FREIBERUFLER UND IT-LEITER
Heimliche Liebe
DIE SCHWEIZ IST KLEIN. Jeder kennt jeden. Wenn ein CIO dort ein Projekt anschiebt, setzt er sich in ein Café und wartet, bis sich die nötigen Spezialisten zu ihm an den Tisch gesellen. So jedenfalls klingt es, wenn Erich Hofer über seine Arbeit redet. Der Leiter IT-Solutions bei der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft greift gern auf FreiberuflerFreiberufler zurück, die er persönlich kennt oder die ihm empfohlen werden. In Bern geht das. „Der IT-Markt in der Schweiz ist eine Familie“, sagt Hofer. „Menschen werden über Menschen vermittelt.“ Der IT-Leiter braucht professionelle Vermittler genauso wenig wie Beratungshäuser, deren Overhead er nicht mitbezahlen will.
Außerhalb der Schweiz geht es weniger familiär zu. In Österreich verzichtet Brigitte Althuber, CIO beim Linzer Stahlkonzern Voestalpine, auf das Verhandeln mit freiberuflichen Spezialisten – obwohl es genügend Kaffeehäuser gibt. Das habe nichts mit genereller Ablehnung gegenüber Freiberuflern zu tun, sagt Althuber. Aber das Verhandeln mit Einzelpersonen sei zu risikoreich, da man bei Ausfall selbst hinter einem Ersatzmann herlaufen müsse. „Wir vergeben Aufträge über Leistungen“, sagt Althuber. „Von wem die erbracht werden, ist mir egal. Wir sind mit niemandem verheiratet. Nur das Verhältnis zwischen Preis und Leistung zählt.“ Voestalpine zählt zu den klassischen Kunden von Beratungshäusern, die sich viel leisten können, nur keine Unzuverlässigkeit. Knapp 200 feste IT-Mitarbeiter wachen über den korrekten Datenfluss rund um die Hochöfen und die hochkomplexen Walz- und Weiterverarbeitungsanlagen. Ohne IT werde keine Tonne Stahl mehr produziert, sagt Althuber.
Die beiden Beispiele aus den Alpenländern machen die Crux im Umgang mit Freiberuflern deutlich: CIOs würden ja gern von Mensch zu Mensch verhandeln und mit jedem Einzelnen Kontakt aufnehmen. Doch schon wer mehr Verantwortung als ein Bereichsleiter trägt, hat nicht mehr die Zeit, Einzelkämpfer zu einem Team zusammenzuschweißen. Genau dieses Defizit haben Firmen wie Ascena, Elan oder Quadro als ihre Chance erkannt. Sie ermöglichen CIOs die Zusammenarbeit mit verhältnismäßig günstigen Freelancern, schaffen aber gleichzeitig die Verbindlichkeit eines Beratungshauses, indem sie als Vertragspartner für ganze ProjekteProjekte auftreten. Bei Ausfall einzelner Freiberufler wackelt also nicht gleich die ganze Auftragserledigung.
Angst vor Gewerkschaft
Aufseiten der großen Unternehmen kommt das Geschäftsmodell gut an. 22 der DAX-30-Werte seien Kunden von Ascena, sagt Vorstand Dieter Dürr. Bei Quadro und Elan nennt man keine Zahlen, beteuert aber, von der gleichen Klientel konsultiert zu werden. Die Firmen geben nicht gern zu, dass sie sich freie IT-Kolonnen vermitteln lassen. Das Verhältnis zwischen Projektgebern und -nehmern gleicht dem zwischen Reeperbahn- Besucher und Bordellbetreiberin. Sie duzen sich zwar, grüßen sich auf der Straße aber trotzdem nicht. Man möchte nicht in Verbindung gebracht werden, jedenfalls der Kunde möchte das nicht. Für Andreas Barthel, Vertriebsleiter bei Quadro, hat das einen einfachen Grund: „Wir arbeiten für einige große Firmen, die gerade fleißig entlassen. Da will natürlich niemand an die große Glocke hängen, dass Freelancer im Betrieb sind.“
Genauso wie die großen Unternehmen geben auch IT-Beratungshäuser ungern zu, Freelancer von Ascena, Quadro oder Elan zu beschäftigen. Lieber pflegt man das Bild, die eigene Mannschaft sei ein alt eingespieltes Team mit bewährten Grundsätzen. Karl Grupp, Geschäftsführer Development bei BASF IT Services, bekennt sich dagegen offen, Kunde eines Projektnehmers zu sein: „Die Stärken von Ascena liegen in der Zuverlässigkeit und kurzfristigen Verfügbarkeit der Fachkräfte, die großes IT-Know-how besitzen.“ Grupp setzt die Freiberufler an den Stellen ein, wo weniger Branchenwissen gefragt ist. Geht es um Lösungen in der Prozessindustrie, vertraut er lieber auf die eigenen rund 2000 Mitarbeiter. Ähnlich argumentieren auch die anderen IT-Häuser, die mit Freiberuflern arbeiten. Ergänzend zur Kernmannschaft kaufe man bei Anbietern wie Ascena und zum Teil auch direkt auf Freiberuflerbörsen zu (www.gulp.de, www.freiberuflerinfo.de etc.). Die Beratungsphilosophie leide aber nicht darunter, dass Einzelkämpfer vorübergehend zum Team stoßen.
