Mit erstaunlicher Regelmäßigkeit manifestieren sich alle rund 50 Jahre im Einzelhandel (engl. "Retail") grundlegende Veränderungen. Die fortschreitende Urbanisierung und der Ausbau des Eisenbahnnetzes vor rund 150 Jahren veränderten die Erwartungshaltung der Konsumenten und deren Kaufverhalten dramatisch.
Rund 50 Jahre später entstanden auf der Grundlage des sich ausbreitenden Individualverkehrs die ersten Einkaufszentren außerhalb der Innenstädte und stellten die etablierten Ladengeschäfte in den Stadtzentren vor eine völlig neue Wettbewerbssituation. Die 60er- und 70er-Jahre waren von aufsteigenden Discountern geprägt, die als "Game Changer" erneut einen massiven Wandel in der gesamten Einzelhandelslandschaft bewirkten.
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Und heute, wiederum rund 50 Jahre später, erleben wir alle, Händler und Kunden, wie mit dem elektronischen Handel, neudeutsch "E-Commerce", die nächste große Veränderung in den Einzelhandel einzieht. Und wiederum wird auch der E-Commerce die Absatzkanäle, die Wertschöpfungsketten und selbst die Arbeitskultur im Einzelhandel nachhaltig beeinflussen.
Die Bedeutung, die das Online-Business (oder der E-Commerce) bereits heute für den Einzelhandel erreicht hat, lässt sich an wenigen Zahlen verdeutlichen. Ausgehend von einem E-Commerce-Gesamtumsatz in Deutschland von 1,25 Milliarden Euro im Jahr 1999 hat sich der Umsatz bis 2013, also innerhalb von nur 14 Jahren, um mehr als den Faktor 26 auf 33,1 Milliarden Euro erhöht. Für das laufende Jahr erwartet der Handelsverband Deutschland eine weitere deutliche Steigerung um zirka 17 Prozent auf rund 38,7 Milliarden Euro (Quelle: statista.com). Das bedeutet für das Jahr 2014 einen E-Commerce-Umsatz im deutschen Einzelhandel von im Durchschnitt mehr als 100 Millionen Euro pro Tag!
Auf Basis einer Analyse des Beratungshauses OC&C aus dem Jahr 2012 kaufen Konsumenten primär aus fünf Gründen online (in Webshops) statt offline (im stationären Einzelhandel):
Einkaufen ist jederzeit möglich,
das Produktangebot ist größer,
die Informationen zu Produkten und Preisen sind besser,
die Preise sind niedriger und
der Kunde spart Zeit.
Betrachtet man diese fünf Gründe für einen Online-Einkauf aus Konsumentensicht, gelangt man schnell zu dem Ergebnis, dass der stationäre Handel nur begrenzt in der Lage ist, seinerseits zu punkten: Öffnungszeiten rund um die Uhr sind auf Basis rechtlicher Rahmenbedingungen und der resultierenden Personalkosten für den stationären Handel schwierig bis unmöglich. Eine Ausweitung des Produktangebots scheitert oft - insbesondere in Innenstädten und Top-Lagen - an baulichen Möglichkeiten und den vielerorts steigenden Kosten für Einzelhandelsflächen. Der Zeitaufwand für den Weg zu den Ladenlokalen der Einzelhändler ist ebenfalls selten entscheidend beeinflussbar. Mit anderen Worten: Der stationäre Handel wird kaum in der Lage sein, die aus Sicht der Kunden relevantesten Vorteile des E-Commerce im direkten Vergleich zu egalisieren.
Aus den genannten Vorteilen des Online-Handels gegenüber dem stationären Einzelhandel erklären sich - zumindest teilweise - die gewaltigen Zuwachsraten im E-Commerce. Bewertet man diese nun auch noch vor dem Hintergrund eines vergleichsweise kläglichen Umsatzwachstums im Einzelhandel in Deutschland von rund sieben Prozent über die vergangenen zehn Jahre, überrascht es wenig, dass viele Einzelhändler in den zurückliegenden Jahren auf den Internet-Zug aufgesprungen sind. Sie bieten ihre Waren parallel zum stationären Einzelhandel nun auch über eigene Webshops an.
