Gesellschaft

Strebt nach eurem Werk!

03.09.2013
Von Ferdinand Knauß

Im 19. und frühen 20 Jahrhundert sprachen die Soziologen viel von der Entfremdung des Menschen von der Arbeit. Der Begriff ist irgendwann aus der Mode gekommen, einerseits weil er durch Karl Marx als kontaminiert galt, andererseits weil die konsumierbaren Früchte der Wohlstandsgesellschaft auch dem Arbeiter verfügbar wurden und das Problem scheinbar gelöst war. Doch was ist der Stolz der Arbeitenden auf ihre Erschöpfung statt auf ihr Schöpfertum anderes als eine Entfremdung? Während Marx und die Väter der Soziologie den Arbeiter vor Augen hatten, der jeden Tag die ewiggleichen Handbewegungen zu verrichten habe für ein Produkt, das er sich nicht leisten kann, hat heute der Angestellte im Großraumbüro den Sinn seiner Arbeit aus den Augen verloren. Er hat zwar studiert und verdient gut, aber am Abend weiß er vor lauter Erschöpfung nicht mehr, was er am Tage geschaffen hat.

Was kann man also tun? Man kann aufhören, auf die eigene Erschöpfung stolz zu sein, und vor allem aufhören, anderen Menschen allzu viel Anerkennung für deren Erschöpfung zu zollen. Arbeit an sich ist es nicht wert, überhöht zu werden. Wenn sie die Menschen auslaugt und erschöpft, muss sie begrenzt werden. Ihren Wert erhält Arbeit nur durch die Werke, die aus ihr hervorgehen. Diese Schöpfungen müssen gegen die Erschöpfung der Arbeitenden abgewogen werden.

Muße tut Not

Das Leben kann ein bloßes Dasein sein, eine nie endende Anpassung an die Erfordernisse der Märkte. Im schlimmsten Fall lernt man dann langweilige Dinge, um einen Job zu bekommen, den man hasst, um dadurch Geld zu verdienen, um Dinge zu kaufen, die man nur braucht, um sich über die Ödnis der als sinnlos empfundenen Arbeit hinwegzutrösten. In solch einem Leben ist Erschöpfung eine der wenigen Quellen des Stolzes - bis sie womöglich zum totalen Ausbrennen und in die finale Sinnkrise führt.

Das Leben kann aber auch ein Abenteuer sein, eine mythische Heldenreise zu sich selbst. In der geht es nicht darum, sich abzurackern, um total ausgepowert anzukommen, sondern Prüfungen zu bestehen, Schätze zu finden und Wissen zu gewinnen. Mit anderen Worten: Es geht darum, Werke zu schaffen, auf die man - heimgekehrt von der alltäglichen Arbeits-Odyssee - stolz sein kann. Im besten Fall erreicht man das, was der Philosoph Karl Jaspers "Selbstsein" nennt. Die Werke müssen nicht unbedingt große Kunst oder nobelpreiswürdige Forschungsergebnisse sein. Aber Sinn müssen sie für ihren Schöpfer haben. Dann kann er vielleicht, wie Jaspers sagt, "obgleich ich Amboss bin, als Hammer … vollziehen, was ich erleiden muss".

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