Wissenstransfer in der IT-Abteilung
Mit IT-Mitarbeitern richtig umgehen
Bianca Fuhrmann, Diplom-Ingenieurin und Business-Coach, unterstützt Führungskräfte, ihre eigene, starke Führungssignatur zu entwickeln. Davor war die Autorin (zuletzt „Stark führen“) über ein Jahrzehnt selbst Projektleiterin und Führungskraft – in der technischen Produktentwicklung und im Anlagenbau, in Konzernen ebenso wie im Mittelstand. In Summe hat sie mittlerweile über 100 Projekte in der IT, der Führungs- und Organisationsentwicklung erfolgreich abgeschlossen.
Spätestens wenn Teams unerwartet im Home Office arbeiten müssen, wird klar, dass ein verteiltes Wissen ein krisensicheres Wissen ist. Es sorgt dafür, dass die IT-Abteilung auch in schwierigen Arbeitssituationen handlungsfähig bleibt. So die Theorie.
Die Praxis zeigt, dass ein umfangreiches Wissen oder das Zurückhalten von Informationen neue Machtverhältnisse schafft, wodurch sich ein gewisser Sonderstatus in Abteilungen aufbauen lässt. Dieses Verhalten kann man bei speziellen Mitarbeitern beobachten - nennen wir sie in diesem Beitrag "Wissenshamster". Dort liegt die Verantwortung beim IT-Leiter, den Mitarbeiter dazu zu bringen, sein Wissen mit dem Team zu teilen, um Abhängigkeiten zu verhindern.
Gerade wenn sich die meisten Mitarbeiter im Home OfficeHome Office befinden, wie es in der Coronakrise praktiziert werden sollte, ist die Verteilung von Wissen für die IT-Abteilung überlebenswichtig. Hierfür sollte in regelmäßigen Abständen extra Zeit eingeplant werden. Schaut man sich die Wissenshamster genauer an, dann findet man mindestens zwei Typen davon, den Beschützer und den Erfolgssüchtigen. Alles zu Home Office auf CIO.de
Typ 1: Der Beschützer
Dieser Typus behält sein IT-Wissen lieber für sich, weil er denkt, es müsse geschützt werden und die Kollegen könnten damit nicht umgehen. Er glaubt, dass die Kollegen noch zu unerfahren, zu eigenwillig oder gar zu agil sind. Jegliches anderes Handeln würde dem Fortbestand des Wissens schaden.
Typ 2: Der Erfolgssüchtige
Er möchte seinen Wissensvorsprung nicht teilen, weil er Angst vor Konkurrenz im Team hat und alle Erfolge für sich verbuchen möchte. Er sucht die Anerkennung und sammelt die Lorbeeren ein. Damit es auch zukünftig so bleibt, baut er sein Wissensmonopol stetig aus.
Beide Typen schaden der Abteilung. Denn ihr Wissensvorsprung führt zu einem Ungleichgewicht im Team.
Liegt auch noch ein räumlich getrenntes Team vor, das vielleicht gerade notgedrungen ins Homeoffice geschickt worden ist, dann ist fehlendes Wissen besonders fatal. Es erzeugt Reibung, verhindert ein effizientes Arbeiten und bremst die Mitarbeiter bei jeder Frage aus. So lange, bis der Wissenshamster gnädigerweise sein Wissen preisgibt. Gerade in solchen Zeiten wird die Abhängigkeit von diesen Personen drastisch sichtbar. Deshalb ist Handeln angesagt, am besten, bevor eine Notsituation da ist.
Wie macht sich die ungleiche Wissensverteilung bemerkbar?
