Opi drischt auf Mutti ein, das hat in den Schweizer Bergen schon Tradition. Jahr für Jahr nutzt George Soros die Bühne des Weltwirtschaftsforums in Davos, um sich mit einer gezielten Provokation in eine der Hauptrollen zu drängen. Als Bösewicht lässt der schrullige Senior dabei am liebsten auftreten: das vermalemerkelte Deutschland.
Ende Januar war es mal wieder so weit. Soros dämonisierte Deutschland als Schuldigen eines heraufziehenden Währungskrieges. "Die Deutschen glauben an Einsparungen, der Rest der Welt glaubt an geldpolitische Lockerungen", befand der Starspekulant. Die Regierung Merkel zwinge ganz Europa einen eisernen Sparkurs auf und mache damit den Euro kaputt, sagte Soros, es sei "einfach die falsche Politik" und noch dazu eine, "die am Ende ganz Europa in die Krise treibt". Von den Berggipfeln hallte ein internationales Medienecho zurück.
Der mittlerweile 82 Jahre alte Finanzjongleur ist ein Mysterium. Er hat einen legendären Ruf weit über die Finanzwelt hinaus und mehr Geld, als er in diesem Leben verprassen könnte, selbst wenn er sich noch so anstrengen wollte. Aus der operativen Führung des 25-Milliarden-Dollar-Familienhedgefonds Soros Fund Management hat er sich zurückgezogen. Doch George Soros sei nicht der Typ des netten Opis, der im Lehnstuhl sitze und mit den Enkelkindern spiele, sagt eine Freundin der Familie in New York. "George liebt das Drama, die Kontroverse, das Spiel mit dem Risiko." Soros ist gesundheitlich angeschlagen, aber nicht zu bremsen, er absolviert ein strapaziöses Pensum mit voluminösen Zielen: Griechenland retten, den Euro und die gesamte Europäische Union dazu, und obendrein will er auch noch die Volkswirtschaftslehre revolutionieren.
Dafür nimmt George Soros viel Geld in die Hand. Leistet sich ein ebenso weitreichendes wie einflussreiches Netzwerk auch in Deutschland, darin so prominente Figuren wie Ex-Außenminister Joschka Fischer und der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Mit ihnen kämpft Soros für die Rettung des Euro, aber auch für sein eigenes Ego. Und für sein Vermögen? Wer sich mit dem Multimilliardär auseinandersetzt, erkennt einen Getriebenen zwischen Genius und Gier, Großzügigkeit und Größenwahn.
Als "klassisches Beispiel eines Parvenüs" sieht ihn eine Weggefährtin. Als einen, der es von ganz unten bis nach ganz oben geschafft hat und doch nie genug bekommen kann. "Er ist nicht damit zufrieden, ein genialer Wirtschaftsmensch zu sein. Er hat den Ehrgeiz, auch als großer politischer Denker angesehen zu werden. Dabei entwickelt er einen messianistischen Eifer."
Messianistischer Eifer
Dieser Eifer manifestiert sich zuallererst in den Open Society Foundations (OSF). Soros hat die Stiftungsgruppe 1979 gegründet und ihr inzwischen mehr als acht Milliarden Dollar zukommen lassen. Kaum ein Menschheitsproblem ist der Stiftung zu groß, um von ihr angepackt zu werden.
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa, wo Soros viele Oppositionsbewegungen unterstützt hatte, organisiert die Stiftung mit Sitz in New York nun Bildungs- und Demokratieprojekte, setzt sich für Menschenrechte ein, bekämpft Armut und fördert freie Medien; sie will eine liberalere Drogenpolitik und die Freigabe von Marihuana, den Kampf gegen den Klimawandel unterstützen und AIDS ausrotten; sie fördert Universitäten und gründete mit der Central European University in Budapest auch selbst eine. Jüngst legte Soros seinem Stiftungschef Christopher Stone nahe, besondere Hilfsprojekte für Griechenland aufzulegen. Was genau geplant ist, könne er noch nicht sagen, teilt Stone auf Nachfrage mit: "Die Lage in Griechenland ist sehr unübersichtlich."
