Es fehlt der Händedruck
Präsenzmessen stehen vor Comeback
Die Frankfurter Buchmesse, die erste IAA in München, die it-sa in Nürnberg, Anuga und Art Cologne: Der deutsche Messekalender ist in diesem Herbst fast so gut gefüllt wie vor der Corona-Krise. Nach 18 Monaten Zwangspause wollen die Messegesellschaften endlich wieder durchstarten und mit internationalen Präsenzveranstaltungen bei Ausstellern und Fachbesuchern punkten. Neuerliche Absagen wegen der Delta-Variante des Corona-Virus sollen dabei mit ausgefeilten Hygiene-Konzepten verhindert werden.
Der Branchenverband Auma schätzt den volkswirtschaftlichen Schaden durch die vielen abgesagten Messen inzwischen auf deutlich über 40 Milliarden Euro seit Beginn der Pandemie im März 2020. Im vergangenen Jahr seien rund 70 Prozent der Messen abgesagt worden und in diesem Jahr seien es auch schon über 60 Prozent, sagt Auma-Geschäftsführer Jörn Holtmeier. "Das ist die größte Katastrophe unserer Branche seit 70 Jahren." Man sei nun aber froh, dass die Bundesländer zum Neustart verbindliche Rahmen für die Durchführung von Messen geschaffen hätten. "Die Unternehmen benötigen auch künftig Planungssicherheit. Wir können nicht einfach im schnellen Wechsel auf und zu machen."
Der Frankfurter Messechef Wolfgang Marzin glaubt fest an die Zukunft der Präsenzmessen: "Die zwangsweise vollständige Verlagerung von Veranstaltungen in den digitalen Raum hat wie unter dem Brennglas deutlich gemacht, dass die physische geschäftliche Begegnung ihre Funktion für den Geschäftserfolg behält, vielleicht sogar ausbauen wird." Deutschlands umsatzstärkste Messegesellschaft hat im Corona-Jahr 2020 zwei Drittel ihres Umsatzes verloren und einen Verlust von 122 Millionen Euro verbucht, wobei 2021 eher noch schlechter läuft. Immerhin konnte Marzin bislang Entlassungen vermeiden, Stellen werden im Frankfurter Messe-Torhaus aber dennoch abgebaut, wie an den anderen Messestandorten auch.
Die Nürnberger Firma Hoff-Interieur GmbH bezeichnet sich selbst als "Marktplatz der Welt", weil sie ihre Wohn-Accessoires in weltweit mehr als 300 Handwerksbetrieben herstellen lässt und dann an Einzelhändler vertreibt. Während der Pandemie habe man viel Zeit und Geld in digitale Projekte gesteckt, Webshops verbessert und die Produkte dreidimensional visualisiert, berichtet Firmenchef Lars Adler. "Das sind alles Dinge, die auch nach der Pandemie bestehen bleiben werden, aber Messen in keinster Weise ersetzen können." Die Sortimente könnten ihre volle Wirkung nur inszeniert in emotionalen Themenwelten entfalten, der Kunde müsse sie haptisch wahrnehmen.
Digitale Formate haben ihre Grenzen
Die digitalen Formate aus der Zwischenzeit haben ihre Grenzen im zwischenmenschlichen Bereich, glaubt man auch beim Verband. "Die Geschäftspartner kennenlernen und ein Vertrauensverhältnis aufbauen, das geht nur im persönlichen Kontakt", ist Auma-Geschäftsführer Holtmeier überzeugt. "Gemeinsam Geschäfte zu machen basiert auf Vertrauen, das kann man online nicht ersetzen. Es braucht einfach den Händedruck."
Auch der Messeverband verweist auf die direkten Möglichkeiten, die jeweiligen Produkte oder Dienstleistungen mit allen Sinnen zu erleben, sich einen Eindruck über den Gesamtmarkt zu verschaffen und letztlich auch auf die Funktion der Zufallsbegegnung, die schon am Anfang von vielen guten Projekten gestanden habe. Hoff-Chef Adler stimmt dem zu: "Messen sind auch das "Lagerfeuer" unserer Branche und als solches unverzichtbar."
Gerade bei Konsumgütern sei es für die Messe-Fachbesucher unverzichtbar, sich persönlich von der Qualität der Waren zu überzeugen, sagt auf der Einkäuferseite der Geschäftsführer des Handelsverband Wohnen und Büro, Christian Haeser. "Auch das Networking, der persönliche und vertrauensvolle Austausch mit den Lieferanten und den Händlern auf der Messe vor Ort sowie das Aufspüren neuer Trends ist lediglich im Rahmen einer Präsenzmesse möglich. Reine Onlineformate können dies nicht kompensieren."
Die Einkäufer wünschen sich aber sehr wohl digitale Zusatzangebote, die möglichst auch Kosten sparen sollen. "Es wird Sprünge geben bei der Integration sinnvoller digitaler Elemente", sagt Frankfurts Messechef Marzin. Vieles ist schon vor Corona auf den Weg gebracht worden wie zusätzliche Informationsangebote, Termintools oder die gezielte elektronische Ansprache von Teilgruppen.
Gleichzeitig achten die Teilnehmer verstärkt auf ihre Kosten beim Messeauftritt: Delegationen werden verkleinert, Übernachtungen möglichst reduziert. Wegen des fehlenden Messegeschäfts haben in Frankfurt bereits mehrere Hotels dicht gemacht: Dem Fünf-Sterne-Flaggschiff Hessischer Hof folgten zuletzt drei Häuser der Kette Fleming's, weitere Betriebe könnten bald folgen, fürchtet der örtliche Hotel- und Gaststättenverband. Marzin weist aber auf die vielen vor Corona neu eröffneten Häuser: "An mangelnden Übernachtungsmöglichkeiten in Frankfurt und in der Rhein-Main Region wird keine unserer Veranstaltungen scheitern." Schon die wieder auf Präsenz umgestellte Buchmesse des Deutschen Börsenvereins wird im Oktober zeigen, wohin die Reise geht. (dpa/rw)