Hamburger IT-Strategietage


Hamburger IT-Strategietage 2020

Tim Leberecht über die Rendite der Romantik



Christoph Lixenfeld, seit 25 Jahren Journalist und Autor, vorher hat er Publizistik, Romanistik, Politikwissenschaft und Geschichte studiert.

1994 gründete er mit drei Kollegen das Journalistenbüro druckreif in Hamburg, schrieb seitdem für die Süddeutsche Zeitung, den Spiegel, Focus, den Tagesspiegel, das Handelsblatt, die Wirtschaftswoche und viele andere.

Außerdem macht er Hörfunk, vor allem für DeutschlandRadio, und produziert TV-Beiträge, zum Beispiel für die ARD-Magazine Panorama und PlusMinus.

Inhaltlich geht es in seiner Arbeit häufig um die Themen Wirtschaft und IT, aber nicht nur. So beschäftigt er sich seit mehr als 15 Jahren auch mit unseren Sozialsystemen. 2008 erschien im Econ-Verlag sein Buch "Niemand muss ins Heim".

Christoph Lixenfeld schreibt aber nicht nur, sondern er setzt auch journalistische Produkte ganzheitlich um. Im Rahmen einer Kooperation zwischen Süddeutscher Zeitung und Computerwoche produzierte er so komplette Zeitungsbeilagen zu den Themen Internet und Web Economy inklusive Konzept, Themenplan, Autorenbriefing und Redaktion.
Der Business-Vordenker, Unternehmer und Buchautor Tim Leberecht plädiert für nichts weniger als für mehr Intimität, Romantik und Leidensbereitschaft – auch und gerade im Business. Was sich zunächst weltfremd anhört, ist heute sinnvoller denn je.
"Wir müssen dringend Technik mit Romantik verbinden." Autor Tim Leberecht sprach auf den Hamburger IT-Strategietagen 2020.
"Wir müssen dringend Technik mit Romantik verbinden." Autor Tim Leberecht sprach auf den Hamburger IT-Strategietagen 2020.
Foto: Foto Vogt

Schon das Bild, mit dem Leberecht seinen Vortrag begann, sprach Bände: Man sah einen kleinen RoboterRoboter, der eigentlich wehrhaft ein Gebäude bewachen sollte, kopfüber im Pool des Innenhofs treibend, ertrunken. Alles zu Roboter auf CIO.de

"Wir träumten von fliegenden Taxis und bekamen Roboter, die Selbstmord begehen", so kommentierte das eine Mitarbeiterin des - jetzt nicht mehr - bewachten Unternehmens. DigitalisierungDigitalisierung und Automatisierung machen eben nicht alles besser, sondern sie produzieren im Gegenteil auch eine Menge Enttäuschung, findet Tim Leberecht. "Viele sind angetreten, um unser Leben besser zu machen. Und was haben wir bekommen? Facebook!" Alles zu Digitalisierung auf CIO.de

Seiner Ansicht nach erleben wir täglich den Verlust unserer Datenhoheit. Und davor bewahrten uns auch nicht jene Trends, die sich selbst als revolutionäre Gegenbewegung feiern. Konzepte wie Human centered Design oder Human First versuchten lediglich, unsere Bedürfnisse möglichst bequem zu befriedigen - das heißt es geht dabei im Kern um Optimierung.

Der Mensch als Maschine

Und dieser Optimierung werden, so Leberecht, noch sehr viele Arbeitsplätze zum Opfer fallen. Und es wird vor allem das Mittelmanagement treffen, Notare, Sachbearbeiter, Anwälte, Journalisten. "Wenn Sie ihren Job mit einem Satz beschreiben können, dann ist es ziemlich wahrscheinlich, dass sie bald keinen mehr haben."

Und für noch gefährlicher - und noch schrecklicher - als die Vision, dass wir alle irgendwann durch Maschinen ersetzt werden, hält Leberecht die Idee, Menschen zu Maschinen zu machen. Möglich wird das, indem man ihnen Chips einpflanzt, die unsere Gedanken und Regungen tracken, die uns steuern und optimieren.

"Dahinter steckt die Überzeugung, dass nur messbares, steuerbares Leben wertvolles Leben ist", sagt Tim Leberecht. Und er berichtet über eine App, die checkt, ob der Mitarbeiter am PC ein freundliches Gesicht macht. Und ihm wahrhaftig droht: "Be happy or all Progress will be lost." Zu Deutsch: Wenn Sie nicht grinsen, wird ihre Arbeit der vergangenen Minuten gelöscht. Egal, ob sich eine solche App tatsächlich flächendeckend durchsetzt. Sie zeigt überdeutlich das Bedürfnis nach Steuerung, nach Kontrolle, nach Vorhersehbarkeit.

