Bürger erwarten mehr Tempo
Deutschland digital – der Frust wächst
Die Deutschen sind von den Fortschritten in Sachen Digitalisierung alles andere als begeistert. Vieles gehe zu langsam voran, kritisieren die Bürgerinnen und Bürger. Der eco Verband der Internetwirtschaft hat im April über 5000 Menschen und rund 750 IT-Fachleute hierzulande befragen lassen. Herausgekommen ist ein Digitalbarometer, das ein Stimmungsbild der Gesamtbevölkerung in Deutschland sowie eine Einschätzung von IT-Expertinnen und -Experten zu strategischen digitalpolitischendigitalpolitischen Themen liefert. Alles zu Digitalisierung auf CIO.de
Demnach sind aktuell 68 Prozent der Menschen in Deutschland in keinem digitalpolitischen Bereich zufrieden. Besonders groß ist die Unzufriedenheit bei den Themen Cybersicherheit, digitale Bildung und digitale Verwaltung. Diese Werte decken sich weitgehend mit den Antworten vor genau einem Jahr (April 2021) vor der Bundestagswahl. Auch die befragten IT-Experten geben dem Digitalstandort Deutschland schlechte Noten. Über 60 Prozent sagen, man sei im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig.
Den dringendsten digitalpolitischen Handlungsbedarf sehen Bürgerinnen und Bürger genauso wie IT-Fachleute in den Bereichen
digitale Verwaltung (45 Prozent),
Cybersicherheit (42,6 Prozent) und
digitale Infrastruktur (41,5 Prozent).
Es braucht eine Digitalstrategie mit messbaren Zielen
"Die Bundesregierung muss die digitale Transformation zu einer klaren Priorität ihrer Politik machen", sagt der eco-Vorstandsvorsitzender Oliver Süme. "Krisen wie die anhaltende Corona-Pandemie und der drohende Klimawandel, aber auch die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöste humanitäre und geopolitische Krise machen deutlich, welche Bedeutung digitale Technologien und Dienste inzwischen für die Lösung globaler Herausforderungen haben. Wir können diese Herausforderungen nur bewältigen, wenn wir die Digitalisierung als strategisches Mittel in allen Bereichen mitdenken."
Süme appelliert an die Bundesregierung, die immer noch bestehenden Unklarheiten zur Verteilung digitalpolitischer Zuständigkeiten und Kompetenzen in der Ampelkoalition zu klären: "Die Bundesregierung muss hier jetzt endlich in die Festlegung und Umsetzung relevanter Projekte und Vorhaben kommen und zügig eine konsistente und ressortübergreifende Digitalstrategie vorlegen, die klare und vor allem messbare Ziele definiert." Auch die Bereitstellung für das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Digitalbudget müsse rasch geklärt werden.
Volker Wissing verspricht Glasfaser für alle
Derzeit scheinen sich zwei Ressorts das Thema Digitalpolitik zu teilen: Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr unter FDP-Minister Volker Wissing und das Bundesministerium des Inneren und für Heimat unter SPD-Ministerin Nancy Faeser. Wissing hatte im März vorgelegt und die Eckpunkte seiner Gigabit-Strategie präsentiert (PDF). "Bis zum Jahr 2030 wollen wir Glasfaser bis ins Haus und den neuesten Mobilfunkstandard überall dort haben, wo Menschen leben, arbeiten oder unterwegs sind", hieß es in einer Ankündigung. "In einem ersten Schritt wollen wir bis Ende des Jahres 2025 die Anzahl der Glasfaseranschlüsse verdreifachen."
Beschleunigt werden soll der Ausbau durch neue Verlegetechniken wie Microtrenching und oberirdische Leitungen sowie durch vereinfachte Genehmigungsverfahren. "Wir wollen den digitalen Aufbruch für Deutschland", beteuerte Wissing. "Die Digitalisierung bringt uns mehr Fortschritt, mehr Teilhabe, mehr Chancen. Dafür brauchen wir überall leistungsfähige digitale Infrastrukturen, das heißt Glasfaser bis ins Haus und den neusten Mobilfunkstandard. Mit unserer Gigabitstrategie wollen wir den Ausbau schneller und effizienter machen."
Dafür braucht der Digitalminister allerdings die Unterstützung der Branche und der Länder. Doch die endgültige Gigabit-Strategie muss erst noch zwischen den Ressorts und Ländern diskutiert und ausformuliert werden. Das soll laut Ministerium in den nächsten Monaten passieren. Noch vor der Sommerpause soll das Ganze dann im Kabinett beschlossen werden.
Nancy Faeser: Unser Land soll digitaler werden
Auch das Innenministerium schmiedet digitale Pläne. "Wir wollen unser Land moderner, bürgernäher und digitaler machen", sagte Innenministerin Faeser anlässlich der Vorstellung ihres bis 2025 reichenden digitalpolitischen Programms. Den Zuständigkeitsbereich ihres Ministeriums sieht Faeser für Cybersicherheit, digitale Verwaltung und Datenpolitik.
