Zeche ohne Kohle

Der schwierige Abschied vom letzten Bergwerk

15.10.2019
Seit Ende 2018 ist Schluss mit dem Steinkohlenbergbau in Deutschland. Die Arbeit geht aber weiter. Ein ganzes Bergwerk leer von Maschinen und sauber zu übergeben, ist eine Riesenanstrengung. Und auch danach muss weiter Grundwasser abgepumpt werden - für immer.

Mühsam und unter ohrenbetäubendem Rattern quält sich der letzte Senklader im Bergwerk Prosper-Haniel durch den dicken Schlamm. Fünf Kumpel füllen Baggerschaufel für Baggerschaufel von der pechschwarzen Masse in Transportwannen. Kollegen karren sie von Sohle Sechs aus 1000 Metern Tiefe an die Oberfläche - tagein, tagaus in drei Arbeitsschichten. Einen etwa 300 Meter lange Stollen müssen sie räumen, pro Schicht kommen sie gerade mal einen Meter voran - mühsame Arbeiten in Deutschlands letzter, Ende 2018 geschlossener Steinkohlenzeche in Bottrop.

Auch nach Ende der Steinkohleförderung gibt es einiges zu tun.
Auch nach Ende der Steinkohleförderung gibt es einiges zu tun.
Foto: Steve Morfi - shutterstock.com

"Bis zum Jahresende muss das sauber sein", sagt Bergwerkssprecher Michael Sagenschneider. "Wir übergeben das Bergwerk besenrein." Vorarbeiter Sapancilar Cetin hat viele Jahre "vor der Kohle" als Strebmeister die Arbeit an einer Abbaustelle geleitet und viele Tonnen des "Schwarzen Goldes" gewonnen. Das macht einen Bergmann stolz. Jetzt muss er mit seinem Team in der Wasserhaltungsstrecke monatelang Schlamm abbaggern. Wie wenig Spaß das macht, ist den Gesichtern der Männer anzusehen.

Als in der Zeche im Dezember Ende 2018 der deutsche Steinkohlenbergbau zu Ende ging, kam sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Beim Festakt mit der Übergabe der letzten Kohle und dem Steigerlied flossen reichlich Tränen. Jetzt fährt der Förderkorb von Prosper am Standort Haniel zwar immer noch - über und unter Tage ist es aber leer geworden. In dem Bergwerk mit einst bis zu 4500 Kumpeln arbeiten gerade noch 250 RAG-Beschäftigte und etwa gleich viele Mitarbeiter von Fremdfirmen. Kohlestaub haben sie nicht mehr auf den Gesichtern. Sie müssen Maschinen abbauen, Schächte für die Wasserhaltung vorbereiten, saubermachen.

Sechs Meter unter Wasser

Schon in wenigen Jahren soll Sohle Sechs im Wasser versinken, wenn das Grubenwasser ansteigt. Dabei ist es gerade gut acht Jahre her, dass auf Prosper noch knapp 200 Meter tiefer eine neue Abbausohle eröffnet wurde, die letzte in Deutschland - mit großem Festakt unter Tage, Knappenchor und heiliger Barbara auf 1159 Metern Tiefe. Und das wäre nicht das Ende gewesen, sagt Sagenschneider. Moderne Technik erlaube theoretisch noch größere Fördertiefen bis 1500 Meter.

Das liegt heute in weiter Ferne. Nun geht es für die letzten Bergleute viel mehr darum, auf welcher Tiefe sie das ständig ansteigende Grubenwasser mit riesigen Pumpen unter Tage halten müssen. Etwa 600 Meter, so ihre Planung. Das sei im Bereich der Halterner Sande noch etwa 150 Meter von den höheren Grundwasserschichten entfernt - weit genug weg, um jede Vermischung zu vermeiden, sagt Sagenschneider. Umweltschützer kritisieren die RAG-Pläne, das Grubenwasser ansteigen zu lassen. Die Genehmigungsverfahren laufen. Mit sehr kritischer Begleitung ist zu rechnen.

Gepumpt werden muss für immer

Eins ist sicher: Gepumpt werden muss für immer, weil ein Sicherheitsabstand zum Trinkwasser erhalten werden soll. In Prosper-Haniel sind für die Wasserhaltung des noch vorhandenen Restgrubengebäudes "Frank" und "Markus" zuständig. So haben die Bergleute zwei der gewaltigen Pumpen getauft, die das Wasser aus dem sogenannten Pumpensumpf wegschaffen. Aber das Pumpen im Ruhrgebiet kostet viel Geld - gut 200 Millionen Euro pro Jahr hat die RAG-Stiftung für die sogenannten Ewigkeitslasten veranschlagt. Für 2019 werden es sogar knapp 300 Millionen Euro, hatte die Stiftung im Sommer angekündigt. Die muss sie aus ihrem Vermögen erwirtschaften, was angesichts von Negativ-Zinsen nicht leichter geworden ist.

Das sind die Probleme, für die die RAG nach der Entscheidung für das Kohle-Aus nun Lösungen finden muss. Der Ausstieg selbst ist für Sagenschneider und die Bottroper Kumpel kein Thema mehr. "Es macht mich weiter traurig und wir hätten für viele Jahre noch Kohle in top Qualität hier", sagt er. Aber die Entscheidung sei zur richtigen Zeit gefallen. Die Mitarbeiter konnten sich rechtzeitig auf Jobwechsel oder Vorruhestand einstellen. "Für die Kollegen in der Braunkohle wird das nicht so einfach." Bei der Steinkohle argumentierten Gegner meist vor allem mit den Milliardensubventionen des Staates, jetzt hat das Thema Klimaschutz und damit die Grundsatzkritik an der Kohleverfeuerung gewaltig an Lautstärke gewonnen.

Trotz langer Vorbereitungszeit auf das Aus steht der Konzern immer noch mit einem kleinen Teil der Beschäftigten im Rechtsstreit. Rund 33 000 Mitarbeiter hatten zum Zeitpunkt des Stilllegungsbeschlusses 2007 im Konzern gearbeitet. Der Kohleausstieg solle niemandem persönlich schaden, niemand solle ins Bergfreie fallen. So lautete die Formel, die für die allermeisten Beschäftigten aufging. Rund 200 Beschäftigte klagen aber auf Weiterbeschäftigung oder gleichwertige Ersatzarbeitsplätze. Passende Arbeitsplätze seien ihnen angeboten worden, sagt der RAG-Sprecher. Die Kläger widersprechen. Die Verfahren laufen. Ein lautstarker Protest-Auftritt von Bergleuten in Arbeitskleidung und Begleitern im NRW-Landtag sorgte in diesem Sommer bereits für Schlagzeilen. (dpa/ad)

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