Das Farmbot-Netzwerk

Das smarte Feld im World Wide Web

07.11.2018


Dries Guth verantwortet seit 2016 das IoT Innovation Lab der itelligence AG. Er hat ein Studium der Neuroinformatik und Künstliche Intelligenz an der Universität Bielefeld absolviert.
Mit Technologiekonzepten wie Data Sharing, intelligenten Sensoren, Controlled-Environment-Agriculture (CEA), automatischer Bilderkennung und auf Blockchain basierenden Smart Contracts können Städte, Kommunen und Unternehmen in Zukunft ihre eigene Versorgung in lokalen Communities aufbauen.

Die Landwirtschaft kommt in die Städte - und disruptive Technologien lassen diesen Schritt erfolgreich werden. Lokale Nahrungsmittelerzeugung in smarten Städten ist keine Utopie mehr und ein wichtiger Baustein für eine nachhaltige Entwicklung unserer Zukunft. Hierbei muss die gesamte Lieferkette - "From Field to Fork" - betrachtet werden und es ist Aufgabe einer übergreifenden Community zu diskutieren, wie intelligentes und ganzheitliches Urban Farming, ethisch korrekter und nachhaltiger Konsum sowie neue Formen der Logistik in Informationstechnologie übersetzt werden.

Controlled-Environment-Agriculture, also kontrollierten Indoor-Farming, bringt Früchte, Pflanzen oder Gemüse näher zu den Verbrauchern in den Städten.
Controlled-Environment-Agriculture, also kontrollierten Indoor-Farming, bringt Früchte, Pflanzen oder Gemüse näher zu den Verbrauchern in den Städten.
Foto: FeelGoodLuck - shutterstock.com

Auf den Dächern in Tokio, London, Berlin, im Silicon Valley und in Singapur beobachten und diskutieren IT-Experten die Zukunft der Landwirtschaft. Hier stehen sogenannte Farmbots – intelligente Beete, die mit Informationstechnologien und Sensorik ausgestattet, automatisiert Radieschen, Blumenkohl und anderes Gemüse wachsen lassen.

Farmbots nutzen Robotik, Kameras und Sensoren und werden über ein Cloud-System gesteuert. Als Miniaturmodelle sind sie die ideale Umgebung, um beispielhaft die Ideen der Präzisionslandwirtschaft, des sogenannten "Precision Farming" mit denen des kontrollierten Indoor-Farmings, also der "Controlled-Environment-Agriculture" zu verknüpfen. Ziel dabei ist, die Innovationen rund um die neue Landwirtschaft in den Städten zu erproben und zu diskutieren.

Parallel dazu entsteht eine Plattform im Internet, auf der alle Erkenntnisse rund um die Farmbots gesammelt, diskutiert und in Algorithmen übersetzt werden. Fachleute aus allen Bereichen der Nahrungsmittelindustrie, der Logistik, Geräte- und Sensorhersteller, Stadtentwickler und IT-Experten sind eingeladen, an diesem Farmbot-Experiment teilzunehmen. Damit bildet sich eine übergreifende Community von Spezialisten, die den Wandel der Landwirtschaft vorantreiben werden.

Die Zeiten verlangen eine Änderung

Dieser Wandel ist unabdingbar, denn die Nahrungsmittelindustrie und deren Kunden stehen vor einem großen Umdenken bei der Produktion, bei der Distribution und dem Konsum der Lebensmittel. Viele Institutionen betonen, dass die bisherigen Methoden der Landwirtschaft kritische Grenzen weit überschritten haben. Die Vereinten Nationen sagen voraus, dass die Produktion von Lebensmitteln und Energie bis zum Jahr 2025 um bis zu 80 Prozent gesteigert werden muss, damit die Versorgung mit Nahrung mit dem Tempo des Bevölkerungswachstums Schritt halten kann. Doch schon heute ist die herkömmliche Landwirtschaft für 20 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich und verwendet rund 70 Prozent des weltweiten Trinkwassers.