Narzisstisch-neurotischer Eifer
Der narzisstisch-neurotische Eifer des George Soros manifestiert sich aber auch in Vortragsreisen durch Europa. "Die Tragödie der Europäischen Union" war der epochal heischende Titel einer Rede im September vergangenen Jahres in Berlin. "Lead or Leave" lautete Soros’ Leitthese, Deutschland solle die Euro-Zone führen - sprich: zahlen - oder sie verlassen.
"Spiegel"-Digitalchef Matthias Müller von Blumencron moderierte die Diskussion. Überhaupt kümmerte sich "Spiegel Online" rührend um die Verbreitung dessen, was der Altmeister zu sagen hatte. Auf der Web-Seite gab es die Rede exklusiv zu lesen. Auch sonst schenkt der "Spiegel" Soros gerne sein Ohr: Seit Ausbruch der Finanzkrise hat er Soros dreimal zum "Spiegel"-Gespräch gebeten. Die Konkurrenz vom "Stern" wollte da nicht hintenanstehen und interviewte Soros ebenfalls. Von "Süddeutscher Zeitung" über "Handelsblatt" oder "Welt" bis zur "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" werden seine Weissagungen weitergetragen, auch international greifen Medien jeglicher Couleur sie auf.
So gelingt Soros spielend, was er in Berlin als Ziel des Abends ganz offen durchklingen ließ: Einfluss zu nehmen. Auf politische Debatten. Der Euro sei eine Schicksalsfrage für die Europäische Union, und die liege ihm aufgrund seiner eigenen Erfahrungen am Herzen. Soros, 1930 in der ungarischen Hauptstadt Budapest geboren, Sohn einer jüdischen Familie, erlebte den Einmarsch der Nazis mit, dann die Ausbreitung des Kommunismus. Er habe viel Leid gesehen und wolle dazu beitragen, dass die Europäische Union nicht auseinanderbreche.
Eine merkwürdige Ehrfurcht
In England, wohin er 1947 emigriert war, studierte Soros an der London School of Economics bei Karl Popper, dem Säulenheiligen der modernen Wissenschaftstheorie. Auf ihn beruft sich Soros häufig; von ihm lernte er, alles infrage zu stellen und mit Provokationen etablierte Denkmuster zu attackieren. Damit sichert er sich seinen Platz in den Schlagzeilen.
Es ist erstaunlich, wie bereitwillig renommierte Medien George Soros einen roten Teppich ausrollen, wann immer er meint, die Welt mit einer These beglücken zu müssen. Offenbar wird die Autorenzeile des Milliardärs in etlichen Redaktionen als Zierde empfunden, die das eigene Blatt schmückt, unabhängig vom Gehalt des Geschriebenen. Erklären lässt sich das nur mit einer merkwürdigen Ehrfurcht.
Aber Ehrfurcht vor was? Der Finanzinvestor Soros war kein Unternehmer, der echte Werte schuf. Kein heldischer Pionier im Sinne Joseph Schumpeters; keiner, der mit seinen Produkten und Innovationen den Markt aufmischte. Soros’ Geschäftsgrundlage war nicht kreative Zerstörung, sondern zerstörerische Kreativität.
Weltbekannt wurde Soros 1992 als "Man who broke the Bank of England" - der Mann, der die englische Zentralbank niederzwang. Überzeugt von einer Überbewertung des britischen Pfunds tätigte Soros massenhaft Leerverkäufe. Die Bank of England konnte nicht gegenhalten, der Pfund-Kurs brach ein, und Soros’ Gewinne schnellten in die Höhe. Geschätzt 1,4 Milliarden Dollar brachte ihm die Wette ein.
Die Behörden hatten Soros über Jahre im Visier. Mit der US-Wertpapieraufsicht SEC hatte er immer wieder Ärger. Die französische Börsenaufsicht untersuchte ab 1988 jahrelang seine Geschäfte. Selbst in seinem Heimatland Ungarn ermittelte die Aufsicht gegen Soros Fund Management und verhängte 2009 eine Strafe von 1,6 Millionen Euro. Auch an der Asienkrise 1997/98 verdiente Soros. Erneut wettete er gegen eine Währung, diesmal den thailändischen Baht. Paul Krugman, der spätere Wirtschaftsnobelpreisträger, hielt Soros vor, die Krise "for fun and profit" zu befeuern.