Rückkehr der Romantik

Deshalb fragt Tim Leberecht an dieser Stelle völlig zurecht, ob wir Menschen in Zukunft "noch fühlen dürfen." Er sieht - oder man sollte eher sagen: er wünscht sich - eine Art Rückkehr in die Zeit vor 200 Jahren, die Zeit der Romantik. Auch damals hatten die Menschen eine große Sehnsucht nach Geheimnis, nach Subjektivität und Geheimnis. Genau dahin müssen wir nach Ansicht von Tim Leberecht wieder kommen. Denn: "Romantik macht uns menschlich." Und: "Wenn den Rest die Maschinen tun, dann sollen wir Menschen alles das machen, was schön ist."

Leberecht formuliert drei Prinzipien, drei Empfehlungen, damit dieses Schöne möglich wird und gelingt:

  • Tue das Unnötige. Leberecht nennt das Beispiel eines US-Unternehmens, bei dem er gearbeitet hat. Es hatte 9.000 Entwickler in Indien, 1.000 in Kalifornien. Damit beides zusammenwächst, sollten 10.000 orange Luftballons emotional die Brücke schlagen zwischen Indien und Kalifornien. Die Luftballons wurden gestrichen, weil "not Mission critical". Die Fusion scheiterte. Leberecht sagt nicht, dass sie mit Luftballons gelungen wäre. Aber er fordert, nicht alles zu streichen und für unwichtig zu erklären, dessen Beitrag zum Geschäftsergebnis man nicht in drei Minuten vorrechnen kann.

  • Schaffe Intimität.Der durchschnittliche US-Amerikaner, sagt Tim Leberecht, hat zwei Freunde, mehr nicht. "Die meisten Menschen sind heute einsamer denn je." Und das Gegenteil von Einsamkeit sei nicht Vernetzung, sondern Intimität. In den USA könne man Menschen mieten, die andere eine halbe Stunde lang in seinem Leben begleitet, also Intimität herstellt. Und Intimität entstehe nicht durch möglichst viel Reden, sondern häufig durch das Gegenteil.

    "Es gibt mittlerweile Firmen, die ihre Mitarbeiter ein Wochenende lang schweigen lassen." Und zusammen mit der Wirtschaftswoche veranstaltete er bereits ein Business-Dinner, auf dem 90 Minuten lang geschwiegen wurde. "Das war natürlich zunächst merkwürdig, aber am Ende entstand tatsächlich so etwas wie Intimität." Intimität brauche Verletzlichkeit, und die hätten eben nur Menschen. "Und wir wollen auch keine personalisierte Erfahrungen machen, sondern persönliche."

  • Sei auch bereit zu leiden.Leberecht zitiert an diesem Punkt die Autorin Lila Davachi, die sagte: "Wir wollen nicht mehr Zeit, sondern mehr Erinnerungen." Und die seien fast immer auch mit Leiden verbunden. Mit einer Bergtour, mit Schwimmen im Eiskanal, mit dem liegengebliebenen Auto, dass uns die lebenslange Freundschaft mit den spontanen Helfern bescherte. Oder wir wollen anderen beim Leiden zusehen, etwa den Tour-de-France-Teilnehmern.

Solange wir solche Empfindungen zulassen, davon ist Tim Leberecht überzeugt, brauchen wir keine Angst vor Digitalisierung zu haben oder vor KI. Seiner Meinung nach sollten wir uns von dem Gedanken verabschieden, immer gewinnen zu wollen. Weil dieser Gedanke den Menschen gnadenlos in den Mittelpunkt stelle und damit auch massiv zur Zerstörung des Planeten beigetragen habe.

Stattdessen bräuchten wir eine neue Epoche, eine des Flanierens, Loslassens, der Verletzlichkeit, Hingabe, Leidenschaft und Bedeutung. Was sich damit gewinnen lässt? Viel, sagt Tim Leberecht. Vor allem auf dem Feld der Innovationen, weil es dafür vor allem Verrückte brauche, Romantiker. Aber die Rendite der Romantik sei vor allem mehr Romantik. "Und wir müssen dringend Technik mit Romantik verbinden, nur dann werden wir wieder menschlicher."

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