Verantwortung war gestern

Die Jungen sind führungsmüde

02.06.2014 von Bettina Dobe
Karriere ja, Führung nein: Immer weniger Manager wollen Personalveranwortung, so eine Studie. Das verändert Unternehmen - zum Positiven.

Mitarbeitergespräche führen, Weiterentwicklungen besprechen und sich mit Zielerreichung und Planstellen herumschlagen? Bloß nicht. Die Jungen wollen nicht mehr führen, jedenfalls nicht mehr so wie frühere Generationen. Das ergab das "Manager-Barometer 2013" des Personalberaters Odgers Berendtson. Sehr ausgeprägte "Freude an Führungsaufgaben" empfanden nur 58,5 Prozent der 1193 teilnehmenden Führungskräfte. Auch wenn dies auf den ersten Blick nach einer hohen Prozentzahl klingt, sollte nicht vergessen werden, dass Führung die Hauptaufgabe von Managern ist.

Vor allem Jüngere haben heine Lust auf Führungsverantwortung.
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Nach Altersgruppen aufgeschlüsselt ergibt sich ein differenzierteres Bild. Je älter die Führungskräfte, desto mehr Spaß macht es ihnen, Personal zu führen und zu entwickeln. "Vor allem junge Manager und weibliche Führungskräfte haben weniger Interesse daran, Führungsverantwortung zu übernehmen", heißt es in der Studie. Warum die jüngeren jedoch keine Lust mehr haben, Personalverantwortung zu übernehmen, darauf hat die Studie keine Antwort.

Wertewandel der Generation Y

Werner Schultheis, CIO der Zeitarbeitsfirma Randstad Deutschland, überrascht diese Zahl nicht. "Wir beobachten dieses Phänomen schon seit ein paar Jahren", erzählt er. "Es wird immer schwieriger, Mitarbeiter zu finden, die auch Führungsverantwortung übernehmen wollen." Gerade jüngere Mitarbeiter sträubten sich dagegen. Schultheis kann nur vermuten, warum sie sich von der Personalverantwortung abwenden. "Möglicherweise steckt da ein Wertewandel dahinter", sagt er.

Im technischen Bereich habe dieser Prozess begonnen, erzählt der CIO. "Viele junge Manager finden die Fachfragen viel interessanter als Personalfragen", glaubt Schultheis. "Ich vermute, dass sie sich an den Start-Up-Kollegen orientieren." Jene könnten am Ende des Arbeitslebens von sich behaupten, drei Unternehmen gegründet und fünf Produkte auf den Markt geworfen zu haben. "Während man selbst sich dreißig Jahre um Mitarbeiter gekümmert hat", sagt Schultheis. Da erscheine das Praktische, die Herausforderungen der Technik und das "Machen", viel interessanter als das Zwischenmenschliche. Die Studie bestätigt die Ansicht des CIOs: Am meisten fühlen sich Führungskräfte motiviert, wenn sie ihre Stärken und Begabungen einsetzen können. Im Umkehrschluss: Wer nicht gern führt, der vernachlässigt sein Team. Das demotiviert und führt insgesamt zu schlechteren Ergebnissen.

Keine Führung = keine Karriere?

Wie kann man Karriere machen, ohne Personal zu übernehmen? Früher war das unmöglich.
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Die Abkehr von der Personalverantwortung wirft nicht nur dieses Problem auf: Auf das Gehalt und die inhaltliche Verantwortung, die ein Managerposten mit sich bringt, wollen die Jungen nicht verzichten. Wenn sich die Generation Y aber nicht für Personalfragen interessiert, kann sie keine Karriere machen. Oder? "Früher war das so. Wer sich nur für die Technik interessierte, blieb auf der Karriere-Leiter stehen", erzählt Schultheis. "Damals war Karriere mit Führung gleichzusetzen." Zumindest bei Randstad sei das nun nicht mehr so, meint er. Die eingleisige Förderung von Talenten ist mit den jungen Managern nicht zu machen.

Die Fachkarriere bietet die Lösung. Sie ermöglicht Aufstieg ohne Personalverantwortung - und sie ist die Zukunft, glaubt Schultheis. "Der Kampf um die Talente wird härter. Einen Spezialisten, so wie wir ihn gerade in der IT mit seinen Fähigkeiten brauchen, bekommt man auf dem Markt nur schwer", erläutert der CIO seine Position. "Diesen Mitarbeiter wollen wir halten - also müssen wir ihn auch befördern und mehr Gehalt zahlen. Auch dann, wenn er kein Personal führen möchte oder kann." Die Fachkarriere sei für sein Unternehmen dringend notwendig, um Experten zu halten. "Wir wollen nicht dauerhaft mit Consultants arbeiten", sagt Schultheis.