Beispielsweise kann die Teamatmosphäre getrübt werden, wenn sich dieser Mitarbeiter nicht mit ihren Kollegen austauschen möchten oder ihnen von oben herab begegnet. Fälschlicherweise werden vermeintliche Wissenshüter auch oft von ihren VorgesetztenVorgesetzten bevorzugt: durch Sonderleistungen, eine höhere Toleranzgrenze und mehr Rechte. So fördern Chefs oft blind ihre Abhängigkeit von dem betreffenden Mitarbeiter. Das ist sehr kritisch und kann schnell nach hinten losgehen. Alles zu Personalführung auf CIO.de
Ist der Kollege krank, können ganze Projekte lahmgelegt werden. Oder bei Unstimmigkeiten zwischen Geschäftsführung und IT-Leiter spielen diese Mitarbeiter ihre Machtkarte durch Abwesenheit aus. Das kann Unternehmen, gerade wenn kritische Updates oder Weiterentwicklungen anstehen, in brenzlige Situationen bringen. Oder der Worst Case: der Wissenshamster kündigt. Dann geht großes Wissen im Unternehmen mit einem Schlag verloren, was die Firma weit zurückwerfen kann.
Einer fällt weg - alles fällt aus
Dazu ein Beispiel: Ein SaaS-Unternehmen hat eine innovative IT-Lösung entwickelt. Die Verkaufszahlen steigen stetig, die Kunden sind zufrieden. Plötzlich fällt der Top-Entwickler, ein Wissenshamster, wegen längerer Erkrankung aus - und zwar genau dann, wenn zeitkritische Kundenwünsche umgesetzt werden müssen. Die Kollegen schauen in den Quellcode, finden sich aber nicht zurecht. Die gesamte Architektur hinter der Programmierung ist zu komplex, zu wirr, zu unvollständig.
Dazu kommt:
Der Top-Entwickler hat die Entwicklungsschritte nicht dokumentiert.
Das Entwickler-Wiki ist eine digitale Wüste.
Lösungswege von erledigten Kundentickets existieren nicht.
Neue Kundenanfragen können nicht oder nur sehr langsam bearbeitet werden, das Unternehmen wird nahezu handlungsunfähig und die IT-Leitung kommt beim Geschäftsführer in Erklärungsnot - ein Worst-Case-Szenario.
- Der Über-Versprecher
Speziell in Situationen, in denen immenser Druck herrscht, neigen manche Mitarbeiter dazu, alle möglichen, absurden Versprechungen zu machen. Entweder um Aufmerksamkeit zu erringen oder um dem Vorgesetzten beziehungsweise dem Management zu gefallen. Versprechungen machen ist immer einfach, aber wenn das Mega-Projekt dann eben nicht in den versprochenen zweieinhalb Wochen abgeschlossen ist, ist das ungünstig. <br><br/> Alexander Maasik empfiehlt: "Wenn es ein Teammitglied gibt, das am laufenden Band falsche Versprechungen gibt, von denen bereits vorher klar ist, dass sie unmöglich einzuhalten sind, sollten Sie seine Worte nicht mehr für bare Münze nehmen. Wenn Sie können, verlängern Sie den Zeitrahmen und/oder erhöhen Sie Budget oder Ressourceneinsatz, um Engpässe in anderen Bereichen kompensieren zu können." - Der Verantwortungsschieber
Dann gibt es diese Kollegen, die das Collaboration-Prinzip der geteilten Verantwortung auf ihre ganz eigene Weise interpretieren. Getreu dem Motto: "Die anderen werden es schon richten." Experte Maasik rät in einem solchen Fall dazu, dem betreffenden Mitarbeiter eine definierte Rolle und spezifizierte Verantwortlichkeiten im Team zuzuweisen. Alternativ könnten Sie den Verantwortungsschieber auch fragen, ob es Bereiche gibt, die ihn besonders interessieren. Eventuell könnten Sie so seine Leistungs-Leidenschaft neu entflammen. <br><br/> "Manchmal können Sie solche Leute motivieren, indem Sie ihnen Führungsverantwortung übertragen oder ihnen die Verantwortung für ein bestimmtes Gebiet/Thema übertragen, das ihnen am Herzen liegt. Sollte betreffender Kollege allerdings für ausschweifende Arbeitsunlust bekannt sein, hilft unglücklicherweise nur, ihn (oder sie) im Auge zu behalten und sich wenn nötig an höhere Instanzen zu wenden." - Der Fremdfeder-Connoisseur
