielen Erfahrung und persönliche Reife eine große Rolle. In anderen ist aktuelles Wissen beispielsweise über technische Neuerungen unerlässlich.
Haben Sie schon einmal daran gedacht, dass sich Ihre Mitarbeiter auch gegenseitig unterstützen und entwickeln können? Falls nein, könnte es daran liegen, dass die allgemeine Meinung dazu lautet: "…das geht nicht, die können nicht miteinander, das wird nur zu Konflikten führen…".
Sie können natürlich auch mit externen Experten Qualifikationsmaßnahmen vornehmen, aber dann verschenken Sie die vielen Vorteile, die eine interne Personalentwicklung allen Beteiligten bietet!
Wie Sie intern Know-how entwickeln
Drei Fragen müssen Sie als Führungskraft beantworten, wollen Sie das intern vorhandene Know-how entwickeln und nutzen:
Frage 1: Wie sieht es bei Ihnen mit Talententwicklung und Nachwuchsförderung aus?
Viele jüngere Mitarbeiter sind derzeit an einer Aufstiegsqualifizierung interessiert (Fachkaufmann/-frau, Meister, Techniker oder Studium). Die Nachfrage steigt und ein großer Teil von Ihnen finanziert die Weiterentwicklung mit privaten Mitteln, führt sie in Fern-, Abend- oder Wochenendkursen durch und verschweigt dem Arbeitgeber die Fortbildung!
Meistens ist Angst vor Problemen im Unternehmen der Grund; denn eine Wechselwilligkeit soll nicht vor Ende der Ausbildung bekannt werden, damit entsprechende Konsequenzen wie zum Beispiel eine Kündigung vermieden werden. Aber auch drohende Probleme mit den Vorgesetzten veranlassen viele, sich nicht zu outen: Chefs haben bisweilen die Vorstellung, dass da jemand an Ihrem Stuhl sägen möchte.
Fakt ist: alle, die Ihnen ihre Aufstiegsqualifizierung verschweigen, sind danach für Ihr Unter-nehmen verloren. Können Sie sich das leisten? Fachkräfte werden – vor allem in der Industrie – vermehrt abgeworben! Bei drei Monaten Kündigungsfrist: haben Sie so schnell Ersatz?
Praxistipp
Ermitteln Sie das Potenzial und Interesse Ihrer Nachwuchskräfte. Mit Potenzialanalysen, regelmäßigen Mitarbeiter-/ Ziel-vereinbarungsgesprächen und Interviews lernt man seine eigenen Beschäftigten besser kennen.
Bauen Sie zur strategischen Absicherung kontinuierlich einen Talentpool mit Nachfolgeanwärtern auf. Nur so können Sie schnell reagieren, wenn jemand kündigt oder Sie expandieren wollen.
Binden Sie die Führungskräfte mit ein, denn deren Toleranz und Offenheit sind wichtig, um eine zukunftsorientierte För-derumgebung zu schaffen. Die Vorgesetzten müssen akzeptieren, dass die besten Mitarbeiter entwickelt werden, um eine andere Position im Unternehmen zu erhalten - und werden dadurch eines Tages vielleicht sogar der eigene Chef.
Frage 2: Wie gehen Sie mit Auszubildenden, Praktikanten oder Werksstudenten um?
Wenn man diese Beschäftigtengruppe fragt, wie sehr sich das Unternehmen um sie bemüht, muss man sich nicht wundern, dass deren Engagement und Interesse auf Dauer nachlässt: Viele Auszubildende fühlen sich wenig unterstützt, Praktikanten sehen sich als billige Arbeitskräfte und Werksstudenten als reine Ideenlieferanten. Häufig werden sie auch als „schwierig“ bezeichnet – was wohl daran liegen mag, dass sie zur Generation Y gehören und damit ihre Vorstellung von Arbeit und Leben bei einigen Älteren auf Ablehnung stößt.
Fakt ist: wenn nicht diese Gruppe, wen sonst wollen Sie denn künftig beschäftigen? Hier sind Ihre Talente und möglichen Leistungsträger! Aber nur, wenn man sie richtig aussucht und behandelt…
Praxistipp
Gehen Sie Ausbildungen und Praktika genau so an wie wichtige und teure Projekte: Geplant, strukturiert, mit einer "Projekt-gruppe" und einem Leiter, der die Steuerung und Kommunikaion übernimmt, die Einhaltung der Planung im Auge behält und termin- und zielgerecht das Projekt beendet. Das hat den Vorteil, dass Sie die Außenwirkung verbessern und sich möglicherweise mehr "gute" Anwärter für Ihre Ausbildung und ein Praktikum in Ihrem Betrieb interessieren.
Natürlich dient dies aber vor allem der Qualitätssicherung, die motivierend wirkt und die Leistungsergebnisse verbessert. Und besonders wichtig: bezahlen Sie die Praktikanten gut. Je mehr sich für eine Ausbildung oder Praktikum bei Ihnen interessieren, desto mehr Talente können Sie kennen lernen.
Frage 3: Trainieren und coachen sich Ihre Mitarbeiter gegenseitig?
Leider wird die Chance der unterschiedlichen Generationen oft nicht genutzt, weil auf beiden Seiten Vorbehalte und Missverständnisse der anderen Generation gegenüber bestehen.
Beispiel 1: Die Jüngeren werden auch als "Digital Natives" bezeichnet. Sie sind mit den digitalen Medien aufgewachsen und können die neuesten Geräte und Systeme "intuitiv" bedienen. Ganz anders die älteren Mitarbeiter. Sie stehen bei weiterentwickelten Techniken und Medien häufig vor einer neuen Herausforderung.