Damit riskieren diese Händler allerdings, in dem neu betretenen Absatzkanal "Internet" in direkte Konkurrenz zu "reinrassigen" E-Commerce-Anbietern wie Amazon oder Zalando zu treten. An diese mussten sie bereits als stationäre Anbieter im indirekten Wettbewerb Umsatzanteile abgeben. Die stationären Händler befinden sich also derzeit in einem Dilemma: Mit rein stationären Geschäften schneidet man das eigene Unternehmen von dem einzigen signifikant wachsenden Absatzkanal E-Commerce ab. Wer sich hingegen ins Internet wagt, bekommt es mit sehr starken, etablierten "pure online playern" in deren ureigenem Absatzkanal zu tun.
Ist es also Zeit für einen Abgesang auf die "elektronische Mobilmachung" des stationären Handels? Keinesfalls!
Mit dem sogenannten Multi-Channel-Ansatz hat der stationäre Handel einen wichtigen Trumpf im Ärmel. Durch eine Integration von stationärem und elektronischem Handel kann ein Multi-Channel-Händler seinen Kunden Mehrwerte anbieten, die weder von den reinen Online-Anbietern noch von ausschließlich stationär aufgestellten Einzelhändlern geboten werden können. Multi-Channel-Prozesse setzen allerdings eine geeignete IT-Infrastruktur voraus.
Das Mittel der Wahl auf dem Weg zum E-Commerce ist für die stationären Einzelhändler heute oft ein - durchaus leistungsfähiger - Webshop von spezialisierten Dienstleistern, die diese Systeme als On-Demand- oder On-Premise-Installation anbieten. Dabei sind die häufig auftretende enge Fokussierung sowie die hohe Spezialisierung dieser Anbieter auf E-Commerce gleichzeitig Chance und Risiko für den Händler: Chance, weil diese Dienstleister in der Regel über hohe Fachkompetenz und viel Erfahrung im Online-Handel und den zugrunde liegenden Technologien verfügen. Risiko, weil genau dieser Fokus dazu führen kann, dass zwar ein leistungsfähiger Webshop entsteht, dieser jedoch zu wenig in die weitere Prozess- und Systemlandschaft des Einzelhändlers (zum Beispiel CRM, Logistik, Finanzmanagement) integriert wird.
Mit einer mangelnden Integration des Webshops in die bestehenden Systeme des stationären Einzelhandels werden bereits von Beginn an die Möglichkeiten stark eingeschränkt, Multi-Channel-Prozesse zu betreiben, die eine der wenigen Differenzierungsmöglichkeiten im E-Commerce darstellen.
Betrachten wir zunächst aus der großen Menge von neuen Prozessen, die bereits heute durch die Symbiose von E-Commerce und stationärem Einzelhandel entstanden sind, exemplarisch vier grundlegende Services auf der Geschäftsprozessebene, mit denen sich Multi-Channel-Anbieter sowohl vom Online-Händler als auch vom reinen stationären Handel positiv differenzieren können.
"Click 'n' Collect": Häufige Ursache für die rückläufige Entwicklung im stationären Einzelhandel ist der sogenannte Frequenzrückgang. Immer weniger Menschen kommen in die stationären Ladenlokale des Einzelhandels. Damit schrumpft die direkt erreichbare Kundenbasis, und daraus resultierend sinkt der Umsatz. Der Multi-Channel-Händler kann dem Frequenzrückgang allerdings durch verschiedene Maßnahmen entgegenwirken. Ein gängiger Prozess dafür trägt im Fachjargon den Namen "Click 'n' Collect", aus Sicht des Händlers auch "Ship2Store" genannt. "Click 'n' Collect" beschreibt das Angebot an den Konsumenten, online bestellte Ware im stationären Ladenlokal abzuholen. Ein Kunde, der sich bereits online für den Kauf eines konkreten Produktes entschieden hat und nun in ein Geschäft kommt, um seine Ware abzuholen, bietet erhebliches Potenzial für Cross- und Up-Selling, das nur dem Multi-Channel-Händler zugänglich ist. Weder ein ausschließlich stationär agierender Händler noch ein ausschließlich online agierender Einzelhändler kann Click 'n' Collect anbieten.
