EINE DREIVIERTEL STUNDE LANG geht nichts. Ob Bild.de, Hoerzu.de oder Welt.de – das Online-Angebot der Print-Marken aus dem Axel Springer Verlag (ASV) ist nicht zu erreichen. Statt Klatsch aus der Katja-Kessler-Kolumne, aktuellem Fernsehprogramm oder neuester Börsendaten bekommt der Internet-Nutzer an diesem Spätnachmittag nur die Meldung „Server nicht verfügbar“. Ärgerlich!
Am nächsten Morgen reagiert Thomas Tribius überrascht; die Ursache für den Server-Ausfall sei ihm nicht bekannt. Erst seit vier Monaten ist der promovierte Informatiker als Chief Information Officer in einem Nebengebäude der Hamburger Zentrale tätig. Noch stockt der Informationsfluss in manchen Bereichen. Tribius stammt nicht aus den Reihen der 600 IT-Mitarbeiter des ASV; er kommt vom Gütersloher Medienkonzern Bertelsmann. Dort war der 37-Jährige fast neun Jahre lang tätig und als Senior Vicepresident Corporate Information Systems und CIO maßgeblich am Aufbau von Bertelsmann Online (BOL) beteiligt.
Beim Axel Springer Verlag berichtet Tribius direkt an den Vorstand, und er erlebt – typisch für seinen neuen Arbeitgeber – schon wenige Wochen nach Amtsantritt den ersten Chefwechsel. Der bisherige Finanzvorstand, Ralf Kogeler, geht zum 30. Oktober; ihm folgt Steffen Naumann. Der 34-Jährige kommt ebenfalls von Bertelsmann. Tribius und sein neuer Chef haben im New Yorker Büro Tür an Tür gearbeitet – eine Bekanntschaft, die Tribius gelegen kommt. Er tritt seinen Job zu einem Zeitpunkt an, da auch Europas größtes Zeitungshaus herbe Ergebniseinbrüche hinnehmen muss: Im 1. Halbjahr 2001 ging der Jahresüberschuss auf 14 Millionen Euro zurück; im Vorjahreszeitraum lag er noch bei 81 Millionen Euro. Der designierte Vorstandschef, Mathias Döpfner, fährt einen rigiden Sparkurs mit Einstellungsstopp, Zusammenlegung der Redaktionen von Tages- und Sonntagszeitungen und dem Verkauf von TV-Beteiligungen. Auch der neue CIO-Posten hat vor allem einen Zweck: das IT-Engagement des Konzerns auf Effizienz zu trimmen. Tribius nennt das ein „extrem herausforderndes Umfeld“.
Der Mann mit dem ausgeprägten Manager-Habitus spricht viel, schnell und strukturiert. Seine Sätze sind gespickt mit Begriffen wie CRM, Corporate-IT und Geschäfts-Assets. Bei gegensätzlichen Vergleichen verwendet er stets ein amerikanisch ausgesprochenes „versus“. Seinen Job umschreibt er mit „IT is people business“. Dabei konnte Tribius 1992 bei seinem Jobantritt im Hause Bertelsmann noch kein Wort Englisch. „Nur die Fachbegriffe aus dem Informatikstudium waren mir geläufig“, sagt er. Michael Behrens, langjähriger CIO und Bereichsvorstand Informationsverarbeitung, Multimedia/Internet-Technologie, hat den frisch gebackenen Doktor der Computerwissenschaft trotzdem eingestellt – und gleich am ersten Arbeitstag nach New York geschickt.