Zentrales Vorhaben der SPD-Politikerin ist die bessere Digitalisierung der Verwaltung. "Wir wollen einen digitalen Staat, der konsequent aus der Perspektive der Bürgerin und des Bürgers gedacht ist", so die Ministerin. "Wir wollen unser Land moderner, bürgernäher und digitaler machen. Das heißt konkret: Angestrebt werden einheitliche Standards und schnelle, digitale Verfahren. Alle Leistungen sollen jederzeit und von jedem Ort aus digital nutzbar sein."
Dafür soll das Online-Zugangsgesetz (OZG) weiterentwickelt und über 2022 hinaus finanziert werden - unter dem Label OZB 2.0 will man an Quantität und Qualität der Verwaltungsdigitalisierung arbeiten. Damit räumt die Politik indirekt ein, dass ihr 2017 beschlossenes Vorhaben, alle Verwaltungsleistungen des Bundes, der Länder und der Kommunen schon bis Ende dieses Jahres digitalisiert zu haben, gescheitert ist.
Alle Gesetze sollen künftig einem Digitalcheck unterzogen werden, kündigte Faeser an. Bestehende Schriftform-Erfordernisse würden sukzessive abgebaut. "Auch in der Gesetzgebung müssen wir viel digitaler denken. Mit einem Digital-Check werden wir künftig Gesetze darauf abklopfen, ob sie das Leben einfacher und digitaler machen."
Darüber hinaus kündigte die Ministerin an, die Cybersicherheit stärken zu wollen. "Wir sehen angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, wie sehr die äußere und die innere Sicherheit miteinander zusammenhängen. Das gilt gerade für die Cybersicherheit." Faeser will die nationale Cybersicherheits-Architektur modernisieren und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zur Zentralstelle ausbauen.
Bitkom: Es muss Schluss sein mit den Diskussionen
Der Digitalverband Bitkom begrüßte Faesers Initiative zur Verwaltungsmodernisierung, machte aber auch deutlich, dass jetzt Ergebnisse gefragt seien. "Es muss Schluss sein mit den langen Diskussionen, jetzt darf es nur noch um schnelles Handeln gehen", machte Bitkom-Präsident Achim Berg klar. Die Modernisierung und Digitalisierung von Staat und Verwaltung sei eine zentrale Aufgabe in dieser Legislaturperiode. "Nachdem über Jahrzehnte wenig bis nichts passiert ist, ist es an der Zeit, sich dieser Aufgabe schnell und entschieden anzunehmen", forderte der IT-Lobbyist. "Gerade die seit zwei Jahren andauernde Corona-Krise sollte den dringenden Handlungsbedarf wirklich allen vor Augen geführt haben. Digitale Souveränität des Staates und Krisenresilienz sind das Gebot der Stunde."
Der Bitkom verweist auf grobe Defizite. So dauere ein analoger Behördengang hierzulande im Durchschnitt 148 Minuten. Acht von zehn Bürgerinnen und Bürgern (82 Prozent) wünschten sich zudem ein einheitliches Servicekonto für den digitalen Zugang zu allen Verwaltungsdienstleistungen. Beim E-Government rangiere Deutschland im Europa-Vergleich seit vielen Jahren im hinteren Mittelfeld, weit abgeschlagen hinter führenden Nationen wie Dänemark, Estland oder Portugal und nur knapp vor der Slowakei und Bulgarien. "Wir müssen das Tempo erhöhen und Boden gut machen", forderte Berg. "Es geht darum, die staatliche Handlungsfähigkeit zu sichern und zu stärken, gerade in Krisenzeiten."
"Wir dürfen nicht noch mehr Zeit verlieren", machte Berg klar. Ziel müsse die vollständige Digitalisierung sämtlicher Verwaltungsdienstleistungen sein. Aus Sicht des Verbands sollte die Politik dabei die Verfahren mit den höchsten Fallzahlen priorisieren. Weitere Schritte müssten folgen. Beispielsweise ließe sich von heute auf morgen umsetzen, alle Schriftformerfordernisse zu streichen beziehungsweise die Voraussetzungen für digitale Signaturen zu schaffen.
"Je digitaler der Staat, desto besser ist er in der Lage, sich schnell, flexibel und fokussiert an sich stetig verändernde Rahmenbedingungen anzupassen", so der Bitkom-Präsident. Die Verwaltung der Zukunft müsse transparent, weitgehend automatisiert und pro-aktiv funktionieren. "Statt auf Anträge zu warten, müssen Register und Verfahren intelligent vernetzt werden und die Grundlagen für eine smarte, mitdenkende Verwaltung geschaffen werden."