Der schnellste Zug der Welt
Der Wettlauf um die Zug-Spitze
Mehr als 11 000 PS waren dafür nötig: Vor 30 Jahren raste ein ICE zwischen Würzburg und Fulda mit 406 Kilometern pro Stunde (km/h). Weltrekord! Der deutsche Vorzeigezug war der schnellste aller Zeiten. Doch der Rekord war bald geknackt. Und der Temporausch ist vorbei. Heute kauft die Deutsche Bahn neue ICE, die höchstens 250 km/h fahren.
Neidvoll blicken Fahrgäste nach Frankreich und immer häufiger nach Asien, wo Bahnfahren mitunter schneller geht. Vor allem Chinas Industrie holt auf. Fahren bald auch chinesische Hochgeschwindigkeitszüge in Deutschland?
"Die Chinesen sind sehr, sehr gut ausgesteuert", sagt Volker Schenk, Präsident des Verbands der Bahnindustrie in Deutschland. "Sie haben einen Masterplan, und mit dem wollen sie die chinesische Bahnindustrie zur absoluten Nummer eins bringen, weltweit." Längst hat auch die Deutsche Bahn ein Einkaufsbüro in China, deckt sich aber noch in Europa ein.
Die deutsche Rekordfahrt vom 1. Mai 1988, sie ist nur drei Jahrzehnte her - und wirkt doch wie aus einer anderen Ära. Die Bahn heißt noch Bundesbahn und ist eine Behörde, ICE steht noch für Intercity Experimental und nicht für Intercity Express, an Bord Computer aus der digitalen Steinzeit, auf den Sitzen fast ausschließlich Männer.
Als die Tempoanzeige die 406 erreicht, johlen und klatschen sie. Minister loben das "eindrucksvolle Ergebnis deutscher Spitzentechnologie". Mitreisende Reporter schwärmen von einem historischen Augenblick im "stromlinienförmigen Räderjet".
Schon zwei Jahre später schlägt der TGV den Rekord
Doch der Rausch währt nur kurz: Zwei Jahre später schafft ein französischer TGV 515 km/h und "pulverisiert" damit den deutschen Rekord, wie Frankreichs Staatsbahn noch heute tönt. Schnelle Züge sind Statussymbole. Mit Rekorden machen Staaten und ihre Bahnhersteller international auf sich aufmerksam.
Übertroffen wird der TGV vom japanischen Shinkansen, der auf Teststrecken 600 km/h erreicht - mit Magnetschwebetechnik ähnlich dem verblichenen deutschen Transrapid. Doch auch Chinas Eisenbahnen haben es schon nah an die 500er-Marke geschafft.
Längst ist das Riesenland mit staatlicher Förderung zu einer Macht auf dem Sektor geworden. Der Bahntechnikkonzern CRRC macht doppelt so viel Umsatz wie die Bahnsparten von Siemens und Alstom zusammen. Sie fusionieren, um gegenhalten zu können.
Chinas neuer, selbst entwickelter Schnellzug Fuxing ("Erneuerung") fährt mit bis zu 350 Kilometern pro Stunde zwischen Shanghai und Peking. Er benötigt für die 1300 Kilometer viereinhalb Stunden. In drei Jahren werden 400 km/h im Regelbetrieb angepeilt.
Und Deutschland? "Wo es Hochgeschwindigkeitsstrecken gibt, nutzen wir auch die Möglichkeiten", heißt es bei der Bahn. Bis zu 300 km/h schnell fahren die Züge zwischen Köln und Frankfurt sowie Berlin und München, auch in Richtung Paris, um dann in Frankreich sogar auf 320 km/h zu beschleunigen. Auf dem wichtigen Abschnitt zwischen Würzburg und Hannover erreichen die Züge bis zu 280 km/h.
Geschwindigkeiten über 250 km/h sind selten möglich
Sonst sind selten Geschwindigkeiten über 250 km/h möglich. Denn anders als in Frankreich und China halten die Schnellzüge hier alle halbe Stunde, müssen ihr Netz oft auch mit langsameren Zügen teilen.
In den nächsten Jahren sollen noch zwei Dutzend weitere Städte Anschluss an den Fernverkehr bekommen. Sein Rückgrat soll der ICE4 werden, der erste ICE mit eigenem Fahrradabteil. Die ersten Exemplare sind seit Dezember unterwegs - mit Höchsttempo 250. Beim neuen Zug steht anderes im Fokus: weniger Energieverbrauch etwa, stabilere Klimaanlagen.
Auf 70 Prozent der Strecken komme man mit Höchstgeschwindigkeiten zwischen 160 und 220 km/h aus, heißt es bei der Bahn. Das leuchtet auch dem Fahrgastverband Pro Bahn ein. "Die Höchstgeschwindigkeit ist bei unseren Strukturen in Deutschland nicht das Entscheidende", sagt der Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann. "Sie müssen vor allem schnell beschleunigen können."
Mit zusätzlichen Gleisen und Brücken müsse die Bahn sicherstellen, dass die ICE schneller an große Bahnhöfe herankommen, fordert Naumann. "Wenn man von Berlin nach Frankfurt fährt, kriecht man ab Fulda ja nur noch. Auch in Köln geht viel Zeit auf den letzten Kilometern verloren."
Das musste sich die Bahn erst Anfang des Jahres wieder eingestehen. Drei Monate lang sollten die Lokführer schneller fahren als üblich, um auf der Strecke verlorene Zeit wieder herein zu holen - die gewonnen Minuten verpufften jedoch vor den großen Knotenbahnhöfen.
Auch die deutsche Bahnindustrie setzt auf dem Heimatmarkt nicht auf Rekordtempo. "Durch den Windwiderstand nimmt der Lärm zu, auch der Energieverbrauch steigt überproportional. Das macht es unwirtschaftlich", sagt Branchenpräsident Schenk. Und bemerkt: "Die Chinesen haben ihre Züge ja auch gedrosselt. Sie fahren 300, wir etwa 250." (dpa/ad)