Beispiel 2: Die Älteren wiederum haben erheblich mehr betriebliche und soziale Erfahrung. Dadurch sind sie generell souveräner und stressunempfindlicher. In Konfliktsituationen handeln sie eher besonnen und lösungsorientiert. Den Jungen fehlt die Erfahrung in diesen Bereichen, so dass Fehlverhalten und Fehlentscheidungen möglich sind.
Alte und junge Mitarbeiter im Team
Bringen Sie deshalb junge und ältere Mitarbeiter zusammen und lassen Sie diese sich gegenseitig unterstützen. Dabei kann die Zusammenarbeit verschiedene Ausprägungen annehmen:
Fachmann - Kollege statt Klugscheißer
Gerade im Bereich neues Wissen, neue Medien, neue Techniken können die Jüngeren die Älteren unterstützen oder sogar ausbilden. Wichtig dabei ist die Rollenklärung und die Vorbereitung: Der junge Fachmann ist ein Kollege auf Augenhöhe!
Aber auch der Ältere Kollege kann seine Erfahrung und sein Betriebswissen als Fachmann an jüngere weitergeben. Auch hier beachten: das ganze muss sich im kollegialen Rahmen abspielen!
Mentor - Partner statt Papa
Vor allem Auszubildende, Führungskräfte, neue Mitarbeiter und in bestimmten Situationen auch die Frauen benötigen Unterstützung. Mentoren sind meist sehr erfahrene und souveräne Kollegen. Sie begleiten diese Mitarbeiter, sind jederzeit ansprechbar und geben Tipps. Auch hier muss der Mentor zwingend auf seine Rolle vorbereitet werden, damit er sich nicht zum oberlehrerhaften, bestimmenden Ratgeber sondern zum Ansprechpartner und Coach entwickelt.
Mediator - Vermittler statt Verurteiler
Ein weiterer Ansatzpunkt sind betriebliche Maßnahmen, die Konfliktlösungen oder Konfliktvermeidung zum Ziel haben. Eine interne Entwicklung und Ausbildung der Mitarbeiter für diese sensiblen Themen ist besonders vorteilhaft; denn muss erst einmal ein externer Fachmann gerufen werden, ist oft nichts mehr zu retten. Eine wichtige Voraussetzung für einen Vermittler ist Empathie- und Kommunikationsfähigkeit. Mitarbeiter mit diesen Fähigkeiten können in diesem Bereich eine Ausbildung absolvieren und mit Ihrer Tätigkeit einen besonders wertvollen Beitrag zum Betriebsklima und zur Produktivität leisten.
Praxistipp:
Bereiten Sie alle Beteiligten systematisch auf ihre neue beziehungsweise zusätzliche Aufgabe vor! Wenn in Ihrem Unternehmen die Mitarbeiter identifiziert wurden, die sich für die Aufgabenbereiche eignen und auch selbst Spaß daran hätten, werden sie mit individuellen Maßnahmen wie "Train the trainer" / "Train the coach"-Programmen auf die neue Aufgabe vorbereitet. Je nach Tätigkeit ist auch eine berufsbegleitende Mentorenausbildung oder Coachingausbildung sinnvoll.
In Einzelgesprächen und Infoveranstaltungen wird auch die Belegschaft über das Vorhaben und den Prozess umfassend informiert, so dass eine höchstmögliche Akzeptanz erreicht wird. Dieser gesamte Prozess wird von einer Projektgruppe gesteuert, die das Vorhaben plant und begleitet.
Höhere Motivation, bessere Produktivität
Wenn Mitarbeiter nicht nur nach ihren formalen Qualifikationen sondern vor allem entsprechend Ihrer Fähigkeiten, Neigungen und Talenten eingesetzt werden, steigt die Motivation, die Leistungsfähigkeit und die Identifikation mit dem Unternehmen.
Dass sich dann daraus viele weitere Effekte ergeben, liegt auf der Hand: zum Beispiel höhere Produktivität durch höhere Leistungsbereitschaft, höhere Mitarbeiterbindung, besseres Betriebsklima durch weniger Konflikte/gelöste Konflikte und mehr Verständnis füreinander, Wissen bleibt im Betrieb beziehungsweise wird im Betrieb weitergegeben, diverse Ressourcen werden geschont (finanzielle Ausgaben, Zeit), und vieles mehr.
Nicht zuletzt ergeben sich für die verschiedenen Generationen Vorteile, auf die kein Unternehmen verzichten sollte:
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Die jüngere Generation wird anerkannt, gefordert und gefördert. Neue Herausforderungen motivieren und entwickeln die Persönlichkeit. Dieses Leistungspotenzial sollten Sie nutzen!
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Die ältere Generation wir wertgeschätzt, aktiviert und eingebunden. Übrigens: viele Mitarbeiter, die kurz vor der Rente stehen, möchten gern in Teilzeit weiterarbeiten und können sich zum Beispiel auch eine beratende Tätigkeit während Ihres Ruhestands vorstellen. Für viele kleinere Betriebe liegt hier die Chance, dass das Wissen dem Betrieb weiterhin zur Verfügung steht. (CFOworld)
Marion Genth hat 15 Jahre als Führungskraft im Management gearbeitet. Seit neun Jahren berät und coacht sie als Personal- und Organisationsentwicklerin sowie als Fachberaterin für betriebliche Gesundheitsförderung Unternehmen und Führungskräfte. An verschiedenen Institutionen bildet sie darüber hinaus Meister und Fachkräfte aus.