Stundensätze zwischen 60 und 200 Euro
Vorreiter bei den Projektnehmern ist die Firma Ascena aus Mannheim, für die zurzeit rund 700 Freelancer in deutschen Großunternehmen arbeiten. Nach eigenen Angaben kann Ascena auf einen Pool von etwa 40 000 freien Mitarbeitern zurückgreifen, die ihr Profil unter www.ascena.de hinterlassen haben. 14 000 davon befragen die festen Ascena-Mitarbeiter einmal pro Quartal nach Können und Verfügbarkeit. Bevor sie zum Einsatz kommen, müssen die Freelancer noch ein intensiveres Interview durch die Recruiter bestehen. Übrig bleibt ein Personalspektrum, das vom Helpdesk-Mitarbeiter bis zum Projektleiter reicht und eine Gehaltsspanne von 60 bis 200 Euro pro Stunde abdeckt. Am unteren Ende überschneide man sich mit den Angeboten von Zeitarbeitsfirmen, sagt der Ascena-Vorstandsvorsitzende Dieter Dürr. „Kistenschieber haben wir aber nicht.“
Bei den Freiberuflern kommt die Leistung solcher Projektnehmer gut an. Sie zahlen rund 20 Prozent ihres Honorars dafür, dass ihnen die Vermittler attraktive Aufgaben beschaffen. Susanne Bisping, Geschäftsführerin im Berufsverband Selbständige in der Informatik (www.bvsi.de), schätzt, dass sich etwa 70 Prozent ihrer Verbandsmitglieder über Dritte vermitteln lassen. Beispiel Ulrich Kossmann: Der freie Projektleiter erzielt seinen Umsatz mehrheitlich als assoziierter Partner einer Agentur, bei der er neben der Vermittlungsgebühr auch noch einen Kundenschutz von 18 bis 24 Monaten akzeptieren muss. Trotzdem ist er zufrieden. Früher habe er versucht, direkt an CIOs heranzutreten, sei aber immer an der Frage gescheitert: „Was passiert, wenn Sie ausfallen?“ Außerdem müsse er nicht wirklich finanzielle Einbußen durch den Zwischenhändler seiner Arbeitsleistung erleiden, sagt Kossmann. „Bei Freiberuflerbörsen wie Gulp.de erziele ich keine besseren Stundensätze. Da treten einem die Kunden viel skeptischer gegenüber, weil man sich in der Regel nicht kennt.“
Kritik an Projekt-Freelancern
Kritik am Modell der Projektnehmer kommt aus zwei Ecken: Zum einen hegt der Gesetzgeber Zweifel daran, dass Fachkräfte immer freiwillig ein Selbstständigendasein pflegen, was sich bei ITlern jedoch anhand der Stundensätze leicht widerlegen lässt. „Wir arbeiten ständig daran, dass das Arbeitnehmerüberlassungsmodell für uns nicht zum Problem wird“, sagt Ascena-Vorstand Dürr. Zum anderen rücken die Projektnehmer mit ihren Leistungen in die Nähe von Beratungshäusern. Zwar greift das Kostenargument, dass klassische Consulting- Unternehmen ihren Fachkräften Festgehälter zahlen und diese auf die Kunden umlegen. Doch auch Freelance- Verwalter brauchen eine Administration, um aus dem Hühnerhaufen der Freiberufler verlässliche Projektteams zu formieren. „Jede Firma hat Overhead“, konstatiert Althuber. Der IT-Chefin fehlt der Glaube, dass zwischen Kaffeehausvermittlung und Consulting-Unternehmen etwas Neues entsteht. Gerade erst hat sie wieder eine Mail gelöscht, in der zwei freiberufliche Programmierer ihre Dienste offerieren. Allerdings hatte deren Vermittler auch jede Verbindlichkeit vermissen lassen.
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