Unterwürfiger Respekt
Woher also rührt die hochachtungsvolle Verehrung für diesen Mr. Soros? Woher der leicht unterwürfige Respekt, den man ihm und jedem seiner Sätze bezeugt? Woran liegt es, dass Meinungsmacher meinen, den Lebensabend eines Starinvestors adeln zu müssen, indem sie die oft banalen Ansichten eines Finanzakrobaten zu wichtigen Wortmeldungen aufblasen?
George Soros ist ein professioneller Beobachter von Firmen, Währungen, Waren und Märkten; ein Analyst, wie es sie zu Tausenden gibt in Redaktionen und Ratingagenturen, in Bankhäusern und Forschungsinstituten. Mit dem Unterschied allerdings, dass Soros mit seinen Analysen auch immens viel Geld verdient hat. George Soros ist ein Geldregenmacher, der die Pathologien der Finanzmärkte nicht nur analysiert und beobachtet, sondern auch für seine Zwecke nutzt. Er selbst bezeichnete sich daher einmal als "höchstbezahlten Kritiker der Welt".
Soros’ spekulative Affäre mit dem Geld ist ihm nicht vorzuwerfen. Man kann sie moralisch verurteilen. Man kann seine totale Identifikation mit den Vermögenszuwächsen seiner Quantum Funds verachten. Aber wozu? Soros selbst hat bereits 1977 die "erbärmliche und elende Art", sein Leben als Spekulant zu leben, beklagt.
Wirklich erstaunlich ist aber, wie Soros sein Dasein als Spekulant zu einem lässlichen Vorleben umdeuten kann. Seine Selbstinszenierung als Geläuterter und Globalisierungsgelehrter. Und dass sie ihm gelingt, obwohl exakt die Früchte seiner Spekulation der wesentliche Grund sind, warum man seine raunenden Weltdeutungen so andächtig zur Kenntnis nimmt.
Dass George Soros heute nicht nur im Olymp der Finanzbranche beheimatet ist, sondern als Orakel vom Dienst auch in der politischen Landschaft reüssiert; dass seine wichtigtuerischen Weissagungen auf den Elitenforen der Welt wie geistiges Gold gehandelt werden - das alles zeigt: Nicht die legendäre Wette gegen das Pfund, sondern die erfolgreiche Spekulation auf intellektuelle Teilhabe ist Soros’ Geschäft des Lebens. Er zeigt der Welt, dass (sein) Geld vor allem eine funktionale Bedeutung hat. Es verschafft ihm Zugang und Gehör. Es kauft seine Mitsprache. Es sichert seine Geltung.
"In Amerika hat er gelernt, dass er sich mit Geld politischen Einfluss erkaufen kann", sagt eine Weggefährtin. Mit seinem Geld überwand er die Abschirmungswälle um Ost-Oppositionelle, an die kaum ein Westler herankam. Er erkaufte bei kommunistischen Regimes Freiheiten für Künstler, unterstützte ganze Bewegungen gegen den Kommunismus. Mit Begeisterung leistete Soros sich Treffen mit Václav Havel oder Pavel Kohout, den tschechischen Intellektuellen und Oppositionellen. Sein Geld erlaubte es ihm, sich mit diesen Leuten und ihrem Glanz zu umgeben.
Neues Denken für die Welt
Seine Havels und Kohouts von heute schart Soros in seinem Institute for New Economic Thinking (Inet) um sich. Das hat er 2009 gegründet und mit 50 Millionen Dollar ausgestattet, dazu ein ambitioniertes Ziel ausgelobt - nicht weniger, als ein neues Denken in der Volkswirtschaftslehre zu etablieren. Soros hat eine illustre Runde von Ökonomen versammelt: Barry Eichengreen etwa von der University of California in Berkeley, Carmen Reinhart vom Peterson Institute for International Economics in Washington, Charles Goodhart von der London School of Economics, Kenneth Rogoff aus Harvard, den Deutschen Ottmar Edenhofer vom Klimainstitut in Potsdam.
Rettungspläne für den Euro
Im Sommer 2012 trommelte Soros siebzehn namhafte Ökonomen in Brüssel zusammen. Das Inet gründete ein Council on the Euro Zone Crisis und meldete sich sogleich mit einem Ökonomenaufruf zu Wort. Thema: Wie der Euro zu retten ist.
