Praxisbeispiele für Strategische IT-Innovation

CIOs dürfen die Krise nicht aussitzen

Tobias Lange ist CIO bei EagleBurgmann und verantwortet den globalen IT Bereich und das übergreifende Prozessmanagement. Sein Fokus liegt auf der Digitalisierung und Automatisierung der Geschäftsprozesse. Mit über 17 Jahren IT-Erfahrung in internen und Beratungsrollen verfügt er über einen breiten Erfahrungsschatz im Management von komplexen IT-Architekturen mit Schwerpunkt SAP.  
Business Continuity ist nicht das einzige Gebot der Stunde. Die IT muss die Krise nutzen und sich so aufstellen, dass sie das Geschäft nach der Krise effektiv unterstützen kann. Der Autor gibt Tipps aus seiner eigenen Praxis als CIO.
  • IT-Innovationsprojekte aufrechterhalten
  • Business-Werte hinterfragen
  • IT-Prozesse zukunftsfähig gestalten
Die Krise aussitzen und auf bessere Zeiten nach Corona hoffen? Für die IT-Strategie wäre das ein schwerer Fehler.
Die Krise aussitzen und auf bessere Zeiten nach Corona hoffen? Für die IT-Strategie wäre das ein schwerer Fehler.
Foto: SeventyFour - shutterstock.com

"Das Jahr 2020 ist für die IT gelaufen." Diese Ansicht ist aktuell in mittelständischen deutschen Unternehmen oft zu hören, ob offen ausgesprochen oder nur unterschwellig so wahrgenommen. Tatsächlich ist es verständlich, dass IT-Leiter unzufrieden damit sind, ihre Roadmap und wichtige Projekte nicht in der ursprünglich geplanten Geschwindigkeit umsetzen zu können - jenseits aller Einschränkungen, die die Pandemie ohnehin mit sich bringt. "Keep the lights on" und die Sicherstellung des laufenden IT-Betriebs haben Prio 1. Darüber hinaus aber frieren Unternehmen angesichts ungewisser Umsatzerwartungen Gelder für Innovationsprojekte ein, die keinen schnellen Wertbeitrag oder erlebbaren Kundennutzen bringen.

Gleichzeitig zeigt gerade die Pandemiekrise überdeutlich: Oft rächt es sich, Digitalisierung und IT-Innovation auf die lange Bank zu schieben. Unternehmen, die ihre Digitalisierungsaufgaben schon 2019 konsequent angegangen sind, können sich jetzt auf die Vorbereitung neuer Innovations- und Effizienzprojekte konzentrieren. Ein Beispiel dafür ist die Migration auf S/4HANA: Wer diese Quasi-Pflichtaufgabe zurückgestellt hat, muss die Umsetzung innovativer Ideen auf der neuen Cloud-Infrastruktur immer weiter in die Zukunft verlagern. Das hat direkten Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit des Gesamtunternehmens.

Lesetipp: Corona-Krise überstehen - CIOs brauchen eine nachhaltige IT-Strategie

Der Weg aus diesem Dilemma kann nur lauten: Die Strategie anpassen und jetzt aktiv die Zeit nach der Krise vorbereiten. Jetzt nicht fatalistisch die Füße hochzulegen, sondern die Chance der besonderen Situation zu nutzen, kann unterm Strich sogar Wettbewerbsvorteile schaffen.

Innovationsprozesse fokussiert aufrechterhalten

Auch wenn die Wirtschaft spürbar herunterfährt: Die Innovationsprozesse in der IT müssen weiterlaufen. Das ist genauso trivial wie problematisch angesichts knapper werdender Budgets.

Dazu muss die IT die aktuelle Situation nutzen und sich auf Projekte konzentrieren, die mit internen Ressourcen realisiert werden können. Jetzt ist die Zeit, sich von Themen mit zweifelhaftem Nutzen und von der Beschäftigung mit noch nicht reifen Projekten zu verabschieden. Konkret heißt das:

  • Fokus auf Initiativen, die schon 2021 einen werthaltigen Effizienzbeitrag schaffen und mit minimalem externen Aufwand auskommen;

  • Fokus auf Digitalisierungsinitiativen, die als Produkte am Markt platziert werden können;

  • Fokus der internen Ressourcen auf die Projekte, die schon am weitesten fortgeschritten und reif zur Umsetzung sind;

  • Fokus auf die Projekte, für die die Basis schon gelegt wurde - etwa die Entwicklung neuer Services auf einer bestehenden Cloud-Infrastruktur oder die Einführung neuer S/4 Funktionalitäten, wenn S/4HANA bereits vorhanden ist.

