Software-Entwicklung

Killt KI den Junior Developer?



Florian Maier beschäftigt sich mit diversen Themen rund um Technologie und Management.
Grant Gross schreibt für die US-amerikanische IDG-Publikation CIO. Zuvor war er als Washington-Korrespondent und später als leitender Redakteur beim IDG News Service tätig.
Entwickler-Teams könnten künftig auf wenige Senior-Positionen zusammenschrumpfen, glauben einige IT-Manager.
Junior-Softwareentwickler – ein Job ohne Zukunft?
Junior-Softwareentwickler – ein Job ohne Zukunft?
Foto: Gorodenkoff - shutterstock.com

Auch wenn der Hype um generative künstliche Intelligenz (Generative AIGenerative AI; GenAI) ganz allgemein wegen Wertschöpfungsbedenken abflaut, werden KI-Assistenten kontinuierlich besser darin, Programmcode zu generieren. Das wird auf lange Sicht dazu führen, dass die Teams im Bereich Softwareentwicklung eine umfassende Neugestaltung erfahren - wobei es insbesondere für Junior DeveloperDeveloper und Quality-Assurance-Experten in Zukunft "eng" werden könnte. Zumindest glauben daran einige IT-Führungskräfte. Alles zu Developer auf CIO.de Alles zu Generative AI auf CIO.de

Anna Demeo zum Beispiel, Gründerin von Climate Tech Strategy Advisors und ehemalige Head of Development beim Elektroautospezialisten Fermata Energy. Sie ist davon überzeugt, dass die Teams für die Applikationsentwicklung in Zukunft schlanker sein und in erster Linie aus leitenden Entwicklern bestehen werden. Letztere würden sich dann darauf fokussieren, die Produktanforderungen bestmöglich umzusetzen.

Das wird zu Umwälzungen führen, wie die Dev-Expertin erklärt: "Unternehmen, die sich in Sachen Softwareentwicklung auf KI-Assistenten verlassen, werden weniger Junior-Entwickler, Praktikanten und in einigen Fällen auch Produktmanager einstellen. In großen Teams gibt es immer A-, B- und meistens auch C-Player - obwohl es letztere eigentlich nicht geben dürfte. KI dürfte es den beiden letztgenannten Mitarbeiterkategorien jedoch erschweren, in Zukunft Fuß zu fassen."

Die verbleibenden Entwickler, so Demeo, müssten vor allem in der Lage sein:

  • kritisch zu denken,

  • geschäftliche Anforderungen zu verstehen und

  • in funktionsübergreifenden Teams mit Experten aus Produktentwicklung, Marketing und anderen Bereichen zusammenzuarbeiten.

"Junior Developer werden als Erste gehen"

Diese Umwälzung ist nach den Beobachtungen der Managerin bei diversen Unternehmen bereits in vollem Gange: "Die Veränderungen, die sich auf verschiedene Jobrollen auswirkt, ist in gewisser Weise mit dem Prozess vergleichbar, ein Buch zu veröffentlichen", meint Demeo und ergänzt: "Leitende Programmierer müssen keine Autoren mehr sein, sie sind Lektoren. Sie müssen den Inhalt verstehen, wissen, wie die Zielgruppe aussieht und welche Ziele erreicht werden sollen."

David Brooks, Senior Vice President of Evangelism beim DevOps-Spezialisten Copado, prophezeit eine ähnliche Entwicklung: "Dev-Teams werden künftig aus einem Produktmanager oder Business-Analysten, einem UX-Designer und einem Softwarearchitekten bestehen. Letzterer wird KI-Tools nutzen, um Prototypen zu bauen und den Code zu optimieren."

Die übrigen Rollen in der Softwareentwicklung würden künftig - inklusive derjenigen für Security und Compliance - von KI übernommen, so Brooks: "Im Laufe der Zeit werden die derzeitigen Softwareentwicklungsjobs wegfallen. Junior Developer werden als Erste gehen, Softwarearchitekten werden weniger programmieren und sich mehr mit High-Level-Systemdesign beschäftigen sowie damit, KI-generierte Lösungen im Auge zu behalten."

Unklar ist indes, wie schnell die Transformation der Dev-Teams eine kritische Masse erreichen kann. Eine aktuelle Github-Umfrage verdeutlicht jedoch, wie verbreitet der Einsatz von KI-Coding-Assistenten inzwischen ist. Demnach nutzen mehr als 97 Prozent der in diesem Rahmen befragten Entwickler KI-Programmier-Tools für ihre Aufgaben. Ende Januar 2024 vermeldete Github-Besitzer Microsoft zudem, dass inzwischen 1,3 Millionen Benutzer den Programmierassistenten Github Copilot einsetzen. Gegenüber dem Vorjahresquartal ist das ein Anstieg um 30 Prozent. Bis Ende Juli 2024 hatten mehr als 77.000 Unternehmen und Organisationen weltweit das KI-Tool eingeführt.

Das bleibt nicht ohne Folgen, wie eine andere Umfrage vom E-Learning-Anbieter Pluralsight nahelegt. Laut dieser fürchten fast 75 Prozent der befragten IT-Fachkräfte, dass ihre Jobs durch die Technologie überflüssig gemacht werden.

Auch Ed Watal, Gründer der IT-Beratung Intellibus, geht davon aus, dass Entwickler-Teams auf lange Sicht schrumpfen werden. Zuvor könnte es allerdings zu einer gegenläufigen Entwicklung kommen, meint der Manager: "Zunächst könnten die Teams in den nächsten ein bis zwei Jahren tatsächlich erst einmal wachsen. Schließlich werden Coaches benötigt, um KI-Skills in bestehenden Teams aufzubauen und die Produktivität zu steigern."

"Alles nur ein Hütchenspiel"

Auf der anderen Seite werde die Zeitersparnis durch KI-Coding-Assistenten vielerorts überschätzt - davon ist zumindest Marcus Merrell, Principal Test Strategist beim Testing-Spezialisten Sauce Labs, überzeugt: "Eine potenzielle Steigerung der Entwicklerproduktivität um 30 Prozent ist ein guter Anfang, aber noch lange keine grundlegende Veränderung. In der Realität glauben viele Teams, von diesen Tools enorm profitieren zu können. Das kann dazu führen, dass zu viel in solche Lösungen investiert wird, zu viele strukturelle und prozessbezogene Änderungen vorgenommen werden oder ein bereits geplanter Personalabbau größer ausfällt - in der Annahme, das ließe sich durch KI-Tools schon ausgleichen."

Im Gegensatz zu Demeo und Brooks ist Merrell nicht davon überzeugt, dass Generative AI Entwickler-Jobs ersetzen, respektive vollständig beseitigen wird. Vielmehr geht der Experte davon aus, dass Low-Code- und No-Code-Tools künftig einen größeren Einfluss haben werden. Was KI-Coding-Assistenten angeht, sieht der Entwicklungsspezialist hingegen vor allem Ernüchterung am Horizont: "Wir werden noch zwei bis drei Jahre damit verbringen, zu versuchen, aus dieser Technologie mehr Produktivität und sonstige zauberhafte Dinge zu pressen. Anschließend wird sich sehr langsam die Erkenntnis durchsetzen, das alles nur ein Hütchenspiel war."

Warnend ergänzt Merrell: "Dabei bereitet mir Sorgen, dass Unternehmen von diesen Tools abhängig werden könnten und die Anbieter dann damit beginnen, ihre Preise an der Realität auszurichten, um die Kosten für den Betrieb ihrer KI-Modelle wieder hereinzuholen. Das könnte für das gesamte System in einen riesigen Schock ausarten."

Zur Startseite