Deutschland in der Konjunkturflaute

Fällt die "schwarze Null"?

27.08.2019
Die deutsche Konjunktur schwächelt. Soll der Staat die Wirtschaft mit milliardenschweren Investitionen anschieben und sich dafür verschulden?

Die Luft wird dünner. Die Konjunktur in Deutschland hat sich merklich abgekühlt. Sollte das Wirtschaftswachstum mit Milliardenausgaben angeschoben werden - und sollten dafür neue Schulden gemacht werden? Die Rufe danach werden lauter. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) haben bisher klar gemacht, dass sie an ihrem Kurs der "schwarzen Null" festhalten wollen - also einer Politik ohne Neuverschuldung.

Angesichts der schwächelnden Konjunktur liebäugeln einige mit dem Ende der schwarzen Null.
Angesichts der schwächelnden Konjunktur liebäugeln einige mit dem Ende der schwarzen Null.
Foto: Bildagentur Zoonar GmbH - shutterstock.com

Merkel hat ihren finanzpolitischen Grundsatz 2008 auf dem CDU-Parteitag in Stuttgart in einem berühmt gewordenen Bild ausgedrückt - mitten in der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise. "Man hätte hier in Stuttgart, in Baden-Württemberg, einfach nur eine schwäbische Hausfrau fragen sollen", so Merkel. "Sie hätte uns eine ebenso kurze wie richtige Lebensweisheit gesagt, die da lautet: "Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben."

Steuereinnahmen schwächeln

Nach dem Rezessionsjahr 2009 folgte ein lange Phase des Aufschwungs in Deutschland mit boomenden Steuereinnahmen, seit 2014 wird im Bundeshaushalt jedes Jahr die "schwarze Null" erreicht. Doch wegen der schwächeren Konjunktur sprudeln die Steuereinnahmen nicht mehr so stark, wie die Steuerschätzung im Mai ergab. Scholz musste beim Etat 2020 bereits nacharbeiten und den Gürtel enger schnallen.

Und die Aussichten werden nicht rosiger: Die Hoffnung auf eine Konjunkturerholung im zweiten Halbjahr schwindet. Im zweiten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach ersten Schätzungen um 0,1 Prozent im Vergleich zum Jahresanfang geschrumpft - belastet von internationalen Handelskonflikten und der Abkühlung der Weltwirtschaft. Dazu kommt der Brexit. Industriepräsident Dieter Kempf fürchtet, dass das Wachstum im Gesamtjahr auf Null absacken könnte, sollten die Briten Ende Oktober in einem Chaos-Brexit ohne Abkommen aus der EU aussteigen. Bislang erwartet der Industrieverband BDI für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von maximal 0,5 Prozent.

Teure Klimapolitik

Die Konjunkturflaute trifft die Regierung ausgerechnet zu einer Zeit, in der sie vor großen Herausforderungen steht - an erster Stelle der Klimaschutz. Am 20. September will das Klimakabinett über ein Maßnahmenpaket entscheiden. Die Liste der Vorschläge ist lang, und viele kosten viel Geld.

Vor allem in der Union gibt es viele Stimmen, die fordern, Klima mit Konjunktur zu verbinden. "Wir wollen das Klimapaket mit einem Konjunkturpaket verknüpfen zu einem Zukunftspaket für Deutschland mit dem klaren Ziel: Mehr Wachstum und weniger CO2", hatte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gesagt. Am Wochenende legte er nach und plädierte dafür, für Milliardeninvestitionen in klimafreundliche Technologien eine Klimaanleihe auszugeben - es sollen also die Bürger beteiligt werden.

Die CSU klammere sich "sklavisch" an den Fetisch der "schwarzen Null", kritisierte der Grünen-Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler: "Ehrlicher wäre es, die "schwarze Null" aufzugeben und Investitionen in Klimaschutz möglich zu machen. Klimaschutz ist wichtiger als die "schwarze Null"." Der Staat verdiene gerade mit neuen Bundesanleihen Geld und müsse dafür keine Zinsen zahlen, sagte Kindler. Auch in der SPD fordern Kandidaten für den SPD-Vorsitz wie Bundestagsfraktionsvize Karl Lauterbach, für mehr Klimaschutz neue Schulden aufzunehmen.

"Die Politik muss rasch kräftige Impulse für die öffentliche und private Investitionstätigkeit setzen", mahnte jüngst auch BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. "Die Schuldenbremse, die im Grundgesetz verankert ist, ist entscheidender als das Erreichen einer sogenannten schwarzen Null. Finanzpolitisch muss Deutschland jetzt umschalten."

Keine großen Spielräume für Neuverschuldung

Die Schuldenbremse besagt, dass der Bund auch weiterhin Kredite in kleinem Umfang (0,35 Prozent des BIP) aufnehmen darf. Kommt es zu Katastrophen oder einer tiefen Rezession, darf es auch mehr sein. Allzu große finanzielle Spielräume würden die Möglichkeiten der Schuldenbremse aktuell allerdings nicht eröffnen. Nach Schätzungen der Commerzbank dürfte der "maximale Fiskalimpuls 2020 nur rund 5 Milliarden Euro" betragen.

Claus Michelsen, Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält die Zeit reif für einen grundsätzlichen Kurswechsel: "Hierfür müssen das Dogma der "schwarzen Null" überwunden und die Regeln der Schuldenbremse reformiert werden." Der Staat sollte mehr Geld ausgeben, um beispielsweise Projekte der Energie- und Mobilitätswende oder im Bereich der Digitalisierung, aber auch auf dem Wohnungsmarkt voranzubringen. Die Gelegenheit sei dank historisch niedriger Zinsen günstig wie nie zuvor, um die deutsche Wirtschaft zukunftsfest zu machen.

Nach Einschätzung von Carsten Brzeski, ING-Chefvolkswirt Deutschland, braucht die Bundesrepublik Maßnahmen, die die Wirtschaft kurzfristig anschieben sowie langfristig angelegte Vorhaben. Dazu zählt er die Themen Digitalisierung, Infrastruktur und Bildung.

US-Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman, der die deutsche Austeritätspolitik in der Euro-Schuldenkriese kritisierte, wirft Europa eine geradezu "ruinöse Besessenheit" beim Thema Staatsverschuldung vor. "Regierungen in Europa, und in Deutschland im besonderen, sollten ihre Wirtschaft durch Kreditaufnahme und erhöhte Ausgaben stimulieren", schrieb er jüngst in der "New York Times". (dpa/ad)

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