Fachkarriere als Ausweg

Dass Fachkarriere das Zauberwort ist, ergab auch die Umfrage der Personalberater: Führungskräfte in Deutschland befürworten Fachkarrieren. Knapp 20 Prozent der Befragten gaben an, dass dies ein sehr geeigneter Weg sei, um der "Führungsmüdigkeit" etwas entgegenzustellen und 55 Prozent hielten dies zumindest für ein geeignetes Instrument. "Die Fachkarriere bietet Menschen die Chance, eine Karriere zu durchlaufen, ohne dass sie Personalverantwortung übernehmen müssen - das will ja nicht mehr jeder", sagt Schultheis.

"Mir macht es zum Beispiel sehr großen Spaß, Mitarbeitern auch Impulse zu geben", sagt der CIO. Auch, wenn dies zeitraubend sei. Vielleicht ist auch der Faktor Zeit eine mögliche Erklärung für die Führungsmüdigkeit: Immer stärker möchten sich Manager Zeit für ihr Privatleben und die Familie nehmen. "Eine ausgeglichene Work-Life-Balance ist deutschen Managern sehr wichtig", heißt es in der Umfrage - doch wer Personalverantwortung Ernst nimmt, verbringt viel Zeit mit den Mitarbeitern.

Neue Organisations-Strukturen

Um Fachkarrieren in Unternehmen zu ermöglichen, braucht es Kreativität und Mut. Wie eine Fachkarriere im Unternehmensalltag aussehen kann, beschreibt Schultheis: "Dafür müssen alte Strukturen aufgelöst werden." In seinem Unternehmen kämen häufig Projekt-Manager zum Einsatz. "Es ist auch möglich, Projekt-Manager ohne Linienkompetenz zu sein." Die Spezialisten würden wegen ihrer fachlichen Expertise dringend gebraucht: "Wir fahren so viele Projekte. Ohne sie würde es nicht laufen", erklärt er.

Die Fachkarriere bietet einen Ausweg aus dem Dilemma.
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Ganz ohne Führungskompetenz läuft freilich kein Unternehmen rund: Die Personalentwicklung hat der jeweilige Linien-Manager inne, er führt auch die Mitarbeitergespräche. Der Projekt-Manager, erzählt Schultheis, habe thematisch und fachlich Verantwortung für seinen abgeschlossenen Bereich, in Personalbelangen aber nicht. "Das muss von beiden Seiten akzeptiert werden, da darf es keine Diskussionen geben." Um die verschiedenen Karriereschritte voneinander abzugrenzen, hätten sie neue Bezeichnungen eingeführt, erklärt Randstad-CIO Schultheis. "Wer weiter aufsteigt, wird zum Senior und dann zum Chief Project Manager."

Vorbildrolle

Ganz auf die Technik konzentrieren können sich Projektmanager allerdings auch nicht. "Sie müssen auch eine gute soziale Kompetenz aufweisen und sehr gut spüren können, wann die Teamkollegen wo abgeholt werden müssen", sagt Schultheis. Die emotionale Komponente dürfe auch in Fachkarrieren nicht vernachlässigt werden. "Unsere Projektmanager haben auch eine Vorbildfunktion. Das darf man nicht unterschätzen", warnt der CIO. Schließlich zeigten sie am lebenden Objekt die Karriere-Möglichkeiten, die ein Unternehmen bieten kann.

Aus diesem Konzept der Fachkarriere ergibt sich eine spannende Konstellation: "Die Hierarchien sind bei uns in den Teams interessant", sagt Schultheis. So komme es vor, dass ein Team-Manager einen Mitarbeiter führe, der eigentlich in der Hierarchie viel höher angesiedelt sei. So berichte beispielsweise ein Grad 9-Manager an einen Manager mit Grad 6. In alten Strukturen unmöglich - in Fachkarrieren Alltag. "Sonst müssten unsere Experten stets an den Direktor berichten, wenn wir die alten Linien noch einhielten", erklärt Schultheis.

Es knirscht

Der Übergang in eine ungewöhnlichere Struktur läuft nicht ohne Reibungsverluste. "Die Mitarbeiter müssen zunächst akzeptieren, dass Führungsverantwortung und Fachverantwortung zwei Paar Schuhe sind. Das muss sehr gut kommuniziert werden", erklärt Schultheis. Allzu rasch wurde der Strukturwandel daher auch bei Randstad nicht vollzogen.

