Streit ums Düngerecht
Eine Verordnung, die keinen glücklich macht
Es ging um Geld, um viel Geld: Weil Deutschland die Ziele der 1991 eingeführten EU-Nitratrichtlinie nicht erfüllte, drohte eine Strafzahlung von bis zu 850 000 Euro am Tag. Zum ersten Mal wäre Deutschland wegen der Nichterfüllung einer EU-Richtlinie bestraft worden. Diesen Gesichtsverlust wollte sich das Land nicht leisten. Vor drei Jahren, am 27. März 2020, wurde die verschärfte Düngeverordnung im Bundesrat beschlossen. Schon seit 2012 hatte die EU-Kommission die Bundesregierung zu einer Veränderung der Düngeregeln aufgefordert.
Das Problem: In vielen Regionen Deutschlands ist das Grundwasser durch den Eintrag von Dünger aus der Landwirtschaft zu stark mit Nitrat belastet. Vor allem in den Gebieten mit hoher Viehdichte - wie in einigen Teilen Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens - gibt es die sogenannten roten Gebiete, wo die Grundwassermessstellen zu hohe Nitratwerte melden. Erlaubt sind maximal 50 Milligramm Nitrat pro Liter. Aktuell liegt der Stickstoffüberschuss im deutschlandweiten Durchschnitt immer noch bei rund 80 Kilogramm pro Hektar.
Nitrate sind Salze der Salpetersäure (HNO3) und lösen sich gut in Wasser, in der Landwirtschaft werden sie als Mineraldünger oder in Form von Gülle für mehr Pflanzenwachstum verwendet. Wird mehr gedüngt als Pflanzen und Böden aufnehmen können, sickert das überschüssige Nitrat ins Grundwasser.
Nährstoffüberversorgung belastet Ökosysteme
In der Folge kommt es zur Nährstoffüberversorgung (Eutrophierung) von Flüssen, Seen und Meeren, die Ökosysteme schwer beeinträchtigen kann. Im menschlichen Körper kann aufgenommenes Nitrat unter bestimmten Umständen zu gesundheitlich bedenklichem Nitrit umgewandelt werden. In weiteren Reaktionen können sogenannte Nitrosamine entstehen, die krebserregend wirken können.
Zu viel Nitrat schränkt daher die Nutzbarkeit des Grundwassers ein. Damit entsteht langfristig auch für die Trinkwasserversorgung ein Problem. Daher fordern auch die Wasserversorger in Deutschland seit vielen Jahren, die Belastung des Grundwassers zu verringern. Wegen dieses Problems hatte die EU-Kommission Deutschland am Europäischen Gerichtshof verklagt und 2018 Recht bekommen.
Zum 1. Mai 2020 trat die neue Düngeverordnung in Deutschland in Kraft - und seit dem 1. Januar 2021 gelten strengere Düngeverordnungen, die Länder sind für die Umsetzung verantwortlich. Eine Folge ist, dass sich Landwirte in roten Gebieten bei der Düngung einschränken müssen - erlaubt ist nur noch eine Düngung, die 20 Prozent unter dem Bedarf der Pflanzen liegt.
Landwirte beklagen geringere Erträge
Landwirte haben in der Folge über Ertragsminderungen oder schlechtere Qualität - etwa beim Eiweißgehalt von Getreide - geklagt. Das Bundeslandwirtschaftsministerium verweist darauf, dass die 20-Prozent-Regel nicht schlagbezogen gelte, sondern im Betriebsdurchschnitt der Flächen. "Damit erhalten die Betriebe einen gewissen Gestaltungsspielraum zur Anpassung der Düngung", erklärt eine Sprecherin. Gegebenenfalls gebe es auch die Möglichkeit, mit einer geänderten Fruchtfolge die Düngungseinschränkung zu kompensieren.
Haben die schärferen Regeln in den vergangenen zwei Jahren denn für Umwelt und Gesundheit etwas gebracht? "Jein", sagt Falk Hilliges, der beim Umweltbundesamt für den allgemeinen Grundwasserschutz zuständig ist. Wegen des kurzen Zeitraums lasse sich noch nicht sagen, inwieweit es Auswirkungen auf das Grundwasser gebe, diese seien erst nach vielen Jahren erfassbar.
Zumindest eine kleine Verbesserung bei der Nitratbelastung lässt sich aus Sicht des Umweltbundesamtes aber schon feststellen: Aktuell seien in Deutschland 22 Prozent der Grundwasserkörper in einem schlechten Zustand. Vor sechs Jahren seien es noch 27 Prozent gewesen. Allerdings fügt Hilliges eine Einschränkung hinzu: "Man kann nicht pauschal sagen, dass die veränderten Düngeregeln die Ursache sind, sondern es ist ein ganzer Strauß an Maßnahmen, der dafür verantwortlich ist."
Alle vier Jahre müssen an die EU-Kommission die Daten für den Nitratbericht zur Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie weitergegeben werden. Den letzten Bericht gab es 2020, der nächste stehe für das kommende Jahr an, sagt Hilliges: "Wir können erst Ende dieses, Anfang nächsten Jahres genauere Auskunft geben."
Die EU-Kommission halte weitere Schritte für notwendig, um das Vertragsverletzungsverfahren zu beenden, heißt es dazu aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Derzeit werde eine Änderung des Düngegesetzes abgestimmt, um künftig die Wirksamkeit der Düngeverordnung besser beurteilen zu können.
Verkorkstes System
Aus Sicht der Landwirtschaft sei das neue Düngerecht ein "verkorkstes System", sagt der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes und Präsident des Landvolks Niedersachsen, Holger Hennies. Wegen der hohen Schweine- und Geflügeldichte im Weser-Ems-Raum gehört das Bundesland zu den Ländern, die am stärksten von den Verschärfungen betroffen sind. Entsprechend war auch der Unmut unter den niedersächsischen Landwirten hoch.
Die Düngewerte seien in Niedersachsen gesunken, sagt Hennies. Aber die Verordnung sei zu kompliziert: "Landwirte als auch Berater und Kontrollbehörden sind überfordert mit dem System." Einige Landwirte oder Landwirtinnen bekämen Geldstrafen aufgebrummt - nicht, weil sie zu viel düngten, sondern weil sie sich um ein Kilo pro Hektar verrechneten.
Aus Sicht der Umweltschutz- und Wasserverbände hat die Düngeverordnung gar nichts gebracht, wie Tilman Uhlenhaut für die Umweltorganisation BUND sagt. "Mit dieser Düngeverordnung sehen wir keine Chance, dass die Nitratrichtlinie von 1991 eingehalten werden kann." Fortschritte bei der Nitratbelastung sehe er nicht - es gebe nicht wenige Messstellen, an denen die Belastung sogar steige. Unterm Strich böten die Düngeregeln des Bundes zu viele Schlupflöcher. Dass in den vergangenen fünf Jahren weniger gedüngt worden sei, habe saisonale Gründe und liege vor allem an der Wettersituation.
In einem Punkt sind sich alle einig: Wenn die Politik in Deutschland schon vor Jahren gegengesteuert hätte, wären die Probleme heute nicht so groß. Uhlenhaut fordert, dass die Landwirtschaft sich ändern müsse, vor allem der Viehbestand müsse sinken. Politik und Gesellschaft dürften die Landwirte dabei nicht alleine lassen und müssten bei der Umstellung helfen - denn die Landwirte hätten nur auszubaden, was die Politik jahrelang versäumt habe. "Die Landwirte haben sich tatsächlich jahrzehntelang an die Gesetze gehalten." (dpa/ad)