Dass Soros selbst bei der Beratung des Papiers mitmischte, ist nur dezent in einer Fußnote vermerkt. Weitaus sichtbarer prangen darüber die Namen der angelockten Ökonomen, darunter prominente Vertreter der Disziplin in Deutschland. Peter Bofinger und Lars Feld stehen darauf, Mitglieder des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die ehemalige Wirtschaftsweise Beatrice Weder di Mauro, jetzt im Verwaltungsrat der Schweizer Großbank UBS. Dennis Snower, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Die Mitglieder saßen ehrenamtlich im Council, ist aus Inet-Kreisen zu hören.
Gerade Bofinger hat eine besondere, intensivere Beziehung zu Soros. Der deutsche Ökonom ist ein gern gesehener Inet-Gast, er ist nicht nur Mitglied im Euro-Council, sondern trat auch als Redner auf einer Inet-Konferenz in Berlin auf. Und ihm wurde eine besondere Ehre zuteil: Gemeinsam mit Soros verfasste Bofinger einen Essay für die "Financial Times". Das Thema, na klar: Wie die Europäische Zentralbank den Euro retten kann. Doch so gerne er auf Soros’ Veranstaltungen spricht, so ungern will Bofinger über seine Zusammenarbeit mit dem Milliardär reden. Mehrere Interview-Anfragen lässt er unbeantwortet. Dabei gäbe es so interessante Fragen: Ob er Geld für seine Dienste bekommt und wenn ja, wie viel? Ob Soros’ Stiftungen seine Forschungen fördern?
Ein anderer Inet-Denker, Thomas Ferguson von der Universität Massachusetts, saß in New York auf einem Panel mit Vertretern der griechischen Linkspartei Syriza, die zu einer Diskussion an die Columbia Law School eingeladen war. Parteiführer Alexis Tsipras gab dort vor vollem Hörsaal seine Meinung zu den geizigen Deutschen zum Besten, beschwor die Angst vor einem neuen Adolf Hitler und einem neuen Faschismus in Europa. Im Gepäck hatte Tsipras seinen Wirtschaftsberater Giannis Milios und Rena Dourou, Mitglied der Linkspartei im griechischen Parlament. Ihren Auftritt mitfinanziert hat Soros’ Thinktank Inet.
Warum nur sponsort Soros einen antikapitalistischen Hetzer wie Tsipras mit seinen Tiraden gegen Deutschland? Teilt er etwa dessen Thesen? Wall-Street-Kollegen äußern sich nur hinter vorgehaltener Hand. Zu groß scheint die Furcht vor dem Einfluss des Alten. Doch beim Gespräch mit einem Manager fällt häufiger der Satz: "Soros will sich an Deutschland rächen." Kenner der Familie sagen, Soros präge eine gewisse "Hassliebe zu Deutschland". Am Geschehen in Europa und in Deutschland sei er vor allem wegen seiner persönlichen Historie interessiert.
Soros ist nicht Antideutsch
Antideutsch sei Soros allerdings nicht, meint Robert Johnson, Amerikaner, ein Freund von Soros und Chef des Inet. "Europa liegt ihm wirklich am Herzen", sagt der Mittfünfziger, der selbst in der Finanzbranche arbeitete, zuletzt als Direktor für Soros Fund Management in New York.
An der US-amerikanischen Ostküste lebt Soros heute recht bescheiden. Er besitze keine Yachten und keine Flugzeuge, heißt es aus seinem Umfeld. In New York hat der Milliardär ein Apartment und Büro, Wochenenden verbringt er in Bedford, einem ruhigen, gediegenen Ort im Bundesstaat New York. In Southampton auf Long Island, rund zwei Stunden von Manhattan entfernt, hat Soros zudem ein apartes Anwesen, auf dem er die Sommermonate verbringt. Zum 80. Geburtstag reiste dort auch Joschka Fischer mit Frau an, berichten Gäste der Feier.
Kein Tennis mehr
Im August 2012 stieg auf dem Landsitz eine doppelte Party: Neben seinem 82. Geburtstag feierte der Milliardär seine Verlobung mit der mehr als 40 Jahre jüngeren Tamiko Bolton. Nach zwei gescheiterten Ehen, aus denen fünf Kinder hervorgingen, lernte der Superspekulant im Frühjahr 2008 Bolton kennen - bei der Krankengymnastik.
