Digitalisierung
Wenn der Damm der Old-Economy bricht
Folker Scholz schreibt zu den Themen Governance, Risk, Compliance, Nachhaltigkeit/CSR und Veränderungsmanagement. Als selbständiger Berater und Coach hilft er Unternehmen das dynamische IT-Umfeld und den Innovationsdruck neuer Geschäftsmodelle zu beherrschen. Er engagiert sich in der Fachgruppe Cloud der ISACA, in der Risk Management Association (RMA) und im Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik (DNWE).
- Radikal neu denken erfordert ungewohnte Sichtweisen durch Kooperationen, Austausch mit Kunden und Sparring mit externen Experten
- Umsatz- und Gewinnvorgaben als Maßstab aller Dinge unterdrücken Experimente, deren Wesen Unsicherheit und Risiko ist
- Ein Ausgangspunkt für die Neujustierung ist die Etablierung eines Chief Digital Officers.
- Der CDO braucht ein Team aus Sponsoren und Innovatoren mit der Bereitschaft, alles in Frage zu stellen.
- Innovations-Teams müssen in der Lage sein, Start-ups oder Start-up-ähnliche Strukturen ins Leben zu rufen
Alle paar Jahrzehnte verändern neue Technologien auf grundlegende Weise die Märkte. Die Dampfmaschine lieferte mit ihrer kontrollierten und dramatisch gestiegenen Krafterzeugung die Grundlagen für Umbrüche in der Mobilität mit Eisenbahn und Dampfschiff und ermöglichte außerdem die industrielle Massenfertigung von Konsumgütern sowie ganze Klassen neuer Maschinen.
Die Elektrizität brachte nicht nur Licht und in Folge veränderte Lebens- und Arbeitszeitgewohnheiten in die Welt. Sie entkoppelte auch die Energieerzeugung vom Energieverbrauch und war die Grundlage für eine bunte Vielfalt an Kleingeräten für die unterschiedlichsten industriellen und privaten Anwendungen.
Schließlich revolutionierte der Computer die Art der Informationsverarbeitung und schuf damit völlig neue Möglichkeiten der Analyse, Steuerung und Kommunikation. Pferdekutschen und Manufakturen sind Reliquien nostalgischer Nischenmärkte, spielen aber in Hinblick auf Transport- und Fertigungskapazität keine Rolle mehr.
Immer dann, wenn eine Technologie grundlegend neue Möglichkeiten zur Verfügung stellt, brechen irgendwann die Dämme der "Old-Economy" und überfluten Wirtschaft und Gesellschaft.
Das Internet ist der große Marktumwälzer
Ist das Internet der nächste große "Marktumwälzer"? Einiges spricht dafür. Die umfassende Verfügbarkeit von Informationen bietet das Potenzial für völlig neue Service-, Erfahrungs- und Interaktions-Produkte. Einige Märkte wurden schon grundlegend verändert, wie die von Zeitungen und Musik. Andere sind im Umbruch. Der klassische Automarkt wird durch Car-Sharing angegriffen, Berufstaxis durch Uber, Videotheken durch Streamingdienste oder das klassische Telefon durch Skype oder WhatsApp.
Das Potenzial ist aber nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft. Die Steuerung und Koordination verteilter Geräte und Dienstleistungen steht noch ganz am Anfang. Auf der technischen Seite sind die aktuellen Hype-Stichworte Cloud und Industrie 4.0. Auf der gesellschaftlichen Seite stehen die Generation Y oder die Share Economy als Synonym für die beginnenden gesellschaftlichen Auswirkungen der neuen technischen Möglichkeiten.
Gigantisches Spielfeld für kreative Köpfe und wirtschaftliche Schatzsucher
Potenziell lässt sich fast alles mit allem vernetzen. Die Kombinationsmöglichkeiten sprengen die Vorstellungskraft jedes einzelnen. Auf diesem gigantischen Spielfeld blühen die Ideen kreativer Köpfe und wirtschaftlicher Schatzsucher. Selbst wenn nur ein Bruchteil der ausgedachten und ausprobierten Geschäftsmodelle funktioniert, müssen wir mit einem Feuerwerk an neuen Angeboten rechnen.
Viele werden das Potenzial haben, die Spielregeln zu verändern, manche werden dem alten Markt große Anteile wegreißen und diverse "Old-Style-Märkte" werden zur Bedeutungslosigkeit verdammt werden.
Diese Dynamik ist eine besondere Herausforderung für alle Organisationen, vor allem aber für Unternehmen, die über Jahre oder Jahrzehnte ein erfolgreiches Geschäftsmodell betrieben haben. Es reichte immer aus, die Produkte der Mitbewerber zu beobachten und die eigenen Produkte graduell zu verbessern. Die Fixierung auf die Produktoptimierung macht radikale Umbrüche schwer vorstellbar.
- Achillesferse der Digitalisierung
In dem Papier "Being digital: Embrace the future of work and your people will embrace it with you" bezeichnet Accenture die Belegschaft eines Unternehmens als "Achillesferse" der Digitalisierung. Das Papier basiert auf Angaben von rund 700 Entscheidern weltweit sowie circa 2.500 Angestellten. - Befürchtungen der Mitarbeiter
Eine Mehrheit von 70 Prozent der Angestellten befürchtet den Verlust von Teamgeist, wenn die Kollegen per Fernzugriff arbeiten und nicht mehr ins Büro kommen. Etwa jeder Achte (zwölf Prozent) erwartet, seine Job-Aussichten werde sich durch die Digitalisierung negativ entwickeln. - Vorteile der Digitalisierung
Gleichzeitig erwarten die Angestellten aber auch Vorteile in den Punkten Innovationsfähigkeit ihres Unternehmens (71 Prozent), Agilität (69 Prozent) und Produktivität (68 Prozent). Insbesondere jüngere Befragte mit überdurchschnittlich hoher Qualifikation sehen die Vorteile der Digitalisierung – "wenig überraschend", wie Accenture schreibt. - Katalog digitaler Skills
Accenture rät Entscheidern, einen Katalog mit den benötigten digital Skills samt dem jeweiligen Kompetenzniveau zu erstellen. - Keine Nebensache
Entscheider dürfen das Thema Mitarbeiter nicht als Nebenschauplatz behandeln, so der Appell von Accenture. Sie brauchen eine "Test and learn"-Mentalität.
Kämpfe um Karriere, Posten und Macht verstellenden den Blick
Unternehmensinterne Konkurrenzkämpfe um Karriere, Posten, Macht und Mitarbeiter verstellen zudem häufig den Blick auf das große Ganze. Linienorganisationen mit Chefs, Abteilungen und einem Sicherheitsgefühl der Vertrautheit haben eine natürliche Beharrungstendenz. Radikale Innovationen aus der Linie sind daher systembedingt selten.
Es reicht nicht eine schicke Webseite, einen Online-Shop oder eine Social-Media-Präsenz zu bauen. Die Gefahr droht vor allem von Anbietern, die Aufgabenstellungen auf eine ganz neue Art lösen. Die Dynamik des Internets und seine auf schneller Verbreitung und leichter Skalierung aufbauenden Strukturen lassen alternative Geschäftsmodelle manchmal geradezu explodieren.