Was CISOs von Moschusochsen lernen können

Kommentar  04.10.2024


David Gee hat mehr als 20 Jahre Erfahrung als CIO, CISO und Technologieentscheider in der Finanz- und Pharmaindustrie vorzuweisen. Er schreibt für CIO, Computerworld und CSO.
Der "Moschusochsen-Ansatz" kann Sicherheitsentscheider in Sachen Drittanbieter-Risikomanagement entscheidend voranbringen.
Von Moschusochsen können sich CISOs eine Scheibe abschneiden – wenn es nach unserem Autor geht.
Von Moschusochsen können sich CISOs eine Scheibe abschneiden – wenn es nach unserem Autor geht.
Foto: Wirestock Creators - shutterstock.com

Drittanbieter-Risikomanagement ist für CISOs und Sicherheitsentscheider eine signifikante Herausforderung. Wird sie nicht (richtig) gestemmt, drohen weitreichende geschäftliche Konsequenzen - bis hin zum Stillstand der Produktion.

Das wurde in den vergangenen Monaten von diversen Cyberattacken auf Drittanbieter unterstrichen. Zum Beispiel, als im Juni 2024 die russische Hackergruppe APT29 (auch bekannt als "Cozy Bear") die kostenlose Remote-Access-Software TeamViewer ins Visier nahm, die im Unternehmensumfeld weit verbreitet ist. Selbst, wenn Sie TeamViewer nicht einsetzen - ähnliche Tools gibt es auch von diversen, anderen Anbietern. Beispielsweise von Perimeter81, AnyDesk, GoToMyPC oder LogMeIn.

Die entscheidenden Fragen sind dabei:

  • Welcher Drittanbieter wird als nächstes angegriffen?

  • Und können Sie es sich leisten, diesbezüglich ein Risiko einzugehen?

Drittanbieter sind Ihr schwächstes Glied

Leider verlassen sich so gut wie alle Unternehmen in zu hohem Maße auf zu viele verschiedene Drittanbieter, die in ihre Softwarelieferketten und Geschäftsprozesse eingebettet sind. Dabei reden wir nicht über zwei oder drei Third-Party-Partner, sondern mit Blick auf populäre Software-as-a-Service-Angebote eher über Hunderte oder Tausende, auf die sich Unternehmen jeden Tag verlassen.

Das Risiko, das einer Zusammenarbeit mit Drittanbietern inhärent ist, steigt entsprechend drastisch an - und nicht nur, wenn ihre Anzahl überhandnimmt. Weitere Risikofaktoren in diesem Bereich sind beispielsweise:

  • Eingeschränkte Transparenz. So gut wie alle Anbieter bieten potenziellen Kunden diverse Daten an, um ihre Fähigkeiten anzupreisen. Dabei kommen in einigen Fällen allerdings Informationen zum Einsatz, die nicht aktuell sind und somit die aktuelle Risikolage nicht adäquat widerspiegeln.

  • Mehr Komplexität. Diverse Drittanbieter arbeiten selbst mit Zulieferern und Subunternehmen zusammen, von denen Sie möglicherweise nichts wissen.

  • Unausgereifte Prozesse. Nicht wenige Third-Party-Anbieter arbeiten mit Cybersecurity-Richtlinien und -Standards, die weniger ausgereift sind als Ihre eigenen.

  • Geringere Investitionen. Letztgenannter Punkt hängt oft auch damit zusammen, dass viele Drittanbieter ein begrenztes Budget für Cybersicherheit zur Verfügung haben. Das kann sich auf das Sicherheitsniveau ihrer Tools und Services auswirken.

Zwar wurde eine Reihe von Best Practices und Playbooks entwickelt, um diese Lücken zu schließen - diese haben sich in weiten Teilen allerdings nicht bewährt:

  • Vendor Assessments verkommen regelmäßig zu papierbasierten "Ankreuzübungen", die nur Zeit fressen, aber nicht dazu beitragen, Risiken zu minimieren.

  • Auch im Rahmen von Vertragsverhandlungen dafür sorgen zu wollen, dass strengere Sicherheitsanforderungen bei Drittanbietern angelegt werden, hat in vielen Fällen nichts bewirkt.

  • Einige Unternehmen setzen auf Continuous Monitoring, um einen Überblick und mehr, datengetriebene Einblicke in das Sicherheitsniveau von Drittanbietern zu erhalten.

  • Andere implementieren mit Blick auf Third-Party-Partner Incident-Response-Pläne, um StrategienStrategien zu entwickeln und einzuüben, falls es bei diesen zu einem Sicherheitsvorfall kommt. Alles zu Strategien auf CIO.de

Insbesondere die letzten beiden Punkte können für Unternehmen hilfreich sein. Allerdings adressieren auch diese Maßnahmen das Risiko in Zusammenhang mit Drittanbietern nicht vollumfänglich. Vielmehr stellen sie ein Mittel dar, um zu überwachen und zu reagieren, falls es zu einer Cyberattacke kommt.

