Debatte im CIO-Netzwerk

Zerschlagt die IT-Abteilung

16.03.2010 von Tanja Wolff
Alignment ist Blödsinn. Die IT kann man größtenteils auflösen. Und europäische CIOs sind alle altmodisch. Der Berater Peter Hinssen provoziert mit seinen Thesen die IT-Elite. DLR-CIO Hans-Joachim Popp hat sich im Netzwerk auf cio.de gewehrt. Daraus ist folgendes Streitgespräch entstanden.
Peter Hinssen, Chef des belgischen Beratungshauses Porthus: "Es gibt viele Amerikaner, die sagen, die IT ist tot, und aus diesem Grund müssen wir uns neu erfinden."

Hinssens Ideen sind im Suff bei irgendeiner Veranstaltung des CIO-Magazins entstanden, mutmaßte Hans-Joachim Popp, CIO beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Peter Hinssen, Chef der belgischen Beratungsfirma Porthus, meint zum Beispiel, dass Unternehmen nur mit einer Zersplitterung der IT-Abteilung erfolgreich sein können. Was er genau damit gemeint hat, haben wir im Folgenden noch mal hinterfragt – und Hajo Popp gleich mit ins Interview gebeten.

Sie halten nichts vom Business Alignment der IT, warum nicht?

Peter Hinssen: Das ist ein überholtes Konzept. Die Ergebnisse der vergangenen zehn bis 15 Jahre sind nicht besonders zufriedenstellend. Unternehmen, die versucht haben, die IT mit ihrem Business abzustimmen, gelangten dazu, dass die IT zu einem Diener des Business wurde. Und ich glaube, so etwas brauchen Firmen heute nicht mehr. Sie benötigen vielmehr eine IT, die sie herausfordert und die aktiv ist. Wichtig sind Leute, die das Geschäft führen und nicht nur Weisungen befolgen.

Hans-Joachim Popp, CIO beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR): "Aus dem Führen des Geschäfts wird nichts werden – und es ist auch fraglich, ob das sinnvoll wäre."

Hans-Joachim Popp: In der Tat stammt das Bild vom Business Alignment aus einer Zeit, als viele das Gefühl hatten, dass die Techies die Welt regieren, ohne zu begreifen, was die Geschäftsbereiche wirklich benötigen. Heute wissen wir, dass dies nur zum Teil Selbstherrlichkeit der Herrscher über die Mainframes war. Es ist schwierig, mit komplexen und instabilen Systemen den zum Teil recht bewegten Kurs der Geschäftsbereiche nachzufahren. Die daraus erwachsenden Probleme machen den Anforderer sauer auf die IT-Abteilung.

Unter diesem Aspekt sind hier viel mehr Partnerschaft und weniger Service notwendig. Dass die IT einmal das Geschäft führen wird, glaube ich nicht. Vielmehr muss sie einerseits Impulsgeber für neue Möglichkeiten sein, andererseits als Berater akzeptiert werden. Die Konsequenzen von scheinbar harmlosen Business-Entscheidungen auf die IT werden unterschätzt und die IT dazu zu wenig angehört.

Was muss stattdessen passieren? Soll man IT-Abteilungen auflösen?

Hinssen: Nicht komplett, aber wir müssen die Arbeit von IT-Abteilungen überdenken. Ich gebe Ihnen ein Beispiel dafür, wo eine Neuausrichtung der IT erfolgreich war. Bei Procter & Gamble änderte sich mit dem CIO Filippo Passerini vor sechs Jahren sehr viel. Passerini verfolgte den Gedanken der Fusion. Als er seine Position antrat, war er verantwortlich für 7000 IT-Mitarbeiter. Das Erste, was er getan hat, war, 5000 an Hewlett-Packard auszulagern. Die restlichen 2000 wurden in den einzelnen Geschäftsbereichen untergebracht.

Können Sie sich so etwas vorstellen?

Popp: Ich kann mir das nicht nur vorstellen, wir haben im DLR genau das getan: die skalierbaren Basisdienste bei einem Provider zusammengefasst und dann die Demand-Seite in vorgeschobenen Posten bei den Kunden positioniert. Wenn es um die Ermittlung der Kundenbedürfnisse und die Leistungskontrolle im Feld geht, dann sind solche lokalen Manager unverzichtbar.

Alle Servicemitarbeiter müssen organisatorisch unter ein Dach

Die machen aber keine IT im klassischen Sinne. Im Gegenteil: Sie kümmern sich nur darum, Leistungen zu bestellen, zu fühlen, was benötigt wird, und die Anforderungen zu kanalisieren. Alle Servicemitarbeiter müssen organisatorisch unter ein Dach, damit sie das komplexe Know-how überhaupt genügend verdichten können. Der klassische Zuschnitt des alten IT-Mitarbeiters war ja, dass er wie ein Betriebselektriker in der Fabrik immer der Einäugige unter den Blinden war: Er konnte nie auf ein professionelles Niveau heranwachsen, weil er allein war. Mit dem Zusammenfassen und dem Outsourcen der versprengten Bereiche haben wir überhaupt erst mal die kritische Masse an Know-how erreicht, die man für einen professionellen Service benötigt.

