Es mag den einen oder anderen beruhigen: Die klassische Bankfiliale stirbt nicht aus. Sie ändert nur ihre Aufgabe. Denn hauptsächlich wickeln die europäischen Verbraucher von heute und morgen Bankgeschäfte über Laptop und iPad ab. Banken müssen sich außerdem über Twitter und Facebook präsentieren. Das behauptet zumindest Alexander Hesse, Analyst beim US-Marktforscher Forrester.
Zunächst ein paar Zahlen zum Verhalten europäischer Bankkunden: 36 Prozent haben innerhalb eines jeden Monats im ersten Quartal 2010 Online-Banking genutzt. 2006 waren es erst 28 Prozent. Im Gegensatz dazu besuchten 38 Prozent eine Filiale - 2006 waren es noch 46 Prozent. Fast gleich geblieben ist seither die Zahl derer, die zum Bankautomaten gehen: Im ersten Quartal 2010 taten das drei von vier Konsumenten, 2006 waren es mit 76 Prozent unwesentlich mehr.
Forrester hat nachvollzogen, welche Kanäle Banken ihren Kunden seit 1990 anbieten. 1990 waren es Filiale und Call Center. 2000 kamen Bankautomaten und Website-Auftritte dazu. Seit 2010 gehört Mobile-Banking dazu und ab 2020 werden es zum Beispiel soziale Netzwerke, Tablets und vernetzte TV-Geräte sein. Laut Hesse verlangen Bankkunden nach neuen Kanälen, ohne jedoch die bisherigen komplett aufzugeben.
Der Analyst interessiert sich insbesondere für die sogenannte Generation Y, die Menschen also, die um 1990 herum geboren sind. Banken, die diese Kunden nicht verpassen wollen, müssen eine Multi-Channel-Strategie entwickeln. Diese sollte nach jetzigem Stand Folgendes umfassen: SMS Text Alerts, Mobile Websites, Anwendungen für das Smartphone, Apps für das iPad, Instant Messaging, soziale Netzwerke, Microblogging, auf Kundengruppen zugeschnittene Websites und Lösungen für vernetzte TV-Geräte.
Damit greift Hesse hoch. Denn Widgets für vernetzte Fernseher bietet keine Bank an - bisher. Auch an anderen Punkten hapert es noch, zum Beispiel bei personalisierten Websites. Forrester hält es für einen Fehler, wenn Banken alle Verbraucher per Internet-Auftritt in gleicher Weise ansprechen wollen. Die Geldinstitute müssten lernen, dass die technik-gewohnte Generation Y andere Ansprüche hat als die sogenannten Best Ager ab 55 Jahren aufwärts.
SOA und offene Schnittstellen
Was Banken technisch brauchen, sind vor allem gut funktionierende Enterprise-Content-Management-Systeme (ECM) und Business Process Management (BPM). Außerdem wird es ohne Unified Communications nicht mehr gehen. Hesse befürwortet Service-Orientierte Architekturen (SOA) und offene Schnittstellen zur Anwendungsprogrammierung (API).
Der Analyst umreißt die Entwicklung, die Finanzdienstleister beim digitalen Banking nehmen müssen, mit der Abkürzung SUPER. Diese steht für Simple (Kunden müssen das Gefühl haben, ihre Ziele einfach erreichen zu können), Ubiquitous (Banken müssen von überall aus erreichbar sein), Personal (Kunden möchten personalisiert angesprochen werden), Empowering (Banken erleichtern Kunden, Transaktionen selbst vorzunehmen) und Reassuring (wer Hilfestellung braucht, bekommt sie).
Das alles setzt enge Zusammenarbeit zwischen IT und Fachabteilungen voraus. Wichtig ist Unterstützung durch das Top-Management. Hesse rät Banken: "Prepare for a long journey!"
Bei aller Vorbereitung auf noch mehr digitale Services sollten Geldinstitute die Filiale jedoch nicht vernachlässigen. Zumindest in der deutschen Bankenwelt gibt es denn auch neue Modelle. So stellte der IT-Dienstleister der Volks- und Raiffeisenbanken GAD bereits Mitte 2009 eine zukünftige Bankfiliale vor: Zwischen Touchscreens und SB-Terminals kann der Kunde Kaffee trinken und Werbefilme ansehen.
GAD-Vorstandschef Anno Lederer begründete das Engagement für die physische Filiale damit, dass die Räume auch künftig "einen wesentlichen Stellenwert im Bankgeschäft einnehmen" werden. Denn wenn es um komplexere Produkte geht, wollen sich die Kunden weiterhin persönlich beraten lassen.
Digitales Banking als Ergänzung
Das streitet auch Forrester-Analyst Hesse nicht ab. Filiale und digitales Banking sollten laut seiner Beobachtung nicht als Konkurrenz gesehen werden, sondern als Ergänzung.