Die Moschusochsen-Strategie

Ich bin stolzes Mitglied des "Financial Services Information Sharing and Analysis Center" (FS-ISAC) und habe zusammen mit anderen CISOs aus der Finanzdienstleistungsbranche den Vorsitz des strategischen Ausschusses in der Asien-Pazifik-Region inne. Das Konsortium bietet Finanzdienstleistern auf der ganzen Welt ein umfassendes Cyber-Intelligence-Netzwerk, um sich untereinander über möglicherweise bevorstehende oder bereits laufende Angriffskampagnen auszutauschen.

Weil viele verschiedene Unternehmen der Branche mit unterschiedlich ausgeprägtem Knowhow und Ressourcen an Bord sind, sind die Mitglieder in der Lage, eine umfassende Perspektive zu erhalten, die sie alleine nicht erreichen könnten. Das FS-ISAC ist insofern ein hervorragendes Beispiel dafür, wie wir als Sicherheitsentscheider zusammenarbeiten können, um uns besser gegen Risiken abzusichern.

Das ist die Essenz dessen, was ich als "Moschusochsenstrategie" bezeichne. Der Hintergrund: Werden Moschusochsen von Wölfen angegriffen, bildet die Herde einen Kreis, in dessen Mitte sich die schwächeren Mitglieder befinden. Die Hörner der "Frontline"-Tiere sind dabei nach außen positioniert. Für die Angreifer ist dieser gemeinschaftliche Verteidigungswall kaum noch zu überwinden. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich diese Strategie auch auf das Drittanbieter-Risikomanagement übertragen lässt.

Ähnlich wie bei den Moschusochsen die Kälber sind die Drittanbieter, auf die wir uns verlassen, die schwächsten Herdenmitglieder. Werden Sie in Mitleidenschaft gezogen, wirkt sich das auf unsere kritischen Geschäftsprozesse aus. Der Unterschied zu den Moschusochsen: Wir bilden keinen Kreis, in dessen Mitte sich die Drittanbieter befinden. Stattdessen wäre es angebracht, sich im Kollektiv darüber auszutauschen, wenn die Sorge besteht, dass die Cybersecurity-Maßnahmen bei einem Third-Party-Anbieter zu wünschen übriglassen und verstärkt werden sollten.

Noch wichtiger wäre allerdings eine gemeinsame Übereinkunft darüber, den Drittanbieter bei seinen Bemühungen zu unterstützen. Das würde potenziell Koordinationsarbeit und unter Umständen auch eine Neuverhandlung von Verträgen erfordern - hätte aber den Vorteil, diese Schwachstelle, die uns alle betrifft, besser absichern zu können.

Von der Theorie zur Praxis

Ein solches Zusammenwirken könnte unter Juristen durchaus Bedenken aufwerfen - Stichwort Wettbewerbsrecht. Dennoch hat der Moschusochsenansatz das Potenzial, die Risikolage in Sachen Drittanbieter entscheidend zu verbessern - und Unternehmen dabei zu unterstützen, Third-Party-Risiken besser zu managen.

Das könnte - zum Beispiel - folgendermaßen aussehen:

  1. Bestimmen Sie, welche Drittanbieter Ihnen am meisten Sorgen bereiten und erstellen Sie eine "Hot List".

  2. Tauschen Sie sich mit anderen Unternehmen aus, um diese Liste abzugleichen und die Kandidaten zu ermitteln, die Sie gemeinsam haben.

  3. Verhandeln Sie über einen gemeinschaftlichen "Schutzschild" für diese Anbieter.

Denselben Ansatz haben wir bei FS-ISAC als möglichen Weg für die Zukunft diskutiert. Die ersten beiden Schritte sind relativ simpel zu bewerkstelligen - der dritte macht hingegen deutlich mehr Aufwand, aber auch den entscheidenden Unterschied. Ein praktischer Ansatz, um diesen umzusetzen, könnte dabei darin bestehen, dass die größten Unternehmen eine Führungsrolle einnehmen und kleinere unter ihre Fittiche nehmen.

Vergessen sollten Sie dabei nicht, dass auch die Moschusochsen-Strategie ihre Grenzen hat: Wenn ein Bär angreift, machen sich auch Moschusochsen aus dem Staub - dann ist jeder auf sich allein gestellt. Das lässt sich ebenfalls auf die Cybersicherheit übertragen: Je mächtiger der Feind, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Angriff in einen Kampf ums blanke Überleben ausartet. Aber auch wenn diese Strategie nicht auf jedes Szenario anwendbar ist, könnte sie unser kollektives Risiko erheblich minimieren. (fm)

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