Ostdeutschland lockt
Internet als Taktgeber für Logistikbranche
Nur nichts dem Zufall überlassen: Bei der Standortwahl für ihr neues Logistikzentrum hat die Hamburger Eurogate GmbH Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts zurate gezogen. Sie empfahlen Thüringens Landeshauptstadt Erfurt, "so ziemlich in der Mitte Deutschlands", sagt Eurogate-Geschäftsführer Sven Munderloh. Er ist nicht der einzige, der in Erfurt investiert hat. Vor allem die Logistiker der Internet-Händler suchen Standorte, um ihre Kunden möglichst innerhalb eines Tages mit den bestellten Waren beglücken zu können. Während im Westen des Landes neue Logistikklötze, die für viel Verkehr und größtenteils mäßig qualifizierte Jobs sorgen, nicht immer gut gelitten sind, wirbt der Osten mit Flächen und Förderung.
"Der Internet-Handel wächst zweistellig, es werden immer neue Logistik-Flächen gebraucht", sagt Christian Kille, Professor für Handelslogistik an der Hochschule Würzburg. Lange Zeit habe Bad Hersfeld in Hessen als A-Lage einen Run erlebt. Dort hat unter anderem der deutsche Ableger des US-Handelsgiganten AmazonAmazon ein Logistikzentrum - es sorgt mit Streiks der Beschäftigten für einen Tarifvertrag für Aufmerksamkeit. Die A-Lage in der Region um Bad Hersfeld sei inzwischen weitgehend ausgebucht, die Investitionen rückten Richtung Erfurt, sagt Kille. "Die Mitte Deutschlands ist wie ein Magnet für die schnelle Logistik." Alles zu Amazon auf CIO.de
Aber auch die Region um Magdeburg und der Speckgürtel um Berlin sind für die Internet-Wirtschaft interessant, geht aus Untersuchungen der Fraunhofer-Arbeitsgruppe Logistik (SCS/Nürnberg) hervor. Zu den Top 20 Logistikregionen Deutschlands gehören danach neben Hamburg, großen Teilen Nordrhein-Westfalens, Frankfurt am Main oder Hannover auch Halle/Leipzig, Erfurt oder Teile Brandenburgs.
Richtig geklotzt wird vor den Toren der Thüringer Landeshauptstadt: Der Onlinehändler Zalando hat einen dreistelligen Millionen-Betrag investiert und stockt die Belegschaft derzeit in Richtung 2000 Mitarbeiter auf. Die Media-Saturn-Gruppe will mit dem Onlinehändler Redcoon ihr Internetgeschäft in Schwung bringen und hat das dazugehörige Warenverteilzentrum ganz in der Nähe von Zalando eröffnet. Etwa 1000 Arbeitsplätze von Stuttgart und Köln verlagern will der Buchgroßhändler Koch, Neff & Volckmar GmbH (KNV/Stuttgart), der seine neue Logistik-Zentrale für 150 Millionen Euro in Erfurt baut.
Für Logistik-Professor Kille sind solche Investitionen zukunftsträchtig. "Die Aufbereitung und Verteilung von Waren bleibt in Deutschland. Bei der Produktion ist das nicht immer so sicher." Einen Trend, dass es die Branche hauptsächlich nach Ostdeutschland zieht, sieht er aber nicht. Logistiker wollten nahe an ihren Kunden sein - dafür seien die Einwohnerzahlen in Ostdeutschland zu gering.
Kille kritisiert, dass die Logistik, die von vielen mittelständischen Firmen wie der Hamburger Eurogate geprägt sei, oft nur als Kostenfaktor und Störenfried gesehen werde. Das sei ein Grund für einen "unsäglichen Preiskampf" und vielfach niedrige Löhne. Nach Angaben ihrer Bundesvereinigung (BVL/Berlin) hat sich die Logistik zur Megabranche entwickelt: In diesem Bereich - einschließlich IndustrieIndustrie und HandelHandel - gebe es mehr als 2,8 Millionen Beschäftigte, die für einen Jahresumsatz von 223 Milliarden Euro sorgten. Kille schätzt die jährlichen Investitionen auf etwa 20 Milliarden Euro. Viele Güterverkehrszentren platzten aus den Nähten. Top-Firmen der Branche Handel Top-Firmen der Branche Industrie
Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) macht kein Hehl daraus, dass er für die Großprojekte, die Jobs auch für bisher Langzeitarbeitslose böten, staatliche Investitionszuschüsse gewährt. Im Gegenzug fordert er solide Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Noch immer seien viele der Firmen ohne Tarifbindung und Betriebsräte, weiß Verdi-Fachsekretär Frank Günther. Einstiegslöhne für Angelernte lägen bei der Mindestlohnschwelle von etwas über 8,50 Euro pro Stunde. Doch der Arbeitsmarkt für Logistiker, die nicht nur für einfache, sondern auch sehr spezialisierte Industriedienstleistungen gebraucht würden, sei in großen Teilen Ostdeutschlands fast leer gefegt. "Es bewegt sich etwas, auch bei der Bezahlung." (dpa/rs)