Autobauer, Chemie- und Pharmaindustrie, Handel, Logistik und natürlich die vielen Vertreter aus der Industrieproduktion - das sind die klassischen Säulen des Wirtschaftsstandorts Deutschland, die in den vergangenen Jahrzehnten Wachstum und Wohlstand hierzulande gesichert haben. Die meisten Unternehmen aus diesem Umfeld sind geprägt durch hierarchische Organisationen, lange Entwicklungszyklen sowie hohe Qualitätsansprüche bei gelichzeitig niedriger Fehlertoleranz. Wenn es darum geht, eine Perspektive für die eigene Strategie zu entwickeln und Innovationen voranzutreiben, richtet sich der Blick in aller Regel vornehmlich auf die eigene Branche beziehungsweise das nähere Wettbewerbsumfeld.
Ob diese Methode auch in Zukunft noch funktionieren wird, ist fraglich. Denn das Marktumfeld für diese Unternehmen ändert sich derzeit massiv. Vertreter der digitalen Wirtschaft schaffen es losgelöst von herkömmlichen Produktionsprozessen, viel schneller Innovationen zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Damit gelingt es den praktisch aus dem Nichts auftauchenden Konkurrenten, sich in die Wertschöpfungsketten der etablierten Player einzuklinken, wenn nicht sogar diese komplett zu kapern.
Old Economy muss ihr Geschäftsmodell auf den Prüfstand stellen
Die Vertreter der Old Economy werden also durch den digitalen Wandel dazu gezwungen, ihr eigenes Geschäftsmodell zu hinterfragen und zu transformieren. Dabei tauchen viele Fragen auf: Welche Ziele soll eine digitale Agenda verfolgen? Wie sieht das Wettbewerbsumfeld aus? Welchen Chancen und Risiken sind zu erwarten? Antworten auf diese Fragen sucht die Trendstudie "Mehrwerte schaffen durch Digitale Transformation" von Cognizant, Lünendonk und dem Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik an der Technischen Universität Darmstadt. Ziel ist es, den Status Quo in Sachen Digitaler Transformation großer Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz abzufragen. Dafür wurden im vergangenen Jahr über 120 IT- und Business-Entscheider in Firmen mit mehr als 2500 Mitarbeitern befragt. Branchenschwerpunkte bildeten die Bereiche Handel, Banken und Finanzdienstleister sowie Chemie/Pharma/Medizintechnik.
Nur die wenigsten Unternehmen gehen davon aus, dass der digitale Sturm ohne Auswirkungen auf die eigenen Geschäfte vorüberziehen wird. Gut sechs von zehn Unternehmen rechnen mit großen (31 Prozent) beziehungsweise sehr großen (30 Prozent) Veränderungen innerhalb der eigenen Branche. Interessanterweise werden die unmittelbaren Folgen für das eigene Unternehmen als weniger drastisch eingeordnet. Gut die Hälfte der Befragten erwartet hier große (36 Prozent) beziehungsweise sehr große (17 Prozent) Veränderungen.
Verteidigungsziele im Visier
Die größten Chancen im Zuge der Digitalisierung sehen die Unternehmen in Prozessverbesserungen (84 Prozent), einer stärkeren Bindung bestehender Kunden (60 Prozent) sowie im Halten beziehungsweise Verbessern der eigenen Wettbewerbssituation (52 Prozent). Diese Ausrichtung sehen die Studienautoren durchaus kritisch. Primär ständen damit eher "Verteidigungsziele" im Fokus der Unternehmensverantwortlichen. Dagegen spielten Innovationen und wachstumsorientierte Ziele wie eine strategische Neuausrichtung (28 Prozent), das Erschließen neuer Geschäftsfelder (26 Prozent) oder die Gewinnung neuer Kunden (21 Prozent) eine deutlich kleinere Rolle.