Rührend kümmere sich Bolton jetzt um die Gesundheit des Alten, erzählen Freunde der Familie. Die Unternehmerin japanisch-amerikanischer Abstammung betreibt eine Yoga- und Gesundheits-Internet-Seite. Seinen Lieblingssport Tennis könne Soros aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben, jetzt wache Bolton darüber, dass er regelmäßig Gymnastik mache und sich gesund ernähre.
Während in Europa ganze Journalistenscharen an seinen Lippen hängen, sobald Soros spricht, ist er in den USA - seiner neuen Heimat seit 1956 - heftigst umstritten. Die Konservativen verschmähen ihn als linken Spekulanten, selbst an der Wall Street. "Obwohl er doch eigentlich einer von uns ist", wie ein Börsenhändler sagt. Ein Vorbild sogar, wegen seiner Risikolust und Furchtlosigkeit.
Aber, so zischen die schicken Anzugsträger zugleich: Soros sei ein boshafter alter Mann, dem nicht zu trauen sei und der selbst niemandem traue. Ein Hedgefondsmanager berichtet, er habe einmal mit Soros ein paar Investments gemacht - ein Fehler, nie wieder. Warum? Wieso? Kein Kommentar. Nur so viel: Soros traue nicht einmal den eigenen Söhnen Jonathan und Robert, denen er die Führung von Soros Fund Management übertrug. Der Alte halte sie an der kurzen Leine, heißt es an der Wall Street, er überwache jedes Investment und bestimme weiterhin, wo, wie und wie viel in was investiert werde. Jonathan stieg deshalb schon wieder aus.
Soros ist ein rotes Tuch
Für Amerikas Konservative ist Soros ein rotes Tuch. Ein Kapitalismuskritiker, ein früher Förderer und Financier von Barack Obama, ein Spender der demokratischen Partei. Obwohl Soros in seinen Büchern die Fehler des kapitalistischen Systems geißelt, mögen ihn allerdings auch die linken Amerikaner nicht übermäßig, der Mann ist vielen von ihnen schlicht suspekt.
Die europäische Linke hat weit weniger Berührungsängste zu Soros und seinem Geld. Das Ergebnis ist unter anderem in der Reinhardtstraße 19 in Berlin zu finden, in der Zweigstelle des European Council on Foreign Relations (ECFR). Seinem Selbstverständnis nach ist es der erste paneuropäische Thinktank mit Büros in sieben europäischen Hauptstädten, ein "strategisches Netzwerk" aus Politikern, Intellektuellen und Managern.
An seiner ideellen Spitze steht Joschka Fischer, der ehemalige grüne Außenminister, einer der Gründer des ECFR und einer von drei Vorsitzenden. An der finanziellen Spitze aber steht George Soros. Ohne den Milliardär gäbe es das ECFR nicht. Praktisch im Alleingang finanzierte Soros den Aufbau der Organisation, die massenweise Pro-Euro-Positionen publiziert hat. "Sein Engagement war eminent", sagt Geschäftsführer Dick Oosting, und auch wenn es schrumpft, "es bleibt sehr wichtig".
Mit 2,52 Millionen britischen Pfund hat Soros’ Open Society Foundation das ECFR allein 2011 unterstützt, das sind fast 70 Prozent aller Zuschüsse und Spenden. 2,52 Millionen Pfund für ein öffentliches Klima, in dem "Solidarität" für Spanien und Griechenland gedeiht, wo eigentlich kühl von "Geld aus Nordeuropa für Südeuropa" die Rede sein sollte? 2,52 Millionen Pfund für die Förderung eines Mentalitätsregimes, das unter einer "verantwortungsvollen" Europa-Politik die nachträgliche Prämierung ihrer dreistesten Profiteure versteht? 2,52 Millionen Pfund als Sponsoring einer Öffentlichkeit, die die Rettung des Euro und die Sozialisierung von Bankschulden begrüßt, wovon vor allem die Finanzmärkte profitieren? Dieselben Finanzmärkte, denen George Soros sein Vermögen verdankt - und an denen der mittlerweile als Familienbetrieb geführte Hedgefonds mit rund 25 Milliarden Dollar investiert ist?
Spekulative Interessen an Euro-Rettung?