Es ist nur menschlich, nach Wertschätzung und Anerkennung zu streben. Aber einige Menschen übertreiben das in einem Ausmaß, dass sie fast schon selbst daran glauben, wenn sie sich fälschlicherweise die Erfolge anderer zuschreiben. <br><br/> Maasik: "Leider nimmt der Enthusiasmus dieser Leute rasant ab, wenn es darum geht, die Verantwortung für Misserfolge zu übernehmen. Um solchen Entwicklungen entgegenzuwirken, empfiehlt es sich, genau festzuhalten, wer für welchen Part der Projektarbeit zuständig ist. So können auch alle Beteiligten sehen, wer welchen Beitrag leistet. Sollte jemand auf das Einheimsen von Lorbeeren bestehen, stellen Sie sicher, dass derjenige auch im Fall des Misserfolgs sein Fett abbekommt." - Der Makel-Magnat
Nicht führt die Team-Moral schneller und geradliniger in den Abgrund, als einer, der ständig nur kritisiert, auf Fehler "hinweist" oder sich über jeden Aspekt eines Projekts nur beschwert. Egal, ob es um Zuständigkeiten, Workloads oder die Strategie geht, der Makel-Magnat hat einfach immer was zu meckern. <br><br/> "Dieses Verhalten ist absolutes Gift für das Teamwork. Diese Leute verbringen mehr Zeit damit, sich zu beschweren, als mit der Erfüllung ihrer Aufgaben. Der beste Weg solche Menschen zu handlen: 1. Ignorieren Sie das Gemecker, 2. Geben Sie ihm so viel Verantwortung, dass er (oder sie) keine Zeit mehr hat rumzujammern." - Der Aussteiger
Manche Leute arbeiten besser alleine. Ist auch gar kein Problem. Außer es handelt sich um Personen, die in Team-Projekte eingebunden sind. Dann könnte jemand, der Anweisungen aus Prinzip ignoriert und affin für Alleingänge ist, das ganze Projekt auf's Spiel setzen. <br><br/> Deswegen empfiehlt auch Alexander Maasik, solche Leute lieber aufs "Abstellgleis" zu befördern: "Finden Sie einen Bereich im Projekt, an dem ein solcher Mitarbeiter alleine arbeiten oder sich selbst verwirklichen kann. So holen Sie das Maximum an Produktivität aus diesem Kollegen heraus und stellen gleichzeitig sicher, dass der Rest des Teams intakt bleibt."
Problemlösung
Klar ist, jetzt kommen stürmische Zeiten auf die Abteilung zu. Führungs- und Nervenstärke sind gefragt. Alle müssen an einem Strang ziehen. Die IT-Leitung stellt eine Krisen-Taskforce aus ihren besten verbliebenen Programmierern zusammen. Das Ziel: die Programmierung und deren Architektur zu rekonstruieren. Das ist ein enormer Zeitfresser, aber in diesem Fall die einzige Lösung. Spätestens jetzt bereut die IT-Leitung, dem erkrankten Top-Programmierer zu viele Freiheiten eingeräumt zu haben.
Die Ursachen für das Entstehen von Wissensungleichgewicht sind also sowohl bei den Business-Verhinderern als auch bei der IT-Leitung zu suchen. Die Führungskräfte stehen in der Verantwortung, fehlenden Wissenstransfer frühzeitig zu erkennen - und im Idealfall ein Ungleichgewicht gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Kommunikation fördern
Egal, welcher Typ von Wissenshamster in der Abteilung sitzt, Führungskräfte sollten ihm umgehend klarmachen, dass Verhinderungstaktikten nicht geduldet werden. Denn was dem Unternehmen schadet, schadet am Ende auch dem Mitarbeiter. Die harte Konsequenz wäre eine Trennung vom Mitarbeiter. Natürlich ist das nur selten im Interesse beider Parteien.
IT-Leiter sollten erst einmal über die Vernunftebene auf den Mitarbeiter zugehen und ihm klarmachen: Wissenstransfer bedeutet nicht Entmachtung, sondern wird sogar von den anderen Kollegen gewürdigt. Beim Beschützer-Typ hilft es meistens schon, seinen Beschützerinstinkt zu wecken, indem man ihm klarmacht, dass sein Werk durch Wissenstransfer wachsen und gedeihen kann und sich seine Kollegen darum kümmern können, wenn er einmal krankheitsbedingt ausfallen sollte.