In noch größerem Maß als das Trinkwasser verbraucht wird, scheint die Verschmutzung der Meere zu steigen. Schätzungen gehen davon aus, dass jährlich acht Millionen Tonnen Plastikmüll in die Ozeane geworfen werden. Auch hier gibt es Voraussagen für die nächsten sieben Jahre bis 2025: Bis dahin könnte sich die heutige Menge des Plastiks in den Ozeanen auf insgesamt 250 Millionen Tonnen verdoppelt haben. Ein großer Teil der Plastikverpackungen stammt aus der Nahrungsmittelindustrie – wie Plastikfolie oder PET-Flaschen.

Für die Länge der Transportwege unserer Nahrung hat sich der Fachbegriff "Food Miles" etabliert. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Essen über Tausende – oder sogar Zehntausende von Kilometern transportiert wird – selbst wenn die importierten Früchte, Pflanzen oder Gemüse in der eigenen Region oder im eigenen Garten wachsen. Auf dieser Weise sind die Herkunft der Produkte, die Situation bei deren Anbau oder auch der Einsatz von Pestiziden in keiner Weise nachvollziehbar. Dagegen legen Untersuchungen nahe, dass die Konsumenten durchaus für lokal produzierte Nahrung zahlen würden.

Aus diesen dystopischen Szenarien leiten Zukunftsforscher einen neuen Megatrend ab – den "Ethischen Konsum". Und es ist keine Frage: Nachhaltigkeit und Umweltschutz haben das Potential zu einem Kerngedanken in der Nahrungsmittelindustrie und in der Landwirtschaft zu werden. Hierfür ist aber ein Umdenken bei den Geschäftsmodellen und bei der Zusammenarbeit rund um den Globus nötig. Eine zweite Anforderung ist der Aufbau von transparenten Supply Chains sowohl innerhalb der Regionen wie auch über die Kontinente hinweg. Und drittens müssen NahrungsmittelNahrungsmittel, deren Produktion und die Logistik ganzheitlich betrachtet werden. Top-Firmen der Branche Nahrungsmittel

Community für Ethischen Konsum aufbauen

Der Vorstellung einer zerstörerischen und ressourcenvernichtenden Landwirtschaft setzen Stadtplaner, Architekten und auch IoT-Spezialisten das Konzept der grünen, smarten Stadt entgegen. Vertikales Farming und Informationstechnologie können bei diesen Plänen entscheidende Bausteine sein.

Der weltweite Markt für vertikale Landwirtschaft belief sich 2016 auf 1,4 Milliarden US-Dollar. In einem Prognosezeitraum bis 2023 wird mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 24,2 Prozent gerechnet. Vorteile, die durch die vertikale Bewirtschaftung entstehen sind unter anderem ein geringer Wasserbedarf, niedrige Transportkosten und reduzierte Kosten der Verarbeiten von Produkten. Diese Faktoren adressieren eine nachhaltige Entwicklung und können als klarerer Wachstumstreiber für diesen Markt gesehen werden.

Eben weil Smart Cities den Anspruch haben, Landwirtschaft und Urbanität zu verbinden, könnte die Informationstechnologie die Grundlage für diese Fusion bieten. Zum einen, weil IoT- und Industrie-4.0-Konzepte und -Technologien die Automatisierung und Industrialisierung innerstädtischer Anbauflächen unterstützen. Alte Fabrikhallen und Industrieflächen, Dächer sowie Brachgelände werden schon heute als vertikale, übereinander gestapelte landwirtschaftliche Flächen genutzt. Mit Unterstützung von Robotern und deren intelligenter Steuerung könnten diese Flächen wesentlich besser genutzt und die Erträge gesteigert werden. Hier ist die Herausforderung, die vertikale Landwirtschaft in Daten, Codierung und Software zu übersetzen.

Zum Zweiten bieten Informationstechnologie und Vernetzung über das Internet die Grundlage für die effiziente und effektive Zusammenarbeit aller Beteiligten. Notwendig scheint der Aufbau einer Plattform, auf der Diskussionen, Knowhow, Wissen um Prozesse, Technologien und Anforderungen gesammelt und geteilt wird. Anhand verschiedener Best-Practice-Cases können diese Erfahrungen weitergegeben und weiterentwickelt werden. Anhand des oben beschriebenen Farmbots wird es möglich, die gesamte Kette vom Saatgut bis zum Teller – "From Field to Fork" – durchzuspielen und zu analysieren.