Wie kann man sich die Fusion bei Procter & Gamble vorstellen? Wurde hier die IT-Abteilung abgeschafft?

Hinssen: Nein, nicht abgeschafft, sondern als Community gestaltet. Chef war immer noch Passerini, aber beispielsweise wurden die ITler, die für Pampers zuständig waren, zu den Geschäftsleuten von Pampers gesetzt. So hat der CIO innerhalb von nur drei Jahren die kompletten Strukturen umgeformt. Die IT wandelte sich von einem alten und Befehle entgegennehmenden Geschäftsbereich zu einer agierenden Abteilung. Sie wurde in das laufende Geschäft integriert, und die IT-Mitarbeiter wurden zu aktiven Helfern des Business.

Doch braucht man dann überhaupt noch einen CIO?

Hinssen: Ja, natürlich. Passerini ist ja noch als CIO tätig und Chef der IT-Mitarbeiter. Durch seine Umstrukturierung hat er es geschafft, zu einer Schlüsselperson des Unternehmens zu werden. Ich denke, andere CIOs sollten langsam wach werden, sonst werden sie die nächsten zehn Jahre nicht überstehen. Wer immer noch denkt, dass seine Aufgabe darin besteht, die Technik am Laufen zu halten, der wird von der Bildfläche verschwinden.

Wie kann man diese Entwicklung aufhalten?

Hinssen: Ein kluger Chef sollte darüber nachdenken, wie er seinen Kompetenzbereich verändern kann. Dabei ist mir ein großer Unterschied zwischen amerikanischen und europäischen CIOs aufgefallen. Es gibt viele Amerikaner, die sagen, die IT ist tot, und aus diesem Grund müssen wir uns neu erfinden. Sie wissen, dass sie sich stärker nach dem Geschäft ausrichten, dass sie Innovationen vorantreiben und in Prozesse eingreifen müssen. In Europa hingegen sieht es ganz anders aus. Hier finden sich mehr altmodische CIOs, die an ihrem alten Konzept festhalten.

Harte Vorwürfe. Wie sehen Sie das als europäischer CIO?

Popp: (lacht) Dass wir in der "alten" Welt leben, das wissen wir doch. In den USA ist alles besser. Nein, Spaß beiseite: Wenn man die Demand-Seite nahe an den Geschäftsbereich legt, dann ist das keine Innovation, sondern in guten Organisationen schon seit Jahren Usus. Dass die europäischen Kollegen an alten Konzepten festhalten, kann ich nicht bestätigen. Keiner von uns konzentriert sich auf die Technik, jeder gestaltet die Prozesse mit, denn durch die komplexe Analysearbeit haben alle gelernt, wie man spezielle Anforderungen auf möglichst allgemeine Lösungen abbildet. Und das ist extrem wichtig, wenn man eine nachhaltige Architektur bauen will. Wer behauptet, die IT sei tot, drückt sich meines Erachtens etwas naiv aus. Die Basistechnologien sind weitgehend beherrscht, die Abbildung höherwertiger Prozesse ist es aber noch lange nicht. Sie wandert deshalb in den Fokus unseres Handelns. Amerikaner nennen das dann "neu erfinden". Für mich ist es eine ganz normale Weiterentwicklung unseres Jobs.

Hinssen: (lacht) Es gibt natürlich auch andere Beispiele in Europa. So sind die CIOs von Banken und Versicherungen beispielsweise sehr offen für Neuerungen in ihren IT-Abteilungen.

IT immer noch eine Nebentätigkeit

Zurück zur Zersplitterung der IT-Abteilung. Viele CIOs haben jahrelang dagegen gekämpft. War das völlig sinnlos?

Hinssen: Das Ergebnis dieses Kampfes ist, dass die IT in vielen Unternehmen immer noch als Nebentätigkeit und als isolierte Abteilung gesehen wird, mit Mitarbeitern, die Schwierigkeiten mit der Kommunikation haben. Die IT hat ein sehr schlechtes Image. Es gibt immer noch viele CIOs, die an den CFO berichten müssen. Ich habe das Gefühl, dass viele CIOs Wert darauf gelegt haben, die IT als Insel bestehen zu lassen. Viele CIOs beklagen sich aber heute über den Kostendruck und die Schwierigkeiten in der Beziehung zum Business. Sie fühlen sich vom Geschäft erdrückt. Es ist wirklich an der Zeit umzudenken, ansonsten sehe ich keine Überlebenschance für die IT-Abteilungen.