Ohne Scheuklappen analysieren

Ein (Teil-)Lockdown ist die Zeit für Analysen. Das Ziel muss sein, den Business-Wert von IT-Innovationsprojekten rücksichtslos zu hinterfragen - um sie angesichts von begrenzten Budgets zu priorisieren und zu dimensionieren.

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Im Fall meines Arbeitgebers EagleBurgmann haben wir zwei wesentliche Felder identifiziert, die im zweiten Halbjahr 2020 prioritär weitergetrieben werden und die das Kerngeschäft in seinem derzeitigen und zukünftigen Modus direkt unterstützen.:

1. Digitalisierung und das Industrial Internet of Things (IIoT)
Hier liegt der Schwerpunkt auf dem Ausbau unseres Portfolios an digitalen Services für den Endkunden. Dafür nutzen wir unsere Digitalisierungsplattform, die wir im März 2020 eingeführt haben. Die letzten Monate war Zeit, um den operativen Einsatz vorzubereiten. Jetzt sind wir damit startbereit.

Ein Beispiel ist die Entwicklung neuer IoT-Funktionalitäten, die auf Basis der MS Azure-Cloud laufen. Die Einführung der Microsoft-Cloud war dafür die Grundlage. 2020 haben wir dafür ein klares Architekturkonzept ausgearbeitet. Deshalb können wir jetzt einen konkreten Fahrplan für die Umsetzung aufstellen.

2. Hybrid Cloud
Entscheidend ist, dann über die entsprechenden Strukturen zu verfügen, die eigene IT in einem Mix aus Private Cloud, Public Cloud und Platform-as-a-Service zu betreiben bzw. abzurufen. Großkonzerne wie Volkswagen und BMW haben es vorgemacht, dass die Public Cloud auch im Konzernumfeld funktioniert.

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Das Ziel ist, die Infrastruktur flexibel und effizient aufzustellen, um schneller auf die sich ändernden Anforderungen von außen reagieren zu können. Deswegen muss auch der Mittelstand auf die Cloud setzen, weil er nicht über die gleichen Voraussetzungen für die Skalierung verfügt wie ein Großkonzern.

EagleBurgmann hat sich für einen Cloud-First-Ansatz entschieden - aber einen aus Mittelstandssicht machbaren und pragmatischen. Das bedeutet: Betrieb in der Cloud, wo es aus Kosten- und Effizienzgründen Sinn ergibt - in Kombination mit On-Premises-Services, die nach wie vor noch zentral vorgehalten werden müssen. Dem zuvor ging eine Analyse der gesamten Infrastruktur. Die Zeit der Krise haben wir dann konsequent für die Vorbereitung genutzt, um bei Bedarf sofort vom Public-Cloud-Ansatz profitieren zu können.

In der Krise schneller werden

Auch wenn es paradox klingt: Die Corona-Krise wird zeigen, wie wichtig Innovationstempo gerade bei mittelständischen Unternehmen ist. Wer im Aufschwung nach der Krise schnell agieren kann, wird sich Wettbewerbsvorteile erarbeiten. Dass die IT für diese Agilität mitentscheidend ist, liegt auf der Hand. So haben wir kürzlich ein Projekt zur Prozessharmonisierung beendet. Dabei kamen die Komplexitäten unserer Businessprozesse unter die Lupe, und zwar End-to-End. Jetzt können wir Handlungsfelder für Vereinheitlichung und Effizienzsteigerung ableiten. So schaffen wir die Voraussetzung für kommende Umsetzungsprojekte - sowohl im Hinblick auf Prozesse als auch applikationsseitig.

Wer die Krisenzeit nicht für Projektvorbereitungsaufgaben wie diese nutzt, verliert Umsetzungsgeschwindigkeit für 2021. Dann ist mehr als nur 2020 für die IT "gelaufen". Und das kann sich auch der Mittelstand in einem immer dynamischeren IT-Umfeld nicht erlauben. (bw)

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