Welche Funktionen für die smarte Landwirtschaft benötigt werden, kann nur über einen längeren Zeitraum und mit Absprache aller Beteiligten in einer übergreifenden interdisziplinären Community geklärt werden. Themen, die in dieser Community behandelt werden müssen, sind:

  • Sensorik und Hardware für den geeigneten Einsatz in Closed-Agriculture-Environments

  • Machbare Wachstumskonzepte und geeignete Gebäudestrukturen - Geschäftsprozesse für Einkauf, Verkauf und Distribution der Produkte

  • Maschinensteuerung und Robotik

  • Transport- und Logistikkonzepte mit GPS und Geolocation

  • Bilderkennung und Videoverarbeitung

  • Big-Data-Analysen und Auswertungen

  • Blockchain und smarte Verträge für transparente Logistik

  • Politische Konzepte zu Innovationen in zukünftigen urbanen Lebensräumen

Transparente Logistik mit Blockchain

Aus dieser Liste sei eine Technologie hervorgehoben: Anders als die anderen genannten Funktionen ist die "Blockchain" noch nicht ausreichend in der Community diskutiert worden. In einer Studie beschreiben die Marktforscher von SAP Einsatzgebiete und Potential der Blockchain innerhalb der Logistikketten:

Anwendungsgebiet "Transportmanagement": Aufbau von Blockchain-Szenarios für den internationalen HandelHandel für alle Transportmittel und Branchen. Verkäufer, Käufer, Banken und Behörden können so Dokumente auf elektronischem Weg teilen, prüfen und genehmigen. Auch die Verfolgung des Prozessstatus‘ sowie die Übergabe erfolgen elektronisch. Top-Firmen der Branche Handel

Anwendungsgebiet "Global Track & Trace": Einheitliche, durchgängige Verfolgung und Überwachung von Objekten und Geschäftsprozessen entlang von Lieferkettennetzwerken mit umfassenden Berichterstellungsfunktionen. Die Blockchain-Technologie wird genutzt, um Tracking-Informationen unveränderbar und manipulationssicher zu machen und um die sichere Herkunft und Echtheit von Produkten zu gewährleisten. Dies schafft die Grundlage für voll automatisierte Zahlungs- und Abrechnungsprozesse.

Anwendungsgebiet "Vom Erzeuger bis zum Endverbraucher": Lebensmittelproduzenten und Einzelhändler arbeiten zusammen, um eine bessere Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten, das Markenimage zu wahren und das Vertrauen in die Lebensmittelsicherheit zu stärken.

Im Anwendungsfall des Vertical Farming bietet Blockchain die Möglichkeit smarte Verträge abzuschließen. Diese Online-Dokumente stehen am Beginn einer Blockchain, die mit immer neuen Einträgen aus miteinander verlinkten Dokumenten die gesamte Wertschöpfungskette abbilden kann. Übertragen auf Vertical Farming kann die Blockchain ab der Produktion und Vermehrung des Saatgutes jeden einzelnen Prozessschritt bis zum Teller abzubilden.

Best Practice

Einer der wichtigsten Kritikpunkte am Vertical Farming ist der immense Energieverbrauch, der mit dem Anbau von Gemüse oder Getreide innerhalb eines Gebäudes und über mehrere Etagen verbunden ist. Deshalb scheint es logisch, dass die ersten Gebäude, die als vertikale Farmen designt sind, in den energiereichen Ländern im Nahen Osten entstehen. Und auch hier ist der Idealfall, dass die Nahrung "unter dem Dach produziert und an der Straße verkauft" wird.

Dass dies keine allzu ferne Utopie ist, zeigen verschiedene Projekte in Saudi Arabien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Saudi Arabien plant den Bau einer Megacity, die sich zum Teil selbst versorgen soll. Und Emirates Flight Catering möchte in der Nähe von Dubai mit Investitionen in Höhe von 40 Millionen Dollar die größte vertikale Farm der Welt aufbauen.

Diese Use Cases zeigen nicht nur eine Verschiebung bei der Vorstellung, was ein Gebäude ist und welche Funktionen es haben kann. Sie zeigen auch, dass Städte so flexibel sind, dass sie sich verändern, um sich an den neuen Megatrend anzupassen.

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