Die Experten mutmaßen, dass in erster Linie die Konditionierung bestehender Rollen und Aufgaben in den Organisationen dazu geführt habe, dass sich das Management vieler Unternehmen darauf konzentriert, den Status Quo zu verteidigen und zu bewahren. In den zurückliegenden Jahren hätten sich die Verantwortlichen in den Unternehmen hauptsächlich darauf kapriziert, Prozesse zu verbessern und Kosten zu reduzieren. "Aus dieser Historie heraus fällt ein Umdenken schwer", heißt es in der Studie. Das gelte umso mehr, wenn innerhalb der Organisation nur wenige Personenkreise den Auftrag haben, neu und anders zu denken, um eine Strategie für die Digitale Transformation zu entwickeln.
Dazu kommt auch, dass nur wenige Unternehmen den digitalen Wandel als Impuls von innen heraus verstehen. Die Mehrzahl (70 Prozent) empfindet die Tatsache sich transformieren zu müssen, als einen von aufgezwungenen Trend. Der Druck kommt überwiegend von außen, so das Statement von mehr als zwei Dritteln der befragten Manager.
Risiko-Investitionen
So verwundert es auch nicht, dass die Unternehmen als größtes Risiko im Zusammenhang mit dem digitalen Wandel die Gefahr sehen, dass sich die Investitionen in den Umbau der eigenen Organisation nicht rechnen. Darüber hinaus befürchtet mehr als die Hälfte der Verantwortlichen (55 Prozent), die Neuausrichtung der eigenen Unternehmenskultur werde nur sehr langsam funktionieren. Auch die Herausforderung, hochqualifizierte IT-Fachkräfte zu finden und an das eigene Unternehmen zu binden, sehen viele der Befragten (48 Prozent) als großes Risiko.
Defizite offenbart die Studie im Hinblick auf die technische Grundausstattung der Unternehmen für die Digitalisierung. Zu den technologischen Treibern gehören aus Sicht der Experten Themen wie das Internet of Things (IoT), Big Data, das mobile Internet, Social Media, Robotik und künstliche Intelligenz (KI). Hier sehen sich viele befragten Unternehmen im Hintertreffen. Im internationalen Vergleich glauben sie sich lediglich in punkto Mobile Computing besser aufgestellt als ihre Wettbewerber. In Sachen Big Data und Cloud sehen sich die Befragten in etwa auf Augenhöhe mit der Konkurrenz. Als schwächer wird dagegen die eigene Position hinsichtlich Social Media, KI sowie Robotik eingestuft.
Schwierig wird es für die Unternehmen offenbar auch dann, wenn es darum geht den digitalen Wandel konkret umzusetzen. Der Studie zufolge schätzen sich die Verantwortlichen durchaus als gut ein, wenn es um die Entwicklung geht - die Entwicklung digitaler Innovationen, digitaler Geschäftsmodelle, einer Digitalisierungsstrategie insgesamt. Zwischen 40 und 50 Prozent gaben im Rahmen der Umfrage an, ihr Unternehmen sei dabei gut beziehungsweise sehr gut aufgestellt.
Wenn es aber darum geht, diese Digitalisierungs-PS auf die Straße zu bringen, sieht es jedoch ganz anders aus. In der Vermarktung digitaler Innovationen glaubt sich nur noch gut jeder vierte gut beziehungsweise sehr gut aufgestellt. Wenn es um die Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie im Gesamtunternehmen geht, sagt dies nur noch jeder zehnte. Knapp die Hälfte der befragten Unternehmen räumt ein, in diesen Punkten schlecht oder sogar sehr schlecht aufgestellt zu sein. "Diese Einschätzung, gut bei der Entwicklung aber schwach bei der Vermarktung zu sein, spiegelt eine Tendenz wider, dass Deutschland auf internationaler Ebene bei der Digitalen Wirtschaft keine führende Rolle einnimmt", schreiben die Studienautoren.
