28 Stunden im Hamsterrad
Raus aus der E-Mail-Kommunikation
Holger Reisinger schreibt als ICT-Experte über New Ways of Working, Mobile und Knowledge Worker, Collaboration, Concentration, Conversation und Communication. Als Senior Vice President Jabra Business Solutions, Product Management, Strategic Alliances and Global Accounts setzt er sich für mobile Arbeitsplatzgestaltung als wichtiges Instrument moderner weltweit agierender Unternehmen bei gleichzeitiger Optimierung der Mitarbeiterleistung durch Echtzeit-Konferenzen und Zusammenarbeit ein.
In meinem Unternehmen, genau wie in vielen anderen auch, verbringen Kollegen sehr viel Zeit mit der Bearbeitung von E-Mails. Sage und schreibe 28 Stunden pro Woche beschäftigt sich der durchschnittliche Wissensarbeiter laut einer Untersuchung des McKinsey Global Institute damit, E-Mails zu schreiben, sie zu beantworten und damit, Informationen hin- und herzuschicken. Ich selbst erhalte täglich weit über 200 E-Mails und muss oft meine Abende für deren Beantwortung opfern, um am nächsten Tag im Büro mit der eigentlichen Arbeit weitermachen zu können.
Als ich letztens im Auto den alten Hit "We don't talk anymore" von Cliff Richard hörte, hat mich das zum Nachdenken gebracht: Ganze 28 Stunden! Da bleiben ja nur ungefähr zwölf Stunden pro Woche für die eigentliche Arbeit. Und ich finde, dass die Zeit, die wir für die Bearbeitung von E-Mails ausgeben, verlorene Zeit ist.
E-Mails. Jeder schreibt sie. Keiner versteht sie.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Technologien wie E-Mails sind großartig, um mit Menschen in Kontakt zu treten und bleiben zu können. Sie sind schnell, bequem und können fast jederzeit und von überall genutzt werden. Aber die eigentliche Frage ist doch: Sind E-Mails vielleicht ein bisschen zu bequem? Hat das Schreiben von E-Mails etwas anderes verdrängt, das in unserem (Geschäfts-)Leben wichtiger ist?
Jüngste Forschungen scheinen genau zu diesem Ergebnis zu kommen. Tatsächlich stoßen E-MailsE-Mails keine Gespräche an, sondern beenden diese. E-Mails sind dazu da, Entscheidungen zu bestätigen, die letzten Details festzulegen und Informationen für später aufzubewahren. Sie sind jedoch weniger dafür geeignet, Informationen zu teilen oder neue Ideen zu entwickeln. Dieser Prozess erfordert ein gewisses Maß an Spontanität und emotionaler Beziehung. Und das lässt sich niemals durch E-Mails erreichen. Alles zu Mail auf CIO.de
Studien der New York University Stern School of Business zeigen, dass weniger als die Hälfte der Teilnehmer den Ton oder die Intention einer E-Mail verstehen. Hinzu kommt: Die meisten Menschen überschätzen ihr Geschick, Nachrichten exakt zu übermitteln und zu verstehen, erheblich. Mehr noch – und das ist sogar noch aufschlussreicher: Eine Studie der Syracuse University zeigt, dass E-Mails am häufigsten fehlinterpretiert werden, wenn sie von Chefs kommen.
Kurz gesagt: E-Mails schreiben ist zwar einfach, sie richtig zu verstehen aber nicht.
An dieser Stelle kommt Cliff Richards Song ins Spiel. Gespräche sind das Lebenselixier jeder Beziehung. Wenn Menschen aufhören zu reden (und stattdessen E-Mails schreiben), wird die Beziehung zu Ende gehen. Langsam, aber sicher. Das ist im Privatleben so. Und auch im Geschäftsleben.
The Power of Conversation
Emotionen und Innovationen sind die Stärken von Vier-Augen-Gesprächen. Dabei kommen immer wieder ganz neue Elemente im Gespräch auf. Und der Gesichtsausdruck Ihres Gesprächspartners verrät Ihnen instinktiv, ob er versteht, was Sie sagen, ob er zustimmt und ob Ihre "geniale" neue Idee auch wirklich genial ist.
Echte Arbeitserfahrung besteht aus Werten, persönlichen Erfahrungen, Expertenwissen und Emotionen. Und das lässt sich nicht in einer E-Mail vermitteln. Vielmehr schaffen und vermitteln Gespräche in der Cafeteria und auf den Gängen, in zwanglosen Diskussionsrunden am Wasserspender, in Telefonkonferenzen und beim Fachsimpeln bei einer Tasse Kaffee Wissen und Erfahrung. Und das ist für Ihr Unternehmen entscheidend.
28 Stunden E-Mails schreiben ist einfach zu viel. Lassen Sie uns also aus dem Hamsterrad ausbrechen! Hören wir auf, uns hinter unseren Bildschirmen zu verstecken und fangen wir stattdessen endlich damit an, echte Gespräche zu führen. Ich werde es beim nächsten Mal, wenn ich gerade wieder jemandem eine E-Mail schreiben will, beherzigen und dabei an das denken, was uns bereits im Kindergarten beigebracht wird: Erst denken, dann handeln!
Ich werde abwägen, ob eine E-Mail tatsächlich die beste Möglichkeit ist, um in dieser Situation zu kommunizieren oder ob ich besser beraten wäre, ein gutes Gespräch zu führen. Statistisch gesehen wird ein Gespräch das Problem schneller lösen. Das Ergebnis wird weitaus besser und jeder mit der Lösung zufrieden sein. Und vielleicht bleibt dann ja noch etwas Zeit übrig, um bei den alten 70er-Jahre-Hits in meinem Auto mitzusummen.