"Click 'n' Return": Eine weitere Option, dem Frequenzrückgang im stationären Handel entgegenzuwirken und Umsatzpotenziale zu heben, ist das Angebot, online bestellte Ware bei Nichtgefallen auch im stationären Handel umtauschen zu können. Dass ein Umtausch ein Umsatzpotenzial darstellt, mag sich zunächst widersprüchlich anhören, ist aber auf den zweiten Blick leicht zu belegen. Der Kunde, der die Ware im stationären Handel umtauscht, begibt sich in ein Ladenlokal des Einzelhändlers und liefert dem Verkaufspersonal vor Ort wertvolle Informationen, da der umzutauschende Artikel Hinweise auf seine grundsätzlichen Produktpräferenzen und sein Budget offenlegt. Qualifiziertes Verkaufspersonal kann diese Hinweise nutzen, um einen Alternativkauf zu erwirken. Die Option, einen Umtausch nach einem Online-Kauf ganz oder teilweise zu kompensieren, steht nur dem Multi-Channel-Händler zur Verfügung. Der reine stationäre Händler hätte bereits den ersten Verkauf an diesen Kunden nicht getätigt, der reine Online-Händler hätte lediglich eine Rücksendung von diesem Kunden erhalten.
"Shelf-Extension": Zwei große Vorteile der Online-Dhops aus Sicht der Käufer sind das große Produktangebot und die oft besseren Informationen zu Produkten und Preisen. Der Multi-Channel-Händler kann dem Wunsch nach einer großen Auswahl und umfassenden Informationen zu seinen Produkten entsprechen, indem er den eigenen Webshop für den Kunden direkt vor Ort verfügbar macht. Dies kann durch in den Verkaufsräumen bereitstehende Kiosk-PCs oder Tablets, aber auch durch die Bereitstellung eines WLANs mit dem eigenen Webshop oder der eigenen Homepage als Startseite erreicht werden. Der Einzelhändler ermöglicht den Kunden oder Interessenten so, sich während des Aufenthalts im Ladenlokal sowohl weitere Produktvarianten, für die gegebenenfalls in dem jeweiligen Ladenlokal der Platz nicht ausgereicht, anzusehen als auch zusätzliche Informationen zum Produkt abzurufen. Die Möglichkeit, die Stärken des stationären Handels wie persönliche Beratung oder "touch & feel" mit einer hohen Informationsverfügbarkeit und einem großen Sortiment zu kombinieren, steht ebenfalls nur dem Multi-Channel-Händler zur Verfügung.
"Check and Reserve": Bei variantenreichen Produkten, etwa Textilien, die in unterschiedlichen Farben und Größen erhältlich sind, besteht im stationären Handel aufgrund der in der Regel begrenzten Lagerhaltung das Risiko, dass ein potenzieller Kunde den gewünschten Artikel nicht in der von ihm bevorzugten Variante (etwa bezüglich Größe und Farbe) vorfindet. "Check and Reserve" beschreibt den Multi-Channel-Prozess, der dieses Risiko erheblich minimiert oder ganz vermeidet. Dabei wird der Kunde in die Lage versetzt, online, das heißt von seinem PC, Tablet oder Smartphone aus, den Bestand des gewünschten Produktes in dem Ladengeschäft, das er besuchen will, im Voraus einzusehen und den Artikel - sofern verfügbar - zu reservieren. Laut einer gemeinsamen Studie der Universität Niederrhein und Accenture gibt es in England bereits Multi-Channel-Händler, beispielsweise den großen "Vorzeige"-Multi-Channel-Händler Argos Ltd., die mit "Click and Reserve" mehr Umsatz erwirtschaften als mit reinem Online-Handel. Auch "Check and Reserve" ist ein Prozess, der ausschließlich Multi-Channel-Händlern möglich ist.
Ohne IT geht es nicht
Bei den vier genannten grundlegenden Prozessen, mit denen sich Multi-Channel-Händler sowohl vom klassischen stationären Einzelhandel als auch von den reinen Online-Händlern differenzieren können, handelt es sich wie gesagt um relativ einfache, grundlegende Prozesse. Dennoch lassen bereits diese relativ simplen Beispiele erahnen, dass keiner dieser Prozesse ohne eine geeignete IT-Unterstützung effizient betrieben werden kann.
