Die doppelte Krise

Saudi-Arabiens Wirtschaft in Corona-Zeiten

03.06.2020
Eigentlich wollte Saudi-Arabien seine Wirtschaft umbauen und in ehrgeizige Projekte von morgen investieren. Aber jetzt greift Corona um sich, der Ölpreis ist abgesackt und das Land muss sparen.
Saudi-Arabiens Regierung in Riad hat den Rotstoift angesetzt.
Saudi-Arabiens Regierung in Riad hat den Rotstoift angesetzt.
Foto: adznano3 - shutterstock.com

Von Regen aus künstlichen Wolken war die Rede, von fliegenden Taxis und Roboter-Dienstmädchen. Von Stränden, die nachts leuchten und der höchsten Dichte an Sterne-Restaurants pro Einwohner weltweit. Mit der Zukunftsstadt "Neom" strebt Saudi-Arabien nach eigener Aussage nicht weniger an als "das ehrgeizigste Projekt der Welt", eine futuristische Mega-City in der Wüste, dreißig Mal so groß wie Berlin. Geschätzte Kosten: 500 Milliarden US-Dollar.

Aber die kolossalen Pläne könnten nicht nur buchstäblich auf Sand gebaut sein. Saudi-Arabien erlebt durch den sehr niedrigen Ölpreis und die Corona-Pandemie derzeit eine Krise an zwei Fronten: Mehr als 89.000 Menschen haben sich mit dem Virus infiziert. Weil Flugzeuge am Boden blieben und der Warenverkehr im Notbetrieb lief, sank auch die Nachfrage nach Rohöl wegen Corona deutlich - dem Rohstoff also, der den Wüstenstaat zu einem der reichsten Länder der Welt machte.

Öl-Nachfrage sinkt erstmals seit 2009

Für einen ausgeglichenen Haushalt benötigt Saudi-Arabien nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) eigentlich einen Ölpreis von etwa 80 US-Dollar pro Barrel. Im April war der Preis für US-Öl aber teils unter die Marke von 11 Dollar gesackt und sogar in den Negativbereich gerutscht. Zu Wochenbeginn lag der Preis für Rohöl der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) zwar bei 33,68 US-Dollar je Barrel (159 Liter) - immerhin 4,67 Dollar mehr als am vergangenen Freitag. Im laufenden Jahr aber werde die Öl-Nachfrage erstmals seit der Rezession von 2009 schrumpfen, sagte die Internationale Energieagentur (IEA) in ihrem Jahresbericht im März voraus.

Die Regierung in Riad will gegensteuern und das Haushaltsloch stopfen. Mitte Mai kündigte sie an, die Mehrwertsteuer ab Juli von 5 auf 15 Prozent zu verdreifachen und die Staatsausgaben um umgerechnet 26,6 Milliarden Dollar zu senken. Die monatlichen Zuschüsse zu Lebenshaltungskosten von Beamten werden ab Juni ausgesetzt. Projekte im Rahmen der "Vision 2030", darunter auch die glitzernde Zukunftsstadt "Neom", sollen gestrichen oder aufgeschoben werden.

Saudi-Arabiens Ölreichtum in ausländischen Unternehmen anlegen

Unter der "Vision 2030" will Saudi-Arabien seine Wirtschaft umbauen und sich unabhängiger vom Öl machen. In der aktuellen Lage sei dies aber unmöglich, sagt Stephan Roll von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Die Ziele dieses Entwicklungsplans waren schon vor der Corona-Pandemie überambitioniert." Die gezielten Investitionen im Land seien bisher kaum erfolgreich gewesen, sagt Roll.

Zugleich will die Regierung einen Teil des Ölreichtums gewinnbringend in ausländischen Unternehmen anlegen. Die "Financial Times" berichtete kürzlich vom "Großeinkauf", bei dem der Staatsfonds PIF unter anderem in den Internetkonzern Facebook, den Flugzeughersteller Boeing und in Touristik-Unternehmen investierte. Zusätzlich leitete Saudi-Arabien ein Konsortium, das Berichten zufolge den Kauf des englischen Fußballclubs Newcastle United zusagte.

Auch der PIF habe bisher eine "sehr gemischte Bilanz" vorzuweisen, sagt Nahost-Forscher Roll. So sei etwa eine 45 Milliarden US-Dollar schwere Investition in einen Technologie-Investitionsfonds der japanischen SoftBank Group erfolglos verlaufen. Der PIF dient aber auch dazu, langfristig die Macht von Kronprinz Bin Salman zu festigen, der den Staatsfonds faktisch selbst kontrolliert.

Durchschnittsgehälter werden sinken

Die Bevölkerung in dem Land mit 35 Millionen Einwohnern muss sich auf Einschnitte vorbereiten. "Es gibt die Einsicht, dass die Zukunft anders aussehen wird. Die Durchschnittsgehälter werden niedriger sein. Junge Menschen werden nicht auf die Weise leben, wie ihre Eltern es taten", schreibt Karen Young vom American Enterprise Institute in Washington. Das sei für viele hinnehmbar, wenn sie im Gegenzug mehr Freiheiten erhielten. In dem erzkonservativen Staat sind inzwischen Konzerte, Festivals und Besuche im Kino erlaubt.

"Einige der Schritte werden wehtun, aber sie sind zum Wohl aller", sagte Finanzministers Mohammed al-Dschadan dem Nachrichtenkanal "Al-Arabija" Anfang Mai. Wehtun würde auch, wenn wegen Corona die große Wallfahrt Hadsch abgesagt würde. Im Jahr 2019 nahmen fast 2,5 Millionen Menschen teil, darunter 1,8 Millionen Pilger aus dem Ausland. Nach dem Öl zählen die Hadsch und die kleine Wallfahrt (Umrah) nach Mekka und Medina zu den wichtigsten staatlichen Einnahmequellen.

"Vision 2030" könnte kleiner ausfallen

Rund um die Wallfahrt hat sich seit dem 18. Jahrhundert eine stetig wachsende Industrie entwickelt. Es gibt Reisebüros, die sich um die Organisation der Pilgerreise kümmern. So genannte Hadsch-Führer leiten Gruppen vor Ort durch die Rituale und kümmern sich um Essen und Unterkunft. Die Zeitung "Arab News" - das englischsprachige Sprachrohr des Königreichs - hatte 2017 unter Berufung auf Ökonomen berichtet, dass die Einnahmen aus Hadsch und Umrah bis 2022 auf mehr als 150 Milliarden Dollar steigen würden.

Vielleicht muss die "Vision 2030" kleiner ausfallen als geplant. Bei Plänen für die futuristische Stadt "Neom" fühlen sich einige erinnert an King Abdullah City, Teil eines 2005 angekündigten Bauprojekts aus mehreren Städten, das Investoren locken und 1,3 Millionen Jobs schaffen sollte. Nur eine der eigentlich sechs geplanten Städte wurden tatsächlich gebaut. Angelegt war King Abdullah City für zwei Millionen Einwohner. Heute leben dort etwa 10.000 Menschen. (dpa/rs)

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