Soros sei "just driven to save Europe", meint Oosting, nichts weiter: "Er braucht nicht noch ein paar Millionen mehr." Natürlich, dass der bekannteste Währungsspekulant der Welt sich für die Rettung des Euro interessiert – er könne verstehen, dass das Fragen aufwerfe. "Aber ich glaube nicht, dass er dabei noch spekulative Interessen verfolgt." Er habe Soros als freundlichen Menschen kennen gelernt, der die Zielgebiete seiner Generosität schnell wechselt. Soros’ Anteil am ECFR-Budget habe 2012 nurmehr bei rund 50 Prozent gelegen, schätzt Oosting, "in diesem Jahr wird es wohl nur noch gut ein Drittel sein."
Warum auch nicht? Andere Geldgeber rücken nach und finanzieren die Ideen und Interessen des Milliardärs. Die Mercator-Stiftung etwa, die dem ECFR seit 2010 eine Million Euro, verteilt auf drei Jahre, überwiesen hat. Geschäftsführer Bernhard Lorentz ist bekennender Parteigänger der Grünen, hat sich schon zu Joschka Fischers Zeiten Gedanken über "grüne Außenpolitik" gemacht. Ulrike Guérot wiederum, Repräsentantin für Deutschland beim ECFR, verteilte im November auf dem Parteitag der Grünen Komplimente für die europapolitischen Leitanträge.
Geld für alte Grüne
Dass ausgerechnet Grüne vom Erfolg eines Finanzmarktjongleurs profitieren, über den sie ansonsten, zur Spezies Spekulant verallgemeinert, gerne abfällig urteilen, scheint sie selbst nicht zu stören. Spricht man sie auf ihre Verbindung zu dem spendablen Geldgeber an, werden sie entweder still oder giftig.
Joschka Fischer, der bei der Berliner Tragödien-Rede von Soros im Publikum saß, ließ zweimal ausrichten, dass er partout nichts sagen wolle über sein Verhältnis zu Soros. Über die naheliegende Frage, ob er oder sein Beratungsunternehmen als Türöffner für den Milliardär in Deutschland fungieren und hierzulande dessen Interessen vertreten, schweigt er sich gründlichst aus. Man rede nicht über Mandanten, ja, nicht einmal darüber, wer überhaupt Mandant sei - und wer nicht.
Bernhard Lorentz wiederum verliert bei der Frage, was die Stiftung Mercator bewegt habe, 2010 ihre "Lecture" zum Thema "Europe in Crisis" George Soros anzuvertrauen, beinahe die Fassung. Soros sei ein ausgewiesener Kenner der europäischen Politik. Ein Mann, der sich mit Leidenschaft für die europäische Sache einsetze. Der bei Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ein- und ausgehe. Was also solle die Frage? Und was, bitte schön, solle die andere Frage? Die nach dem Währungsspekulanten? Soros setze sich für Europa ein, nicht für den Euro. Aha.
Schäubles Sprecher gibt auf Nachfrage augenrollend zu verstehen, dass man zu Soros lieber nichts sagen wolle. Klar ist jedenfalls, dass dem Top-Investor etliche Türen offen stehen. An der Wall Street werden Frankreichs Präsident François Hollande, Italiens Premierminister Mario Monti, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und der frühere griechische Premier Giorgos Papandreou zu Soros’ Gesprächspartnern gerechnet.
Abfuhr im Kanzleramt
Im Kanzleramt allerdings holte sich der Milliardär eine Abfuhr. Mehrfach bemühte sich Soros, Angela Merkel seine Aufwartung machen zu dürfen. Doch die Regierungschefin lehnte ab. Allzu eng wollte sie sich mit dem undurchsichtigen Fürsten des großen Geldes nicht einlassen.
Immerhin durfte Soros zweimal in der Wirtschaftsabteilung des Kanzleramts vorsprechen. Zwar breitete er da im Frühsommer 2012 seine (inzwischen längst falsifizierte) Theorie vom kurz bevorstehenden Untergang des Euro ("nur noch drei Monate") aus, fand aber wenig Zustimmung. Ebenso wenig Soros’ Reformvorschläge. Die "fanden wir nicht in jeder Hinsicht gut", so das Resümee der Fachbeamten. "Und seine Prophezeiungen sind ja auch nicht eingetreten." Unklar blieb den Gastgebern, was Soros eigentlich wollte: sich wichtig machen, für sein neues Buch werben, gar Entscheidungen anregen oder beeinflussen, die ihm einen Spekulationsgewinn einbrächten? "Man weiß ja nicht, wo er Geld im Markt hat", lautet achselzuckend die Auskunft.