Ideen finden - Unternehmen vertrauen althergebrachten Methoden
Im Rahmen Studie wurde darüber hinaus auch abgefragt, wie die Unternehmen Innovationen entwickeln. Dabei setzen die Befragten in erster Linie auf interne Entwicklungen (92 Prozent), beispielsweise in einem Innovation Lab, beziehungsweise auf die Zusammenarbeit mit bekannten Partnern (98 Prozent) wie zum Beispiel Kunden und Partnern. Nicht einmal jedes fünfte Unternehmen nutzt offenere weniger kontrollierbare Methoden der Innovationsentwicklung wie beispielsweise Crowdsourcing. Auch in der Wahl der Methode halten sich die Unternehmen an das Altbewährte. Fast jedes Unternehmen (98 Prozent) gab an, in diesem Zusammenhang häufig mit dem klassischen Brainstroming zu arbeiten. Andere Wege wie Canvas, das St. Gallener Management Modell (18 Prozent) oder Design Thinking (13 Prozent) werden dagegen deutlich seltener beschritten.
Für viele Unternehmen wird sich das Partnerumfeld im Zusammenhang mit der Digitalen Transformation verändern, haben die Ergebnisse der Umfrage gezeigt. Vier von fünf der Befragten stimmen der These, dass die "neuen Ökosysteme komplexer" werden, voll zu. Rechnet man noch die Unternehmen hinzu, die der These "zustimmen", sind es 95 Prozent, die von der steigenden Komplexität der Ökosysteme überzeugt sind. "Berücksichtigt man dabei, dass die Unternehmen sich gleichzeitig vergleichsweise schlecht aufgestellt sehen bei der Suche und Pflege von Partnern zur Innovationsförderung (Start-ups, Technologieunternehmen, branchenfremde Unternehmen)", wird deutlich, dass hier Nachholbedarf besteht.
Fazit
"Die zunehmende Digitalisierung stellt Unternehmen vor viele neue Herausforderungen", konstatiert Peter Buxmann, Professor an der TU Darmstadt. Hierzu zählt der an der Studie beteiligte Wissenschaftler etwa die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, um beispielsweise neue Märkte zu erschließen, beziehungsweise neue Kunden zu gewinnen. Insgesamt schienen viele Unternehmen die Bedeutung der Digitalisierung zu unterschätzen. Darauf weise Buxmann zufolge die von vielen Befragten geäußerte Einschätzung hin, wonach andere Unternehmen von der Digitalisierung mehr betroffen seien als sie selbst. "Diese Einstellung ist gefährlich und könnte auch die Denkwelt gewesen sein, in der sich frühe Opfer der Digitalisierung, wie etwa Kodak, bewegt haben."
Die Ergebnisse zeigten, dass viele Unternehmen mit der digitalen Transformation eher defensiv umgehen und innovative Entwicklungen etwas zögerlich vorantreiben, steht im Fazit zur Studie. Auch bei den Chancen der Digitalisierung stünden "Verteidigungsziele", wie Bindung von Kunden oder Prozessverbesserungen, im Vordergrund. Chancen durch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle oder die Er-schließung von neuen Märkten würden von den Befragten demgegenüber als weniger bedeutsam eingestuft. "Den Unternehmen fällt es schwer zu erkennen, welche Innovationen dabei helfen, einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil zu generieren", folgert Buxmann. "Die Resultate der Studie zeigen, dass die befragten Unternehmen eher auf Nummer sicher gehen, als neue, vielleicht auch unsichere Wege zu beschreiten."
Dies könne durchaus zur Gefahr werden, warnen die Experten. Es entstehe ein Spannungsfeld, wenn Unternehmen wachstumsorientierten Themen nur geringe Chancen zuschreiben und gleichzeitig das Investitionsrisiko bei der Entwicklung digitaler Innovationen und Geschäftsmodelle als hoch einstufen. Auf lange Sicht gefährde dieses Verhalten die Überlebensfähigkeit, "denn am Ende des Tages selektiert der Kunde diejenigen Unternehmen, die kein digitales Erlebnis bieten, einfach aus", lautet das Fazit der Studie.