Um bei "Click 'n' Collect" das Verkaufspersonal optimal beim Cross- und Up-Selling zu unterstützen, reicht es nicht aus, das bestellte Produkt lediglich statt zum Kunden nach Hause in das gewünschten Ladenlokal zu liefern. Eine echte Verbesserung für Käufer und Verkäufer entsteht erst, wenn das Personal bei Abholung der Ware Zugriff alle verfügbaren Informationen zu diesem Kauf und diesem Käufer hat. Diese können für einen Zusatzverkauf relevant sein. Dazu sollten zum Beispiel die kanalübergreifende Verkaufshistorie dieses Kunden oder dessen Informationen aus Kundenbindungsprogrammen gehören. Das Instrument, um dem Verkaufspersonal diese Informationen zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Qualität bereitzustellen, ist IT.
Auch bei "Click 'n' Return" ist es inzwischen unumgänglich, dass das stationäre Verkaufspersonal schnellen Zugriff auf die Daten des Kunden und des rückabzuwickelnden Online-Verkaufs hat. Dabei darf es keine Rolle spielen, dass der ursprüngliche Verkauf online, also über einen anderen Absatzkanal, erfolgt ist. Nur wenn die Rückgabe des ursprünglich erworbenen Produkts schnell und unkompliziert erfolgt, besteht für das stationäre Verkaufspersonal die Möglichkeit, im Anschluss einen Alternativverkauf zu initiieren. "Schnell" und "unkompliziert" ist zunächst eine Anforderung an die Geschäftsprozesse des Händlers, effizient realisieren lassen sich diese Prozesse aber nur mit IT.
Moderne "Shelf-Extension"
Die "Shelf-Extension" stellt ebenso hohe Anforderungen an die IT-Systeme, da der Kundenanspruch über die schlichte Bereitstellung eines Zugangs zum Webshop des Einzelhändlers hinausgeht. Moderne "Shelf-Extension" bedeutet inzwischen für den Kunden: Er erhält direkt aussagekräftige Informationen über Varianten, Verfügbarkeiten und immer öfter auch Herkunft des jeweiligen Artikels sowie Empfehlungen für passende Erweiterungen oder Ergänzungen (etwa für den passenden Gürtel zum gewählten Schuh oder ein entsprechendes Cover zum gewählten Handy). Umfangreichere Systeme bieten den Kunden darüber hinausgehend bereits heute die Möglichkeit, einen Artikel mit Bild direkt in einem sozialen Netzwerk zur Diskussion zu stellen.
Der vierte Beispielprozess, "Check and Reserve", setzt eine IT-Infrastruktur voraus, die, vom E-Commerce-System ausgehend, eine schnelle artikelspezifische Bestandsabfrage auf die lokationsspezifischen Bestände im stationären Handel bewerkstelligen kann. Darüber hinaus muss die Information über eine erfolgte Reservierung schnell und verbindlich an die entsprechende Verkaufsstelle zurückgemeldet werden, damit der Artikel auch sicher bereitsteht, wenn der potenzielle Kunde, der die Reservierung veranlasst hat, die Verkaufsstelle aufsucht.
Bei der Überprüfung der eigenen IT-Landschaft im Hinblick auf ihre Multi-Channel-Tauglichkeit werden viele Einzelhändler feststellen, dass die IT-Systeme nicht geeignet sind, barrierefreie Prozesse für den Handel über mehrere Absatzkanäle zu unterstützen, geschweige denn die Daten über Kanalgrenzen hinweg für Analyse und Kundenbindung bereitzustellen. Der Grund dafür ist oft, dass bestehende Applikationen "Informations-Silos" darstellen.