Gezähmter Hai?
Ob Soros auch finanziell profitiert, wenn er die Euro-Rettung propagiert? Er selbst will nicht mit der WirtschaftsWoche reden, seine Weggefährten sind sich uneins.
Es sei für ihn nicht vorstellbar, dass Soros in der Euro-Krise die Finger von Devisen lassen könnte, sagt einer. "George hat geradezu animalische Instinkte für Währungen und Wechselkurse. Diese Geschäfte haben ihn reich gemacht. Ihn muss die Krise anlocken wie ein Tropfen Blut im Wasser den Hai."
Allerdings weiß nicht einmal die US-Wertpapieraufsicht SEC über Soros’ Investments im Detail Bescheid. Als 2011 verschärfte Regulierungsvorschriften in Kraft traten, zahlte Soros Fund Management alle Fremdanleger aus. So entging der Fonds der Offenlegung und verwaltet jetzt "nur" noch das eigene Familienvermögen. Das ist mit geschätzten 25 Milliarden Dollar zwar ausgesprochen stattlich, aber zu gering, um die Kurse ähnlich treiben zu können wie bei seiner Wette gegen die Bank of England.
Für einen Fuchs wie Soros jedoch bietet jede Situation ihre Möglichkeiten. Ob überhaupt und wie Soros in Sachen Euro investiert sein könnte? "Das werden Sie höchstens erfahren, wenn er es Ihnen selbst erzählt", sagt ein Ex-Mitarbeiter.
Doch George Soros redet nicht. Was er macht, bleibt im Dunkeln. Sicher ist jedoch, dass auch Soros’ Engagement für den Euro der Selbstbereicherung dient. Mindestens der intellektuellen.
Nachtrag 18.02.2013, 18.32 Uhr: Heute hat sich Prof. Peter Bofinger telefonisch bei uns gemeldet. Er hatte die Anfrage an ihn nicht beantworten können, da er auf Reisen war. Er teilte mit, dass er vom Institute for New Economic Thinking (Inet) für einen Vortrag auf einer Konferenz ein Honorar in Höhe von 1200 Dollar erhalten hat. Prof. Bofinger legt Wert darauf, dass er darüber hinaus keine weiteren Honorare von George Soros oder dessen Stiftungen bekommen hat. Zudem teilte er mit, dass er oder sein Institut keinerlei Forschungsgelder von Soros oder dessen Stiftungen erhalten haben.
Nachtrag 4. März, 13 Uhr: Thomas Ferguson, Director of Research Programs, am Institute for New Economic Thinking, hat uns einen Leserbrief geschickt, den wir in leicht verkürzter Form hier wiedergeben:
(...) Der Artikel ist (...) selbst hoch spekulativ. Ein besonders eindringliches Beispiel betrifft die Ausführungen zu dem Panel an der Columbia Universität. Es ist richtig, dass ich teilgenommen habe. Es ist aber jedoch nicht wahr, dass das Institute for New Economic Thinking (INET) die Veranstaltung mitfinanziert hat. INET steht der Universität nahe und es kommt von Zeit zu Zeit natürlich vor, dass man Ko-Sponsor bei Veranstaltungen von allgemeinem Interesse auftritt. Es ist kein Geld von Seiten INETs geflossen und ich würde dem hinzufügen, dass SYRIZA alle Reisekosten selbst übernommen hat. Die Veranstaltung war Teil ihres USA-Besuchs - ganz ähnlich wie ihr Deutschland-Besuch Anfang Januar, bei dem sie u.a. eine Unterredung mit Bundesfinanzminister Schäuble hatten.
Bei der Paneldiskussion haben die Vertreter SYRIYAs davor gewarnt, dass eine Fortsetzung der Sparpolitik die Gesellschaft zu spalten droht und extremistisch-autoritäre Tendenzen bestärken kann. (...) Ganz ähnlich wie 1931 in Deutschland und ohne Rücksicht auf Verluste führt die Sparpolitik in eine gesellschaftlich unmögliche Lage, die leicht in einer Katastrophe in ganz Südeuropa enden kann.
(Quelle: Wirtschaftswoche)