Popp: Dieser Zusammenhang ist weit hergeholt. Die wenigsten IT-Abteilungen waren von der Zerschlagung bedroht. Vielmehr haben sich Geschäftsbereiche immer wieder eigene Kräfte aufgebaut, die dann auf den ersten Blick besser und schneller gearbeitet haben.

Die Folge war eine natürliche Rivalität. Bis die Geschäftsbereiche begriffen haben, dass die wenigen eigenen Leute nicht wirklich einen nachhaltigen Service aufrechterhalten konnten, war es meistens viele Jahre und mehrere Projekt-Crashs später. Früher oder später fanden sich die privaten IT-Mitarbeiter erst unter fachlicher, dann unter disziplinarischer Führung der zentralen IT wieder. Und noch ein Wort zur Berichtslinie: Die IT soll für alle Geschäftsbereiche da sein. Der CFO ist es auch. Er hat meistens den größten Bedarf an IT, und er hat zusätzlich meist noch andere Querschnittsressorts bei sich. Da liegt es nahe, ihn als Infrastruktur-Manager mit der IT-Verantwortung auszustatten.

Ist das die optimale Lösung?

Popp: Idealerweise berichtet der CIO natürlich an den CEO. Das können sich aber nur Firmen leisten, bei denen die IT wirklich von zentraler strategischer Bedeutung ist. CIOs, die eine IT als Insel beibehalten wollen, kenne ich nicht. Wir haben nur mit dem ständig wiederkehrenden Wildwuchs durch neue Inseln bei den Anwendern zu kämpfen. Und daraus resultiert das hauptsächliche Spannungsfeld. Kollegen, die Dinge verbieten, sind nun einmal nicht beliebt. Sie müssen es aber trotzdem tun – zum Wohle ihrer Kunden.

Hinssen: Ich weiß, dass viele CIOs Probleme mit meiner Ansicht haben, weil sie denken, dass ich für eine Auflösung der klassischen IT-Abteilungen bin. Das ist nur ein Teil meiner Botschaft. Für die CIOs wünsche ich mir keine Abschaffung, sondern eine Neuausrichtung. Ich möchte nochmals betonen, dass sie sich zu Führern des Geschäfts wandeln müssen. Wenn sie das nicht schaffen, üben sie den falschen Beruf aus.

Popp: Tja, aus dem Führen des Geschäfts wird nichts werden – und es ist auch fraglich, ob das sinnvoll wäre. Das Geschäft führt der CEO, kein anderer. Wir müssen mit unseren analytischen Fähigkeiten und unserer einzigartigen Kombination aus technischem, betriebswirtschaftlichem und organisationspsychologischem Wissen das Geschäft unterstützen. Als Partner, aber nicht als Einzelkämpfer inmitten der Business-Units.

Sollen IT-Chefs nun jetzt alles über den Haufen
werfen und sich vom Techniker zum Geschäftsmann wandeln?

Hinssen: Ich gehe davon aus, dass nur wenigen der jetzigen CIOs dieser Wandel gelingen kann. Es gibt Firmen, die so frustriert mit ihrer IT waren, dass sie jemanden aus dem Business genommen und zum CIO gemacht haben, und das ist dann wirklich kein Spaß mehr für die Technikverantwortlichen. Die optimale Laufbahn hat für mich Filippo Passerini hingelegt. Er war erst 15 Jahre lang in der IT tätig, dann hat er acht Jahre im Marketing gearbeitet und wurde dann CIO bei Procter & Gamble.

Falsche Vorstellungen über die IT

Popp: Wie ich schon sagte: Der Frust kommt von falschen Vorstellungen darüber, was man mit IT sinnvoll erreichen kann. Der gut gemeinte Rat vieler IT-Manager wurde oft als ewiges Bremsen aufgefasst. CIOs, die aus dem Business kommen, lernen schnell, dass zu viel Bewegung in der IT falsch ist und ins Chaos führt.

"Manchen von uns kostet ein solcher Rat den Kopf"

Popp: Erfahrungen im Geschäftsbereich sind für einen CIO immer von Nutzen – ich selber habe als Produktmanager auch den Umgang mit Kunden und Vertrieb gelernt, weshalb ich mich heute viel leichter in die Rolle meiner Kunden einfühlen kann – aber die Erfahrung aus gescheiterten IT-Projekten sind eine unabdingbare Voraussetzung dafür, die Geschäftsbereiche vor übereilten Entscheidungen zu bewahren. Manchen von uns kostet ein solcher Rat den Kopf. Trotzdem müssen wir uns dem stellen, denn tun wir es nicht, dann ist die Strafe hinterher umso härter: Eine nicht mehr beherrschbare IT-Landschaft führt früher oder später ins Aus.

Das Gespräch führte Tanja Wolff.

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Event: Hinssen bekommt eine zweite Chance

Auf der Veranstaltung "Smart Enterprises" wird Peter Hinssen am 25. Februar in München seine Thesen erneut vorstellen. Wenn Sie mitdiskutieren möchten, melden Sie sich bitte hier an.