Die nahtlose Integration von POS-Systemen, CRM, Finanzsystemen, Warenwirtschaft und Lager- beziehungsweise Logistiksystemen ist jedoch eine zwingende Voraussetzung für effiziente Multi-Channel-Prozesse. Alle Informationen über den Kunden und dessen Waren- und gegebenenfalls korrespondierenden Finanztransaktionen müssen für diese Prozesse innerhalb einer integrierten Datenbasis vorgehalten werden. Betrachten wir dazu erneut die vier Beispielprozesse:
1. Bei "Click 'n' Collect" sollten dem Käufer am Prozesspunkt "Lieferanschrift wählen" auf der E-Commerce-Plattform des Händlers neben den beiden klassischen Optionen "an Rechnungsadresse" und "abweichende Lieferanschrift" direkt die umliegenden Verkaufsflächen des Händlers aufsteigend nach Entfernung zur Auswahl angeboten werden. Dazu sollte das E-Commerce-System in der Lage sein, per "IP adress lookup" (IPAL) den aktuellen Standort des Käufers zu identifizieren. Steht IPAL nicht zur Verfügung, kann auch die Adresse des vorigen stationären Einkaufs (wenn diese zum Beispiel durch den Einsatz einer Kundenkarte bekannt ist) oder als letzte Option auch eine einfache Umkreissuche um die hinterlegte Rechnungsanschrift erfolgen.
Zu jedem angezeigten Ort erfährt der Kunde zudem, wann die gekaufte Ware dort zur Abholung bereitliegen kann. Der Termin für eine Abholung kann "sofort" sein, sofern sich alle gekauften Artikel im Bestand eines einzigen Standortes im Umkreis befinden, oder muss auf Basis der Prozesslaufzeiten für die Bereitstellung und den Transport je Lokation vom System berechnet werden. Für einen Kauf von vielen unterschiedlichen Artikel, die unter Umständen aus verschiedenen anderen Lokationen des Einzelhändlers umgelagert oder vielleicht sogar bei Vorlieferanten beschafft werden müssen, kann sich hier recht schnell ein durchaus komplexer IT-Prozess ergeben.
IT-Prozess: online bestellen, im Laden abholen
Dieser muss außerdem sicherstellen, dass eine Abholung für eine Lokation nur angeboten wird, wenn sich dies auch wirtschaftlich darstellen lässt. Dazu ist wiederum eine Integration von Kalkulations- und Logistikdaten notwendig. Entscheidet sich der Käufer für eine Lokation zur Abholung seiner Bestellung, muss schließlich auch das Verkaufspersonal vor Ort informiert werden. Handelt es sich um die Abholung von Ware, die nicht angeliefert werden muss, sondern bereits vorhanden ist, muss diese Information umgehend erfolgen. Denn die nun bereits online verkaufte Ware sollte sofort in ein Sperrlager gebracht werden.
2. Für "Click 'n' Return" müssen die IT-Prozesse eines Einzelhändlers in der Lage sein, einen im E-Commerce-System erfolgten Kauf im stationären Handel vollständig rückgängig zu machen. Dazu muss das Personal im stationären Handel direkt am POS den vollständigen Zugriff auf die kundenspezifischen Transaktionsdaten aus dem E-Commerce-System erhalten. Da nicht vorausgesetzt werden kann, dass der Kunde die Rechnung seines Online-Kaufs vorlegt, muss das IT-System in der Lokation eine Recherche der Kundentransaktion ermöglichen.
Dies kann auf Basis des Kundennamens oder der Seriennummer eines Verkaufsartikels geschehen. Darüber hinaus müssen die IT-Prozesse geeignet sein, die zurückgenommene Ware in den Bestand der Lokation zu übernehmen oder mit minimalem Aufwand für das Verkaufspersonal die Rücksendung an eine zentrale "Retourenstelle" zu veranlassen. Sofern der Online-Verkauf und der stationäre Handel zu unterschiedlichen rechtlichen Einheiten gehören, muss ein IT-Prozess etabliert sein, der die Finanztransaktion zwischen diesen beiden rechtlichen Einheiten abwickelt. Hat der Käufer im Rahmen seines Kaufes "Bonuspunkte" (wie Payback oder Miles and More) oder andere ähnliche reversible Vorteile erworben, müssen diese Buchungen ebenfalls storniert werden.
3. "Shelf-Extension" wird heute oft mit Tablets oder mit Kiosk-PCs auf den Verkaufsflächen umgesetzt, die in der Regel zur Artikelidentifikation mit Scannern ausgestattet sind. Die Applikation auf diesen Systemen muss einem potenziellen Käufer zu einem gewählten Artikel neben umfassenden artikelspezifischen Informationen auch die Artikelverfügbarkeit darstellen - sowohl in der aktuellen Filiale als auch im Online-Shop und bei entsprechender Filialdichte auch für nahe gelegene weitere Standorte des Einzelhändlers.