Wissenstransfer forcieren
Vorgesetzte sollten diesen Mitarbeitern klarmachen, dass sie ihr Wissen sukzessive transferieren müssen und jegliche Aufgaben und deren Umsetzung zu dokumentieren ist. Den Erfolg kontrollieren Führungskräfte, indem sie anderen Mitarbeiter Kontrollverantwortung übertragen. So schafft sich die IT-Leitung eine Lebensversicherung.
Und zu guter Letzt sollten Führungskräfte auch in Projekten dafür sorgen, dass die Problemlösungskompetenz des betreffenden Mitarbeiters auf Kollegen überspringt. Der Aufforderung, über die Schwierigkeiten eines Projekts zu sprechen, kann dann der Vorschlag folgen, den gefundenen Lösungsweg auch den anderen Mitarbeitern mitzuteilen. So wird das Wissen langsam, aber sicher transparent und andere Mitarbeiter werden aufgebaut.
Der besondere Tipp für Teams, die im Homeoffice arbeiten
Gerade tägliche Kurzbesprechungen (Stand-up-Meetings) fördern den Austausch im Team, die übrigens auch in nicht agilen Projekten sehr hilfreich sind - erst recht, wenn diese in Schieflage geraten. Probleme sollten jeden Tag aktiv angesprochen und diskutiert werden.
IT-Leiter sollten deshalb idealerweise morgens mit einer Telefonkonferenz starten, bei der das Team den Fokus für den Tag festlegt, zu erwartende Wissenslücken ansprechen kann und der passende Wissenstransfer organisiert werden kann. So bleibt kein Teammitglied auf der Strecke, die Identifikation mit dem Team wird gefördert und Bremser werden ausgebremst.
Worst-Case-Szenarien durchspielen
In letzter Konsequenz sollten sich Unternehmen von uneinsichtigen Verhinderern trennen. Sinnvoll ist es, vorher die schlimmsten anzunehmenden Fälle durchzuspielen. Dieses Vorgehen soll die Folgen der Trennung beleuchten, um zum einen ein Bewusstsein für die Risiken zu schaffen und um zum anderen Frühwarnindikatoren und entsprechende Lösungen zu entwickeln. Neben den Härtefällen sollten auch Antworten auf folgende Fragen gefunden werden:
Welches Wissen darf nicht verloren gehen?
Wie gut zieht das Team an einem Strang?
Kann es den Verlust gemeinsam abfedern?
Auf welche Mitarbeiter kann welches Wissen kurzfristig verteilt werden?
Welcher Mitarbeiter hat bereits so viel Know how, um kurzfristig einspringen zu können?
Wie könnte man den Wissenstransfer in kleine, verdauliche Happen zerlegen, sodass niemand überfordert wird?
Wie stark ist der Umsatzeinbruch und für welchen Zeitraum?
Welche weiteren Konsequenzen muss das Unternehmen fürchten, wenn das Wissen wegbricht (z.B. fehlender Software-Support, Wegfallen von Kunden, Verlangsamung von Projekten, Verschiebung von Launch-Terminen)?
Wer diese Fragen einmal beantwortet hat, kann besser einschätzen, was eine Trennung bedeutet und wie man adäquat handeln kann.
Schnelles und mutiges Handeln ist angebracht
Wissen ist das Kapital der Unternehmen. Es sollte so verteilt sein, dass Unternehmen und ihre IT-Abteilungen stets handlungsfähig bleiben. Daher ist ein zügiges Handeln erfolgsentscheidend und Führungskräfte sollten damit nicht zu lange warten, sondern frühzeitig weiteren Schaden abwenden, indem sie die Verantwortung des Wissenshamsters auf das Team umverteilen. So entsteht im besten Fall nur ein kurzes Ruckeln im Getriebe, bevor die Abteilung als Team und Einheit wieder voll durchstarten kann.
Mit diesen Fragen identifizieren Sie Wissenshamster in der IT-Abteilung 1. Gibt es Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen, die sich im Unternehmen ein Wissensmonopol aufbauen oder aufgebaut haben? |
Je mehr Fragen IT-Leiter bejahen müssen, desto schneller sollten sie handeln. Denn ansonsten wächst das Ungleichgewicht im Team.