Beim ASV muss Tribius eine völlig neue IT-Struktur aufbauen und Defizite aus der Vergangenheit aufarbeiten. „Ich bin an Bord, weil der Vorstand die IT-Kompetenz des Unternehmens stärken will“, sagt er. Mit der AS Media Systems plant der neue IT-Chef den Aufbau eines verlagsinternen Dienstleisters. Dieser soll zentrale Anlaufstelle für die diversen IT- und Online-Projekte werden. AS Media Systems wird als Profitcenter organisiert und soll unter der Leitung von Wolfgang Bruhn (38, Geschäftsführer von Computel Telefonservice) 420 IT-Mitarbeiter beschäftigen. Sie werden in Teams organisiert und bieten den Online-Redaktionen im Haus technische und organisatorische Beratung. Hinzu kommen Projekte wie der Aufbau eines elektronischen Programmführers für Hoerzu.de.
Dienstleistungen externer Partner will Tribius abbauen. „Ich bin kein Freund von pauschalem Outsourcing. Wir prüfen, was wir selbst besser machen können.“ Das setze allerdings „einen verlässlichen und leistungsfähigen Inhouse-IT-Dienstleister“ voraus. Um die strategische Entwicklung kümmert sich die Führungsriege der Corporate IT. Sie muss dafür sorgen, dass AS Media Systems gegenüber externen Anbietern wettbewerbsfähig ist. Tribius kalkuliert mit einem Budget von rund vier Prozent des Konzernumsatzes, der im ersten Halbjahr 1428 Millionen Euro betrug.
Als CIO, so sagt er, müsse man neben Technologieverständnis auch Manager-Qualitäten mitbringen. Beides getrennt voneinander zu betrachten sei fatal. „Ein CIO muss das People-Business beherrschen.“ Auch in Sachen Führungsposition schätzt Tribius die USA, wo ein Titel wie „Alphaleader“ ganz unbefangen benutzt werde. „In den USA ist Leadership stärker akzeptiert als hierzulande.“
Es ist eben schon eine Weile her, dass er selbst gegen Führung opponiert hat. Damals, in der DDR, galt Tribius als nicht systemkonform. Ein halbes Jahr lang forderte er in täglichen Briefen an Erich Honecker seine Ausreise-Erlaubnis. Sein Durchhaltevermögen zahlte sich aus: Statt ihn in die Armee einzuziehen, verwies man den verlorenen Sohn des Landes. Kaum im Westen, fiel alles Rebellentum von ihm ab. Tribius trat in die CDU ein, erhielt ein Stipendium der Adenauer-Stiftung und zog in acht Semestern sein Informatikstudium an der Frankfurter Universität durch.
Anpassungsfähigkeit zeigt er jetzt auch im Hause Springer. Den Mitarbeitern gegenüber tritt der neue CIO bisher ohne große Bugwelle auf. „Ich gehe lieber hin zu den Leuten, statt sie in mein Büro zu zitieren. Das direkte Gespräch ist oft wichtiger als E-Mail und Telefon.“ Den Produkten gegenüber hat er Vorbehalte abgebaut; selbst in die Bild guckt der bekennende FAZ -Leser jetzt öfter mal rein. Das Wissen um Kennzahlen der Springer-Blätter war aber offenbar kein Auswahlkriterium für die CIO-Stelle. Auf 1,2 Millionen schätzt Tribius die Auflage des Flagschiffs Welt – fünfmal so viel wie tatsächlich. Doch diesen Irrtum wird ihm der Vorstandschef gewiss nicht verübeln.
Zur Person
Der aus Weimar stammende Thomas Tribius ist gelernter Facharbeiter für Elektronik. Nachdem ihn die DDR als Nicht-Systemkonformen in den Westen abgeschoben hat, macht er 1989 in Frankfurt am Main den Abschluss als Diplom-Informatiker; 1992 promoviert Tribius in Erlangen. Im selben Jahr startet er bei Bertelsmann in den USA, wo der heute 37-Jährige binnen vier Wochen Englisch lernt. Die Stationen im Einzelnen:
Verheiratet mit der Ärztin Silke Tribius. Freeclimber, Surfer, Klassikliebhaber und Sammler von Bildern ostdeutscher Künstler
Corporate IT bei Springer
Der Medienkonzern in Zahlen