Dafür müssen IT-Prozesse existieren, die sehr schnell kanalübergreifend artikelspezifische Bestandsdaten bereitstellen. Die Applikation muss dem Interessenten darüber hinaus eine Möglichkeit bieten, einen Artikel, der im stationären Handel nicht verfügbar ist, mit wenig Aufwand im Online-Shop zu ordern. Ergänzende Komfortfunktionen, die sich heute etablieren, sind die Möglichkeit, ein Foto des
gewählten Artikels direkt mit einem persönlichen Kommentar in sozialen Medien zu posten, oder die automatische Empfehlung von zum gewählten Artikel passenden weiteren Artikeln (besagter Gürtel oder Handycover). Diese Empfehlungen können statisch in den Warenwirtschafts- oder E-Commerce-Systemen hinterlegt sein oder - und das ist der modernere, aber auch IT-lastigere Ansatz - dynamisch aus den zurückliegenden Käufen anderer Kunden absatzkanalübergreifend generiert werden.
4. "Check and Reserve" verlangt einen besonders schnellen IT-Prozess und setzt eine enge Integration, im Regelfall eine Realtime-Verbindung des E-Commerce-Systems mit den bestandsführenden IT-System(en) des stationären Handels voraus. Je kürzer der Zeitraum zwischen der Reservierung im Web und dem Nachrichteneingang in der stationären Verkaufsstätte, desto geringer ist das Risiko, dass die zu reservierende Ware zwischenzeitlich verkauft wurde und der potenzielle Kunde schlimmstenfalls nachträglich vom E-Commerce-System informiert werden muss, dass seine gewünschte Reservierung nicht erfolgen konnte.
Einzelhandel und E-Commerce clever kombinieren
Die schnelle, effiziente und sichere Abwicklung der vorstehend skizzierten vier beispielhaften Multi-Channel-Prozesse, aber auch vieler weiterer Prozesse des modernen absatzkanalübergreifen Einzelhandels lassen sich mit fragmentierten IT-Systemen, die - wenn überhaupt - über komplexe Schnittstellen verbunden sind, nicht bewerkstelligen. Für erfolgreichen Multi-Channel-Einzelhandel ist eine integrierte System- und Datenbasis für alle Prozesse des Online- und des Offline-Handels notwendig.
Fazit: Der stationäre Einzelhandel ist für die nächste umfassende Umwälzung gut gerüstet, wenn er E-Commerce nicht als separaten, zusätzlichen Absatzkanal begreift, sondern als unabdingbar notwendige und zeitgemäße Vervollständigung seiner bestehenden Absatzstrukturen, die nur auf Basis integrierter IT-Systeme und einer durchgängigen Datenbasis erreicht werden kann. Mithilfe, aber auch nur mithilfe solcher IT-Systeme wird der Einzelhandel die Erwartungen der Konsumenten nach beliebigem barrierefreiem Wechsel zwischen stationären und elektronischen Einkaufsprozessen erfüllen.
Gleichzeitig gelingt es dem stationären Handel, sich so von den großen "reinen" Online-Anbietern positiv zu differenzieren und am steigenden Umsatzpotenzial für diesen Bereich zu partizipieren. Heute verfügen nur wenige Einzelhändler über ausgereifte IT-Strukturen, um umfassende Multi-Channel-Prozesse effizient zu betreiben. Viele von ihnen setzen noch immer auf die klassischen Handels- und POS-Systeme und betreiben E-Commerce mehr oder weniger separat.
Letztendlich wird der Konsument seine Interessen durchsetzen, und Multi-Channel-Prozesse werden sukzessive in das Prozessportfolio und damit in die IT-Systeme des Einzelhandels Einzug halten. Der Einzelhandel wird damit zu einer Integration seiner IT-Systeme gezwungen werden. Daraus folgt, dass es in zehn Jahren im Retail keine unterschiedlichen IT-Systeme für Online-Business und Offline-Business mehr gibt. Wer es weiterhin mit zwei Systemen versucht, wird die jüngste Transformation des Handels nicht überleben.
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