Probleme gibt es zuhauf, angefangen beim Gehalt: "Es fängt an zu knirschen, wenn ein in der Personal-Hierarchie höher angesiedelter Manager sehr viel weniger verdient als derjenige, der an ihn berichtet", sagt Schultheis. Mittlerweile sei dieses Thema jedoch bei ihnen "durch", wie er sagt. "In meinem Bereich funktioniert es sehr gut", meint der CIO.

Bizarre Arbeitswelt
"Was ich bisher von der Arbeitswelt kennengelernt habe, was da vor sich geht, das finde ich teilweise ganz schön bizarr", schreibt der 1994 geborene Philipp Riederle in seinem Buch "Wer wir sind und was wir wollen".
Oft sinnloser Trott
"Für viele von Euch Älteren bedeutet Arbeit offenbar, die Zähne zusammenzubeißen, morgens aufzustehen und irgendwann erschöpft oder sogar burnt-out zu sein", heißt es weiter.
Zwangsjacke feste Arbeitszeiten
Riederles Wunsch: Angestellte sollen ihre Arbeitszeit selbst bestimmen.
Neue Freiheit
Für Arbeitgeber bedeutet das, loszulassen und ihren Mitarbeitern mehr Freiheiten zu geben.
Freie Zeiteinteilung
Mitarbeiter teilen sich ihre Zeit frei ein, zum Beispiel, um nachmittags mit ihren Kindern zu spielen und dann erst abends wieder zu arbeiten.
Freie Ortswahl
Und wenn sie lieber draußen statt im Büro arbeiten möchten, tun sie das.
Der ideale Chef
Riederle schwebt eine Führungskraft vor, die ihre Mitarbeiter nicht mehr direkt anweist, sondern die richtigen Rahmenbedingungen schafft.
Mehr vom idealen Chef
Der Digital Native wünscht sich einen Chef, der nicht seine Autorität ausspielt, sondern motiviert, der die Richtung weist, Feedback gibt und seinen Mitarbeitern Optimierungsvorschläge macht.
Der Chef als Trainer
Das Wunsch-Arbeitsverhältnis vergleicht er mit dem Mannschaftssport: Seine Kollegen sind die Teammitglieder, die Führungskraft übernimmt als Trainer eine Mentorenrolle.
Die Zukunft der Arbeitswelt
Riederle glaubt selbstbewusst daran, dass das so in Erfüllung geht: „Da die Unternehmen derzeit aber händeringend nach Nachwuchstalenten suchen, gibt es wohl keine andere Möglichkeit, als auf die Bedürfnisse meiner Generation einzugehen.“

Aber auch Schultheis stieß am Anfang auf Widerstände. "In einigen Fällen fühlten sich die Mitarbeiter angegriffen, wenn sie aus der Personalverantwortung herausgenommen wurden", erzählt er. "Aber ich habe sehr oft den Satz gehört: "Gut, dass du mich da rausgeholt hast." Meine Mitarbeiter waren oft erleichtert", sagt er. Mit anderen habe er lange Diskussionen geführt. Letztlich hätten die Kollegen den neuen Karriereweg akzeptiert und seien oft aufgeblüht, meint Schultheis. "Einige merken gar nicht, wie sehr sie mit der Personalführung belastet sind." Erst mit einer Fachkarriere können einige Mitarbeiter ihr volles Potenzial ausschöpfen. Ein einfacher Weg bis hin zu parallelen Karrieren im Unternehmen ist es dennoch nicht.

Nieder mit dem Prinzip Peter

Die Fachkarriere bietet zudem die Möglichkeit, endgültig vom "Peter-Prinzip" Abschied zu nehmen, laut dem jeder Mitarbeiter so lange aufsteigt, bis er seine Stufe der Unfähigkeit erreicht hat. Weiter befördert wird er nicht - gefeuert aber ebenso wenig. So ist es auch mit der Führungsverantwortung. "Wer am längsten da war oder einfach gute Arbeit leistete, wurde befördert und bekam automatisch Mitarbeiter", erzählt Schultheis von früheren Zuständen. "Da wurde nicht gefragt, ob er Personal führen kann oder es gern macht." Da es keine Alternative zu dieser Beförderung gab, hinterfragte der Mitarbeiter auch selbst seine Befähigung zum Manager nicht. "Aus diesem Dilemma kommt man einfach schwer wieder raus", sagt Schultheis.

Welche Karriere ein Mitarbeiter einschlagen will, müsse jeder selbst wissen. Eines aber möchte Schultheis betonen: "Die Fachkarriere ist keine Parkfunktion. Wer nicht talentiert ist, wird weder eine Linien- noch eine Fachkarriere einschlagen." Schultheis ist sich sicher: Auf die Fachkarriere kann kein Unternehmen heutzutage verzichten.