CIO: Was ist Ihre größte Herausforderung als CIO des weltgrößten Online-Einzelhändlers? Richard Dalzell: Wir haben eine ganze Reihe unterschiedlicher Kundentypen und die alle zufrieden zu stellen, das hält mich gelegentlich auch nachts wach. Da sind erst mal die traditionellen Käufer, die mit Büchern angefangen haben und uns dann zu Videos, Musik und Unterhaltungselektronik gefolgt sind, zu einer breiten Produktpalette. Dreißig Millionen von diesen Kunden haben wir seit unserem Start bedient, und sie sind das Rückgrat unseres Geschäfts. Außerdem stellen wir seit 1997 unsere technische Plattform anderen E-Commerce-Betreibern zur Verfügung, die auf diese Weise ihre Produkte an Amazon-Kunden verkaufen können. Amazon gilt als sehr kundenorientiert. Wie setzen Sie Technologien für das Customer-Relationship-Management und zur Personalisierung der Kunden ein? Wir haben sehr früh erkannt, dass die Kunden alles finden müssen, wofür sie sich interessieren. Der Schlüssel dazu ist das Konzept, jedem Kunden seinen individuellen Shop einzurichten. Deshalb haben wir bereits im ersten Jahr von Amazon in eine eigene Technologie zur Personalisierung investiert. Sie wollen im vierten Quartal im operativen Geschäft Gewinn ausweisen. Was kann die IT dazu beitragen? Unsere wichtigste Aufgabe in der Technologie-Abteilung von Amazon ist es, für Wachstum und Produktivität zu sorgen. Das erfordert Investitionen in Technologien: zur Personalisierung, für den Community-Betrieb und für das, was wir Customer-Relationship-Merchandising nennen – eine Anwendung, die jeden Kunden identifiziert, während er online ist, und die ihm hilft, Produkte zu finden. Wie lässt sich unter dem Druck, profitabel zu sein, das Tempo technischer Entwicklungen hochhalten? Es geht nicht um das Wie, sondern darum, noch schneller zu werden. Nur dann zahlen sich frühere Investitionen und die teils schmerzhaften Lerneffekte aus. In den letzten sechs Jahren haben wir eine Menge Geld für den Aufbau einer E-Commerce-Infrastruktur ausgegeben. Doch jetzt haben wir damit eine Grundlage für Innovation und Business-Aufbau; also war das Geld nicht verschwendet. Können Sie jetzt die Kosten bremsen, oder müssen Sie weiter investieren, um technisch in Führung zu bleiben? Wir werden sicherlich auch weiterhin sehr stark Aufbau und Innovation vorantreiben, also viel Geld für Eigenentwicklungen von Hard- und Software ausgeben. Aber es beginnt sich auszuzahlen: Mit steigenden Umsätzen wird der Anteil der IT-Kosten prozentual geringer. Amazon ist bekannt für innovative Leistungsmerkmale wie die „One Click"-Technologie und für seine Stärke beim Start neuer Dienste. Wie groß ist der Teil der An- wendungen, die im Haus entwickelt werden, wie viel wird als Standard-Software zugekauft? Wir entwickeln das meiste selbst – auf jeden Fall alles, wovon wir glauben, dass es wichtig ist für den Eindruck, den unsere Kunden von der Website haben. Aber wir arbeiten natürlich auch mit verlässlichen Partnern, etwa mit Oracle auf der Datenbankseite. Wir erschaffen also nicht alles neu – nur das strategisch Bedeutende. Amazon hat heute Online-Shops in Deutschland, England, Frankreich, Japan und Österreich sowie eine Website in spanischer Sprache. Was war die größte technische Herausforderung bei der Expansion? Es ist der Kern unserer Strategie, dass es ein einziges Software- und Entwicklungsteam sowie eine zentrale Infrastruktur gibt, alles in Seattle. Die anspruchsvolle Aufgabe: Wir müssen sensibel auf die Vorlieben unserer Kunden in den regionalen Märkten reagieren. Das Internet hebt Grenzen auf, Zeit verliert an Bedeutung. Trotzdem kann man nicht nach bestimmten Schemata verfahren. Es geht bei der Anpassung an nationale Gegebenheiten nicht nur um Sprache und Währung, sondern auch um Kultur. Deshalb ist es wichtig, dass wir Teams vor Ort haben. Vor Amazon waren Sie bei Wal-Mart. Jetzt nennt man Amazon das „Wal-Mart des Web". Ähneln sich die beiden Unternehmen irgendwie? Wir sind in völlig unterschiedlichen Märkten aktiv. Ich glaube, dass ich das beurteilen kann. Die Geschäfte laufen anders ab, und wir haben komplett verschiedene Datentypen. Bei Amazon wollen wir Menschen helfen, spannende Dinge zu entdecken. Das geht nur im Internet, denn nur hier gibt es diese riesigen Daten- und Informationsmengen. Und nur hier gibt es ein partnerschaftliches Verhältnis mit den Kunden: Man hilft ihnen tatsächlich, mit neuen Dingen in Kontakt zu kommen. Diese neuen Dinge finden die Kunden nicht in einer Welt mit Ladenschlusszeiten und der Entfernung zum nächsten Geschäft. Wir können jedem Kunden mit Hilfe unserer Technologie das empfehlen, was am besten zu ihm passt. Aber dazu müssen wir die Kunden ziemlich gut kennen. Das erfordert eine leistungsfähige Suchtechnologie, die Millionen von Datensätzen bewältigen kann. Was können andere CIOs aus Ihren Erfahrungen lernen? Vor allem, dass es darum geht, wie sich der Kunde fühlt. Zweitens: Man muss in die Zukunft investieren, nicht für den Augenblick; nur so kann man die Grundlagen dafür schaffen, sich auch künftig angemessen um seine Online-Kunden kümmern zu können. Drittens muss jeder CIO ein Entwicklerteam zusammenstellen, das sehr viel schlauer ist als er selbst. Bei uns ist das der Fall, glaube ich.
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Zum Schwerpunkt CRM stellt der CIO-Know How-Pool zwei Studien von IDC bereit:
1. European CRM Services Forecast & Analysis, 2000-2005
2. Western European Customer Relationship Management Applications Market
SCHWERPUNKT CRM: RICHARD DALZELL
... wie der Kunde sich fühlt
05.11.2001
Seit seiner Gründung 1995 schreibt Amazon rote Zahlen – und
gibt sich dennoch als Pionier im E-Business. Der CIO des
Online-Händlers ist überzeugt, dass das kein Widerspruch
ist.