Potenzialmanagement

So steigern Sie die Mitarbeiterproduktivität

03.02.2020 von Christiane Pütter
Mehr aus den Mitarbeitern herausholen - glaubt man Brigitte Herrmann, geht das mit Potenzialmanagement. Ihr Tipp an Chefs: den Mitarbeiter ruhig einmal fragen, wie es ihm geht.
Brigitte Herrmann hat lange als Headhunterin gearbeitet und ist nun Beraterin.
Foto: Brigitte Herrmann

Ein neues Versprechen für mehr Mitarbeiterproduktivität und -bindung nennt sich Potenzialmanagement. Brigitte Herrmann war 15 Jahre lang als Headhunterin tätig und arbeitet jetzt als Coach und Beraterin. Sie sprach mit cio.de über Potenzialmanagement.

Frau Herrmann, was kann man sich unter Potenzialmanagement vorstellen?

Brigitte Herrmann: Die Definition ist nicht ganz eindeutig und gibt den Entscheidern in den Unternehmen damit einen gewissen Interpretationsspielraum. Grundsätzlich bedeutet Potenzialmanagement das Erkennen und gezielte Freisetzen des Potenzials eines Menschen im Rahmen von Personalauswahl und Mitarbeiterentwicklung. Dabei geht es immer darum, Fähigkeiten der Entwicklung aufzuzeigen und noch nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten zu entdecken.

Was genau wollen Unternehmen bei einer Potenzialanalyse ihrer Mitarbeiter herausfinden?

Brigitte Herrmann: Unternehmen wollen die Möglichkeiten eines Mitarbeiters jenseits seiner bekannten fachlichen Qualifikationen eruieren. Hat er das Potenzial zur Führungskraft? Wo liegen seine spezifischen Stärken und Interessen? In welchen Bereichen hat er beispielsweise in seiner Freizeit Erfahrungen gesammelt, die dem ganzen Team oder einem Projekt nutzen? Solche Fragen stehen im Vordergrund. Man will den Radius erweitern.

Wie kommt es, dass das Thema Potenzialmanagement so in den Fokus gerückt ist?

Brigitte Herrmann: Das mag damit zu tun haben, dass zurzeit sehr publikumswirksam über Fachkräftemangel gesprochen wird. Wobei man diesen ja auch ganz anders betrachten kann - es hat Gründe, warum sich Menschen bei bestimmten Unternehmen nicht bewerben. Aber ich beobachte, dass Unternehmen sensibler werden. Sie fragen sich, wo sie Stellhebel haben, um Mitarbeiter zu binden oder neue zu gewinnen.

Worüber reden wir heute beim Potenzialmanagement und worüber werden wir in fünf Jahren reden?

Brigitte Herrmann: Heute bezieht sich Potenzialmanagement häufig auf definierte Ziele. Zum Beispiel, ob ein Mitarbeiter das Zeug zum Chef hat. Meine Hoffnung ist, dass wir den Begriff künftig deutlich weiter fassen. Dass wir also nicht nur die erforderlichen Skills erfragen, sondern eine ganzheitliche Sicht entwickeln.

Wie können Unternehmen das konkret angehen?

Brigitte Herrmann: Das beginnt mit Persönlichkeitsanalysen und Interviews. Es ist erst einmal wichtig, Interesse an den Menschen zu zeigen. Eine ganzheitliche Sicht heißt für mich, dass ich zum Beispiel immer auch nach den Hobbys frage. Wenn jemand ehrenamtlich für einen Verein arbeitet, setzt er hier seine Stärken ein und entwickelt bestimmte Fähigkeiten.

Andere spielen in der Freizeit ein Musikinstrument und verfügen über Kreativität. Will das Unternehmen dieses Potenzial nutzen und dem Mitarbeiter die Chance geben, sich zu entfalten, muss es Möglichkeiten jenseits des Daily Business schaffen. Potenzialentwicklung basiert auf Herausforderungen. Nur so entsteht Leistungssteigerung.

Das ist ein deutlich anderer Blick auf Mitarbeiter als vor zwanzig Jahren.

Brigitte Herrmann: Das hat auch mit dem Generationenwechsel und einer zunehmenden Individualisierung zu tun. Natürlich hat es Generationenwechsel immer gegeben. Jedoch bringt die Generation Y, die in eine Welt mit wachsender Dynamik, Komplexität und Transparenz hineingewachsen ist, neue Werte ins Arbeitsleben. Die Menschen, vor allem die jüngeren, sehen Arbeit nicht mehr zwingend als reine Pflichterfüllung und Lebenssicherung, sie streben nach Sinn und wollen auch Spaß haben. Deshalb ist Personalführung gut, wenn die Mitarbeiter nicht mehr den Feierabend herbeisehnen.

Schließlich müssen wir künftig mindestens bis 67 arbeiten.

Brigitte Herrmann: 67 wird wohl nicht reichen, wie neue Untersuchungen zeigen. Arbeit macht einen erheblichen Teil unseres Lebens aus. Umso wichtiger ist es, dass auch unter dem Gesichtspunkt der Gesunderhaltung Rahmenbedingungen geschaffen werden, in dem Beschäftigte auf Basis ihrer Stärken arbeiten und sich entfalten können. Denn wer stärkenorientiert arbeitet, hat weniger Stress.

Wessen Aufgabe ist Potenzialmanagement? Die von Personal- und Fachabteilung gemeinsam?

Brigitte Herrmann: Ich spreche mich immer für eine enge Kommunikation zwischen den Abteilungen aus. Potenzialmanagement fordert aber auch den Mitarbeiter selbst. Er hat auch Eigenverantwortung.

Es gibt also eine rege Diskussion um neue Werte in der Mitarbeiterführung. Was die tatsächliche Praxis in den Unternehmen angeht - wo sehen sie deutsche Unternehmen da?

Brigitte Herrmann: (lacht) Deutschland hat auf jeden Fall noch große Entwicklungsfelder. Meiner Beobachtung nach zeigt sich der Mittelstand flexibler. Firmenchefs fühlen sich ermutigt, wenn sie die Vorteile wie gesteigerte Mitarbeiterbindung und höhere Produktivität sehen. In großen Konzernen mahlen die Mühlen doch noch langsamer. Aber auch dort gibt es einzelne Führungskräfte, die sich trauen, Neues auszuprobieren.

Was raten Sie speziell IT-Entscheidern?

Brigitte Herrmann: Ich habe fünfzehn Jahre lang selbst in Kooperation mit Personalberatungen Führungspositionen besetzt, darunter auch Spitzenpositionen in der IT. Ich habe beobachtet, dass Informatiker einen klaren Fokus auf die Technik haben. Wer ein Team führt und das Potenzial seiner Mitarbeiter freisetzen will, sollte auf jeden Fall die technische Seite um kommunikative Skills erweitern, Interesse und Wertschätzung zeigen und das Gespräch anbieten. Eine Führungskraft kann seine Mitarbeiter fragen, welche Vorstellungen sie von ihrer Arbeit haben, ob sie neue Ideen oder Verbesserungsvorschläge haben. Und gerne auch einmal fragen: Wie geht es Dir?

Brigitte Herrmann aus Wörth am Rhein arbeitet als Beraterin, Business Coach, Vortragsrednerin und Autorin. Sie ist Inhaberin des Unternehmens Inspirocon.