Eberhard Zorn fordert Umdenken

Bundeswehr-Generalinspekteur will weg von anfälliger Militärtechnik

05.10.2020
Trotz Zusagen der Industrie bleibt die Einsatzbereitschaft wichtiger Waffensysteme der Bundeswehr zu niedrig. Deutschlands ranghöchster Soldat will es im Zweifel mit weniger Elektronik, dafür aber weniger anfällig.
Eberhard Zorn ist Generalinspekteur der Bundeswehr.
Eberhard Zorn ist Generalinspekteur der Bundeswehr.
Foto: Bundeswehr / Jana Neumann

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn (60), will die Truppe mit robusterem Gerät versorgen. Mit Blick auf technische Ausfälle der vergangenen Jahre und unerfüllte Zusagen der Industrie hat Deutschlands ranghöchster Soldat Zweifel, ob der Trend zu immer komplexeren elektronischen Systemen der richtige Weg für jede Aufgabe ist.

"Die Bundeswehr braucht robustes Material. Militärisches Handeln ist nicht auf Ausbildung in einem Feldlager beschränkt, sondern umfasst Gefechtssituationen und kriegerische Auseinandersetzungen", sagte der General der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Einfache Bedienung und technischer Fortschritt müssen miteinander harmonieren. Unsere Autos müssen noch fahren, selbst wenn sie schon mal angeschossen wurden."

Deswegen habe es vor einigen Tagen das erste Treffen einer Arbeitsgruppe gegeben, die bisherige Pläne auf den Prüfstand stellt. "Wir werden künftige Großprojekte auf ihre notwendige Ausstattung und Beschaffenheit genau unter die Lupe nehmen. Wir nennen das Forderungscontrolling: Sind wirklich alle Anforderungen an das System notwendig?", sagte der General.

Komplikationen durch zu viel Technologie und Hightech

Erfahrungen beim Schützenpanzer Puma, den Hubschraubern Tiger und NH-90 sowie dem Transportflugzeug A400M haben nach seinen Worten gezeigt, dass der Rückgriff auf zu viel Technologie und Hightech auch zu Komplikationen führen kann. Die unterschiedlichen elektronischen Systeme seien komplex und schwer miteinander zu synchronisieren.

"In den Erprobungsumgebungen neuer Waffensysteme funktioniert alles einwandfrei. Tausende Satelliten geben uns alle Informationen, die wir brauchen", sagt Zorn. "Ich stelle mir aber die Frage, was passiert, wenn durch eine gezielte Cyberattacke Satellitensignale gestört bzw. unsere Waffensysteme angegriffen werden: Sind sie robust genug und dann weiterhin einsatzbereit?"

Er nannte auch das Beispiel der Ersatzteilversorgung, wo sich die punktgenaue Lieferung ohne ausreichende eigene Bevorratung ("Just-in-time") als Irrweg herausgestellt hat. "Just-in-time-Auslieferung funktioniert nicht, wir müssen auf Bevorratung setzen, um die nötige Robustheit auch im logistischen System zu erlangen", so Zorn.

Wachsende Erwartungen der Verbündeten

Zorn rechnet mit wachsenden Erwartungen der Verbündeten an die militärische Leistungsfähigkeit Deutschlands. In der Nato werde Deutschland seiner Verantwortung gerecht und erfülle die gestellten Ansprüche stets, sagte er. Seine militärischen Amtskollegen wünschten sich aber spürbar mehr Engagement Deutschlands in den internationalen Missionen. Zorn ist für die Gesamtkonzeption der militärischen Verteidigung und die Führung der Streitkräfte verantwortlich.

"Das Gewicht anderer Nationen liegt stärker auf dem Thema Counter-Terrorism. Bei Frankreich ist das im Sahel ganz klarer Schwerpunkt", erklärte Zorn zur Lage in Westafrika. "Hier werden wir immer wieder gefragt, ob wir uns nicht noch stärker engagieren wollen."

Er beobachte seit einigen Jahren eine verdichtete Form der Nachfrage. "Zum Irak wurden wir quasi im Halbjahrestakt gefragt, ob wir uns nicht stärker beteiligen wollen", sagte der General. "Ich kann das aus militärischer Sicht verstehen, weil natürlich alle die Lasten fair verteilen wollen, aber auch auf der Suche nach Partnern sind, die ihr Handeln grundsätzlich unterstützen." Weder die Amerikaner im Irak, noch die Franzosen in Mali wollten solche Einsätze im Kampf gegen Terrorismus allein durchführen.

"Andererseits haben wir klare politische Maßgaben, wie wir uns beteiligen. Wir engagieren uns immer vernetzt mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit, Entwicklungshilfe und Diplomatie", sagte Zorn. "Wir wollen die lokalen Kräfte vor Ort ertüchtigen, damit sie in Zukunft selbst Herr der Lage sind. Das ist klarer politischer Wille."

Umfragen zeigten, dass es bei den Auslandeinsätzen in Deutschland weiterhin überwiegend kritische Stimmen gebe. Dagegen unterstütze die Bevölkerung Investitionen für die Landes- und Bündnisverteidigung, die innerhalb der Nato nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 neu bewertet wurde.

Russische Streitkräfte als Vorbild

"Die russischen Streitkräfte werden unverändert modernisiert. Sie haben bei ihren neuen Waffensystemen, bei Präzisionswaffen und im Bereich der offensiven und defensiven Raketentechnologie deutliche Fortschritte gemacht", stellt Zorn fest. Russland halte diese Waffen mobil bereit und habe damit eine ganz andere Flexibilität entwickelt.

Russland als Staat könne einen starken Fokus auf die Rüstung setzen und mache strategische Interessen bis nach Afrika und Vorderasien geltend. Die Nato und die EU dürften aber auch die Arktis nicht aus dem Blick verlieren. "Durch das klimabedingte Abschmelzen der Polkappe ist die Nordroute befahrbar. Sowohl für die russische Marine, als auch für die russische und asiatische Handelsschifffahrt", so Zorn.

Auch Deutschland müsse sich besser vorbereiten. Dies fange beim Schutz des Internets und der Telekommunikation an. "Wie lässt sich ein Cyberangriff zuordnen und vor allem, wer ist bei uns zuständig? Wir haben in Deutschland erhebliche Herausforderungen, die einzelnen Zuständigkeiten der Ressorts abzugrenzen", sagte Zorn. "Dies fordert Zeit, die wir meines Erachtens nicht haben. Wir müssen da schneller werden. Die Cyberbedrohung ist real, sie ist bereits da und zwar täglich." (dpa/rs)

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