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Steinzeit-Software im Versicherungswesen

Ergo berechnet 350.000 Lebensversicherungen falsch



Dr. Johannes Bohnet ist Gründer von Seerene. Vor seiner Arbeit bei Seerene war Bohnet als Senior Consultant bei einem renommierten IT-Beratungsunternehmen tätig. Zudem leitete er den Bereich "Automatisierte Software-Analyse und Visualisierung" am Hasso-Plattner-Institut, dem deutschen Exzellenzcenter für Software Engineering.

Deshalb wird die Handhabung solcher Altsysteme in der Fachwelt gemeinhin auch als "Software-Legacy" bezeichnet: Es handelt sich um eine etablierte, historisch gewachsene Unternehmenssoftware, die ein "Vermächtnis", eine "Altlast" mit sich bringt.

Ergo steht vor einer solchen Legacy-Problematik sogar in noch umfangreicherer Form, entstand der Konzern doch 1997 durch die Fusion zweier Versicherungsgruppen. Mit der Zusammenführung der Victoria und der Hamburg-Mannheimer machte sich das neu geschaffene Verbundunternehmen zwar daran, die Kundenbestände auf ein einheitliches System zu migrieren, allerdings ließ man die unterschiedlichen Rechenkerne der beiden Fusionspartner nebeneinander bestehen. Und glaubt man der Berichterstattung der SZ, kommen so Fehler aus der Originalprogrammierung mit Problemen durch zahlreiche Anpassungen zusammen und provozieren teure Softwarefehler.

Damit wird deutlich, dass es sich beim Auszahlungschaos des Düsseldorfer Versicherungskonzerns nicht nur um ein komplexes strukturelles Problem handelt, das durch die Zusammenführung unterschiedlicher Systeme besonders herausfordernd geraten ist und sich nicht ohne weiteres lösen lässt. Vielmehr dürften neben Ergo zahlreiche weitere Versicherer von Software-Problemen dieser Art betroffen sein. Schließlich sind Altsysteme dieser Art im Banken- und Versicherungswesen sehr verbreitet, ebenso wie die damit verbundenen Probleme aus aufgeschichteten Sonderfunktionen.

Intelligentes Legacy-Management gefordert

Für gewöhnlich ist die Hardware nicht das Problem, wenn es um die Handhabung von Altsystemen geht, sondern vielmehr der Softwareteil, bei dem die steigende Komplexität der vielen Schichten entsprechenden (Kosten-)Aufwand produziert. Und mit der Ablösung von Legacy-Systemen verbinden sich für gewöhnlich hohe Umstellungskosten sowie entsprechende Ausfallrisiken, weshalb der direkte Austausch eines Legacy-Systems zumeist keinen unmittelbaren Mehrwert produziert, sondern lediglich die sonst anfallenden Opportunitätskosten einspart. Dies führt schließlich dazu, dass Altsysteme zumeist deutlich später abgelöst werden als es wünschenswert wäre, auch weil der über die Zeit gewachsene Funktionsumfang häufig nicht vollständig durch eine alternativ verwendbare Standardsoftware abgedeckt werden kann.

Gleichzeitig besteht angesichts der signifikant steigenden Kostenstruktur mit zunehmendem Alter von Software-Systemen jedoch dennoch ein profunder Handlungsdruck. Unter dem Strich geht es also darum, die Qualität von Legacy-Software durch geschicktes Management dauerhaft auf höchstem Niveau zu halten. Ein intelligentes Software-Legacy-Management setzt deshalb an wenigen ausgesuchten Stellen an und optimiert diese gezielt, sodass die Auswirkungen auf die Gesamtkosten und Produktivität am größten sind.

Gleichzeitig zählt aber auch die Überwindung organisatorischer Hürden zu einem guten Legacy-Management. Vielen Managern und Entscheidern fehlt das notwendige IT-Verständnis, um sich ein Bild von der Lage ihrer IT-Systeme machen zu können. Entsprechend strukturierte Kommunikationswege zum Stand der eigenen IT sind daher ebenso zentral wie der Versuch, die IT mit ihren hoffnungslos veralteten Software-Systemen für Vorstände sichtbar zu machen, damit diese das Unternehmensrisiko erkennen und entsprechend handeln können. Denn am Ende des Tages fallen die ohnehin notwendigen Modernisierungsarbeiten meist in jeder Hinsicht günstiger aus, als die nachträgliche Behandlung von Softwarefehlern wie etwa Ergos Rechenpanne.

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